Über den Jahrgang 2010 ist schon viel Böses geschrieben worden. Das geflügelte Wort vom „Arschjahr“ machte die Runde, und der Captain ist für die Verwendung dieser Wortkreation ordentlich durchgewalkt worden. Teilweise zu Unrecht, wie ich meine, denn es scheint nicht nur gelegentlich die Prämisse zu herrschen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Teilweise aber auch zu Recht, denn die Weinwelt besteht nun einmal nicht nur aus Schwarz und Weiß.
Dass der Jahrgang schwierig war, wird niemand bestreiten wollen. Verrieselt, verschimmelt, versäuert, das sind die Schlagworte. Das Verrieseln sorgte dabei schon von Anfang an für eine potenziell geringe Erntemenge. Dem Verschimmeln konnte entweder mit extremer Selektivauslese der Beeren im August begegnet werden – oder mit jeder Menge Chemie. Gegen die Säure war nicht wirklich ein Kraut gewachsen. Also konnte man entweder mit sehr guten Nerven warten, bis die Zuckerwerte auch entsprechend waren und dann sehr spannende Weine keltern – oder gnadenlos entsäuern. Mit anderen Worten: Diejenigen, die – positiv ausgedrückt – behandelt oder – negativ ausgedrückt – getrickst haben, werden saubere aber flache Weine präsentieren. Diejenigen, die große Risiken eingegangen sind, werden derartige Unberechenbarkeiten auf den Markt bringen, dass ich mich jetzt schon darauf freue.
Das Weingut Juliusspital ist für risikoreiche Experimente zumindest in jüngerer Vergangenheit nicht unbedingt bekannt gewesen. Dafür besitzen die Würzburger jede Menge erstklassiger Lagen in Franken. Die sicherlich bekannteste davon ist der Würzburger Stein, direkt oberhalb des Hauptbahnhofs gelegen. Lustigerweise kann ich gerade in dem Moment, da ich diese Zeilen tippe, aus dem Zugfenster den Würzburger Stein sehen. Früher dachte man, der Ruß aus den Dampfloks sei für den dezent rauchigen Ton der Stein-Weine verantwortlich. Aber da wir ja seit ein paar Jährchen mit Strom fahren, der Stein aber immer noch diese rauchig-würzigen Nuancen ausströmt, muss es wohl doch an der Beschaffenheit des Bodens liegen. Der trockene Silvaner Kabinett aus dieser Lage gehört in dieser Kombination jedenfalls zu den großen Klassikern. Für mich gibt es ohnehin kaum bessere Speisenbegleiter als die fränkischen Silvaner.
Im Glas ist der Wein ziemlich blass, um nicht zu sagen sehr blass. Das hatte ich allerdings auch nicht anders erwartet. Die Nase erreichen leicht parfümierte Noten, etwas muskatig, fast eher in Richtung Müller-Thurgau. Ansonsten ist eine feine Säureanmutung wahrnehmbar. Der Wein riecht resch und knackig, deutliche Hefenoten sind nicht zu spüren. Am Gaumen moussiert der Silvaner leicht, auch das ist bei einem jungen und frischen Wein durchaus nach meinem Gusto. Die Aromen sind allerdings etwas anders als gewohnt: keine Birne, keine Quitte, kein Rauch. Statt dessen Marzipan und irgendwie Golden Delicious, also ein leicht parfümierter, knackiger aber flacher Apfel. Die Säure ist nicht wirklich streng, aber wie gesagt, die Önologie… Was mir an dem Wein fehlt, ist dann genau das, was ich befürchtet hatte: Er hat wenig Würze, wenig Gehalt, wenig Charakter. Dafür ist es ein tiptop sauberer Tischwein, der sich zu allerlei Speisen sehr gut machen wird. Ist ja bald wieder Spargelzeit.
Meine Punkte sind entsprechend: 5 für Eleganz, 3 für Charakter, macht 11 MP insgesamt. Da bleibt noch jede Menge Luft nach oben, aber schief gegangen ist auch nichts. Außer bei der Menge vielleicht. Der Preis von 12,99 €, den ich dafür bei Karstadt gezahlt habe, ist für einen leichten Kabinett schon nicht von Pappe. Okay, wer kauft schon im Kaufhaus, wenn der Wein auch beim Weingut oder bei einem Fachhändler zu haben ist? Reine Bequemlichkeit, muss ich zugeben. Aber für mich ist das schon einmal ein guter Anhaltspunkt, in welche Richtung es geschmacklich und preislich in diesem Jahr gehen könnte. Wahrscheinlich werde ich erst einmal warten, bis die richtig spannenden Weine auf den Markt gekommen sind.
Und hier sieht man es genau
http://www.weinlagen-info.de/?lage_id=1574
Das mit dem Rauch finde ich ziemlich lustig. Bei dieser Lagenverkostung aus dem Würzburger Stein erzählte ein älterer Herr auch eine Geschichte mit dem Dampf der alten Loks. http://weinverkostungen.de/steinwein-lagenverkostung-wuerzburger-stein/ Die drei Weingutsverwalter fanden das eher abenteuerlich. Was den 2010er betrifft, so habe ich noch kein qualitatives Urteil und finde es auch etwas früh dafür. Man wird spätestens im Herbst nach der Verkostung der Großen Gewächse das genauer beurteilen können. So einhellig wird das Urteil aus meiner Sicht nicht ausfallen. Mosel und Baden können deutlich abweichen.
Was den Preis betrifft, so gab es mit 2010 erstmals schon Erhöhungen (nach ungefähr zwei Jahren Stillstand). Das hängt überhaupt nicht mit der Qualität zusammen. Was sollen Weingüter denn auch machen, wenn sie kaum Wein zum verkaufen haben? Der 2009er ist schon weg und 2010 gibts wenig deutschen Wein (vorallem in der Pfalz und im Rheingau ist das dramatisch wenig). Und die fixen Kosten laufen weiter. Finanziell eng wird es bestimmt für kaum jemanden. So waren die drei Jahrgänge zuvor sehr erfolgreich (zumindest wenn man nicht Export-abhängig war).
Viele Grüße
Thomas
Hallo Thomas,
tja, mit der Dampflok-Geschichte beim Stein weiß ich auch nicht so recht, ob es sich nicht um eine sich selbst perpetuierende Geschichte handelt. Liest man jedenfalls immer mal wieder.
Ich denke auch, dass man die Ergebnisse des Jahrgangs nicht in Gänze so früh beurteilen kann und bin genauso gespannt auf die GG. Dennoch waren die Bedingungen extrem schwierig, und das wird auch niemand bestreiten wollen. Wenn Reinhard Löwenstein die geringste Ernte seit Menschengedenken eingefahren hat, ist das schon bezeichnend. Das erklärt dann natürlich auch die Preissteigerungen, die ich bei qualitativ hochwertigen und entsprechend gepflegten Weinen auch nachvollziehen kann (wie gesagt, auf HL bin ich auch sehr gespannt).
Eine pauschale Preiserhöhung bei den 2010ern halte ich aus Marketinggründen allerdings für kontraproduktiv. Es sei denn, alle Weinkritiker drehen sich um 180 Grad und loben den Jahrgang jetzt doch mit Verspätung in den Himmel. Aber das möge bitte nicht geschehen, sonst verlieren sie auch noch den letzten Fitzel Glaubwürdigkeit.
Hi Matze,
Preiserhöhungen sind nie schön. Vorallem, wenn die Weine dem dann nicht mehr entsprechen. Aber was sollen die Weingüter machen? Manche haben nur 30% der Menge der vergangenen Jahren. Bei den jungen und einfacheren Weinen hat man dann normalerweise einen Vermarktungszeitraum von max. 18 Monaten. D.h. wenn man nichts am Preis macht (oder bestimmte Vertriebswege ganz einstellt), ist man nach 6 Monaten mit leerem Keller. Das Juliusspital scheint ja auch schon 2009 früh verkauft zu haben.
Dann sind da noch die Mindereinnahmen durch die geringere Menge. Und die Seite der Fachhändler sollte man auch sehen. Ich bin mal gespannt wie die Regale mit deutschem Wein in 8 Monaten aussehen werden. Spannend wird auch, wie früh dann bei einigen Weingütern 2011 vermarktet wird.
Viele Grüße
Thomas
Habe heute zufällig in meinem Weinkeller eine Flasche 2010er Silvaner Julius Echter Berg vom Juliusspital gefunden. Bis auf einen leichten Alterston war er durchaus noch trinkbar.