Nein, werdet Ihr sagen, das ist doch kein Ort, an dem sich Euer Matze wohlfühlt. Gerade lobt er noch den Genuss eines einfachen Trollingers, isst eine Innereienwurst in einer Arbeiterkantine, und jetzt bezahlt er freiwillig 28 € dafür, den weltgrößten Champagner-Produzenten zu besuchen? Und trägt dazu bei, dass die goldenen Nasen der Aktionäre noch goldener werden? Scarlett Johansson hin oder her. Aber Ihr täuscht Euch, es handelte sich sogar um eine bewusste Entscheidung, ausgerechnet zu Moët & Chandon zu gehen. Wenn man nämlich ein wenig den Erfolg der gigantischen PR-Maschine “Champagner” verstehen will, dann finde ich es nur konsequent, bei ihrem wichtigsten Vertreter anzufangen.
Seit 1987 ist das einstige Familienunternehmen Moët & Chandon Teil des Luxusgüterkonzerns LVMH – Louis Vuitton Moët Hennessy – wobei die beiden letzteren schon seit dem Jahr 1971 ein Tandem bildeten. Wenn man sich einmal anschaut, wer sich mittlerweile alles unter dem Dach von LVMH zusammen gefunden hat, lässt das zumindest die Freunde unabhängigen Unternehmertums ganz bleich im Gesicht werden. Die im Geschäftsbericht ausgewiesenen drei Milliarden Euro Überschuss im Geschäftsjahr 2010 (der mit Abstand größte Gewinn seit der Gründung 1987) zeigen allerdings, dass sich derartige Zusammenschlüsse offenbar lohnen – und die Kundschaft im High-End-Bereich weltweit immer größer wird.
Moët & Chandon ist dabei wiederum Teil der “Champagner-Abteilung” des Konzerns. Dom Pérignon übrigens war zwar einstmals der beste Champagner von Moët, aber aus Imagegründen hat man ihm ein eigenes Firmenschild verpasst. Dadurch besitzt LVMH mit (in absteigender Wertung) Krug, Dom Pérignon, Veuve Clicquot, Moët & Chandon, Ruinart und Mercier sozusagen Champagner für die ganze Familie, vom Emir bis zum Koch. Moët & Chandon ist darunter die mit Abstand am meisten beworbene und fast überall zu kaufende Champagnermarke; der “einfache” Brut Impérial wird sogar weltweit am meisten von allen Champagnern getrunken.
Die Herstellungszahlen sind dabei nicht ganz unbeachtlich. Zwar besitzt das Haus Moët & Chandon bereits 1.000 ha eigene Weinberge, aber das reicht immer noch nicht aus, um den Durst aller Moët-Kunden zu stillen, weshalb noch rund 300 ha von Vertragswinzern bearbeitet werden. 30 Millionen Flaschen, so heißt es in französischen Quellen, werden jährlich von 1.200 Mitarbeitern hergestellt, gelagert und vertrieben. Den größten Teil der Produktion bekommt man bei einem Besuch des Unternehmens nicht zu Gesicht. Was sollte der gemeine Besucher auch mit einem Maschinenpark in riesigen Hallen anfangen, wenn es doch drei betriebseigene Rüttler gibt, die dafür sorgen, dass der handwerkliche Anstrich nicht ganz verloren geht?
Die Führung, die stündlich in unterschiedlichen Sprachen durchgeführt wird (man kann ohne Anmeldung kommen), beginnt dann auch mit einem Imagefilm, der – da haben wir die Verbindung zur Überschrift – von Scarlett Johansson als neuer Moët-Werbeikone gesprochen wird. Jedenfalls sofern es sich um die englische Führung handelt. Da von Miss Johansson beim besten Willen nicht zu verlangen ist, dass sie ihre Kommentare auch noch auf Mandarin oder Deutsch zum Besten gibt, tönt bei der deutschen Führung ein schnöder männlicher Sprecher aus dem Off. Nicht dass ich der weltgrößte Scarlett Johansson-Fan wäre, aber ich hätte sie schon gern solche Worte wie “Rebenzüchtungsversuche” sagen hören.
Natürlich kommen derartige Wortkonstruktionen in dem Filmchen nicht vor. Man erfährt generell eigentlich gar nichts über den Weinbau, denn gezeigt werden nur goldglänzende Trauben im Sonnenuntergang, knorrige Bauernhände bei der Ernte, alte Fässer und junge, sich zuprostende Menschen. Dabei fallen Worte wie “Trauben”, “Natur” und “Werden lassen”. Mir fällt wieder ein, dass die allermeisten dem Weinbau fremden, aber natürlich dennoch weintrinkenden Menschen tatsächlich glauben, bei dem Begriff “Wein” handelte es sich um naturreinen, vergorenen Most aus Trauben, die an frischer Luft vor sich hinreifen. Diese Menschen werden durch den in alt-romantischer Stimmung gehaltenen Film in ihrer Auffassung bestätigt. Ich denke unwillkürlich, “wenn das auf diesem Niveau weitergeht, dann gute Nacht”. Aber das tut es nicht, denn jetzt geht es in den Keller.
Nicht mit dem Niveau, sondern mit uns. Hier unten im weichen Kreidegestein der Champagne dehnen sich auf insgesamt 28 Kilometern Länge die wiederum wahrscheinlich größten Weinkellergewölbe der Welt aus. Faszinierend ist allein schon, die feuchten, glatten Wände anzufassen, die für die optimale (hohe) Luftfeuchtigkeit und Kellertemperatur sorgen. Auf unserem kleinen Rundgang werden nach und nach die einzelnen Stationen angesprochen, die eine Flasche Champagner hier unten durchmacht.
Man erfährt, dass die einfacheren Qualitäten bei der ersten Gärung mit Kronkorken verschlossen werden, die besseren jedoch einen “Steigbügelkork” erhalten. Wir bekommen die Rüttelpulte zu sehen, auch jene natürlich für die besseren Kreszenzen gedacht, denn wie gesagt, Rüttelmaschinen möchte man den Besuchern hier nicht vorführen. Schließlich kommen wir noch an einem Stoß Flaschen vorbei, der noch aus dem vergangenen Jahrtausend stammt und immer noch hier lagert. Es handelt sich um Magnums von Dom Pérignons “Oenothèque”, der Sonderfüllung des normalen Dom Pérignons, der länger auf der Hefe liegt und nach dem Degorgieren noch so lange im Keller bleibt, bis der Kellermeister (oder der Marketingchef) der Meinung ist, dass man das Produkt nun mit Hochgenuss trinken kann.
Anhand der beachtlichen Schimmelbildungen kann man übrigens erahnen, dass die Arbeit hier unten dem Menschen – anders als der Flasche “Oenothèque” – wahrscheinlich nicht so gut bekommt. Kein Schimmel hingegen wächst in der Probierstube, die unsere kleine Gruppe gleich darauf betritt. Wer 15 € am Eingang gezahlt hatte, bekommt nun ein Glas “Brut Impérial”, was eine Mitbesucherin zu dem Ausruf “ah, der Tankstellen-Champagner!” veranlasst. Wer 22 € gezahlt hatte, bekommt ein Glas “Brut Impérial” und ein Glas “Brut Rosé Impérial”. Interessanterweise hat diese Option niemand gewählt. Es scheint so zu sein wie insgesamt auf dem Markt: Discount brummt und Luxus brummt, aber die Mitte ist den einen zu teuer, den anderen nicht teuer genug.
Die von mir gewählte königliche Option für 28 € beinhaltet dann den weißen und den rosigen Jahrgangschampagner “Grand Vintage” von 2002. Da es sich um ein exzellentes Jahr insbesondere für Chardonnay handelt, bin ich schon gespannt. Auf dem Markt kosten diese Weine so um die 50 €, der Rosé etwas mehr als der Weiße. Aber auch der “Tankstellen-Champagner” besitzt mit etwa 35 € schon einen mutig erscheinenden Einstiegspreis. Aber wie gesagt, das ist nicht eben nicht wagemutig, sondern konsequent, denn wer einen Moët & Chandon kauft, will einen bestimmten Preis dafür ausgeben. Davon lebt ja gerade das Image.
Der “Brut Impérial” (den ich natürlich trotzdem probiert habe), ist mit 9 g Restzucker am oberen Ende dessen, was ein Brut haben sollte. Gut, ja, ein Brut darf theoretisch bis zu 15 g Restzucker haben, aber dann muss schon enorm viel Säure vorhanden sein, um den wahrhaft trockenen Charakter noch beizubehalten. In der Tat habe ich das Gefühl, dass hier der Zuckereinsatz gerade recht kommt, denn der Wein wirkt relativ neutral, nett, ausgewogen und ganz einfach wie ein hochwertiges Massenprodukt. Bei weniger Zucker wäre das ganze Produkt zu säuerlich geworden. Ergo: Nie würde ich hierfür 35 € ausgeben, aber der Champagner ist an sich schon okay.
Der 2002er blanc zeigt sich in der Nase hefig und brotig, was natürlich typgemäß ist, wirkt dann aber im Mund überhaupt nicht sexy und irgendwie ein wenig schwerfällig für diesen guten Jahrgang. Es ist zwar mehr Substanz als bei dem “einfachen” Champagner vorhanden, aber ich weiß nicht, auf welche Klientel hier geschielt wird. Für die Labeltrinker ist er nicht fruchtig oder ansprechend genug (wobei die das ja eh nicht zugeben würden, wenn ein teurer Wein ihnen nicht schmeckt), und für wirkliche Champagnerfreunde kenne ich eine ganze Reihe von halb so teuren Winzerchampagnern, die einfach lebendiger, interessanter und strukturierter wirken. Ich würde diesem Vintage wahrscheinlich gar keinen oder höchstens einen halben Punkt mehr geben als dem einfachen Brut.
Der Rosé macht sich in der Nase nicht unattraktiv: die typische Erdbeernote, ein bisschen kräuterig, aber am Gaumen wirkt es so, als wären eine Menge Wurzeln noch mit im Spiel. Schwarzwurzeln, Rote Bete, deutliche Bitteranklänge. Die meisten Besucher aus der Gruppe mögen den Wein nicht, ganz spontan. Ich finde ihn solo auch nicht wirklich gelungen, aber ich stelle mir vor, dass er genau wegen seiner speziellen Aromatik zu Tisch vielleicht gar keine schlechte Figur abgeben würde.
Am Abschluss des Parcours werden wir in den Show und Merchandising Room entlassen. Die deutsche Führung war im übrigen, ich wiederhole mich gern, wirklich gut, ganz anders als die in schrecklichem Kauderenglisch daherkommende andere Führung, die wir kurz gekreuzt haben. Vielleicht hatten wir nur Glück und eine Absolventin aus Geisenheim statt einer Hotelfachschülerin erwischt, aber falls Ihr in nächster Zeit nach Epernay kommen solltet, sei Euch hiermit jedenfalls eine Empfehlung ausgesprochen.
Was noch? Hat sich der Besuch insgesamt gelohnt? Ja, ganz sicher. Zum einen sind die Kreidekeller wirklich faszinierend, zum anderen fand ich die Selbstdarstellung des Unternehmens auch sehr interessant. Anders als erwartet, tritt man hier zwar mit einem gewissen Chic auf, jedoch nicht überkandidelt oder gar hochnäsig. Der Traum, der hier verkauft werden soll, ist ein bürgerlicher Traum. Es ist derjenige, einen “echten Champagner” zu trinken, es sich einmal “gut gehen” zu lassen und damit vielleicht auch das Lebensgefühl eines Hollywood-Stars nachempfinden zu können. Das Unternehmen tritt weder wie ein Baron noch wie ein unnahbarer globaler Riese auf, sondern eher nach dem Motto “wir sind wie ihr, und wir geben uns viel Mühe für euch”. Dass man dabei etliche Augen zudrückt und alles, was industriell, naturfremd oder global-spekulativ anmuten könnte, einfach ausblendet, ist Teil des Konzepts. Ebenfalls interessant, bei LVMH außerhalb des Weinbereichs aber längst ein alter Hut, ist die Tendenz, dass das Merchandising, das Etablieren einer Marke über den ursprünglichen Inhalt hinaus, eine zunehmend größere Rolle einnimmt. Das Gefühl ist wichtiger als der Geschmack.
Wer in der Gegend von Reims echt integre Winzer bei der Arbeit treffen will, der sollte zu Emmanuel Brochet in Villers-aux-Noeuds gehen oder zu Raphaël Bérèche in Ludes, zu Benoît Lahaye in Bouzy oder – etwas weiter südlich – zu Pierre Larmandier in Vertus. Das sind aber keine Alternativen, sondern ganz einfach andere Kaliber.
Wer aber ohne vorherige Anmeldung in ein großes Champagnerhaus stolpert und auch noch eine interessante Führung bekommen möchte, der kann nur wählen zwischen Moët & Chandon in Epernay und Taittinger in Reims. Alle anderen verlangen entweder eine vorherige Anmeldung (die per Mail allerdings auch schnell erledigt ist) oder bieten weniger spektakuläre Einblicke. Ich kann den Besuch jedenfalls empfehlen, auch wenn ich meine Champagnerflaschen ganz woanders und von ganz anderen Erzeugern erstanden habe. Aber davon später.
Wie sehen eigentlich Eure Champagner-Vorlieben aus? Oder trinkt Ihr etwa nie einen?
Das Leben ist ohne Champagner nicht mehr zu ertragen wertester Matze. Da ich aber morgen Frühdienst habe uns jetz unbedingt ins Bett muss, werde ich mich morgen zu Deiner Frage äußeren!!!
Grüße Jens
Na, da bin ich ja gespannt!
So! Dem Champagner haftet ja immer etwas dekadentes oder luxuriöses an. Warum eigentlich?
In der Champagne liegt die Sache ganz anders. Da wird Champagner jeden Tag getrunken, auch zum Essen. Er stellt dort einfach das lokale Getränk / Wein dar und ist absolut nichts besonderes.
So ungefähr halte ich das auch.
Zum Apero, oder wenn ich Durst habe bevorzuge ich Blanc de Blanc Champagner. Zum Essen dürfen es dann reifere Blanc de Blanc oder Millesime sein. Pinot betonte Champagner trinke ich mit wenigen Ausnahmen eher selten.
Generell bevorzuge ich den Einkauf der Champagner vor Ort und auch den Einkauf beim Winzer. Die “großen Häuser” schaffen es mit Ausnahme von Roederer und Bollinger eher selten in meinen Keller, weil oft Preis und Leistung in einem krassen Mißverhältnis stehen.
Grüße Jens
So h
Deiner Einschätzung sei noch hinzugefügt, dass ich heute Abend den “einfachen” Brut von Bérèche im Glas hatte, vor Ort gekauft. Je ein Drittel Chardonnay und die beiden Pinots, relativ jung, hefig, dennoch aromatisch intensiv, ordentliche Säurestruktur – kurzum, ein Winzerchampagner, wie er im Buche steht. Zu essen gab es dazu (nein, ich schäme mich nicht) übrigens eine Tüte Kettle Chips und Sour Cream von Milram. Da greife ich regelmäßig immer die letzte Packung aus dem Regal. Entweder sind hier enorme Sour Cream-Freunde in meiner Nachbarschaft, oder man hat es bei Nordmilch tatsächlich einmal verstanden, aufs richtige Pferd zu setzen. War bei den Radfahrern ja nicht durchgängig der Fall 😉
Da muss ich Dir Recht geben! Bei mir gab es heute Döner vom Türken meines Vertrauens und dazu einen Bordeaux – Lafite 82 aus der Magnum….
…nein!!! War nen’ Scherz. es gab / gibt du Retout aus 01 (ist auch nen’ Bordeaux).
Übrigens genau richtig gemacht mit dem Champus. Wenn man Bock drauf hat einfach Korken raus und los. Was man dazu ißt, oder ob man überhaupt was ißt, ist doch völlig egal. Hauptsache ät gibbt Champus sagte meine Madame immer….
Grüße Jens
Wenn ich etwas definitiv zu wenig trinke, dann Champagner. Mir schmecken praktisch alle. Die hefigen weil sie hefig sind, die mit dem Ester-Stich wegen dem feinen Stich, die weinigen weil sie so schön weinig sind, die alten weil sie reif schmecken.
Geht mir im Prinzip genauso, jedenfalls was das wenige Trinken anbelangt. Da ich ja selten auf Veranstaltungen bin, wo Champagner gereicht wird, beschränken sich die Momente meist auf “besondere Gelegenheiten” jedwelcher Art. In der letzten Zeit habe ich das glücklicherweise ein wenig aufgeweicht und einige gute und im besten Sinne des Wortes preiswerte Winzer-Champagner probiert. Für mich geht’s demnächst wieder nach Frankreich, wie’s ausschaut, da kann ich an so etwas auch deutlich leichter rankommen als hier.
champagner von jean vesselle ist meine “hausmarke”, besonder beliebt auch bei unseren gaesten ist das “rebhuhnauge”. damit ist die frage, ob ich champagner trinke , beantwortet. ich trinke aber meist trotzdem generell lieber wein als “sprudel”. in der sommerfrische haben wir, weil beim nachbarweinhaendler so problemlos erhaeltlich, “ayala” gekauft, in allen schattierungen. muss ich nicht wieder kaufen, sehr gefaellig. meine lieblingssprudel kommen nicht aus der champagne sondern aus franciacorta: bellavista und ca del bosco.
ich freue mich sehr, wenn ich bei dir solche kellerfuehrungen miterlebe. ich habe schon lange keine echten kellerbesuche mehr gemacht.
Meine Kellerbesuche halten sich leider auch in Grenzen, was derartige Keller anbelangt. Aber Champagner muss halt wirklich lang liegen, da haben selbst die kleinen Produzenten recht imposante Räumlichkeiten zu bieten. Ich hatte übrigens kurz gezuckt bei dem Namen “Vesselle” und mir eingebildet, von ihm schon mal einen Champagner getrunken zu haben. Stimmt aber gar nicht. Einen roten Stillwein habe ich im Keller liegen, nur einer von zwei Rotweinen aus der Champagne, die ich überhaupt besitze. Der andere ist von Egly-Ouriet…
Was Franciacorta anbelangt, da besitze ich einen echten weißen Fleck auf meiner Weinlandkarte. Hier im “Norden” gibt es ohnehin meist nur Schäumer von einem einzigen Hersteller, auf dessen Namen ich gerade nicht komme. Aber ich werde zukünftig mal die Augen offen halten!
Hallo Eline!
Die Franciacorta ist für mich die einzige ernst zu nehmende Alternative für Champagner. Schade das Du Ayala nicht magst. Nach der Bollinger Übernahme ist hier einiges passiert und die Qualität wurde doch deutlich gesteigert.
Grüße Jens