“Aufbruch des trockenen Rieslings”: Weinprobe im Kameha Grand Hotel in Bonn

Als ich auf dem Weg zur Weinprobe in der Regionalbahn saß, stieg an irgendeiner rechtsrheinischen Hochhaussiedlung ein älterer Herr ein, leicht verwirrt offenbar. Er setzte sich hinter mich und begann zu singen. Nicht lärmend, sondern fein und akzentuiert, aber doch so laut, dass man es im ganzen Wagen vernehmen konnte. “Ich träumte von bunten Blumen, so wie sie wohl blühen im Mai; ich träumte von grünen Wiesen, von lustigem Vogelgeschrei, von lustigem Vogelgeschrei… Und als die Hähne krähten, da ward mein Auge wach; da war es kalt und finster, es schrien die Raben vom Dach.” Die Winterreise. Und draußen ziehen stillgelegte Industrieanlagen vorbei, Neubauten der 70er mit Satellitenschüsseln vor den Fenstern und braune, kahle Bäume. Wie passend. Da träumt jemand vom Frühling, vom Aufbruch, und wird radikal aus seinen Träumen gerissen. Auch ich bin im Winter unterwegs und träume vom Aufbruch, vom Aufbruch des trockenen Rieslings. Ob nach den ersten paar Schlucken säuerlich-gezehrter Flüssigkeit die sinnbildlichen Raben vom Dach schreien werden?

Szenenwechsel. Vor dem Eingang des raumschiffartig gestalteten Kameha Grand Hotels direkt am Rhein stehen Luxussportwagen und dicke SUVs. Im Innern ist alles von schlichter, moderner Eleganz. Interessant, denke ich spontan, dass Designhotels eigentlich immer etwas von farblich akzentuierterem Tokyo-Stil haben und nicht etwa in Richtung Moskauer oder Mumbaier Barock gehen. Im eigens angemieteten Raum neben dem Yu Sushi Club mit Blick auf den Rhein stehen weiß betuchte Tische in U-Form. Jeder der 13 Teilnehmer an der heutigen Probe besitzt einen per Karte angezeigten Platz und hat dann neun (noch) unbefüllte Gläser vor sich. Man tauscht sich ein bisschen aus. Dass hier bis auf die Serviererin keine Frauen anwesend sind, ist ein gesellschaftliches Phänomen, das allerdings nicht an dieser Stelle erörtert werden soll. Wenden wir uns stattdessen dem Wein zu, den alle mit gespannter Aufmerksamkeit erwarten. Zum Thema also.

Seien wir ehrlich: Die Geschichte des großen trockenen Rieslings ist noch gar keine besonders lange. Zwar gibt es gewisse Ausnahmen im Elsass, und ein paar Winzer in Deutschland und Österreich hatten sich auch schon in früheren Zeiten dem Trockenmonster gewidmet. Aber eine Situation wie heute, in der ohne Übertreibung vielleicht 100 Winzer absolut prachtvoll erscheinende trockene Rieslinge auf den Markt bringen, gab es vor wenigen Jahrzehnten noch nicht. Insofern ist der Titel der Veranstaltung ganz bewusst gewählt worden: Hier geht es um die Phase des Aufbruchs. 53 Rieslinge aus den Jahren 1983 bis 2001 standen zur Verkostung an, alle genauso “Grand” wie der Tatort der Weinprobe, wie die Großzügigkeit des Gastgebers, wie die Vorfreude bei den Teilnehmern.

Ganz kurz noch ein wenig Namedropping. Alle Teilnehmer aufzuzählen bringt selbstverständlich Unglück, zumindest dann, wenn jemand darunter ist, der überhaupt nicht genannt werden möchte. Aber Herr Frackenpohl, unser Gastgeber, sollte doch erwähnt werden dürfen, ebenso Rainer von “Nur ein paar Verkostungen…“, der die edlen Weine aus allen Kellerwinkeln der Republik zusammen gesucht hatte. Vielleicht werdet Ihr demnächst auch dort etwas über diese großartige Probe lesen können, zumal mit Guido auch der andere Hauptschreiber des Blogs mit an Bord war [Edit: In der Tat, Rainer hat hier einen sehr schönen und umfangreichen Artikel darüber geschrieben, der mir Weine und Stimmung noch mal wunderbar ins Gedächtnis gerufen hat]. Ebenso könnte es sein, dass bei Wolfgang Faßbenders “Entkorkt und abgeschmeckt” oder Achim Beckers “Wineterminator” die eine oder andere Notiz erscheint. Ganz sicher aber im Weinforum, wobei ich mich besonders gefreut habe, den  geübten Philosophen Markus hier wiederzutreffen. [edit: Hier die Berichte und Diskussionen im Weinforum.]

Ein einziges Wort zur Organisation: perfekt. Es gab sieben Flights, die jeweils drei bis neun verschiedene Weine umfassten. Jeder Flight war in sich geschlossen, da er (mit geringen Ausnahmen) einem einzigen Winzer gewidmet war. Eingeschenkt und probiert wurde zunächst blind, bevor dann nach dem großen Rätselraten aufgedeckt wurde.

Ich hatte zuerst überlegt, Euch tatsächlich alle 53 Weine hier vorzustellen. Dieses Vorhaben hätte mich aber genauso überfordert, wie es Euch ermüdet hätte. Ich werde deshalb zwar alle Weine aller Flights nennen, aber aus dem jeweiligen Flight nur meinen Favoriten gesondert herauspicken. Solltet Ihr an mehr (allerdings genauso subjektiven) Informationen zu einem der nicht beschriebenen Weine interessiert sein, fragt mich doch bitte gesondert in den Kommentaren danach. Bei den Bezeichnungen halte ich mich übrigens im Zweifelsfall an den Wortlaut auf dem Etikett.

Flight 1: Weingut Dönnhoff

  • 1990 Niederhäuser Hermannshöhle Spätlese trocken
  • 1997 Niederhäuser Hermannshöhle Spätlese trocken
  • 1997 Norheimer Dellchen Spätlese trocken Versteigerung
  • 1998 Niederhäuser Hermannshöhle Spätlese trocken
  • 1998 Norheimer Dellchen Spätlese trocken
  • 1998 Oberhäuser Brücke Spätlese trocken
  • 1998 Dorsheimer Burgberg Spätlese trocken – vom Schlossgut Diel, der Pirat also
  • 2000 Niederhäuser Hermannshöhle Spätlese trocken

Mein Favorit: Dazu vielleicht eine kleine Vorrede: Ihr wisst ja, dass ich immer versuche, möglichst subjektiv zu sein. Was nichts anderes bedeutet, als dass ich – auf den bisherigen Erfahrungen aufbauend – meinem persönlichen Empfinden folge. Warum ich das hier schreibe? Weil mein Favorit in diesem Flight der Pirat war, der Dorsheimer Burgberg von Armin Diel. Expressiv in der Nase, sehr rauchig, die Frucht noch präsent, leicht nach Hühnerbrühe vielleicht. Am Gaumen dann weder streng noch gezehrt, sondern mit einer eher birnigen Ausgewogenheit. Die Meinungen gingen dabei ein wenig auseinander, aber ich war nicht der einzige, der hier seinen Favoriten sah. Kein richtig großer Wein allerdings, ich hätte vielleicht 16 Punkte oder ein wenig mehr gegeben.

Der Flight hat die Runde ein wenig ratlos zurückgelassen. Dönnhoff gilt ja im Allgemeinen als das Weingut mit den harmonisch ausgewogensten Rieslingen überhaupt. Die Weine in diesem Flight präsentierten sich im Detail sehr unterschiedlich, so dass niemand darauf kam, dass sie von einem einzigen Winzer stammen könnten. Und auf die Nahe oder überhaupt ein einheitliches Herkunftsgebiet hätte auch niemand getippt. Die 1990er Hermannshöhle bestach dabei mit einer tollen edelfirnen Nase, hielt dann aber im Mund (recht eindimensionale Zitronentarte) nicht das Niveau. Eine richtig deftige Enttäuschung gab es allerdings auch nicht bei den Weinen. Alle waren anständig, aber bei dem Namen hätten wir uns mehr versprochen.

Flight 2: Weingut Georg Breuer

  • 1993 Rauenthaler Nonnenberg
  • 1993 Rüdesheimer Berg Schlossberg
  • 1994 Rüdesheimer Berg Schlossberg
  • 1996 Rüdesheimer Berg Rottland Spätlese trocken vom Staatsweingut Kloster Eberbach
  • 1996 Rüdesheimer Berg Schlossberg
  • 1997 Rüdesheimer Berg Schlossberg
  • 1998 Rüdesheimer Berg Schlossberg
  • 1999 Rüdesheimer Berg Schlossberg

Mein Favorit ist in diesem Flight schwer einzeln herauszufiltern. Die ersten drei Weine bewegten sich jedenfalls auf einem exzellenten Niveau. Der Nonnenberg (aus der Magnum) besaß eine schiefrige Note, viel Säure, eine großartig ausgereizte Pikanz, weil neben Säure und Mineralität auch noch Saft und Kraft am Werk waren. Vielleicht sogar etwas zu viel Kraft, aber noch ungeheuer viel Lebendigkeit. Der 1993er Schlossberg wirkte etwas milder und ein wenig bitterer, aber ansonsten in demselben Stil in derselben Liga. Der 1994er Schlossberg hatte dafür eine etwas weißere, fruchtigere Anmutung in sich, in Richtung pikanter Weinbergspfirsich.

Der Flight gefiel allen, soweit ich mich erinnere. Das sind richtig große Weine. Dass Bernhard Breuer Zeit seines Lebens Wert auf langlebige Weine gelegt hat, wussten wir natürlich. Aber hier kam der blind getestete Beweis, falls es noch eines solchen bedurft hätte. Die jüngeren Jahrgänge standen dabei für mich eine ganze Stufe unter den frühen, was man natürlich unterschiedlich interpretieren kann. Schlechtere Jahrgänge an sich, weniger Winzerbrillianz oder tatsächlich noch in einer nicht so großartigen Phase erwischt? Der Wein vom Staatsweingut hielt im Konzert übrigens gut mit. Zwar besaß er eine deutliche Küchenkräuternote, war für mich aber immer noch stärker als praktisch alle Weine aus dem Flight davor. Dass übrigens im Hause Breuer dieser auf Haltbarkeit ausgelegte Stil konsequent weitergeführt wird, freut mich gerade nach dieser Probe außerordentlich.

Flight 3: Weingut Künstler

  • 1992 Hochheimer Hölle Auslese trocken
  • 1993 Hochheimer Hölle Auslese trocken
  • 1994 Hochheimer Hölle Spätlese trocken
  • 1996 Hochheimer Kirchenstück Spätlese trocken
  • 1997 Hochheimer Domdechaney Spätlese trocken
  • 1998 Hochheimer Stielweg Spätlese halbtrocken
  • 1998 Hochheimer Hölle Spätlese trocken
  • 1998 Hochheimer Hölle Auslese trocken
  • 1999 Hochheimer Hölle Auslese trocken

Mein Favorit existiert diesmal nicht wirklich. Am besten hatte mir noch der älteste Wein des Flights gefallen, die 1992er Hölle. In der Nase waren schiefrige Noten zu spüren, eine gewisse Süßeanmutung und gleichzeitig ein säuerlich-zitroniger Ton. Am Gaumen dann auch entsprechend viel Säure, ziemlich knackig, aber irgendwie leicht medizinal wirkend. Die beiden nächstfolgenden Weine fanden auch noch meinen begrenzten Zuspruch, beide zitronensauer, der 1994er dabei mit einem zusätzlichen Touch sauren Weingummis.

Der Flight war der eindeutig schwächste bislang. Für mich besonders deshalb enttäuschend, weil wir hier ja Deutschland Elite im Glas zu haben glaubten. Die anderen punkteten (wenn sie es denn taten) so um die 85 herum. Mir fehlt die Erfahrung, ob diese Weine jemals richtig gut waren. Es wurde viel darüber gemunkelt, dass ausgerechnet zu jener Zeit das Weingut Künstler zu stark gewachsen sei und sich die organisatorischen Herausforderungen in den mit weniger Akribie bereiteten Weinen niedergeschlagen hätten. Das mag durchaus sein. Die jüngsten Künstler-Weine finde ich nämlich ehrlich gesagt gar nicht schlecht. Ob das Niveau damit tatsächlich wieder gestiegen ist oder aber die Weine lieber im Alter von drei bis vier Jahren getrunken werden sollten, vermag ich allerdings nicht zu beurteilen.

Flight 4: Domaine Trimbach

  • 1983 Clos Sainte-Hune Vendanges Tardives
  • 1985 Cuvée Frédéric Emile
  • 1985 Clos Sainte-Hune
  • 1986 Clos Sainte-Hune
  • 1990 Cuvée Frédéric Emile
  • 1991 Clos Sainte-Hune
  • 2001 Clos Sainte-Hune

Mein Favorit ist auch hier nicht eindeutig auszumachen. Das liegt diesmal aber nicht daran, dass mir die Weine nicht gefallen hätten. Für mich persönlich vorn lag tatsächlich der jüngste Wein, der 2001er Clos Sainte-Hune, dicht gefolgt aber vom 1983er. Qualitativ hatte ich dabei nichts auszusetzen. Der 2001er erschien mir mit seiner bitter-rauchigen Strenge sehr konsequent, schlank und ernst. Aber gut genießbar und durchaus noch ein Stück von seinem (weit oben anzusiedelnden) Höhepunkt entfernt. Der 1983er dagegen erwies sich als echte Herausforderung. Nach dem ersten Schlückchen war klar, dass dies ein großer Wein ist: aromenstark und von höchster Intensität, Säure und Süße treten gegeneinander an, Extrakt und Alkohol. Nie gewinnt eines der beiden Elemente, immer gleichen sie sich auf hohen Niveau aus, aber wenn es einen sinnvollen Gegensatz zum Wort “trinkig” geben sollte, dann wäre er hier passend. Echt anstrengend, aber groß.

Der Flight lässt sich insgesamt auch mit diesen Worten beschreiben: anstrengend und groß. Ich hatte das Gefühl, dass hier die Säure zwar enorm präsent war, aber nicht deshalb, weil sie stärker gewesen wäre als bei den Weinen der Flights davor, sondern weil hier wenig Süße puffernd wirkte. Der Extrakt, die Intensität trat hier als Gegenpol auf. Alle Weine brauchten viel Luft, genau wie sie viele Jahre gebraucht haben müssen, um sich derartig zu präsentieren. In ihrer fast herrischen Strenge gefielen sie mir rein subjektiv eine Nuance weniger als die Weine von Breuer. Aber dies sind ohne jeden Zweifel echte Monumente. Übrigens machte sich die deutlich angenehmer bepreiste Cuvée Frédéric Emile gar nicht so schlecht. Etwas schlanker, mit weniger Schwung und Intensität, bleibt das für mich aber eine gute Alternative, zumal wir hören mussten, dass der 1983er Clos Sainte-Hune auf dem Markt (falls überhaupt verfügbar) für rund 500 € gehandelt wird.

Flight 5: Roter Hang

  • 1988 Niersteiner Brudersberg Spätlese trocken, Heyl zu Herrnsheim
  • 1992 Niersteiner Brudersberg Spätlese trocken, Heyl zu Herrnsheim
  • 1993 Niersteiner Brudersberg Spätlese trocken, Heyl zu Herrnsheim
  • 1994 Niersteiner Brudersberg Spätlese trocken, Heyl zu Herrnsheim
  • 1996 Niersteiner Brudersberg Spätlese trocken, Heyl zu Herrnsheim
  • 1997 Niersteiner Brudersberg Spätlese trocken, Heyl zu Herrnsheim
  • 1992 Niersteiner Orbel Spätlese trocken, St. Antony
  • 1992 Niersteiner Pettenthal Spätlese medium dry, Heyl zu Herrnsheim
  • 1992 Niersteiner Pettenthal Spätlese halbtrocken, St. Antony

Mein Favorit war – nicht mit weitem Abstand allerdings – der 1994er Brudersberg. Für die Herkunft und das Alter hatte der Weine eine verblüffend frische, fast grünlich wirkende Nase. Am Gaumen blieb es konsequent dabei: viel Säure, etwas Firn, ansonsten sehr pur und straight. Am anderen Ende des geschmacklichen Spektrums befand sich die halbtrockene Pettenthal-Spätlese von St. Antony, die allerdings im Laufe der Zeit eine sensorisch trockene Note angenommen hatte. Breit, gelb, stark, aber nicht wirklich als Riesling zu erkennen. Mein Stil ist das nicht unbedingt, aber mit mehr Luft öffnete sich auch dieser Wein, und schlecht war jener wahrhaftig nicht.

Der Flight hielt ein verblüffend breites Spektrum parat. Einen schlanken Wein vom roten Hang hätte ich nicht erwartet – aber er war dann auch die Ausnahme. Generell wirkten die Weine stark, manche ausgewogen, andere wiederum zu sehr in Richtung bitteres Lösungsmittel gehend. Gewürzige und florale Noten waren dabei relativ oft zu spüren, was es – wenn wir es nicht gewusst hätten – schwer machen würde, überhaupt den Riesling als Rebsorte hier herauszubekommen. Für mich persönlich nach Künstler der zweitschwächste Flight heute. Aber, um das noch mal klarzustellen: Hier wird nur aus Gründen der inneren Differenzierung gejammert. Über jeden einzelnen dieser Weine würde ich mich freuen, wenn ich sie noch im Keller hätte.

Flight 6: Weingut Koehler-Ruprecht

  • 1990 Kallstadter Saumagen Auslese trocken R
  • 1998 Kallstadter Saumagen Auslese R
  • 1997 Kallstadter Saumagen Auslese trocken R

Mein Favorit aus dieser kleinen Serie ist schnell gefunden, der 1990er. In der Nase bittere Kräuter, Liebstöckel, Majoran, zerstoßene Korianderkörner, eine gewisse Firne. Im Mund ist der Wein schön straff mit einer ordentlichen Säure, aber auch mit genug Gehalt, um hier einen Gegenpol zu liefern. Allerdings waren nicht wenige von uns der Meinung, dass dieser Wein seinen Genusshöhepunkt hinter sich hat. Der Schwung geht so langsam dahin, das Knochige dürfte nach und nach in den Vordergrund treten.

Der Flight ist mit den anderen natürlich nicht zu vergleichen, drei Weine sind keine neun. Der zweite Wein, die 1998er Auslese R, war versehentlich nicht die trockene, sondern die halbtrockene Version mit 10 vol%. Anders als bei den beiden Pettenthalern vom Flight davor bedeutete das diesmal neben spürbar erhöhter Restsüße auch einen wirklich anderen Charakter. Der trockene 1997er hatte dagegen eine erstaunlich scharf-intensive Gewürznote zu bieten und viele Bitterstoffe. Das ist heute noch ein guter Speisenbegleiter und dafür auch wesentlich besser geeignet als zum Solotesten.

Flight 7: Weingut Bürklin-Wolf

  • 1994 Ruppertsberger Gaisböhl Spätlese trocken
  • 1995 Ruppertsberger Gaisböhl Spätlese trocken
  • 1996 Ruppertsberger Gaisböhl Spätlese trocken
  • 1996 Forster Kirchenstück Spätlese trocken
  • 1997 Forster Kirchenstück Spätlese trocken
  • 1997 Forster Jesuitengarten Spätlese trocken
  • 1998 Ruppertsberger Gaisböhl Spätlese trocken
  • 1999 Deidesheimer Hohenmorgen Spätlese trocken G.C.
  • 1999 Forster Pechstein Spätlese trocken G.C.

Mein Favorit kommt diesmal aus der hinteren Startgruppe. Bei den anderen Flights hatten uns die ersten Weine oft am meisten überzeugt, hier ist es umgekehrt. Ich persönlich habe dabei den 1998er Gaisböhl ganz vorn gesehen, weil er die rieslingtypischsten Attitüden an den Tag legte: relativ streng und geradeaus, getragen darüber hinaus aber auch von einer intensiven Aromatik, die dem Wein eine gute Länge verlieh. Allerdings kam er mir blind verkostet deutlich älter vor als sein eigentlicher Geburtsjahrgang. Der 1999er Hohenmorgen lag für mich auf demselben Niveau, ebenso der 1999er Pechstein. Letzterer besaß die tropischsten, hedonistischsten Noten und wirkte immer noch sehr saftig.

Der Flight fand insgesamt durchaus Anklang. Leider hatten wir (oder vielmehr der Hersteller) hier ein echtes Korkproblem, denn drei der neun Flaschen wurden teilweise deutlich von der Geschmacksnote Muff getragen. Die übrigen Weine jedoch besaßen eine bemerkenswerte Homogenität. Hier hätten wir spontan alle ein und denselben Winzer als Urheber vermutet. Allen gemeinsam war diese, möglicherweise pfalztypische, Gelbwurz-Ingwer-Note, die ich ansonsten auch mit gereiften Veltlinern aus der Wachau in Verbindung bringe. A propos: Das war eigentlich die einzige Herkunftsregion, die ich ein wenig vermisst habe. Ein Flight mit Knoll, Hirtzberger, Prager oder Pichler wäre sehr spannend gewesen. Aber noch mehr Weine – das hätte ich vermutlich auch sensorisch nicht gepackt.

Die sechs Gänge des anschließenden Essens möchte ich Euch einfach nur mal im Bild zeigen. Natürlich kamen auch hier unsere Geschmacksnerven noch einmal zum Zuge, aber nachdem wir die vergangenen fünf (!) Stunden intensiv verkostet hatten, ging es natürlich in erster Linie um die Geselligkeit. Schade, dass ich so früh fahren musste.

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  • Zukidashi
  • Kleine Portion Sushi klassisch belebt
  • Dengaku von Aubergine mit Scampi
  • Klare Bonito-Brühe mit gebratenem Wolfsbarsch
  • Gebratene Entenbrust mit Teriyaki-Sauce
  • Zitronengras-Mousse auf Biskuit

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Die Essbegleiter könnt Ihr noch schnell hier sehen. Mein Lieblingswein dabei – und das ist vielleicht nach der Fülle an großen trockenen Weinen auch nicht verwunderlich – war die fantastische fünfsternige Auslese aus dem Ürziger Würzgarten von Hans Leo Christoffel.

  • K.J. Molitor – 2009 Rüdesheimer Berg Schlossberg Spätlese trocken Alte Reben
  • Bürklin-Wolf – 1998 Forster Pechstein Auslese R
  • Egon Müller – 1997 Scharzhofberger Kabinett Nr. 12
  • Mongeard-Mugneret – 2003 Vosne-Romanée 1er Cru Les Petits Monts
  • Joh. Jos. Christoffel Erben – 1994 Ürziger Würzgarten Auslese ***** Versteigerung

Mein Fazit: Trockene Rieslinge können reifen. Das ist sicher keine sensationelle Erkenntnis, aber ganz im Gegensatz zu Bordeauxweinen, Burgundern oder eben edelsüßen Rieslingen wird man nicht allzu oft an diese Tatsache erinnert. Trockene Rieslinge werden im Allgemeinen einfach viel zu früh konsumiert.

Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass der schreiende Rabe auf dem Dach namens Auszehrung irgendwann einmal sein Unwesen zu treiben beginnt. Um derartig harmonisch durch die Jahrzehnte zu gleiten wie meine heutigen Lieblingsprodukte, Breuers Schlossberg und Nonnenberg sowie Trimbachs Clos Sainte-Hune, scheinen mir ein paar Voraussetzungen notwendig zu sein, die man wahrscheinlich schon an den Jungweinen wird spüren können: Säure hat Riesling meist genug, und die macht auch nach Jahrzehnten noch nicht schlapp. Ein gewisser Körper gehört aber wohl auch dazu, und damit meine ich nicht in erster Linie Alkohol, sondern Extrakt. Ich persönlich glaube, dass gerade Riesling ein klein wenig Restzucker gut zu Gesicht steht, weil jener im Alter nicht mehr für die Süße sorgt, sondern für eine stärker wahrgenommene Seidigkeit. Ein von Anfang an richtig trockener Riesling mit doppelt so viel Gesamtsäure wie Restzucker muss schon reichlich Stoffigkeit besitzen, um später nicht mit einem Charme wie Fräulein Rottenmeier daherzukommen.

Für mich war es eine großartige Erfahrung, bei dieser Weinprobe dabei gewesen zu sein. Den Organisatoren dafür herzlich zu danken, ist eigentlich zu wenig. Wir haben alle einen einmaligen Blick in die Geschichte des trockenen Rieslings geworfen. Dabei würde es mich ungemein interessieren, welche Rieslinge von heute sich in 20 Jahren großartig präsentieren würden. Die Auswahl ist ja beträchtlich geworden. Gesetzt den Fall, Ihr müsstet heute einen trockenen Riesling kaufen, den Ihr erst in 20 Jahren wieder öffnen dürft. Welchen würdet Ihr nehmen?

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38 Antworten zu “Aufbruch des trockenen Rieslings”: Weinprobe im Kameha Grand Hotel in Bonn

  1. Beeindruckend, sehr beeindruckend.

  2. Ich würde es vielleicht mit einer Flasche Raffes (1. Lage Marienburg) von Clemens Busch probieren.

    • chezmatze sagt:

      Weißt Du, was das Schlimme ist (wir sind ja hier unter uns, da darf man sowas gestehen ;)): Ich habe noch nie einen Wein von Clemens Busch getrunken. Das ist nicht nur peinlich, das soll sich auch in diesem Jahr dringend ändern. Aber ich habe immerhin meinen Schwager schon hingeschickt, der an der Mosel ein Weingut besuchen wollte, das ihm gefällt. Und so war es denn auch.

  3. Ansonsten machen wir das mal bei mir. Es gibt da so ein paar Flaschen in meinem Keller. Auch ältere. es lohnt sich.

  4. Übrigens stimme ich mit dir überein. Dem Riesling steht der gewisse Restzucker. Ich mag knochentrockene Weine. Aber Riesling kann ein paar Gramm haben, in den meisten fällen vergrößert das die Harmonie.

  5. Abgesehen davon und Off Topic finde ich das Kameha Grand ja kaum zu ertragen. So was von angelsexy-georgiastisch überdreht… 🙂

  6. Steffen sagt:

    Tja, Ihr lacht wohl über den Träumer, der Blumen im Winter sah, schöner Opener, das Leben ist so herrlich skurril, manchmal. Danke für diesen tollen Bericht, so schnell geschrieben und doch so rund und umfangreich; Du schreibst mehr als ich lesen kann. Ich war leider verhindert am Samstag, aber so kann ich ein bisschen mitempfinden, wovon Euch das Herz in den letzten Tagen noch so warm schlägt.
    Trotz allem Rieslinghype der letzten zehn Jahre, ich glaube über nichts wissen wir so wenig, wie über gereifte trockene Rieslinge. Rainer hat das hier => http://toaster.wordpress.com/gereifte-rieslinge-trocken-aus-den-jahren-1992-bis-2004/ sehr gut und treffend beschrieben; ohnehin einer der fundiertesten Berichte über dieses Thema. Unterm Strich reifen vermutlich zu wenig trockene Rieslinge zu wahrer Größe heran; vieles ist nach fünf bis zehn Jahren auf dem Höhepunkt. Erschreckend viel verabschiedet sich in dieser Zeit auch schon wieder. Sehr spannend wird sein, wie sich die “neuen” trockenen Rieslingen einst präsentieren werden. Stoff genug für schöne Proben…
    Schöne Grüße
    Steffen

    • chezmatze sagt:

      Ja Steffen, der Bericht von Rainer war, soweit ich mich erinnere, auch der Auslöser, weshalb ich zart angefragt habe, ob ich “Euch” auf meine Blogroll nehmen darf. Es ist ohnehin verblüffend. Bis auf Burgunder (also ausschließlich Chardonnays) fallen mir weltweit gar keine trockenen Weißweine ein, die man als so hochwertige Lagerweine begreift, dass man sie wirklich erst in ihrer Spitzenphase trinkt. Ich glaube, beim Chenin blanc von der Loire oder beim Jurançon sec werden auch die allermeisten Weine in den ersten Jahren getrunken, beim Grünen Veltliner erst recht.

      Sorry übrigens für die späte Antwort. Bin gerade in Bangkok angekommen und muss jetzt erst mal nacharbeiten ;).

  7. Marqueee sagt:

    Ihr seht mich beeindruckt, Sir.

    Wenn die Dinge denn perfekt gelaufen wären, am letzten Wochenende, dann könnte ich übrigens die Eindrücke von Künstler-Flight um eine 98er Kirchenstück Auslese Trocken erweitern. Das ist, wenn ich mich recht erinnere, der “Tränen-fließen-in-die-Tastatur!”-100-Hofschuster-Punkte-Wein. War aber leider korkig.
    Eine habe ich noch. Da komme ich mit Euch beiden bei Gelegenheit mal drauf zurück.

  8. jens sagt:

    Hallo Matze!

    Ich halte das Reifepotenzial “großer” trockener, deutscher Rieslinge in der Breite für überbewertet. Jetzt bitte nicht falsch verstehen – ich mag alte Rieslinge sowohl in trocken, als auch in restsüß, aber Reifepotenzial heißt für mich, dass ein junger Wein das Potenzial hat, zu reifen und sich in diesem Reiferverlauf erheblich positiv verbessern sollte. Was soll da für eine erhebliche, positive Verbesserung nach 20 Jahren eintreten? Wir sprechen hier nicht von Bordeaux alter Machart, wo sich erst die Tannine abschleifen mussten, um den Wein überhaupt genießbar zu machen.

    Immer wieder wird fast gebetsmühlenartig gepredigt trockener Riesling ist für eine lange Reife angelegt. Ist er das wirklich? Fest steht, er kann, aber muss er denn zwingend? Und was bringt das wirklich, wenn er es denn nun für 20 Jahre macht?

    Fakt ist sicherlich aber auch, dass viele Weine und ja natürlich auch Riesling, zu früh konsumiert wird.

    Letztens verlangte in einem Restaurant am Nachbartisch jemand deutschen Weißwein aus 2011, mit der Begründung, der sei halt frisch und 2009 und 2008 (was so halt auf der Karte war) wäre ja was, was der Wirt nicht verkauft habe und nun nur rumliegen würde und an den Deppen gebracht werden müsse. Was soll man dazu sagen!?

    Ich habe gerade auch einen “alten” Weißwein im Glas. Einen Domaine des Tours VDP de Vaucluse aus dem Jahre 2005. Und ja, der war ne Stunde in der Karaffe und wird aus Burgundergläsern getrunken…und der hat sicher noch Alterungspotenzial…aber besser wird der wohl nicht mehr werden. Warum auch! Er ist so gut wie er ist!

    Herzliche Grüsse!!!

    Jens

    • chezmatze sagt:

      Lustig. Ich hatte nämlich noch einen Absatz geschrieben in meinem Text, den ich aus Längegründen dann wieder gestrichen habe. Ich wollte auch nicht zu viel noch reinpfropfen. Dabei ging es darum, dass ich meine generelle Einschätzung durch die Probe eher bestätigt sehe: Kleine Rieslinge guter Winzer trinke ich 2-3 Jahre nach der Ernte, mittlere 5-6 Jahre danach, und die ganz Großen am liebsten so 8-10 Jahre gereift. Dann ist nämlich bei den allermeisten noch das Saftige, das Schmackhafte dabei, die Ungestümkeit ist aber zugunsten einer echten Ausgewogenheit gewichen. Ist natürlich nur pi mal Daumen, aber ich bin damit bislang sehr gut gefahren.

      Soll heißen, ich bin absolut Deiner Meinung. Nach 20 Jahren und mehr sind das zwar bedeutende Zeitdokumente, aber in den letzten zehn Jahren dürften sie sich im Durchschnitt eher verschlechtert haben. Die Sache ist nur die: “Wir” Konsumenten lassen ja die Weißweine noch nicht mal fünf Jahre alt werden. Was da schon prozentual an Großen Gewächsen alles weggeschluckt ist, geht auf keine Kuhhaut. Gilt übrigens in erstaunlich ähnlichem Maße für deutsche Spätburgunder der Spitzenklasse. Auch da würde es mich sehr interessieren, wie die zehn und mehr Jahre alten Exemplare mittlerweile gereift sind. Aber damals steckte die Rotweinbereitung ja wirklich noch in den Kinderschuhen, sprich der Ausprobierphase…

  9. Alfredo sagt:

    Toller Bericht, wie immer. Die Einleitung hat mir besonders gut gefallen, da freut sich das Musikerherz. Die Bandbreite der Verkostung und und die klare Darstellung im Text erlauben einem gute Rückschlüsse auf die eigene Lagerungspolitik. Am Rande: Frank Schönleber hat uns in Bezug auf seine 2009er GGs empfohlen, jetzt ruhig mal eine Flasche in ihrer jugendlichen Art zu geniessen, dann aber etwa 4-5 Jahre zu warten. Mit einem 2009er Halenberg haben wir das an Weihnachten gemacht und der war grandios.
    Beste Grüße
    Alfredo

    • chezmatze sagt:

      Ich muss auch ehrlich sagen, dass ich ein bisschen ins Überlegen gekommen bin, was meine “Ein-Flaschen-Politik” anbelangt. Bislang hat sich das als äußerst erfolgreich (und natürlich auch lehrreich) herausgestellt. Dieses breite Spektrum hätte ich nie im Leben kennenlernen können, wenn ich schon früh damit angefangen hätte, meine Lieblingsweine kistenweise zu kaufen. (Gut, beim Halenberg wäre das finanziell auch gar nicht möglich gewesen). Aber so langsam könnte ich mich schon mit einem Drei-Flaschen-System bei besonders tollen Weinen anfreunden. Mal schauen…

  10. Charlie sagt:

    Beeindruckende Probe und beeindruckend klare, kluge Worte, Matze.

  11. Keine Weiber bei der Weinprobe. So wurde es dann nur Wein, Serviererin und Gesang, wenn auch in umgekehrter Reihenfolge. Aber der Bericht ist klasse.

    • chezmatze sagt:

      Tja, das ist was. Warum ist die Weinwelt fast nur männlich? Ich glaube, die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten wie sie sich zunächst anhört. Wein ist ja kein Rugbyspiel oder das Sammeln von Zinnfiguren, sondern eher sowas wie Musikjournalismus. Da ist das nämlich genauso mit dem prozentualen Verhältnis. Explizite Weinblogger sind ja auch (fast) alle männlich, während Kochblogs doch ganz anders gemischt sind. Wenn Du schon mal was Schlaues zu dem Thema gelesen hast, würde ich mich über einen Link freuen ;).

  12. Oh Dae-su sagt:

    Super Bericht Matze. Ein Bericht über so viele gereifte Rieslinge hab ich wahrscheinlich noch nie gelesen. Leider verfüge ich über relativ wenig Erfahrung mit gealternden trockenen Rieslingen. Nur ab und zu mal was. Aber darüber Lesen ist auch schon toll.
    Oh je, da komm ich mir mit meiner Experimentierflasche aus Fetească Neagră, die ich eben aufgemacht habe, sehr billig vor …. HuHuHu
    Gruss
    Chris

    • Charlie sagt:

      Da hast du aber mindestens einen der wenigen rumänischen Weine mit Tradition die man hier kaufen kann. Reife trockene Rieslinge sind im Allgemeinen nicht teuer. Die paar Ausnahmen wurden in Bonn unlängst geleert …

    • chezmatze sagt:

      Weine nicht. Wenn die Fetească Neagră mal erwachsen geworden ist, wird man aus ihr auch große Weine machen können ;). Nein, eigentlich ohne Grinsegesicht, das meine ich ernst. Neulich hatte ich einen Melnik aus Bulgarien, der schon sehr gute Ansätze gezeigt hat. Dürfen halt nicht mit Holz und Süße zugekleistert sein, die schönen Osteuropa-Trauben.

  13. Birte sagt:

    Das Lesen Deiner Probengeschichte hat richtig Spaß gemacht. Toll geschrieben. Allerdings finde ich es sehr gewagt, das Design des Kameha Hotels unter Tokyo-Stil einzuordnen. Als ich zuletzt da war, war mir noch Stunden lang schlecht von den Farben und Mustern. Glücklicherweise ist die abartig schwere Lampe am Haupteingang gut verankert. Ich hätte dort nicht mehr riechen und schmecken können. Respekt.!

    • chezmatze sagt:

      Meine Freundin hat mich auch schon gescholten wegen des Tokyo-Stils. Es gab aber doch mal diese Band aus Japan “Fantastic Plastic Machine”, knallbuntes Tokyo-Gemüse. Daran musste ich denken, nicht so sehr an reduzierte japanische Klassik. Und daran, dass schwülstiges, pompöses Design mit Gold und Brokat in der Designerszene ja nicht so angesagt ist. Aber unsere Atmosphäre im Nebenraum war auch sehr produktfixiert, da ging das mit dem Riechen und Schmecken schon ;).

  14. Alex sagt:

    Hallo Matze, schließe mich an – toller Bericht! Ich glaube das auch mit dem Riesling und Restzucker, es gibt ja auch tolle alte sensorisch trockene Auslesen usw. Im Bereich trockener Riesling denke ich, das der Ertrag eine wichtige, wenn nicht die entscheidende Rolle spielt. Was meint Ihr?

    • Charlie sagt:

      Wichtig ist, glaube ich, genau wie Matze, erstmal die Konzentration. Wenn niedriger Ertrag dafür die Bedingung ist, dann wird es wohl so sein. Dass an der Mittelmosel die trockenen Rieslinge oft so dünn wirken und auch nicht so gut reifen gegenüber tollen, reifewürdigen, restsüßen “Brüdern” würde dafür sprechen.

      Matze hat eine gute Frage aufgebracht: wie muss ein junger, trockener Riesling schmecken, damit er gute Chancen auf eine würdige Reife hat? Da sich Säure und grüne Noten nicht abbauen und Tannine riskant sind (viele versuchen es ja mich Maischestandzeiten) bliebt der Zucker und die Konzentration.

      Ich kenne die trockenen Dönnhoffs aus den 90ern nicht, aber damals war er auch nicht dafür berühmt. Inzwischen sind sie wahrscheinlich deutlich besser.

      • Marqueee sagt:

        Ein weiterer Faktor für gutes Alterungsverhalten: wurzelechte Reben. Ich gebe zu, ich habe dieses Mythos “wurzelecht” immer zu einem großen Teil für Winzerlatein gehalten. Aber ich hatte in den letzten beiden Jahren mehrfach die Gelegenheit, bis zu 20 Jahre alte trockene Kabinett-Rieslinge von der Terrassen-Mosel zu probieren. Echte Kabinette wohlgemerkt, keine herabgestuften höheren Prädikate. Allesamt waren es Weine von wurzelechten Reben. Und allesamt waren sie – perfekte Korken vorausgesetzt – noch von betörender Klasse im Glas.

        • chezmatze sagt:

          Weißt Du, ob diese Weine auch heute noch auf dieselbe Art bereitet werden? Und vom selben Winzer? Falls ja (Martin Müllen vielleicht?), wäre so eine Vertikalprobe sicher auch sehr spannend…

      • chezmatze sagt:

        Das bedeutet dann umgekehrt, dass ein potenziell großer trockener Riesling nicht schon im Frühstadium elegant und ausgewogen sein darf. Jedenfalls nicht in der Regel. Was die Maischestandzeit anbelangt, fehlen mir ein wenig die Erfahrungen. Gut, Gravner und Konsorten, aber das ist ja von vornherein ein ganz anderes Material. Wer hat sich denn im Rieslingbereich da schon weit vorgewagt (ich meine jetzt eher Tage als Stunden auf der Maische ;))? Ich glaube auch nicht, dass das der Weisheit letzter Schluss ist, aber man könnte ja mal zwei gereifte trockene Rieslinge aus derselben Lage miteinander vergleichen, einen mit kurzer und einen mit langer Maischestandzeit. Wenn einer sowas kennt, Charlie, dann Du!

      • Charlie sagt:

        Danke für das Vertrauen, aber auf Anhieb weiss ich kein Beispiel. Müsste mich mal umhören. Van Volxem, Heymann-Löwenstein wären Kandidaten.

        • chezmatze sagt:

          Du hast sicher auch gelesen, dass Martin Kössler (und VV selbst natürlich auch) den 2011er Jahrgang von Van Volxem in den Himmel lobt. Dabei hätte ich jetzt spontan gesagt, dass ausgerechnet 2011 überhaupt kein Jahr für die besseren VVer war. Die haben doch schon in den schlanken Jahren einen merklichen Wanst vor sich hergetragen, wie haben denn die jetzt die ganzen Oechsle vermeiden können? So ganz spontan würde ich sagen, dass in 2011 von Van Volxem, Heymann-Löwenstein oder Markus Molitor eher die Gutsrieslinge zu empfehlen sind… Aber ich lasse mich natürlich gern eines Besseren belehren. (Das aber knapp abseits des eigentlichen Themas hier ;))

    • Alex sagt:

      Hallo Zusammen,

      generell bin ich der Überzeugung, dass a.) Weine die gut reifen können auch schon in jungen Jahren sehr viel Spaß machen und b.) ein Genußszyklus für Wein sich zwischen dem 3ten und 12ten Jahr abspielt. Ähnlich wie Matze das schon gesagt hat, sehe ich sehr alte Weine auch mehr als Zeitdokumente! Man wird aber immer mal wieder überrascht.

      Ich denke das “Konzentration”, aber besonders auch die Balance im Wein, auf ein vernünftiges Gleichgewicht im Anbau zurück zu führen ist. Alte Reben oder sogar wurzelechte Reben haben hier den Vorteil, dass sie weniger Trockenstreßgefährdet sind, das die Reife gleichmäßiger ist und der Ertrag in natürlicher Weise begrenzt wird. Der vermeintlich ungestörte Saftfluß bei wurzelechten Reben spielt in diese Argumentation mit rein. In heutiger Zeit auch der biologische Anbau, vor allem der Verzicht auf Herbizide und alles was sonst noch die “Nahrungsaufnahme” der Wurzeln beeinflußt.

      Im Ausbau haben wir natürlich auch mehrere Möglichkeiten gegebenes Reifepotential zu akzentuieren. Das geht jetzt aber zu weit. Was Reifepotential in einem jungen Wein für mich auszeichnet ist Balance, eine gute “matiere” (Substanz am Gaumen, nicht zwingend Fülle!) und dezente Reduktion (die man nicht riecht wohlgemerkt, ich sage immer der Wein ist introvertiert). Maischekontakt, Mostoxidation, Schwefelen oder nicht sind letzlich vielleicht mehr Fragen des individuellen Stils.

      Am kommenden Wochenende habe ich die Freude ein par gereifte GVs vom Knoll verkosten zu können. Spielt ja in die Thematik rein, werde berichten wenns euch interessiert!

      Gruß

      Alex

      P.S. Fällt mir gerade noch ein! Manche großartigen Weine sind in einigen Lebensphasen ja fasst “dünn” und schwingen sich erst nach ein paar Jahren auf, wenn sich das “Fett” anlagert. Hatte das erst neulich mit einem Chenin blanc, aber auch wer die Chardonnay von Raveneau kennt wird vielleicht wissen was ich meine.

      • chezmatze sagt:

        Das ist sehr interessant, was Du schreibst. Ich habe mir auch schon überlegt, was einen trockenen Weißwein eigentlich alterungsfähig macht und bin da ebenfalls an einem Punkt gekommen, den ich als “Harmonie” bezeichnen würde. Eine Harmonie allerdings, deren Anlage man im Jungwein zwar spüren kann, deren Ausprägung aber noch nicht eingetreten ist (denn das Reifen gehört auch zum Harmonisierungsprozess dazu). Und ich denke auch, dass – jetzt mal etwas esoterisch ausgedrückt – das Harmonie des Werdens, die alle Rahmenbedingungen der Rebkultur und der Weinbereitung mit einschließt, dabei eine erhebliche Rolle spielt.

        Was das ist, das Du als “matière” bezeichnest, das ist für mich irgendwie auch so ein erstaunliches Element. Ich habe zum Beispiel diesen Artikel hier gefunden (http://labivin.over-blog.com/article-la-notion-de-gras-dans-le-vin-69095800.html) in dem über den Unterschied zwischen den französischen Begriffen “matière/texture”, “ampleur” und “persistance” diskutiert wird. Ohne dass allerdings geklärt wird, ob man mit “gras” nicht doch bloß den Glyzeringehalt meint. Oder wie meinst Du das, das sich das “gras” erst mit den Jahren anlagert? Komisch eigentlich, dass noch kein Naturwissenschaftler sozusagen den Goldenen Schnitt des Weins definiert hat, also einen Indexwert aus messbaren Variablen. Oder habe ich das nur noch nicht gelesen? (Falls dem so ist, würde mich das natürlich sehr interessieren, die mathematische Dimension von Harmonie ;)).

        Die GVs von Knoll finde ich übrigens sehr spannend. Meine Erfahrungen sind dabei begrenzt, aber ich hatte das Gefühl, dass diese Weine erstens ausgezeichnet reifen können (was jetzt keine wirklich sensationelle Bemerkung ist), dass ein Grüner Veltliner aber ähnlich wie Marsanne (oder unter günstigen Bedingungen auch Vermentino, Grenache blanc etc.) seine Haltbarkeit eher aus der subtilen Kraft zieht als aus den Aromen wie beim Riesling. Freue mich auf Deinen Bericht!

  15. Marqueee sagt:

    Die, die ich getrunken habe waren größtenteils von Uli Stein. Um nennenswerte Vertikalen zusammenzubekommen, müsste man vielleicht dort einfach mal für ein Wochenende vorbeifahren. Bei interessierten Runden steigt Uli meiner Erfahrung nach gern eimal in die Keller hinunter. Zudem kenne ich nicht viele Winzer, die in der Lage sind, einem die vielfältigen Parameter und Zusammenhänge in Sachen Weinbereitung so transparent darzustellen. Im Haus Waldfrieden übernachtet es sich zudem recht gut. Die Lage ist fantastisch, man kann am nächsten Tag durch den Calmont steigen oder auch den um die Ecke gelegenen Clemens Busch besuchen…

  16. jens sagt:

    Müllen rules! Die Weine sind wirklich, wirklich gut und ja, sie können reifen und trinken sich danach besser, als als Jungweine. Die trockenen Spätlesen mit Stern oder Sternen sind absolut geil nach 5 bis 7 Jahren – und die kosten kein Geld, wenn man Qualität und Preis in eine Relation setzt.

    P.S. Guten Flug! Wo geht es hin? Wieder nach Krungthep?

    • chezmatze sagt:

      Bin schon da! Blöde Überraschung allerdings heute in aller Frühe. Hab mal kurz in der Morgendämmerung das Fenster aufgemacht und muss mich jetzt mit lästigen Stechmücken herumärgern. Zwei hab ich schon gefangen, die dritte ist mir bislang entwischt…

  17. jens sagt:

    Dann wünsch ich Dir viel Spass! Dreh einfach die Klimaanlage runter, dann gehen die Viecher zuverlässig kaputt, aber hohl Dir nicht wieder nen Schnupfen…

  18. Pingback: Unterwegs in den Welten: die Top 3 meines Jahres 2012 | Chez Matze

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