Weine aus den Savoyer Alpen, also der Gegend südlich des Genfer Sees, sind außerhalb Frankreichs relativ unbekannt. Ich untertreibe. Sie sind völlig unbekannt. Die Franzosen kennen sie hingegen vor allem aus dem winterlichen Skiurlaub, leider aber als helle und dünne Plörre. Bevorzugt zu Raclette oder Fondue gereicht, scheinen die meisten der vor Ort ausgeschenkten Produkte eine derart bedauerliche Qualität aufzuweisen, dass ihre Expansion bereits bei Kilometer Null erfolgreich gestoppt wurde. Heute sollte der Gegenbeweis angetreten werden: Weine aus Savoyen sind gut, sind einzigartig, sind eine Empfehlung wert. Wie ist das Ganze ausgegangen?
Wer diesen Blog schon länger verfolgt, wird sich über den Ort der Probe nicht wundern: den Cave des Oblats in Liège/Luik/Lüttich. Weshalb sich so wenige von Deutschland aus auf den Weg zu einem samstäglichen Bummel nach Lüttich machen, ist mir ein absolutes Rätsel. Genau 63 Minuten Zugfahrt von Köln entfernt, befindet sich hier der letzte Außenposten französischer Lebensart. Es gibt nordöstlich von Lüttich keinen besseren Chocolatier, keinen besseren Käser, keinen besseren Bierladen und keinen verrückteren Bahnhof. Den Beweis werde ich demnächst mit einem Feature über die kulinarische Einkaufsstadt Lüttich antreten. Diesmal sind meine Fotos leider so schlecht geworden, dass ich mich schäme, dieses verhuschte Geknipse zu veröffentlichen.
Zurück aber zur Weinprobe. Zur Auswahl standen insgesamt sieben verschiedene Weine, fünf weiße und zwei rote. Alle stammten aus lokalen Rebsorten. Ab wann man von „autochthonen Rebsorten“ sprechen kann und mit welcher Intention man das entweder tun oder besser lassen sollte, das treibt mich gedanklich um. Leider habe ich bislang noch nicht die Zeit gefunden, so gut darüber nachzudenken, dass ich es auch in schriftliche Worte fassen könnte. Jedenfalls merkt man den savoyardischen Rebsorten die große Vergangenheit der Region an, denn die weiße Rebsorte Altesse soll angeblich von den Kreuzfahrern aus Zypern mitgebracht worden, die rote Rebsorte Mondeuse hingegen bereits zur Römerzeit hier gewesen sein. Die Böden Savoyens bestehen alle mehr oder weniger aus Kalk, was bei den Alpen ja nicht weiter verwunderlich ist. Alle heute angebotenen Weine waren preislich erschwinglich, und zwar zwischen sechs und sechzehn Euro.
Domaine Brun Savoie Abymes 2009, ein Wein aus 100% Jaquère für 6,60 €: Jacquère ist so ein bisschen die Brot-und-Butter-Traube der savoyardischen Winzer, eine Art Müller-Thurgau, wenn man so will. Dieser Wein ist weißblütig, frühlingshaft, aber mit einer knackigen Säure ausgestattet. Optimal zu Spargel, sagt der Weinhändler. 13 MP
Domaine Pascal & Annick Quenard Savoie Chignin Vieilles Vignes 2009, ein Weißwein aus 100% Jacquère für 9,50 €: dieselbe Traube, aber von allem mehr als der Vorgänger. Erst einmal mehr Säure, was überrascht, dann aber auch deutlich mehr Volumen. Schön ausgewogen, zu diesem Preis ein echter Kauftipp. 15 MP
Domaine St-Germain Roussette de Savoie 2009, ein Weißwein aus 100% Altesse für 11,50 €: Altesse kannte ich bislang nur als deutlich parfümierte und wenig ausdrucksstarke Sorte. Vor allem die Säure war mir meist zu niedrig, diesmal aber nicht. Blüten und Honig, grüne Walnuss, feine Säure, passt zu Flussfisch oder weißem Fleisch. 14 MP
Domaine Pascal & Annick Quenard Chignin Bergeron 2009 „Sous les Amandiers“, ein Weißwein aus 100% Roussanne für 13,60 €: Der Chignin Bergeron ist sozusagen der Grand Cru der Gegend. Die Roussanne-Traube kennt man eher von der Nordrhône, wo sie für gehaltvolle, aber spröde Weine verantwortlich ist. In Savoyen kommt, vielleicht durch die höhere Lage bedingt, noch ein Touch mehr Frische dazu. Das Fazit gleich mal vorweg: Dieser Wein ist richtig gut. Zunächst kommen wieder blütige, kräuterige Noten, dann aber eine faszinierend rauchige Mineralität, viel Würze, viel Gehalt. Ein Wein, der jetzt schon getrunken werden kann, das Einkellern aber sicher belohnt. 16,5 MP
Domaine Pascal & Annick Quenard Chignin Bergeron 2006 „Sous les Amandiers“, ein Weißwein aus 100% Roussanne, nur zum Vergleich: Verblüffend, wie sich ein paar Jahre Lagerung und ein gänzlich anderer Jahrgangscharakter auswirken können. Okay, nichts was man nicht wüsste, aber es ist trotzdem interessant, das wieder einmal direkt vorgeführt zu bekommen. Dieser Wein ist aromatische Exotik pur. Mango, viel Litschi, auch Ananas. Die Rauchnote ist noch ganz leicht spürbar, der Wein aber ansonsten völlig anders, fruchtiger, milder, schwächer nach meinem Dafürhalten. 14,5 MP
Domaine St-Germain Savoie 2009 „La Pied de la Barme“, ein Rotwein aus 100% Mondeuse für 12,90 €: Bei der Mondeuse-Traube scheiden sich die Geister der Fans und Gegner. Sie gilt als herb, krautig, sauer, andererseits auch als raffiniert, pfefferig und langlebig. Dieser Wein ist – nun ja, ein 2009er – sehr frisch, sehr knackig. Er strömt ein starkes Veilchen-Aroma aus wie ein schlanker Syrah, coolest climate, aber ausgereift. Die Tannine sind selbstverständlich präsent, der Wein streng, aber gut. 15 MP
Domaine des Fils de Charles Trosset Savoie 2009 „Prestige des Arpents“, ein Rotwein aus 100% Mondeuse für 16,80 €: Schon in der Nase zeigt sich der Wein ausladender, würziger und nicht so strikt wie sein Vorgänger. Viele Gewürze, Wacholderbeeren, auch herbe Cassis-Blätter. Am Gaumen setzt sich der Eindruck unmittelbar fort. Ein wenig gewürziger, voller und milder als der Rote davor, aber immer noch weit von einer Gefälligkeit entfernt. 15,5 MP
Kleines Fazit der Veranstaltung: Dass Lüttich immer eine Reise wert ist, brauche ich nicht extra zu betonen. Weintechnisch hat mich die Probe auch überzeugt: sehr pure Weine, ungemein ehrlich, schlank und geradeaus. Natürlich muss man diesen Stil mögen, der denkbar weit von den fetten Monstern aus südlicher Sonne entfernt ist. Aber erstens handelte es sich nicht um dünne und unreife, sondern um bewusst strikte Weine. Und zweitens rückt die Cool-Climate-Geschichte bei fortgeschritteneren Weinliebhabern ja immer mehr in den Fokus.
Auf die Lüttich-Tips freue ich mich – und verspreche, das Frühjahr für einen kurzen Trip zu nutzen.
Was die Savoyer Weine betrifft, so haben wirim letzten Jahr selbst eine Probe organisiert. Ich fand die Weine – von ein, zwei Ausnahmen absehen (Notizen gerade nicht zur Hand) – eher gewöhnungsbedürftig, um das mal vorsichtig auszudrücken. Aber es kann gut sein, dass feinere “cool climate”-Weine in einem Format wie dieser Probenrunde eh schlechte Karten haben.
Ich hab schon bei “Euch” vorher auf der Website geschaut, nachdem ich irgendwie erfahren hatte, dass Ihr da regelmäßige Proben abhaltet. Leider ist von der Savoyen-Probe nichts überliefert, der Protokollant scheint sich wohl geweigert zu haben 😉
Die Weine vorgestern fand ich gar nicht so stark gewöhnungsbedürftig. Aber Roger Michel, der Weinhändler, meinte auch, dass viele Leute diese teils sehr puristische, strenge und gelegentlich etwas wilde Aromatik (war diesmal aber kein Vertreter des wilden Stils dabei) oft nicht wirklich mögen. Große Savoyen-Erfahrung habe ich aber auch nicht; vor dieser Probe hatte ich gerade mal 14 savoyardische Weine getestet (laut meiner kleinen Excel-Liste), und die meisten waren eher medioker.
Hallo Matze!
Auf die Liegé Tips freue ich mich auch schon. Ich glaub’ durch keine Stadt bin ich öfter durchgefahren ohne jemals angehalten zu haben…..
grüße jens
Schön ist’s auch, wenn der Deutsche Schaffner (oder wie das heißt) durchgibt: “Nächster Halt, LIEGE.” (Also wie in Strand-Liege).
Diese Erfahrung hab’ ich auch schon mal gemacht. Am HBF Köln wurde angesagt das Zug Nr. soundso aus Liege (Strandliege gesprochen) 5 Minuten Verspätung hat. Musste damals auch schmunzeln…
Pingback: Natürlicher Dienstag #30 - roterfaden Riesling - Chez MatzeChez Matze