Anselmo Mendes ist einer der bekanntesten portugiesischen Önologen. Er stammt aus Monção im Minho, einer Kleinstadt an der spanischen Grenze. Mitten im Gebiet des Vinho Verde. Es überrascht daher wenig, dass sich Anselmo Mendes in seinem bisherigen önologischen Leben mit aller Kraft der dort heimischen Alvarinho-Traube gewidmet hat. Gut, der Loureiro-Traube auch. Die unter seinem eigenen Namen vermarkteten Weine gelten als die Spitze der Vinhos Verdes. Ich habe hier seine “Einstiegsqualität”, den Contacto 2009, für knapp zehn Euro getestet. Und noch einen Alvarinho von ihm, den ich zufälligerweise im Supermarkt Pingo Doce mit einem grünen Etikett gefunden habe, für vier Euro. Ist das derselbe Wein?
Vielleicht sollte ich zu Anfang noch erwähnen, dass Anselmo Mendes durch seine Verdienste um die Belebung des Vinho Verde so eine Art nationale Institution geworden ist. Nachdem er schon einmal “Önologe des Jahres” war, ist ihm vor ein paar Wochen von der Weinzeitschrift “Revista de Vinhos” auch noch der Titel “Produzent des Jahres” verliehen. Außerhalb Portugals ist er wahrscheinlich nur deshalb so unbekannt, weil Vinho Verde als süßlich-spritziges Gesöff gilt, das allerhöchstens als Terrassenschoppen etwas taugt. Anselmos “Parcela Única” aus seinem eigenen Weinberg, der hier für etwa 30 Euro verkauft wird, ist da einfach eine ganz andere Welt.
Als selbstständiger Önologe muss man allerdings auch ein bisschen darauf achten, dass die Kasse stimmt. Und so bin ich beim groben Durchzählen auf gut 20 verschiedene Güter und Unternehmen in ganz Portugal gekommen, die Anselmos Hilfe derzeit in Anspruch nehmen. Das Spektrum kam mir ehrlich gesagt sehr breit vor, auch qualitativ gesehen. Aber widmen wir uns erst einmal seinem eigenen Wein:
2009 war kein grandioses Weinjahr in Portugal, aber auch kein allzu schlechtes; Hitze und Regen fanden im September fast gleichzeitig statt. Eben ein bisschen herausfordernd für Winzer wie für Önologen. Die Farbe des Weins kündet von diesem Ringen nicht, wie auch? Ich habe ein blasses Gelb vor mir mit leicht grünlichen Reflexen, sehr typisch also für einen Vinho Verde. In der Nase wirkt der Contacto säuerlich, grasig, eindeutig Basilikum, dazu ein blütig-buschiges Element wie von einem Weißdorn-Strauch. Am Gaumen bin ich dagegen nicht wirklich überzeugt. Die kräftige Säure muss im Vinho Verde sein, die blumige Note mag meinetwegen auch bleiben. Aber insgesamt ist der Wein eher ausdrucksschwach, er wirkt, als seien irgendwelche unpassenden Hefen für die Gärung verwendet worden. Ein Anflug von Golden Delicious betrübt meine Geschmackspapillen. Anselmo, ihr beide, der Alavarinho und du, ihr könnt doch eigentlich viel mehr. Meine Punkte: 5 für Eleganz (denn ganz daneben war der Wein natürlich nicht), 4 für Charakter, macht 12,5 MP insgesamt. Wie gesagt, nichts Katastrophales, aber meine Erwartungshaltung war doch etwas höher.
Das kann man vom Vergleichsprodukt nicht behaupten. Die Supermarktkette Pingo Doce, bei der es eine ziemlich breite Palette genossenschaftlicher Weine gibt, besitzt auch eine Eigenmarke. Unter ihr werden sorten- oder regionstypische Weine zum kleinen Preis von etwa 3 € angeboten. Der Alvarinho aus dem Norden ist da mit 3,98 € schon die preisliche Spitze. Normalerweise hätte ich diesen Wein nicht gewählt, aber ich hatte vorher im Fachgeschäft gerade den Contacto erworben. Und da prangt doch ganz dick auf diesem Pingo-Doce-Etikett “Enólogo: Anselmo Mendes”. Wer der Hersteller ist, darüber schweigt sich das Etikett aus, aber bei 13 vol% ist dies ein Vinho Verde der kräftigen Art. Vielleicht gar der anders etikettierte “große” Wein von Anselmo?
Zunächst muss ich zugeben, dass ein echter Vergleich nicht stattfinden kann, denn der Pingo-Doce-Wein ist von 2010 und nicht von 2009, einem auch in Portugal etwas kompliziertem Jahrgang. In der Farbe kann ich zunächst keinen Unterschied zwischen den beiden Anselmo-Weinen erkennen: blassgelb die Farbe auch hier, fast rieslinghaft. Die Nase ist dann schon ganz anders als beim Contacto, also definitiv nicht nur ein anderes Etikett. Viel grüner Apfel strömt mir da entgegen, helle Zitrusfrüchte und eine gewisse Mineralität. Der Contacto war sicher ein wenig ausdrucksstärker, aber der Pingo macht bislang auch keine schlechte Figur. Am Gaumen dann aber gleich zu Anfang dasselbe Dilemma: diese bescheuerte Aromahefe oder was das auch immer ist. Kurze Säure, vom Fruchtspektrum her Zitrone, ein bisschen Melone, dann ein gewisser Bitterton, aber auch zunehmende Cremigkeit. Klar, bei 13 vol% ist das kein gehaltarmer Wein, aber trotzdem wirkt er ziemlich getrimmt und nicht gerade lässig.
Was ich allerdings bei beiden Weinen von Anselmo Mendes ganz klar positiv herausheben muss: Hier gibt es keine zugesetzte Kohlensäure, keine miese Süßreserve, das sind beides ernst zu nehmende Weine. Nur halt technisch bereitet. Beim Traubenproduzenten für diesen Wein tippe ich auf eine der soliden lokalen Genossenschaften. Meine Punkte also: 4 für Eleganz, 4 für Charakter, macht 11,5 MP insgesamt. Für den Preis von weniger als 4 € ist das ein sehr annehmbarer Wein. Aber ehrlich gesagt, das Leben ist zu kurz, um hauptsächlich annehmbare Weine zu trinken.
Nein, konkreter formuliert: Mein Leben ist zu kurz, um Weine mit unterdurchschnittlichen Charakterpunkten zu trinken. Das ist keine Frage des Preises, sondern eine Frage der Haltung.
Edit: Ich habe noch mal darüber nachgedacht, ob ich nicht doch zu undankbar mit den Weinen umgegangen bin. Martins hat dem “Contacto” 17 Punkte gegeben. Aber ehrlich gesagt habe ich schon so viele Gutsrieslinge und kleine Chenins getrunken, die mir weitaus besser gefallen haben, dass ich bei meinem Urteil bleibe.
Ich habe bei Urlauben in Nordportugal sagenhaft gute Vinho Verde getrunken – alle von lokalen, unbekannten Winzern oder etikettenlose Hausweine von Casas Nobres, in denen wir zu Gast waren. Beeindruckt haben mich beim Laufen und Wandern auch die wilden Rebstöcke, die wie Lianen auf Bäume hinauf wucherten. Und restlos begeistert war ich vom seltenen roten Vinho Verde – wie ein guter Lambrusco und genau so schwer zu kriegen. Wenn du noch länger aus Portugal berichtest, kriege ich Sehnsucht nach diesem Land!
Ja, ich muss auch zugeben, dass ich ziemlich begeistert bin, wenn mir auch zu größeren Ausflügen ein wenig die Zeit fehlt. Leider bin ich nur noch eine gute Woche hier, und ich habe noch so viel vor! Weintechnisch habe ich eh nicht das Gefühl, auch nur annähernd “durchzukommen”. Portugal hat etwas ungeheuer Refugienhaftes an sich, und ständig entdecke ich hier Sachen, die sich erhalten haben aus vergangenen Zeiten. Interessanterweise (aber vielleicht ist das ein allgemeines Prinzip) gehören die Weine, mit denen Portugal international versucht zu reüssieren, nur selten in diese Kategorie. Vielleicht deutet man Charakter als Rückständigkeit, und diesen Eindruck will man mit aller Kraft verhindern. Mein “Hauswein” hier ist nämlich auch ein roter Vinho Verde von robuster Süffigkeit. Dem werde ich natürlich ebenso einen kleinen Artikel widmen.