Ist das korrektes Deutsch, was ich Euch da in der Überschrift versuche unterzujubeln? Eher nicht. Aber es fasst meine Problemstellung ziemlich gut zusammen. Natürlich ist das eine nur in Ansätzen bedauernswerte Lage, denn ich kann mir durchaus Schlimmeres vorstellen, als zwei Stunden Freizeit in einer Großstadt zu haben. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, diesmal in Athen etwas ganz anderes machen zu wollen als zur Akropolis hochzugehen oder das Nationalmuseum zu besuchen, um anschließend in der Plaka einen Teller Grillfleisch zu mir zu nehmen. Gefrühstückt hatte ich ohnehin schon mehr als reichlich. Hier folgt also eine Tour der anderen Art – meine ziemlich alternativ verbrachten zwei Stunden Athen.
Unternehmung 1: die Markthalle besuchen
Es ist kaum zu glauben, aber ich war vor mehr als zehn Jahren das letzte Mal in Athen. Damals hatte mich ziemlich überrascht, wie “orientalisch” sich Athen präsentierte. Keine großen Shopping Malls, stattdessen ein wilder Hausgerätschaften-Markt bei der Station Monastiraki und ein basarähnliches Treiben rund um die Markthalle. Gewürzverkäufer in umgebauten Garagen, umherziehende Sesamkringel-Verkäufer und viel Gedrängel. Da man ja derzeit gelegentlich von krisenhaften Verhältnissen in Griechenland lesen kann, hatte ich schon befürchtet, ein in kulinarischer Hinsicht arg reduziertes Angebot vorzufinden. Zum Glück lag ich da komplett falsch.
Die Markthalle (oder besser gesagt: Markthallen) ist nach wie vor das Herzstück der Athener Innenstadt. Außen um die Hallen herum befindet sich ein Kranz von Läden und Ständen, die all das verkaufen, was nicht als Fisch oder Fleisch durchgeht. Nüsse zum Beispiel, in allen Formen und Farben. In der Fleischhalle fühle ich mich sehr stark an das alte französische Sprichwort “tout est bon dans le cochon” erinnert. Überall Innereien.
Ich kann sehr wohl nachvollziehen, dass sich jemand vegetarisch ernährt, und zwar aus allerlei Gründen. Was ich aber nicht nachvollziehen kann, das ist der Ansatz der “Hühnerbrüstchen-oder-mageres-Minutensteak”-Klientel. Letzterer führt nämlich zu genau jenen industriellen Auswüchsen und “Abfallfleisch”-Verkäufen nach Afrika (mit entsprechenden Konsequenzen für die einheimischen Bauern), die wir alle uns nicht wünschen. Am wenigsten die Hühnchenbrüstler, aber sie scheinen das nicht zu wissen oder wollen es nicht wissen. Howgh.
Am Eingang zur Fischhalle warten ein paar alte Bauersleut’ mit Körben voller Chorta. Für diese verschiedenen Sorten essbaren Wildgemüses ist jetzt die allerbeste Jahreszeit. Und zu gegrilltem Fisch machen sich leicht bittere Disteln und Löwenzahn wirklich ausgezeichnet.
Die Fischhalle selbst ist dann nichts weniger als fantastisch. Genau so wünscht man sich einen mediterranen Fischmarkt mit allem, was das Meer hergibt. Ich sehe meine kleinen Lieblingsfische, die Koutzoumoures, ich sehe Sardinen (Gavros), Knurrhähne und allerlei andere Felsenfische, Octopusse, Meerforellen, aber auch ein paar prächtige Flussbewohner mir unbekannter Art – die teuersten Fische auf dem Markt. Hinter den Ständen stehen die knorrigen Verkäufer, nur original mit Zigarette im Mundwinkel.
Unternehmung 2: einen Friseur aufsuchen
Zugegeben, so etwas steht sicher nur selten auf dem Plan eines Athen-Besuchers. Aber ich hätte eigentlich schon vor der Abreise zum Friseur gewollt und es – wie üblich – dann doch nicht geschafft. Westlich der Markthallen gibt es noch einige interessante Stände mit Würsten und Oliven, bevor die Gegend ziemlich plötzlich einen stark indischen Anstrich bekommt. Genauer gesagt nicht indisch, sondern vielmehr pakistanisch und bangladeshisch. Dazu entsprechende Lebensmittelläden, Western Union-Filialen, Textilgroßhändler – und eben der Friseur aus Bangladesh, von dem ich das an der Tür befindliche Schild nicht lesen kann. Was ich dann zwischen dem ersten gekonnten Scherenschnitt und der abschließenden Kopfmassage alles über die Hoffnungen und Wünsche eines jungen Mannes vom Lande und seinem semi-legalen Leben in Athen erfahre, wäre mehr als einen Blogartikel wert. Ein ganz anderes Athen jedenfalls, aber ebenso real wie die Akropolis.
Unternehmung 3: einen seltenen Schmetterling fotografieren
In einem Park sehe ich im Augenwinkel, wie ein Smaragd durch die Luft fliegt und direkt auf einer Blüte landet. Als ich näher hinschaue, erkenne ich einen Brombeerzipfelfalter, den einzigen mir bekannten Tagfalter hiesiger Breiten, der in der Tat auf seinen Schuppen eine grüne Lichtbrechung erzeugt. Selten ist er eigentlich nicht, sondern vielmehr in ganz Europa verbreitet, aber ehrlich gesagt kann ich mich nicht daran erinnern, ihn je bewusst wahrgenommen zu haben. Der Name ist übrigens denkbar unglücklich gewählt. Nicht nur, dass die Zipfel am Hinterflügel kaum sichtbar sind. Nein, ausgerechnet die Brombeerpflanze dient der Raupe des Falters nicht als Nahrungsquelle, sondern mehrere Ginsterarten.
Unternehmung 4: in Piräus das Meer sehen
In dem Moment, da ich den Schmetterling beobachte, kommt mir auf einmal der Gedanke, jetzt vielleicht ganz aus den Straßenschluchten wegfahren zu wollen. Bis ich von Athen aus richtig in der Natur bin, ist mein Flugzeug abgeflogen. Aber das Mittelmeer schaffe ich noch. Also setze ich mich in die U-Bahn und fahre in die eigentlich falsche Richtung zum Fährhafen von Piräus.
Von der Endstation geht man auf einer Fußgängerbrücke über die stets enorm befahrene, vierspurige Küstenstraße – und ist dann plötzlich schon wieder in einer ganz anderen Welt. Wie sehr Griechenland auch ein Staat der Inseln ist, wird einem nirgends so sehr bewusst wie hier im Zentrum aller Fährlinien. Die Hafenanlagen sind zwar von einem hohen Eisenzaun umgeben, aber überall führen unbewachte Tore für die vielen Pendler, Einkäufer und Touristen direkt zu den Schiffen. Ich laufe ein wenig herum und atme den Meeresgeruch ein. Hier ein Schnellboot auf die Insel Aegina, in 30 Minuten ist man da. Auf der anderen Seite die dicken Pötte nach Kreta, weiter hinten jene nach Chios und Lesbos, ganz am Ende die Fähren nach Italien. In solchen Momenten kommt mir irgendwie ganz automatisch der Gedanke: Was wäre eigentlich, wenn ich jetzt am Häuschen einfach eine Fahrkarte kaufen und aufs Schiff gehen würde? Wenn ich abends dann nicht etwa in Nürnberg, sondern in einem kleinen Fischerhafen am Mittelmeer säße?
Und wie immer – nun ja, meistens – in solchen Momenten gehe ich dann nicht auf die Fähre, sondern wieder zurück in die vernünftige Welt, hole mein Gepäck aus dem Schließfach und setze mich in die U-Bahn. Die zwei Stunden Athen allerdings haben mir Appetit auf mehr gemacht. Auf den Sommer. Auf den Süden. Und darauf, irgendwann doch so etwas wie ein Reiseschriftsteller zu werden. Dann hätte ich vielleicht auch die Gelegenheit, mit mehr Muße über die Dinge und Menschen zu berichten, auf die ich zufällig treffe. Zum Beispiel über den Wein zum Fisch, der den ausgepressten Limettensaft bereits in sich trägt. Oder über die Frau, die immer nur nachts Interviews führt. Oder auch über den Mann, der seine 3.000 € zum Passfälscher getragen hat.
Mein Aufruf an Eure Adresse allerdings: Kommt nach Athen und schaut Euch um. Ihr werdet Euch nicht langweilen.
Super Ding mal wieder! Mou aresei tin Athina! Ich war schon lang nicht mehr dort, aber dein Artikel schafft es, Athen wieder vor meinem geistigen auge zu positionieren. Auch sehr wahr, dass Immigranten im aktuellen Griechenland wohl nicht unbedingt ein einfaches Los haben. hast Du von der Geschichte der “Blood Strawberries” gehört? Siehe hier: http://www.euronews.com/2013/04/18/blood-strawberry-shootings-provoke-anger-in-greece/
Das mit den Xorta finde ich auch immer sehr bemerkenswert. Aber ich glaube es wird durch viele Griechen sehr gerne durch Spinat ersetzt. VG Alex
Ja, die Situation in Griechenland ist sehr …komplex, sagen wir mal. Und zwar eigentlich für die gesamte Gesellschaft. Ich war ja primär zum Arbeiten dort, deshalb auch nur diese kurze “Freizeittour”.
Von dem, was ich von verständigen Menschen dort gehört habe (und zum Glück gibt es nicht wenige von denen), gibt es zwei prinzipielle Einschätzungen: Die einen sagen, jetzt befinden wir uns in einer Situation, in der das Alte noch nicht komplett vorbei ist und das Neue noch nicht begonnen hat zu funktionieren. In diesem Machtvakuum werden Monster geboren – und die Schießerei, auf die Du verlinkt hast, ist ein weiteres Element dieser Radikalisierung à la Wildwest.
Die anderen sagen, wir haben uns in Griechenland jahrzehntelang mit wichtigen Fragen nicht auseinander gesetzt und einfach gedacht “es wird schon gut gehen”. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem sich alle zwangsweise mit Politik beschäftigen, wenngleich teilweise noch sehr unstrukturiert. Aber man beginnt zu diskutieren, in der Familie, auf der Straße, in der Uni, überall. Und das ist die Chance für ein stärkeres gesamtgesellschaftliches Bewusstsein.
Wahrscheinlich muss die alte Kaste oben erst mal radikal weg, aber durch diesen total kontraproduktiven Sparzwang ist die Bewegungsfreiheit der anderen arg eingeschränkt. Jedenfalls spürt man in Athen überall (okay, nicht auf der Akropolis) die Spannung in der Luft – nur halt noch nicht, in welche prinzipielle Richtung es geht.
Was man(n) alles so in Athen treibt 😉
– Die Markthalle anschauen? Ja, das wäre auch meine erste Unternehmung gewesen.
– Einen Friseur aufsuchen? Sicherlich nicht, erstens hätte die Zeit dafür bei mir nicht gereicht und zweitens hätte sich da erst die ‘Vertrauensfrage’ stellen müssen 😉
– Einen seltenen Schmetterling fotografieren? Gerne, so mir denn einer vor die Linse fliegen würde
– Und das Meer anschauen? Jaaaa, gerne! Immer!
Naja, für mich als Mann mit einer eher unraffinierten Frisur kann eigentlich nicht so viel schief gehen ;). Und ehrlich gesagt bin ich bei “ethnischen” Friseuren stets auf Leute getroffen, die ihr Handwerk sehr gut verstehen. Aber okay – alles Männerfriseure…
Das Meer anzuschauen hat dank der U-Bahn-Fahrt übrigens die meiste Zeit gekostet ;).
So kennen wir Dich, so lieben wir Dich.
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