Amphorenwein von Gravner: Schmeckt der?

Von meinem Großvater habe ich die Theorie gelernt, dass sich rebellische Bewegungen meist am Rand eines Systems bilden und nicht in seiner Mitte. Sie würden in dieser Lage auch am ehesten toleriert, da man glaubt, dass sie die Substanz des Systems von dort aus nicht angreifen könnten – und deshalb unterschätzt man sie in ihrer subversiven Kraft gern einmal. Wenn man „das System“ jetzt mal als geographisches Gebilde begreift, dann sind diese Ränder häufig dünn besiedelte Gebiete, Gebirge oder gar das Meer. Der bayerische Wildschütz, der hanseatische Freibeuter oder auch die ostfriesischen Glaubensgemeinschaften des 19. Jahrhunderts wären dann klassische Beispiele für diese Theorie. Korsen, Basken, Katalanen – alles dieselbe Klientel aus diesem Blickwinkel. Schweife ich schon wieder zu weit ab?

Nur ein ganz klein wenig. Denn auf Francesco Joško Gravner und seine friulinischen Kollegen trifft das mit dem Grenzrebellentum auch irgendwie zu. Hier in der Bergregion zwischen Italien und Slowenien (ein historisches Schmugglergebiet übrigens, aber das nur am Rande) hat sich die Bewegung der maischevergorenen Weißweine als erstes und am umfassendsten Bahn gebrochen. Durch den langen Schalenkontakt enthält das fertige Produkt dabei deutlich spürbare Gerbstoffe, was bei Weißweinen durchaus ungewöhnlich ist. Diese so genannten „Orange Wines“ wirken zunächst selten fein, fruchtig und weich, sondern eher erdig-herbstlich, besitzen aber laut ihren Machern dank der speziellen Bereitungsart den großen Vorteil der Ausgewogenheit. Auf den heißen Felsböden ist genau dies nämlich oft das Problem.

Joško Gravner hatte vor etlichen Jahren seine Weine zunächst mit viel Holzkontakt ausgebaut, ist aber nun seit mehr als einem Jahrzehnt quasi der Übervater des Amphorenausbaus geworden. Über das Für uns Wider, vergorenen Traubensaft in Tonkrügen zu lagern, gibt es natürlich viel zu diskutieren. Dies umso mehr, als auch noch verschiedenste Variationsmöglichkeiten existieren, die von Form und Material der Amphore über den Zeitpunkt und die Dauer ihrer Verwendung bis hin zu önologischen Fragen reichen: Schwefel ja oder nein oder wie viel und wann, Hefen zugekauft, selbst selektioniert oder einfach aus der Kellerluft herbeigeschwebt. Wie sieht es also konkret bei Gravner aus? In den Weinbergen düngt er nicht, er entfernt Unkräuter mechanisch und ohne Chemie. Im Keller fermentieren die Trauben in Amphoren mit den Schalen, ohne zugesetzte Hefen. Nach einem Jahr kommt der fertige Wein in Fässer, wo er für weitere drei bis vier Jahre ausgebaut und dann ohne Filtration in Flaschen abgefüllt wird. 2005 ist der aktuelle Jahrgang für die Ribolla Anfora, „meinen“ Wein.

Im Gambero Rosso steht eine Beschreibung über Joško Gravner, die ich ganz interessant fand. Da ich ihn selbst noch nie getroffen habe, schreibe ich den Absatz hier einfach mal ab: „Über Joško Gravner gibt es keine Diskussionen: entweder man liebt oder ignoriert ihn. Ein echter Bauer, der seine Erde liebt und respektvoll behandelt, der ihren Atem spürt. Ein einfacher, aber entschlossener Mensch, nichts tut er aus Zufall, er kann Fehler eingestehen, aber niemals Kompromisse zulassen. Welche Kellermethoden er auch anwendet, sie sind gewiss Ergebnis einer lang meditierten Philosophie. In den Weinen kommt sein Charakter zum Ausdruck, natürlich, sauber, scheinbar rau, aber schließlich mitreißend und von großer Substanz.“ Konsequenterweise gibt der Gambero Rosso der Ribolla Anfora 2005 alle drei Gläser. Und für ihre blumige Sprache liebe ich die Italiener sowieso.

Jetzt also endlich zum Weintest: Goldbraun ist die Flüssigkeit mit fast apricotarbenen Reflexen. Am Ende wird eine Menge Trub in Glas und Flasche bleiben. Die Nase ist enorm intensiv. Eine ganz reife Materie, fast überreif, Bratapfel und Kurkuma, aber dennoch balsamisch sanft und mit einer überraschend präsenten Frucht. Dieser Wein mutet sehr sauber an. Am Gaumen zeigt er dann eine gewisse Viskosität und die erwartete Gerbigkeit, ohne aber ins Tanninmonstertum abzugleiten. Die Säure ist präsent, die Frucht allerdings in den Hintergrund getreten. Stattdessen kommen herbstliche Töne zum Vorschein, Bernsteinnoten, ein wenig sehr stark getrocknete Aprikosen, dazu eine feurige Würze, wie ich sie von einem trockenen Tokajer kenne. Frisch ist die Ribolla beileibe nicht, aber auch längst nicht so exzentrisch wie erwartet, weil sie sauber, lebendig und komplex bleibt. Meine Mittesterin bringt es auf den Punkt: „ein großer antiker Wein“. Einer, der schon zu Sokrates’ Zeiten nicht geharzt, gesüßt und mit Wacholder aromatisiert werden musste, um den Geist in Regung zu versetzen.

Als Speisenbegleitung fallen mir eher ungewöhnliche Kombinationen ein: saftige Mandelmakronen (aber nicht zu süß), Mandeln allgemein, frittierte Sardellen oder auch – allen Ernstes – praktisch ungewürztes Roastbeef.

Ich bin sehr einverstanden mit dem Wein, vielleicht auch, weil ich in etwa gewusst habe, was mich erwartet. Und um die Frage in der Überschrift zu beantworten, ja, er schmeckt auch. Dass hier kein Dilettant am Werk war, merkt man schon beim ersten Schnuppern. Ich gebe gern zu, dass ich bereit war, für den Namen Gravner mehr zu zahlen, als vielleicht nötig gewesen wäre. Im „Eat’s“ in Mailand habe ich 50 € dafür bezahlt, bei „Peck“ ein paar Straßen weiter kostet die gleiche Flasche 64 €. Natürlich sind die anderen Orange-Wine-Interpreten günstiger zu haben, egal ob sie Radikon, Roxanich, Podversic oder Muster heißen – und sie bieten eventuell eine ebenso hohe Qualität. Aber ich wollte diesmal einfach „das Original“ haben.

Habt Ihr schon einmal „Orange Wines“ getrunken? Beim diesjährigen Vinocamp in Geisenheim, zu dem ich leider nicht fahren konnte, waren ja offenbar viele Teilnehmer beeindruckt von der Probe, die diese Leute organisiert hatten. Und habt Ihr auch schon Gravner-Weine getrunken, eventuell sogar noch solche aus seiner „holzigen Phase“?

Dieser Beitrag wurde unter Wein abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

5 Antworten zu Amphorenwein von Gravner: Schmeckt der?

  1. eline sagt:

    Weine vom “Grauner” gehoerten zu meinem Einstieg in die friulanische Weinwelt, die ich schnell schaetzen gelernt habe. Wie die baeuerlichen Menschen in den Huegeln und Bergen, die mich an Muehlviertler erinnern, nicht nur vom Aussehen her Und das derbe, aber ehrliche Essen, die feinen Kaese, Schinken und Wuerste.. Wir mochten seine Cuvees aus den autochthonen Rebsorten, heute wuerde ich vielleicht meinen, dass sie zu viel Holz hatten, das war aber so ueblich und stoerte nicht.
    Ich kann mit seinen (eigentlich allen bisher gekosteten) Amphorenweinen nichts anfangen. Und ich bin einigen friulanischen Winzern fast boese, weil sie aus Lieblingssorten wie Ribolla oder Pinot Grigio orangen Most machen.
    Ich habe uebrigens gerade einen Friulano von Zamo im Glas – hervorragend, glasklar und feinsinnig.

    • chezmatze sagt:

      Ich weiß ja, dass Du mit den Extremisten des Weinbaus geschmacklich ein wenig auf Kriegsfuß stehst ;). Da hilft das Grauner’sche Renommee dann auch wenig. Mir wurde erklärt, dass die klimatischen Bedingungen mittlerweile dazu geführt hätten, dass es im Karst schwer sei, “normale” Weine mit gemäßigtem Alkoholgehalt produzieren zu können. Deshalb die Maischegärung bei den Weißen. Aber Dein Beispiel von Zamò (die machen das soweit ich weiß recht kompliziert mit ihren Gär- und Ausbaugeschichten) oder auch die neuen frischen Weißen aus dem Roussillon zeigen, dass es irgendwie auch anders gehen kann. Dichtere Bestockung, Nordausrichtung der Weinberge, frühere Lese, Kaltvergärung, solche Dinge möglicherweise. Aber trotzdem bin ich auch froh, dass es ein paar Orange-Wine-Winzer gibt (die werden schon nicht überhand nehmen), weil sie meine Geschmackswelten einfach erweitern.

  2. Alfredo sagt:

    Mit einem Amphorenwein habe ich vor einer Woche Bekanntschaft gemacht. Bei einer sehr schönen Abendveranstaltung bei Rebholz hat Paula Bosch auch einen Teroldego von Frau Foradori vorgestellt. Leider fanden alle 10 Leute an unserem Tisch (und nicht nur die) den Wein
    ungenießbar. Er war wirklich richtig mies. Im Keller habe ich noch eine “Amphore” von Kühn, die mir auf dem Weingut sehr interessant vorkam. Mal sehen, wie das demnächst einmal zu verkosten ist. Ich finde, dass man sich auf das Abenteuer ruhig mal einlassen kann.

    Beste Grüße
    Alfredo

    • chezmatze sagt:

      Die Amphore von Kühn ist auch schon seit Monaten “verkostungsfällig” bei mir. Irgendwie hatte ich in diesem Sommer aber nie die rechte Amphorenstimmung, und für einen besonderen Wein (meine ich für mich jedenfalls) muss einfach die richtige freudig-angespannte Atmosphäre da sein. Ergo: Kühns Amphore ist noch in der Flasche.

      Von Elisabetta Foradori habe ich den roten Amphorenwein “Morei” in der Magnum von Christoph (http://www.originalverkorkt.de/) erstanden, nachdem mich der Wein bei einer Probe sehr überzeugt hatte. Sehr sauber, (noch) sehr fruchtig und fast ätherisch schwebend-elegant. Den weißen Fontanasanta fand ich dagegen weniger überzeugend, sehr apfelig-unfertig in seiner Art. Ich glaube (möchte mich da aber nicht zu weit vorwagen), dass die Roten von Foradori im Prinzip alle sauber und gut sind, wenn sie IMMER richtig gelagert und transportiert wurden. Es sind halt sehr fragile Weine. Dasselbe gilt für die Amphorenweine von Cos aus Sizilien. Auch wahrhaftig keine Freak-Produkte, aber überraschend zart. Da sind die maischevergorenen Weißen doch ein Stück gewöhnungsbedürftiger.

  3. Alfredo sagt:

    Da wird es ja für uns beide spannend. Der Foradori war (leider) der rote Morei. Tatsächlich eine blanke Katastrophe. Paula Bosch hat ihn in in unser Glas gelassen, insofern denke ich nicht weiter über Lagerung oder Transport nach. Das müsste eigentlich stimmen. Der Wein schmeckte nach einem Amateurgebräu. Des Kaisers neue kleider. Schade.

    herzliche Grüße
    Alfredo

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.