Nur wenige ausländische Besucher können mit dem Konzept der Antenna-Shops etwas anfangen. Kommen sie zufällig an einem vorbei, sagen sie, oh, das ist ja ein netter kleiner Supermarkt hier, und ein paar Andenken kann man auch kaufen. Ja, kann man natürlich. Aber Antenna-Shops sind noch viel mehr, sie sind die inoffiziellen Repräsentanzen der verschiedenen japanischen Präfekturen in der Hauptstadt Tokio. Kulinarische Botschaften sozusagen. Und nachdem ich das verstanden hatte und in diesem Artikel anhand der aufgeführten Adressen gesehen hatte, dass es wirklich viele von ihnen gibt – da hat sich Antennen-Matze auf die große Tour gemacht. Nicht weniger als 18 dieser Antenna-Shops habe ich besucht und überall ein typisches Produkt erworben. Großen Spaß hat das gemacht, und deshalb möchte ich Euch meine Fundstücke nicht vorenthalten.
Ich nehme das Fazit schon einmal vorweg: Für mich sind die Antenna-Shops eine der großen kulturellen und kulinarischen Entdeckungen in Tokio gewesen. So etwas möchte ich bei uns auch haben, und mit “uns” meine ich solche Städte wie Berlin, Wien oder Zürich, auf die sich ein solches Konzept auch problemlos übersetzen ließe. Vielleicht eignet sich Japan auch besonders gut dafür, weil die drei goldenen Regeln des japanischen Essens “regional” (= es gibt bestimmte Sachen nur an bestimmten, kulturell und naturgeographisch definierten Orten), “saisonal” (= es gibt bestimmte Sachen nur zu bestimmten Zeiten, weil sie nur dann wirklich frisch sein können) und “handwerklich” (= hohe Qualität der Rohstoffe und die manuelle Kunstfertigkeit der Verarbeitung) heißen.
Nun aber zu den zentralen Fragen des praktischen Zugangs: Wie funktionieren Antenna-Shops überhaupt, was gibt es dort zu kaufen, für wen sind solche Antenna-Shops gedacht, und wo findet Ihr am einfachsten eine gewisse Anzahl davon?
Antenna-Shops sind die “Antennen”, die die Signale aus den jeweiligen Präfekturen in der Hauptstadt empfangen. Finanziert werden sie hauptsächlich oder sogar gänzlich von der entsprechenden Präfektur selbst. Das rechnet sich für die Präfekturen vor allem deshalb, weil eine möglichst attraktive Darstellung nicht nur das Image der Region bestimmt, sondern auch dazu motiviert, demnächst eine Urlaubsreise in diese Präfektur anzutreten. Die Kataloge und Broschüren der Tourismusverbände liegen überall aus, wahrscheinlich könnte man sich sogar von den Angestellten gezielt beraten lassen. Damit ist eine Zielgruppe bereits klar: Potenzielle Urlauber aus dem Großraum Tokio, und bei 35 Millionen Einwohnern in diesem Großraum dürfte das Potenzial entsprechend hoch sein. Das schließt auch diejenigen ein, die bereits einen Urlaub in der Präfektur verbracht haben und sich durch den Kauf eines typischen und liebgewordenen Produkts jetzt daran erinnern wollen.
Die zweite Zielgruppe setzt sich aus den Foodies zusammen, die in dem Angebot von Antenna-Shops seltene Sakes oder andere Spezialitäten finden, die es ansonsten in Tokio nicht gibt. Die Antenna-Shops haben sich in aller Regel der Förderung kleiner und mittelgroßer handwerklicher Betriebe verschrieben. Das sind also Hersteller, für die eine landesweite Distribution wegen ihrer geringen Finanzkraft, aber auch wegen der geringen Herstellungsmengen nicht in Frage kommt.
Die dritte Zielgruppe besteht aus Heimwehkranken. Wie bei uns auch, sind viele Menschen der Ausbildung und der Arbeit wegen aus ihren ländlichen Herkünften in den großen Ballungsraum gezogen. Für diese Binnenmigranten gibt es hier die Gerüche und Geschmäcker der Heimat nebst dem heimatlichen Dialekt, denn die Angestellten stammen natürlich auch von dort.
Eine vierte Zielgruppe überschneidet sich mit der dritten. Es handelt sich um Offizielle, um Parlamentarier und Artverwandte, die nicht nur selbst gern in den Antenna-Shops einkaufen, sondern auf diese Weise anderen offiziellen Besuchern ihre Region auf anschauliche Weise näherbringen können. In einem Antenna-Shop habe ich beispielsweise ein Kamerateam gesehen, das einen solchen Parlamentarierbesuch dokumentiert hat.
Was es in den Antenna-Shops zu kaufen gibt, hängt natürlich von der jeweiligen Präfektur, ihren Produkten, aber auch ihrem internen Konzept ab. Es gibt Shops mit angeschlossenen Imbissstätten oder gar richtigen Restaurants, es gibt Shops, die neben Lebensmitteln auch Kunsthandwerk führen, es gibt solche, die wühliger sind und solche, die ein edleres Erscheinungsbild pflegen. Manche Shops führen ein Vollsortiment von Reis und Gemüse bis zu Fleisch und Konditorwaren, andere haben sich hingegen auf Haltbareres konzentriert. Ihr werdet jedenfalls überall die Gelegenheit haben, für wenige Yen eine typische Kleinigkeit aus der jeweiligen Präfektur zu erwerben.
Das Gute an den Antenna-Shops für uns Besucher ist, dass sie sich räumlich relativ stark konzentrieren. Der wichtigste Ort ist dabei das Kotsu Kaikan Building, das Ihr trockenen Fußes sowohl von den U-Bahn-Stationen Ginza, Hibiya und Yurakucho als auch von der Ringbahnstation Yurakucho unterirdisch erreichen könnt. Da die Wege dort unten immer ein wenig verwirrend sind, finde ich es sehr praktisch, dass an jeder Eingangstür zum Gebäude in “unseren” Buchstaben groß und blau “Kotsu Kaikan” geschrieben steht. Die anderen Antenna-Shops liegen verstreut in den Stadtteilen Nihombashi und Ginza, aber alles ist so nah beieinander, dass ich auf zwei Rundtouren alle Antennas abklappern konnte. Mit ein bisschen Google-Recherche (und dem Übersetzungsprogramm) werdet Ihr alle Antenna-Adressen ausfindig machen können, zumal die meisten in den drei FoodSakeTokyo-Blogartikeln auch genannt sind. Ich habe jedenfalls alle gefunden.
Und hier sind sie nun, die Antenna-Shops. Da ich mich manchmal aufgrund meiner mangelnden Schriftkenntnisse etwas schwer tat, den Shop und die Herkunftspräfektur richtig einzuordnen, habe ich von jedem Shop zwei Fotos gemacht: eins von außen, damit Ihr den Shop auch erkennen könnt, und eins von einem Produkt, das ich dort gekauft habe. (Sorry wegen der komischen Formate, aber WordPress wollte mit seinem letzten Update wohl die Bildbearbeitung vereinfachen – im Ergebnis ist alles total unflexibel geworden, und die Bilder füllen entweder den ganzen Bildschirm oder sind winzig klein)
1. Hiroshima
Dies war der erste Shop in Ginza, an dem ich ganz zufällig vorbeigekommen bin. Hiroshima wird bei uns praktisch ausschließlich mit dem Atombombenabwurf verbunden. Hiroshima ist allerdings auch eine bedeutende südjapanische Hafenstadt mit mehr als einer Million Einwohnern. Und sie war die erste Stadt, die Ausländern das kommunale Wahlrecht einräumte. Berühmt ist Hiroshima für das Okonomiyaki, eine Art auf der heißen Platte gebratener Pfannkuchen. Auf einer Postkarte des Künstlers Boosuka, die ich im Antenna-Shop gekauft habe, wird dann auch das Okonomi-mura abgebildet, ein Gebäudekomplex in Hiroshima, der zu einem der “beliebtesten Familien-Themenpark Japans” gewählt wurde. Was es dort gibt? Nun, 26 verschiedene Okonomiyaki-Restaurants offenbar sehr origineller Art. Und nicht weniger originell ist der lokale Snack auf dem unteren Foto, wieder einmal wunderbar in einen Papierumschlag gefaltet: winzige getrocknete Fische mit Algen und Sesam.
2. Kumamoto
Kumamoto liegt auf der Insel Kyushu, der südlichsten der großen japanischen Inseln. Der Shop selbst befindet sich in der Sotobori-dori, fast direkt am Eingang zur U-Bahn-Station Ginza. Ich habe im Laden zunächst ein paar Erdnussplätzchen gekauft, die ich als Stärkung aber gleich verspeist habe. Noch überhaupt nicht geöffnet ist hingegen mein zweites Mitbringsel, ein kleines Glas mit Yuzukoshu, eine Würzpaste aus Yuzu, der legendären japanischen Zitrusfrucht, Salz und gelbroten Chillies. Mal schauen, wofür ich das konkret verwende.
3. Iwate
Iwate ist eine Präfektur im Norden Japans, fast schon in Richtung Hokkaido an der Pazifikküste gelegen. Iwate war zwar nicht durch den Atomunfall in Fukushima, aber durch das vorhergehende Erdbeben und den Tsunami schwer betroffen. Deshalb haben im Iwate-Shop viele Lebensmittel einen Aufkleber der Katastrophenhilfe, das heißt, ein bestimmter Teil des Verkaufserlöses geht in regionale Wiederaufbauprojekte. Ich habe aus dem Shop, der sich an der U-Bahn-Station Higashiginza befindet, zunächst einmal mein allerköstlichstes Daifuku gekauft: mit Walnussfüllung, fantastisch in Textur und Geschmack, leider ohne Fotodokumentation an Ort und Stelle verputzt. Ein zweites Daifuku habe ich auf dem linken Foto abgebildet: ganz toll in ein großes Blatt eingewickelt, sehr klebrig und mit irgendeiner grünen Blattpflanze bereitet. Die Muscheln stammen übrigens aus Kamakura und sind nur aus dekorativen Gründen dort.
4. Okinawa
Die Antenna-Leute aus Okinawa sind echte Profis. Ihr Shop ist wahrscheinlich derjenige, der am meisten von japanischen Touristen in spe aufgesucht wird, denn Okinawa ist eine fast schon tropische Insel weit draußen auf dem Pazifik. Entsprechend gestaltet sich die Stimmung im Shop: Palmen und kleine Holzregale, Automaten mit lokalen Getränken, offenbar genau wie auf der Insel – und dazu eine musikalische Beschallung, die an Hawaii erinnert und die Besucher gedanklich gleich die Hängematte zwischen den beiden Palmen aufspannen lässt. Das alles verbreitet gute Laune, und ich habe mir dazu passend eine Packung mit “Cocoa Sweets” gekauft, Schokoladenstückchen, die mit Kakaopuder umhüllt sind.
5. Kochi
Der Antenna-Shop von Kochi befindet sich gleich daneben, Ausgang 3 der U-Bahn-Station Ginza-Itchome. Aber er ist ein wenig zurückversetzt, recht klein und wirkt so, als würden dort weniger urlaubsfreudige Tokioter als vielmehr heimwehgeplagte Kochinesen einkaufen. Dafür gibt es im Kochi-Shop einen klaren Schwerpunkt: Offenbar ist die südjapanische Präfektur für Ingwer bekannt, und so könnt Ihr verschiedene Ingwersorten und Zubereitungen in sämtlichen Konstellationen erwerben. Ich habe mich für ein Ginger Ale entschieden und war wirklich ausgesprochen zufrieden. So ein gutes Ginger Ale, so trüb, ingwerreich, aber trotzdem geschmacklich ausgewogen, habe ich noch nie getrunken.
6. Ibaraki
Auch der Shop von Ibaraki ist nur ein paar Meter weiter auf derselben Straße gelegen, aber ich hatte ihn zunächst übersehen, weil ich nur “Select Shop” lesen konnte. Erst nachdem ich eingetreten war, konnte ich ein Plakat dieser unmittelbar an Tokio angrenzenden Präfektur entdecken. Ich habe mir hier meinen ersten richtig guten Sake gekauft, und zwar den ungefilterten “Sato no Humare”. Die Sake-Brauerei gibt es übrigens seit 1141, der jetzige Inhaber ist der 55. in der Familienlinie. Ein sehr natürliches, aromatisch-kräftiges Produkt. Der Vorteil der Antenna-Shops ist, dass es dort auch Sake aus sehr guten, sehr kleinen Betrieben in ebenso kleinen Fläschchen gibt. Eine große Flasche empfinde ich immer als zu große Bürde, ein ausgesprochener Sake-Kenner und -Liebhaber bin ich ja nicht. (Noch nicht, ich bin ja zum ersten Mal in Japan.)
7. Kyoto
Ein bisschen enttäuscht war ich vom Kyoto-Shop, der sich über dem H&M direkt an Ausgang 27 der Tokyo-Station befindet. Schließlich ist Kyoto die historische Stadt in Japan schlechthin. Der Shop zeigt sich edel, übersichtlich, nur wenige Produkte, vieles davon wirklich schönes Kunsthandwerk, das gebe ich zu, aber da ich keine Teekanne kaufen möchte, ist das Angebot für mich begrenzt. Ich entscheide mich für ein kleines Süßstück, den “Mont-Blanc” der Pâtisserie Grace Saison. Wie der Name schon andeutet, ist dies eine kulinarische Begegnung von Japan und Frankreich, ein extrem feiner, feuchter Teig, in den eine Kastanie eingebacken wurde. Sehr schmackhaft.
8. Yamaguchi
Dieser und der folgende Shop liegen einen Block entfernt vom Kaufhaus Takashimaya in Nihombashi. Yamaguchi nimmt den südlichsten Zipfel der japanischen Hauptinsel ein und zeichnet sich durch vielfältige Landschaftsformen aus. Der Shop ist ebenso vielfältig und wimmelig, es gibt dies und das, aber keinen Schwerpunkt. Ich entscheide mich für die Lotos-Cracker, die Ihr als Knabberfans auch unbedingt einmal versuchen solltet. Dazu gibt es einen Birnen-Cider von Takenaka mit dem stilisierten Bild einer Frau aus den wilden Zwanzigern. Eine Zeit sehr instabiler Demokratie war das in Japan, ähnlich wie bei uns.
9. Yamanashi
Yamanashi ist die südwestlich von Tokio gelegene “Bergprovinz” mit dem Fuji, in der die bekanntesten Weine des Landes hergestellt werden. Als Quasi-Heimat der Koshu-Traube ist dies die Präfektur, von der aus sich der Weinbau in Japan peu à peu ausgebreitet hat. Entsprechend liegt der Schwerpunkt des Shops bei Wein, und nirgendwo anders in Tokio habe ich derartig viele verschiedene japanische Weine gesehen. Zwei weitere Gründe, diesen und keinen anderen Shop aufzusuchen, wenn Ihr Euch an japanischem Wein versuchen wollt: Die Preise sind relativ günstig, Erzeugerpreise, nehme ich an (gut, alles im Lichte der hohen steuerlichen Belastung), und es gibt hier eine Verkäuferin, die Euch wirklich beraten kann. Nicht nur, weil sie aus Yamanashi stammt, sondern weil sie drei Jahre in Alaska gelebt hat und entsprechend gut Englisch spricht. Jedenfalls war dies die Person – alle Depachikas eingeschlossen – der ich mich am besten verständlich machen konnte. Gekauft habe ich den Koshu “Salzberg”, den ich Euch schon im Wein-Artikel vorgestellt hatte.
10. Akita
Alle Antenna-Shops ab jetzt befinden sich im Kotsu Kaikan Building. Den Anfang macht ein sehr unauffälliger Eckladen ohne “westliche” Beschriftung, den Ihr aber am stilisierten Hund erkennen könnt: Akita. Diese Provinz an der Nordwestküste des Landes besitzt, wie ich nachher lesen konnte, den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Sake in Japan, einige der berühmtesten Sake-Brauereien, aber auch die höchste Abwanderungsquote. Ein peripherer ländlicher Raum, viel Wald, viel Meer, wenig los. Ich habe mir im Akita-Shop meinen allerbesten Sake gekauft, den ich in Tokio probieren konnte: Es ist der “Taiheizan Tenko”, ein Junmai Daiginjo der Brauerei Kodama. Die Reiskörner sind bis auf 40% des inneren Kerns herunterpoliert, der Sake besteht nur aus Quellwasser, Reis und Koji, alles sorgfältigst ausgesucht und hergestellt, ein enorm feines Produkt (für die Experten die technischen Daten: Seimaibuai 40%, SMV +2, Säure 1.5). Diese 180 ml-Flasche hat 872 Yen, also knapp 7 € gekostet, und das lohnt sich auch als Mitbringsel.
11. Mura Kara Machi Kara
Dieser Laden hat einen Namen (jenen aus der Überschrift), aber ich kann ihn nicht lesen, weshalb ich ihn als “Birnenshop” nach dem Ladensymbol bezeichnen möchte. Hier findet Ihr insgesamt die größte Auswahl an Produkten kleiner handwerklicher Hersteller aus ganz Japan, aber man beschränkt sich halt nicht auf eine einzige Provinz. Für mich erschwert das die Zuordnung, welche Spezialität von wo stammt, aber wer von Euch Japanisch kann, wird sicher tolle Aha-Erlebnisse haben. Ich habe mir hier den Sesamkuchen gekauft, den ich Euch schon im Süßigkeiten-Artikel vorgestellt hatte.
12. Hokkaido
Gemeinsam mit Okinawa ist dies wahrscheinlich der populärste Antenna-Shop. Und die beiden Präfekturen bilden auch sozusagen die beiden japanischen Extreme ab, denn von der Nordspitze Hokkaidos bis zur Südspitze Okinawas sind es nicht weniger als 2.500 Kilometer Luftlinie. Das entspricht der Entfernung von Hamburg nach Antalya, und Ihr könnt Euch denken, dass die Produktauswahl der beiden “Extrem-Antenna-Shops” dementsprechend unterschiedlich ist. Im Hokkaido-Shop dreht sich sehr viel um Milchprodukte, und zwar aus Kuhmilch. Es gibt verschiedenste Käsesorten, sehr edle Butter, Joghurt und Milcheis. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Sachen aus dem kalten Meer, Seeigel, Eismeerkrabbenfleisch, Algen. Ich habe hingegen eine Frucht-Nachspeise im Becher gekauft. Die rote Frucht heißt auf Lateinisch Lonicera caerulea var. emphyllocalyx und ist eine Verwandte der Blauen Heckenkirsche. Interessanterweise stammt die englische Bezeichnung “Haskapp” aus dem Japanischen, denn “Haskap” ist ein alter Name für das Ainu-Volk. Der Geschmack ähnelt einer Mischung aus Blaubeere, Brombeere und gefühlten finnischen Waldbeeren.
13. Wakayama
Diese Provinz südlich von Osaka muss zwingend für ihre Ume bekannt sein. “Ume” wird im Deutschen gern als “saure Pflaume” bezeichnet, aber es handelt sich in Wirklichkeit eher um eine Aprikosenart. Im Shop von Wakayama gibt es eine kaum zu überschauende Vielfalt an Umeboshi, also an eingelegten, sauer-salzigen Aprikosenfrüchten. Die Verkäufer ließen mich fleißig probieren, “nur noch diese hier… vielleicht noch jene da drüben…”, und irgendwie musste ich dann ja irgendetwas kaufen. Ich entschied mich für eine relativ wenig salzige Variante, und ganz wie bei den alten Japanern bestand mein Frühstück ein paar Tage lang aus einem Schüsselchen Reis und einer sauer-salzigen Ume. Höchstwahrscheinlich enorm gesund. Sollte ich 100 Jahre alt werden, weiß ich, wem ich die Schuld dafür geben kann.
14. Toyama
In diesen Shop wollte ich erst gar nicht gehen, weil er mir doch arg klein vorkam. Aber weil ein Kamerateam dort gerade einen Präfektur-Repräsentanten filmte, bin ich aus Neugier doch hineingegangen. Gekauft habe ich etwas, das erst wie ein kalter Tee in der Plastikflasche aussah, sich später dann jedoch als wirklich interessant herausgestellt hat: Es handelt sich nämlich um einen Sud aus Maulbeerblättern, der in China schon seit dem Altertum als gesundheitsfördernd gilt. Er besitzt einen leicht süßlich-grasigen Geschmack, aber weder Zucker noch Kalorien. Deshalb wird er auch Diabetikern besonders empfohlen.
15. Hakata
Hakata, the canal city, ist eigentlich gar keine eigene Präfektur, sondern befindet sich in der Präfektur Fukuoka. Aufgrund der Lage an der Meeresstraße von Korea, der damit verbundenen Handelstätigkeit und des vermutlich daraus entstandenen Spezialitätenreichtums hat man sich jedoch entschlossen, einen eigenen Shop aufzumachen. Zwei Produktlinien beherrschen dabei das Angebot: Fertig-Nudelsuppen, aber nicht etwa getrocknet, sondern mit Brühe abgefüllt – eventuell koreanischer Art, aber das weiß ich nicht. Und Knabberprodukte mit Fischrogen. Ich habe mich für ein Päckchen Rogencracker aus Reismehl entschieden. Und – allen Ernstes – die kleinen Knabberchen sind köstlich, gut gewürzt, schön knusprig-fest und einfach alles das, was die schrecklichen aufgeschäumten Flips bei uns nicht sind. Würde ich garantiert kaufen, wenn es das in Deutschland gäbe.
16. Kobe
Die große Enttäuschung. Mit Kobe assoziiert man nicht zu Unrecht perfekt gemasertes, saftiges Rindfleisch. Und selbst wenn es Frischeprodukte in diesem Antenna-Shop nicht geben sollte: Die Stadt Kobe hat 1,5 Millionen Einwohner und besitzt einen der größten Seehäfen Japans. Da muss es doch irgendwelche Spezialitäten geben. Aber nichts da. Vielleicht bin ich von den anderen tollen Shops auch schon ein wenig übersättigt, aber so richtig macht mich hier nichts an. Aus der Not heraus kaufe ich ein Madeleine der Firma “Morry Mama”.
17. Toyooka
Toyooka ist eine Stadt an der Westküste Japans und liegt wie die Stadt Kobe in der Präfektur Hyogo. Im Vergleich mit dem Kobe-Shop gefällt mir allerdings schon das Erscheinungsbild des Toyooka-Shops besser. Groß ist er zwar auch nicht, aber dafür hat er etwas Ungewöhnliches zu bieten: Craft Beer. Ich entscheide mich für das “Bier des Meeres” aus Kinosaki. Gubigabu ist eine Art Gasthausbrauerei mit Onsen und Restaurant. Es gibt vier Biere dort mit deutschen Bezeichnungen, deren Aufmachung wirklich sehr geschmackvoll ist: das Pils “Bier des Himmels” (mit stilisierten Möwen auf dem Etikett), das Weizen “Bier des Flusses” (mit Flussdelfinen), das Stout “Bier des Meeres” (mit einem Blauwal) und das “Bier des Schnees” (mit Eismeerkrabben), das leider gerade ausverkauft war. Und für alle, die davon noch nie etwas gehört haben: Japanische Craft Beers sind verdammt gut. Viel besser als ihre Weine, wenn Ihr mich fragt.
18. Sakai
Sakai, das ist quasi Osaka, denn die Stadt Sakai ist mit der Präfektur-Hauptstadt Osaka schon längst zusammengewachsen. Dies ist der letzte Antenna-Shop, den ich besuche – und es ist auch einer der ungewöhnlichsten. Im Sakai-Shop tragen die Bedienungen Baseball-Caps, der ganze Laden ist wie in einem Saloon mit Holz vertäfelt, es gibt zwei Eat-In-Counter, und zur Abrundung spielt die Musikanlage amerikanischen Westcoast-Schweinerock. Dazu passend kaufe ich mir einen Coffee to go des osakanischen Herstellers Sennichimae.
Natürlich bin ich nach zwei Tagen Antennenjagd schon ein bisschen geschlaucht, aber ich war auch immer wieder gespannt, was mich denn im nächsten Laden erwarten würde. Mein Fazit ist glasklar, und ich hatte es zu Anfang ja bereits geschrieben: Ein solches Konzept will ich bei uns auch haben! Länder wie Frankreich oder Italien sind davon ja gar nicht weit entfernt, denn selbstverständlich gibt es in Paris (fast) alles, was die handwerklichen Produzenten in der Provinz herstellen. Nur ist die Sache dort nicht derart stringent organisiert, dass es den Poitou- oder den Gard-Spezialitätenshop geben würde.
Im Hinblick auf Deutschland frage ich mich allerdings: Haben wir eigentlich genügend entsprechende Kleinhersteller, haben wir eigentlich genügend lokale Spezialitäten aus jeder Region (Bundesland?), um ein solches Konzept beispielsweise in Berlin überhaupt realisieren zu können? Was wären denn “niedersächsische Spezialitäten”, die es nur dort gibt (oder aber nur dort besonders gut)? Vielleicht ist es an der Zeit, sich mal ein wenig auf die systematische Suche zu machen…
Großartig, Matze!
Was Christoph sagt…
Habt vielen Dank, Ihr beiden! Erst hatte ich ja gedacht, vier Antenna-Shops zum Beschreiben genügen, die Leute kennen die Präfekturen eh nicht (ich vorher auch nicht), und in einem Antenna-Shop war bestimmt noch niemand. Aber dann hatte ich so viel Spaß bei der Tour so in der Art “da ist ja schon wieder einer!”, das wollte ich einfach nicht unter den Tisch fallen lassen ;).
Toller Artikel!
Endlich hab ich wieder mal Zeit, hier zu lesen und gleich ist es so spannend!
Ansatzweise gibt es solche Laeden in Oesterreich, z. B. vom Salzkammergut, von der Wachau, vom Waldviertel. Aber nicht so konsequent. Faende ich ganz toll!
Ich bin shcon gespannt, ob du auch ueber japanischen Whisky schreiben wirst ….
Ehrlich gesagt hatte ich bei der Idee der Antenna-Shops auch gleich an Österreich gedacht, weil mir das kulinarisch-kulturelle Bewusstsein nebst finanzkräftigen lokalen Tourismusverbänden eine sehr günstige Grundlage zu bieten scheint. Falls sich niemand findet, können wir das ja mal selbst in die Hand nehmen, basisdemokratisch ;).
Über Whisky werde ich leider nichts schreiben, weil ich dafür noch zu jung bin. Whisky, Cognac, Port, Banyuls, alles Vergnügungen für meine bis dahin bereits gescheit abgeraspelten Geschmacksnerven, die ein Kabinettweinchen nicht mehr vom Lipton-Eistee unterscheiden können ;). Nein, ich verstehe leider zu wenig von Whisky, als dass ich mich da irgendwie vernünftig äußern könnte. Aber es gibt schon eine gute Whiskyauswahl hier, schottisch wie japanisch. Nikka 21 und Hibiki 17, an die kann ich mich erinnern, dass ich sie im Keio gesehen hatte.
Schöner Eintrag. Da will man sofort in den Asia Shop seines Vertrauens.
Die Wortmalerein des Birnenshops ” Mura Kara Machi Kara ” klingt wie “Aus dem Dorf und aus der Stadt”.
Meine Reiselust auf Japan wurde wiedereinmal verstärkt.
Ja, das heißt auch tatsächlich so – sagt das Übersetzungsprogramm zu むらからまちから, denn leider ist mein Japanisch non-existent. Was schon sehr schade ist. Nicht dass ich jetzt allen künftigen Japanreisenden empfehlen würde, noch schnell mal 1.000 Kanjis zu lernen, aber in einer solch autarken und ausgeprägten Kultur wirken entsprechende Schrift- und Sprachkenntnisse schon besonders erhellend.
Ach, so ein Mist. Bin gerade seit einer Woche aus Tokyo zurück. Nun dauert es bestimmt wieder zehn Jahre. Aber immerhin war ich in der Nähe von Shinjuku mit japanischen Freunden auf einer Art Markt, wo es Spezialitäten aus den Präfekturen gab. Aber diese Läden sind ja fantastisch! Toll, dass du sie entdeckt hast.
Rede Dir das mit den zehn Jahren lieber nicht ein, self-fulfilling prophecy, Du weißt ;).
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