Einen riesigen Bart hat es, das permanente Beklagen darüber, dass deutsche Weine zu früh getrunken werden. Aber so ganz daneben liegen die Kläger nicht. Es gibt sie nämlich wirklich, die maskulinen Spuck- und Schluckrunden, die Dutzende Großer Gewächse an einem einzigen Abend zu vertilgen vermögen. Solche Runden finden in der Regel statt, nachdem die Weine gerade mal drei Monate auf dem Markt sind. Eine grandiose Verschwendung, fürwahr. Aber ehrlich gesagt kann ich die Motivation dahinter auch irgendwie verstehen. Zum einen ist Neugier auch beim Weinkonsum eine ganz starke Triebfeder. Zum anderen gibt es genau zwei Themen, die in deutschsprachigen Weinforen bevorzugt angeklickt werden: hoch bewertete Bordeaux-Jahrgänge und – genau – die neuesten Verkostungen der neuesten Großen Gewächse.
Schon öfter habe ich mir gewünscht, dass es so etwas gibt wie ein Buch oder eine Website mit systematischen und aktuellen Verkostungsnotizen älterer Jahrgänge. Leider wird es das nie geben. Denn gerade weil die meisten deutschen Weine so schnell ausgetrunken werden, haben ja nach ein paar Jahren weder die Weingüter selbst noch irgendwelche Läden diese Weine vorrätig. Und was sollen Produzenten und Konsumenten mit Informationen zu Weinen anfangen, die längst den Weg alles Irdischen genommen haben? Ein Teufelskreis.
Aus diesem Grund freue ich mich immer besonders darüber, wenn doch mal jemand eine durchdachte “Altjahrgangs”-Verkostung macht. So geschehen vor gar nicht so langer Zeit auf einem meiner Lieblings-Blogs mit einer beeindruckenden Reihe von Großen Riesling-Gewächsen aus dem Jahrgang 2008. Dass ich ausgerechnet ebenfalls Rieslinge des Jahrgangs 2008 in meinem Keller horte, um irgendwann einmal die riesengroße-mehrstufige-Jahrgangs-Querverkostung durchzuführen, ist purer Zufall. Gern habe ich dabei drüben bei Rainer & Co. gelesen, dass die großen Weine dieses langlebigen Jahrgangs derzeit in der Regel noch zu verschlossen sind, sich das Potenzial bei fast allen aber andeutet.
Ich hatte nämlich vor ein paar Tagen meine erste 2008er Testflasche aus dem Keller geholt, um einen kleinen Eindruck davon zu bekommen, wohin die Reise denn gehen mag. Ausgesucht hatte ich mir dabei einen Wein, der für mich persönlich zu den unterschätztesten und in allerbestem Sinne preiswertesten weit und breit gehört: Es handelt sich um Martin Teschs trockenen Riesling aus der Laubenheimer Krone.
Es gibt in Deutschland (und vielleicht auch darüber hinaus) wahrscheinlich kaum jemanden, der die Philosophie der unterschiedlichen Lagen derart akademisch und gleichzeitig genussreich umsetzt wie Martin Tesch. Seine fünf trockenen Nahe-Rieslinge erfahren nämlich in Weinberg und Keller dieselbe Behandlung, und das, was sie so unterschiedlich schmecken lässt, ist einzig die unterschiedliche Lage. Der Drehverschluss auf der Flasche trägt dabei jeweils die Farbe, die die Lage und dementsprechend den Wein am besten charakterisiert: gelb die Krone, grün der Löhrer Berg, blau der Königsschild, rot der St. Remigiusberg und braun der Karthäuser. Über allen thront noch ein besonderer Wein, der Rothenberg, aber der befindet sich in einer anderen Preiskategorie.
A propos Preis: Ganze 10 € hatte mich der Wein gekostet, und den aktuellen Jahrgang mit allen fünf Lagenweinen und dem “kleinen” Unplugged-Riesling gibt es ab Weingut für 76 €. Vielleicht ist das so verdächtig günstig, dass man sich schwer tut, hierfür so etwas wie 90 Punkte zu zücken, denn das hatte Martin Tesch im Gault Millau das letzte Mal mit dem 2005er Jahrgang geschafft. Zusätzlich kann es auch sein, dass die Weine von Martin Tesch genau in jene Kategorie fallen, von der ich zu Anfang sprach: komplexe, mineralische, spontan vergorene Riesling, die an Harmonie und Komplexität gewinnen, wenn man sie ein Weilchen lagern lässt.
Das Weilchen, so dachte ich mir, sollte mittlerweile vorbei sein. Ins Glas mit dem kräftig gefärbten Weißwein. Aus der schwarzen Flasche übrigens, die sogar ungute Beleuchtungsverhältnisse aushalten dürfte. In der Nase bietet der Wein genau das, was ich nach dem Anlesen so erwartet hätte: relativ wenig Frucht, ein etwas spröder Zeitgenosse. Dafür haut mich der erste kleine Schluck fast vom mäßig geschmackvollen Polsterstuhl: Was ist denn das bitteschön für eine Expressivität? Das Getränk springt mich fast an. Eine ganz kräftig-pikante Fruchtsäure gibt es, der mit Luft und Wärme ein ebenso intensives Süßegefühl folgt. Dazu eine eher gelbe Obstnote, sehr viel Frucht, dazu eine erstaunliche Mineralität für diese Lehmbodengeschichte. Mit Luft gewinnt der Wein noch, wird cremiger, harmonischer, bleibt aber auf der intensiven Seite. Deshalb, das muss ich zugeben, trinke ich solche Rieslinge auch am liebsten solo und knabbere nebenher höchstens ein paar neutrale Nüsse. Insgesamt konstatiere ich allen Ernstes bei diesem Wein den Beginn des ersten Trinkhöhepunkts. Ich wüsste nicht, warum ich ihn viel früher hätte trinken sollen, denn die Frische ist geblieben, die Harmonie aber hinzugekommen.
Zurück also zur Ausgangsfrage: Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Warum nicht, dies ist bereits ein sehr schöner Wein, und der 2008er Remigiusberg wartet ja noch im Keller. Was meine vermeintlich großen 2008er anbelangt, war dieser Wein jedoch ein erster Anhaltspunkt dafür, dass ich bei ihnen besser noch ein wenig warte.
Allerdings wurde ich heute schon wieder herausgefordert: Freunde haben mir völlig überraschend 2008er Rieslinge aus der Wachau mitgebracht, darunter solche von Pichler-Krutzler und Veyder-Malberg. Jetzt wird es ehrlich gesagt im Keller nicht nur langsam ein wenig zu voll, nein, ich habe das Gefühl, die erste 2008er Runde mit mittelgroßen Gewächsen steht bald bevor…
Was haltet Ihr eigentlich vom 2008er Weißwein-Jahrgang? Zu viel Säure oder schön straff? Zu heterogen oder spannend vielfältig? Und wer hat es Eurem Probeneindruck nach (denn die Weine sind ja bestimmt schon zu 95% weggegluckert) besonders gut gemacht in diesem “Kabinettjahrgang”, wie Egon Müller the Forth sich ausdrückte?
Der 2008er Jahrgang hat große Weine hervor gebracht. Mein bevorzugter Jahrgang zum Jetzt-Trinken. Im besten Fall schlank und fein, so wie ich es liebe.
Ich werde schauen, dass ich mir auch noch ein paar “echte” fruchtsüße Kabinette besorge – ist übrigens gar nicht so einfach, wenn man nicht in Moselnähe wohnt ;).
Habe lange nichts aus 2008 getrunken. Wäre aber gerne bei Deiner Probe dabei. 😀
Bei der Probe der Großen Geschichten, meinst Du ;). Sehr sehr gern.
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