Wie Ihr sicherlich schon wisst, bin ich immer wieder auf der Suche nach neuen kulinarischen Erfahrungen. Nicht dass ich das Bewährte verabscheue; einige Favoriten können auf eine jahrelange Zuneigung zurückblicken. Aber irgendwie gibt es glücklicherweise so ungeheuer viel auf der Welt zu entdecken, dass mehrere Leben dafür gar nicht ausreichen würden. Eine dieser neuen Entdeckungen habe ich einem Zufall zu verdanken. In der “Garrafeira Nacional”, der wichtigsten Weinhandlung in Lissabon, entdeckte ich einen Rotwein für 2,90 € mit einem Etikett zwischen Ina Deter und Sigue Sigue Sputnik. Hier war jemand offenbar seit Jahrzehnten der Weltentwicklung ferngeblieben. So etwas musste ich haben.
Bei dem Wein handelte es sich um den “Cavaco” von der Genossenschaft der Vulkaninsel Pico, vertrieben über die Companhia dos Açores. Nun war ich selbst noch nie auf den Azoren. Zwei Dinge fielen mir nur dazu ein, zumal das Weinetikett (außer der Alkoholangabe von 11 vol%) nichts zur Aufklärung beitrug: 1. Die Azoren liegen im Atlantik zwischen Himmel und Meer. Das Azorenhoch, das uns in Mitteleuropa glückliche Sommerstunden beschert, wird auf den Inseln zwar geboren, kehrt aber nie dorthin zurück. 2. Die Unesco hat (das hatte ich in irgendeiner Weinzeitschrift gelesen) die Insel Pico zum Weltkulturerbe der Menschheit erklärt. Wegen der Weinbaulandschaft. Aber nicht wegen der Qualität der dort erzeugten Weine. Damit ging ich ins Internet.
Dabei fand ich heraus, dass mein Wein quasi ein Überbleibsel aus der Zeit der Reblauskatastrophe ist. Nachdem die böse Laus die in der einzigartigen Kulturlandschaft von Franziskanern, Karmelitern und Jesuiten gepflegten Reben vernichtet hatte, war die Frustration groß. Nur wenige Winzer konnten sich mit dem Gedanken anfreunden, von nun an Pfropfreben zu verwenden, zumal die Insel Pico mehr und mehr ins Weltabseits rückte. Für den eigenen Bedarf wurden daher vor allem so genannte “Vinhos de Cheiro” (= “Duftweine”) aus der robusten amerikanischen Hybridrebe Isabella gekeltert. Mit dem charakteristischen Geschmack, im Fachjargon als “foxy” bezeichnet. Und das hat sich unter den etwa 250 Winzern mit ihren teilweise winzigsten Parzellen bis heute bewahrt.
Nur die EU ist darüber nicht glücklich. Als die Hybridreben Anfang der 1970er Jahre verboten wurden, war Portugal allerdings noch nicht in der damaligen EWG, genauso wenig übrigens wie Österreich. Das Verbot richtete sich auch in erster Linie gegen die im französischen Süden massenhaft angebauten Reben wie Villard Noir oder Chancellor, die dem Ruf des französischen Qualitätsweins im Wege standen. Wie die Geschichte mit dem österreichischen Uhudler gelaufen ist in ihrem ganzen Hin und Her, ist eigentlich symptomatisch. Mittlerweile darf er unter starken Beschränkungen wieder an den willigen Trinker gebracht werden. Beim “Cavaco” dürfte es ganz ähnlich sein; vielleicht ist er aber auch nur als Haustrunk zugelassen oder darf nur auf der Insel selbst verkauft werden. Jedenfalls stieß ich sowohl im Weinladen als auch später bei einer Diskussion mit zwei bekannten portugiesischen Önologen auf schiere Entrüstung: Natürlich gebe es in Portugal keinen Hybridwein, und wenn doch, dann gelange er nicht in den Handel. Tut er aber.
Im Glas sehe ich ein dunkles Rot mit ganz leicht bräunlichem Rand. Da es sich um einen Tafelwein handelt, weiß ich nicht, aus welchem Jahr die Trauben stammen. Mit Naturkork war allerdings auch diese Flasche verschlossen. Alles andere verbietet sich im Land der Korkeiche. In der Nase muss ich mir kaum Mühe geben zu erschnüffeln, weshalb der Wein “Duftwein” genannt wird: sehr süß ist der Duft, stark nach Walderdbeeren, aber auch nach Makrelen in Öl (kein Witz). Lebertran passt eigentlich noch besser. Das kann am Gaumen nur fürchterlich werden. Nun ja, es ist dann auch …interessant, aber ganz anders als erwartet: wahnsinnig Säure und Aroma an der Zungenspitze, keinerlei Freundlichkeit oder Materie, Tannin null komma null, im Abgang genauso wenig. Der Wein wirkt wie ein Biss in eine unreife Stachelbeere, nur ohne die Gerbstoffe, nein, eher nach einer Sauerkirsch-Rhabarber-Stachelbeer-Mischung, fruchtsauer, aber keinesfalls unsauber. Blind hätte ich hier übrigens nie auf Rotwein getippt, sondern auf einen äußerst rustikalen Weißen. Romorantin vielleicht, aus einem nasskalten Jahr. Nach einer Weile wirkt der Wein ungemein erfrischend, und fast schäme ich mich zuzugeben, dass er mir deshalb gar nicht mal so schlecht gefällt.
Die Bewertung ist mir selten leichter gefallen: ein mickriger Punkt für Eleganz, aber derer acht für den ungeheuren Charakter, macht 11 MP insgesamt. Dass dies ein kleiner Wein ist, geschenkt. Dass dies ein krasser Wein ist, den ich dem gewöhnlichen Weinfreund nicht empfehlen kann, auch klar. Aber wer sich gern mit dem Kopf in andere Welten denkt, wer vielleicht sogar die unzähligen Steinmäuerchen der wilden Insel vor Augen hat, der sollte einen derartigen Wein auf jeden Fall probieren. Weine von den Azoren (diesen hier nicht, aber da wären Beschwerden auch vorprogrammiert) gibt es bei Compiri im hessischen Büdingen. Das passende Essen zu so einem Roten (oder war es umgekehrt?) ist wahrscheinlich die “Alcatra”, mariniertes Rindfleisch, wobei ich nur dieses Rezept dafür gefunden habe. Im Original sind es wohl keine Kalbshaxen, sondern zerrupftes Gulasch.
Wart Ihr schon einmal auf den Azoren, gar auf dieser Insel? Und – mal ganz unter uns – ist es wirklich ein Geheimtipp, den man besser für sich behalten sollte?
Foxy – wieder was gelernt. Dabei finde ich nicht, dass Freisa oder Fragole nach Fuchs schmecken. Die sind wunderbar walderdbeerig ohne strenge, animalische Töne. Uhudler habe ich noch nie getrunken.
Geht mir genauso. Ich habe Uhudler auch noch nie getrunken, und was den animalischen Ton anbelangt, da habe ich schon so manchen Syrah oder Madiran gehabt, der viel tierlicher geschmeckt hat. Aber die Welt hat sich bei den Hybriden nun mal auf den “Fox-Ton” geeinigt… Wenn man im Netz übrigens nach “Foxton” sucht, taucht sofort Bruce Foxton auf, ehemaliger Bassist der ehemaligen “Jam”. Auch nicht schlecht und ein indirekter Hint für mich, mal wieder meine Plattensammlung anzuschauen 😉
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Cavaco ist in der Tat ein Hauswein auf den Azoren und wird dort zu jeder Malzeit getrunken. Auch am Mittagstisch der örtlichen Polizei, wie ich oft beobachten konnte. Cavaco wird hauptsächlich auf Pico angebaut. Allerdings bin ich mit der Beschreibung des Geschmacks etwas anderer Meinung. Für mich hat er schlicht den Beigeschmack von Erdbeeren. Der Most ist übrigens köstlich und auch die Beere schmeckt ebenso wunderbar. Seit 12 Jahren bin ich regelmäßig für mehrere Wochen im Jahr beruflich auf Pico und verliebe mich immer wieder in diesen Wein neu. Ich bringe mir jedes Mal einige Flaschen von dem köstlichen Stoff mit, bin aber auch jedes Mal enttäuscht, dass er hier nicht so gut schmeckt. Offensichtlich benötigt der Cavaco beim Atmen die ausgeprägte atlantische Seeluft der Azoren.
Ja, das Phänomen kenne ich auch! Allerdings deute ich das immer ein bisschen anders: Nicht der Wein braucht beim Atmen die atlantische Seeluft, sondern ich bin es 😉 . Was den Geschmack anbelangt, setz doch den Wein einfach mal Leuten vor, die es ansonsten gewohnt sind, weichen chilenischen Merlot zu trinken. Erdbeere werden die zwar auch schmecken, aber der herb-frische Anklang wird sie schütteln lassen. Alles eine Frage der Gewohnheit und des Lerneffekts. Mir schmecken diese säuerlichen Rotweine übrigens sehr, und ich vergebe mittlerweile auch keine Punkte mehr dafür, weil so ein Hauswein zum Essen gehört und nicht ins Labor der Weinbepunkter.
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