“Erster Mai / an die Luft,
Wo der Engels nach uns ruft.
Rote Fahne / blauer Suff,
Klassenkampf so leicht verpufft.
Warum nennt man Arbeitgeber
Den, der deine Arbeitskraft nimmt?
Erster Mai / an die Luft,
Wo der Engels nach uns ruft.”
F.S.K. – Karl-Eduard von Schnitzler-Polka
Das ist eigentlich die zweite Strophe, aber wenn Ihr hier wärt, könnte ich Euch auch gern die erste Strophe vorsingen. Erster Mai, da böte sich natürlich der Suffwein von der Weinrallye an, aber Bier geht auch. Biere, mehrere.
Am Vorabend zum ersten Mai (oder war es doch schon vorvorgestern?) trafen sich in Nürnberg Харалд Шидер, Анке Реисс, Флориан Сеибертх & ich selbst, um das eine oder andere harmlos aussehende Bierchen zu probieren. Ein Ergebnis schnell mal vorweg: Wenn Ihr in irgendeiner Kellerecke noch ungeöffnete Bierflaschen aus dem letzten Jahrtausend findet, schmeißt sie nicht sofort in den Müll.
1. Brauerei Fattigau, Oberfranken, “Doppelhopfen”, 5 vol%
“Fattigau”, das hört sich doch 1a nach Schweiz an, oder? In Wirklichkeit handelt es sich um ein Dorf mit 160 Einwohnern im Landkreis Hof, Bayerisch Sibirien. Das Bier präsentiert sich 1. Mai-geeignet: leicht herb, aber vollmundig, ein Hell mit Hopfen.
2. Nikl, Oberfranken, “Lager”, 5,1 vol%
Nikl-Bräu aus Pretzfeld in der Fränkischen Schweiz ist eine der wenigen Neugründungen in dieser ehrwürdigen Region; aber mit eigener Wirtschaft – so soll das sein. Das Bier gefiel mir vom Fass in der Schäufelewirtschaft besser, heute leicht buttrig und eher müde.
3. Rittmayer, Oberfranken, “Bitter 42”, 5,5 vol%
Etikett ist noch keins auf der Flasche, aber es gibt ja diese neumodische Elektronik. 42 Bittereinheiten, das galt früher mal als pilstypisch – bevor die milden “Fernsehbiere” den Markt zu dominieren begannen. In der Tat hopfig-fruchtig, bissle alkoholisch.
4. Rittmayer, Oberfranken, “Hallerndorfer Bock”, 6,8 vol%
Rittmayer aus Hallerndorf ist eine mittelgroße Brauerei, die dank Besitzer und Brauer Georg seit einiger Zeit die konservativen Bierfreunde ein bisschen aufmischt. Natürlich gibt es hier auch die “stable brews” wie Hell-Keller-Weizen, daneben aber in Kleinstauflage zum Beispiel ein Bier mit schottischem Rauchmalz oder ein anderes, das in einem gebrauchten Weinfass von Wittmann ausgebaut wurde. Hier also der helle Bock: frischer dicker Hopfen, okay, kalt gehopft. Im Mund dann echt bockig, stark, viskos, recht süß, aber in Kombination mit der frischen Hopfennote ein durchaus komplexes Gebräu.
5. Rodenbach, Belgien, “Grand Cru”, 6 vol%
Rodenbach ist das ganz seltene Beispiel einer Brauerei, die nach der Übernahme durch eine größere (Palm) keinen qualitativen Verlust hinnehmen musste. Natürlich sehr speziell, so ein “vlaams rood”: Milchsäure, Cidre, Sherry, zu Schweinefleisch reichen, das saugt.
6. Rittmayer, Oberfranken, “Aischbüffel”, 6,5 vol%
Ein dunkler Bock, aber ganz anders als der helle: Nase nach Trockenfrüchten, winterlich, keinesfalls frühlingshopfig, sondern sehr cremig mit Röstmalzsüße. Alkohol gut eingebunden, komplex. Interessantes Urteil: “Superbier, aber ich würd’s net bestelln”.
7. Erdinger, Oberbayern, “Pikantus”, 7,3 vol%
“Gut abgelagert”, ist mein erster Eindruck, aber der war noch untertrieben. Abgelaufen im September 2002. Mahagonifarben, Solera-Stil, wenig Spund natürlich, aber im Mund verblüffend: oxidativ, Kastanie, Karamell, Spearmint – und null gammelig.
8. Almond 22, Italien, “Maxima”, 6,9 vol%
Eines dieser neuen italienischen Spezialbiere mit ganz viel Trockenextrakt, aber zum Glück keinen seltsamen Gewürzen diesmal. Orange-trüblich, dann auch Orangenschale, Marille, sehr cremig, dennoch mächtiger Hopfen, aber gar nicht kompliziert.
9. Page 24, Frankreich, “A la Chicorée”, 5,9 vol%
Die spinnen, die Ch’tis, eine Gemeine Wegwarte in den Braukessel zu werfen. Ist natürlich gar kein Unfug, denn die Chicoréewurzeln sorgen für Röstnoten neben der fruchtigen Obergärigkeit. Zu Anfang recht intensiv, entwickelt das Bier einen leichten Fluss, hinten bitter.
10. HaandBryggeriet, Norge, “Norwegian Wood”, 6,5 vol%
Rauchbier aus Norwegen. Holzteer in der Nase, mit dem sich die Samen gegen Mücken einreiben. Im Mund ein, so Harald, eindeutig “schottisches Kaminfeuer”, das irgendwie nadelig wirkt, obwohl doch Buche verwendet wurde. Fruchtrauch, ein ätherisches Bier.
11. Rittmayer, Oberfranken, “Weizenbock”, 8,5 vol%
Rittmayer zum Vierten, diesmal mit Retro-Etikett. Die 8,5 vol% sind noch untertrieben, in Wirklichkeit ist es noch etwas mehr. Trüb-dunkelambrée im Aussehen, bananig-süß-fett am Gaumen. Die Alkoholstärke gut im Griff, aber mir war der Aischbüffel lieber.
12. Schneider, Niederbayern, “Tap 5”, 8,2 vol%
Ich hatte in Erinnerung, dass das Tap 5 mit seinem frischen Hopfen früher alkoholschwächer war, aber da hatte ich es mit dem Tap 4 verwechselt, dem noch frischeren. Frühlingsgras und Materie, der Hopfen bindet die Stärke ein, nicht brandig, sehr gut gemacht.
13. Meantime, England, “IPA”, 7,4 vol%
Man erwähnt es immer wieder gern: Brauer Alastair Hook hat sein Metier in Weihenstephan gelernt und braut jetzt in London alle Stile, die ihm einfallen. In der Nase kommt hier eine Frühlingsbittere, im Mund wirken die Aromen tiefergelegt, die Frucht verschwindet.
14. L’Ultima, Italien, “Riserva 2010”, 13 vol%
Es kann nur einen Abschluss geben. Nein, das Schlenkerla Eiche vielleicht noch oder einen Schorschbock. Aber dieses Bier, 24 Monate lang in Amarone-Fässern gelagert, haltbar bis 2050 (steht auf der Flasche), haut schon richtig rein. Kuchenteig mit Alkohol in der Nase, im Mund Vanille, Madeirasüße, aber auch eine Ahnung von Oloroso, viel Holz, keinerlei Kohlensäure – und irgendwie auch kein “Bier”, sondern ein komplexes Getränk der dritten Art. Super aus dem 2 cl-Glas, weniger aus dem Maßkrug.
Fazit: Ich habe die letzte U-Bahn noch bekommen, Florian nicht mehr. Der Abend hat mir wieder mal die Faszination der bierigen Bandbreite komplett vor Augen geführt. Natürlich schätze auch ich einen süffigen Trunk zum Obatzten, bei dem ich nicht ständig irgendwelche Geschmacksnotizen machen muss. Aber es sei Euch allen anempfohlen, aus dem Urlaub oder vom vertrauenswürdigen Fachhandel ein paar sehr unterschiedliche Flaschen zu besorgen und alsdann im Freundeskreis den Begriff “Bier” noch einmal neu zu verorten.
Mein heutiger Favorit war das “Maxima” von Almond 22. Weil es italientypisch sehr viel Substanz besaß. Und weil es nicht in die Falle des total überkandidelt-Freakigen getappt ist. Ausgewogenheit auf hohem Niveau.
Wie schaut’s aus, habt Ihr schon mal einen Freundeskreis-Spezialbier-Test gemacht? Falls ja, mit welchem Ausgang? Und ganz nebenbei: Habt Ihr – wie oben in der Polka – heute die rote Fahne geschwenkt und den blauen Suff davongetragen?
Als Antwort auf deine Frage gibt’s etwas Eigenwerbung: bei uns sind’s nur 10 Biere, dafür gibt es aber 4 eigens dafür konzipierte Gänge zu essen.
Na, so eine Eigenwerbung lass ich mir doch gefallen ;). Super, dass das so gut läuft bei Euch. Aber lass mich raten, der dritte Termin wird auch bald ausgebucht sein…
Für dich würden wir so oder so noch ein Plätzchen finden, Matze 😉
Das ist nett, nur bin ich leider in näherer Zeit nicht in Köln… Vielleicht geht Ihr ja mal auf große Tournee ;).