Lothringen, vergessenes Weinland

Von weitem betrachtet ähnelt die Côte de Toul, etwa 30 Kilometer östlich von Nancy gelegen, verblüffend der berühmten Côte de Nuits im Burgund: kleine Weindörfer mit alten Steinhäusern, hier und dort eine Dorfkirche aus romanischer Zeit und dann – abrupt aus der Ebene aufsteigend – die nach Osten ausgerichteten Weinhänge mit ihren bewaldeten Kuppen. Tatsächlich gehörte diese Region vom Mittelalter bis hinein ins 19. Jahrhundert zu den bedeutenden Weinbauregionen: fast 50.000 Hektar standen damals in Lothringen unter Reben. Heute sind es gerade einmal 140.

Wieder einmal waren es die Römer, die den Weinbau ins Land brachten. Im Mittelalter taten sich die mittlerweile gegründeten Abteien und auch die Herzöge von Lothringen als große Landbesitzer hervor, die den Anbau von Trauben forcierten. Im 19. Jahrhundert war dann plötzlich Schluss mit der Herrlichkeit, als eine Reihe von Ereignissen Lothringen im Allgemeinen und den lothringischen Weinbau im Besonderen erfasste: Zum einen gab es natürlich auch hier die Reblaus, die die Reben verwüstete, zusätzlich mehrere Kriege, die dasselbe mit dem Land und ihrer Bevölkerung taten. Anders aber als in allen anderen französischen Weinbaugebieten kam in Lothringen noch die Industrialisierung hinzu. In den Minen und Stahlwerken ließ sich wesentlich mehr Geld verdienen, zudem waren ja die Weinberge in einem bedauernswerten Zustand. Kein Wunder also, dass es bei der jungen Generation eine erhebliche Landflucht gab. Den letzten Stoß versetzte dem lothringischen Weinbau ausgerechnet die Eisenbahn, für die die Stahlarbeiter Loks, Wagen und Schienen herstellten. Als neues und revolutionäres Transportmittel brachte sie nämlich günstigen Wein aus dem Süden Frankreichs in den Nordosten.

In den letzten Jahren ist es allerdings zu einer gewissen Wiederbelebung der lothringischen Winzerszene gekommen. Mittlerweile bauen im Tal der Mosel (AOC Moselle) wieder 22 Winzer auf 30 ha Wein an, im Tal der Maas (AOC Côtes de Toul) sind es 60 Winzer mit zusammen 110 ha Weinbergen. Dass hier noch viel mehr möglich wäre, zeigt allein die Tatsache, dass insgesamt 1.600 ha als Weinbauland klassifiziert sind. Da und dort sieht man auch alte Reben auf Blumenwiesen und zwischen Streuobstbäumen. Wer sich also mal ausprobieren möchte, bitteschön, eine hohe Pacht dürfte dafür nicht zu zahlen sein.

Obwohl ich auch Wein aus der AOC Moselle gekauft habe, unter anderem vom Château de Vaux, dessen jungen Winzer ich in Paris getroffen hatte (eine spannende Geschichte, aber darüber an anderer Stelle), geht es hier um den südlothringischen Wein. Die AOC Côtes de Toul ist deshalb in der Mehrzahl gehalten, weil es eine nördliche Côte gibt mit den beiden wichtigsten Weinbaudörfern Lucey und Bruley und eine südliche Côte mit dem treffend benannten Mont-le-Vignoble im Zentrum.

Zwar sieht es von den Geländeformen wirklich so aus wie an der burgundischen Côte d’Or, geologisch ist die Côte de Toul allerdings eher mit Chablis verwandt. Wir sind hier ganz am Rand des ehemaligen Jurameeres, und die Côte ist nichts anderes als ein stehen gebliebenes Korallenriff aus jener Zeit. Entsprechend besteht der Untergrund aus Tonen und Kalkgeröll-Ablagerungen aus dem oberen Jura, genauer dem Oxfordien (auch etwas für Fossiliensammler). Darüber befindet sich eine Schicht aus tonig-lehmiger Braunerde. Man darf sich den Boden also nicht so “kreideweiß” vorstellen wie manche Ecken im Chablis oder gar in der Champagne.

Seit langem ist der “Vin Gris” das Markenzeichen der Côtes de Toul. Es handelt sich dabei um einen sehr blassen Rosé aus roten Trauben, der eigentlich wie ein Weißwein gekeltert wird. Nur ganz kurz lagert der Most auf der Maische, so dass die zarte Farbe entstehen kann. Ein Blanc de Noirs aus der Champagne hat manchmal ähnliche rosa Reflexe, wenn der Gris de Toul auch farblich eindeutig als Rosé zu erkennen ist. Als Rebsorten sind zugelassen: Gamay (maximal 85%), Pinot Noir (minimal 10%) und dazu maximal 15% Pinot Meunier, Auxerrois und Aubin blanc. Von letzterer Rebsorte hätte ich auch gern etwas probiert, aber ich weiß nicht, ob es überhaupt einen reinsortigen Wein von dieser als rustikal geltenden Rebe gibt.

Ohnehin sind die lothringischen Weine bislang nicht als besonders edel oder hochwertig bekannt. In den bedeutenden französischen Weinführern, dem Guide Vert und dem Bettane & Desseauve, befindet sich kein einziges lothringischen Weingut, obwohl ich das Gefühl habe, dass es beim Château de Vaux bald soweit sein müsste. Nur im Guide Hachette sind Jahr für Jahr ein paar Weine gelistet, zu denen auch die beiden “Grauen” gehören, die ich schon getestet habe. Preislich bewegen wir uns hier im Bereich zwischen 4 und 7 €.

Der erste ist der Côtes de Toul Vin Gris von Michel Laroppe aus dem Jahrgang 2009. 70% Gamay, 20% Pinot Noir, 10% Auxerrois. Der Name Laroppe ist an der Côte allgegenwärtig. Im Ort Bruley gibt es mehrere Winzer dieses Namens, aber Michel und Vincent haben den mit Abstand größten Betrieb, wobei sie offenbar auch unter verschiedenen Etiketten abfüllen. Diesen Vin Gris dürftet Ihr relativ problemlos in einem der Supermärkte in der Region bekommen, wenn Ihr nicht die Gelegenheit habt, das Gut selbst zu besuchen. In der Nase ist leicht Erdbeere zu spüren, die sich dann mit einer deutlich säuerlichen Note am Gaumen fortsetzt. Nicht moussierend, dafür pflanzlich-säuerlich-erfrischend insgesamt, ein Wein für heiße Tage und kalte Platten. Die Wurstwaren aus Lothringen sind zu Recht berühmt, hier finden sie die passende Begleitung.

Der zweite Wein stammt von dem, tja, zweitwichtigsten Weingut an der Côte, nämlich den Brüdern Lelièvre aus dem Nachbarort Lucey. Auf ihr charakteristisches Etikett mit dem Hasen, der die Bütte trägt, haben sie ausgerechnet bei diesem Wein verzichtet. Dieser Vin Gris aus dem Jahrgang 2010 besteht aus 95% Gamay und 5% Pinot Noir. Er ist bewusst in eine besondere Flasche mit einem besonderen Verschluss gefüllt worden, und zwar als “version pique-nique”, wie mir der Weinhändler erklärte. Dass ein Bügelverschluss und ein trockener Wein mit 11 vol% nicht für eine lange Kellerlagerung gedacht sind, versteht sich von selbst. Der Gris hat in der Nase neben Erdbeere tatsächlich einen leichten Mirabellen-Touch zu bieten, oder bilde ich mir das ein? Am Gaumen moussiert er genauso wenig wie der Gris von Laroppe, ist also wahrhaftig still. Mir scheint er auch deutlich höher im Zucker und/oder niedriger in der Säure zu liegen als der Laroppe’sche Wein. Extrem leicht und süffig, wenig Aromen, noch viel mehr Sommerwein – und für mich dürftiger als sein Bruder davor. Möglicherweise hängt das mit dem Jahrgang zusammen, denn 2010 war auch hier regnerischer und kühler als 2009.

Alles in allem sind die Vins Gris leichte, süffige und preiswerte Tropfen. Aber es soll ein paar Ausnahmen geben. Gespannt bin ich nämlich auf den “Vin Gris Prestige” von Michel Goujot, dem einzig zertifizierten Biowinzer der Côte. Er vergärt seinen Gris spontan und baut ihn anschließend im Holzfass aus. Deshalb verlangt er auch den stolzen Preis von 8 € dafür. Über diesen und weitere lothringische Weine wie den ambitionierten (!) Müller-Thurgau (!) vom Château de Vaux werdet Ihr demnächst hier lesen können.

Kennt Ihr Weine aus Lothringen? Oder wisst gar von einem Geschäft außerhalb der Region, das diese Weine verkauft?

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8 Antworten zu Lothringen, vergessenes Weinland

  1. thvins sagt:

    Ich habe vor einigen Jahren einmal zwei, drei Winzer in Bruley besucht und würde es immer wieder gerne tun. Neben den Vin Gris haben mir grade bei Michel und Vincent Laroppe die besseren Pinot Noirs namens La Chaponière gefallen – einen 2004er in der Normal- und eine 2003er in der Magnum hab ich von dem Besuch noch liegen.

    Der andere Betrieb hieß auch Laroppe (Marcel und noch wer…), der dritte war die Domaine de la Linotte, deren Gris mir damals am Besten gefallen hatte.

    Ansonsten hab ich aus dem Cora in Toul auch immer schon mal was davon weg geschleppt.
    Zu seeligen TAW-Zeiten hab ich dort auch mal bissel mehr drüber geschrieben.

    Beste Grüße

    Torsten

    • chezmatze sagt:

      Hallo Torsten,

      ich glaube, die Domaine de la Linotte gehört auch einem Laroppe, hatte ich jedenfalls auf einem Etikett dort gelesen. Naja, sowas gibt’s bei uns ja auch mit den Clüsseraths aus Trittenheim oder den Schmitts aus Randersacker. Ob und wie eng die alle miteinander verwandt sind, vergesse ich aber immer.

      Den Cora in Toul hatte ich auch schon öfter aufgesucht. War immer ein praktisch gelegener Stopp auf dem Weg aus dem Urlaub… Soweit ich mich recht erinnere, haben die immer noch die Gris von Michel Laroppe und Vincent Gorny im Angebot.

  2. GegenSatz sagt:

    Ich finde da einen Widerspruch: im einleitenden Text heisst es, Gris de Toul dürfe zu maximal 85% aus Gamay bestehen, aber der 2011er von Lelièvre, den ich gerade trinke, hat laut Verkäufer (Cardyco in Saarbrücken) 95%. Wie passt das zusammen? Ansonsten danke für den informativen Artikel. Hoffe, ich bekomme bald mal einen der anderen Weine in die Finger bzw ins Glas.

    • chezmatze sagt:

      Das ist in der Tat seltsam. Im französischen Wikipedia heißt es, der Wein müsse aus maximal 85% Gamay und mindestens 10% Pinot Noir bestehen (so habe ich es abgeschrieben). Benoît France sagt, die gemeinsam vergorenen Gamay- und Pinot Noir-Trauben müssten mindestens 85% ausmachen, der allein vergorene Pinot Noir mindestens 10%. Ich habe den gleichen Gris von Lelièvre getrunken wie Du, 95% Gamay, so steht es auch auf der Flasche. Dann habe ich aber noch den Wein von Michel Laroppe probiert, 70% Gamay. Beide fungierten unter der AOC Côtes de Toul. Das hört sich nicht logisch an. Aber wer schon mal gesehen hat, wie die Franzosen in offiziellen Dokumenten deutsche oder englische Namen schreiben, weiß, dass sie es mit manchen Dingen nicht so hypergenau nehmen ;).

  3. Volker Krause sagt:

    Ich werde einen kleinen Wingerte anlegen und suche dafür Setzlinge bzw. Reiser der alten lothringischen Rebsorten Aubin und Wanner. Kennt jemand einen Winzer, der Aubin im Weinberg hat?

    • Matze sagt:

      Ohne jetzt auf diese konkrete Frage eine positive Antwort geben zu können, fallen mir spontan drei Möglichkeiten ein, an die Du vermutlich auch schon gedacht hast 😉: Andreas Jung, der Rebsortenforscher, vielleicht über die Rebschule Martin, dann Norbert Molozay selbst, der sich als lothringischer Profiwinzer sicher gut mit allerlei Details auskennt, und schließlich noch ein bisschen Herumfragen in den vier Orten, in denen laut Wiki noch entsprechende Reben vorhanden sind, also Bulligny, Bruley, Pagney und Rozérieulles… Viel Erfolg auf jeden Fall!

    • Ansgar sagt:

      Ist aus der Suche nach Wanner etwas geworden? Ich kenne am Kaiserstuhl einen Standort mit einer Hand voll Stöcke einer unbekannten Rebsorte. Es gibt vage Hinweise darauf, dass es sich vielleicht um Wanner handeln könnte. Aber mir fehlen Vergleichsmöglichkeiten. In der Literatur wird sie nicht mehr beschrieben.

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