So, liebe Freunde der Mainstream-Unterhaltung, für Euch ist das hier nix. Ich habe ernsthaft überlegt, ob ich mich mit diesem Post besser auf einem Anglerforum platzieren sollte. Aber ein bisschen Freakshow schadet ja auch an dieser Stelle nicht. Dazu passt hervorragend der Song “Fish” von Mr. Scruff, einem ganz ähnlichen Freak. Die Briten halt. Ihr werdet im Folgenden also die (innerstädtischen) Fischmärkte von Istanbul kennen lernen. Dazu gibt es eine Reihe von Fotos mit Erläuterungen, die die im Bosporus gefangenen Fische zeigen. Wenn dies hier ein erfolgreicher Artikel wird, dann fress ich einen Besen. Unter Zeugen.
Karaköy. Der Fischmarkt direkt am Wasser. Wer hier auf die Fährschiffe von Europa nach Asien steigt, kann alles haben: frische Fische am Feierabend zum Minipreis, ein Fischbrot auf die Hand oder auch gebrutzelte Kleinfische im rückwärtigen Anbau der Fischbuden. Kann im Winter nie wirklich touristisch werden.
Beyoğlu. In der Sahne Sokak landen die feinsten Fische von Istanbul. Hier in unmittelbarer Nähe der jeden Tag von mehreren hunderttausend Menschen durchlaufenen Istiklal Caddesi und nur wenige Schritte von den modernen Nightspots entfernt, hier sind die Fische mit Abstand am teuersten. Dafür wird alles geboten.
Kadıköy. Der gar nicht mehr so geheime Geheimtipp auf der asiatischen Seite. Bequem mit der Fähre zu erreichen, gibt es hier fast alles im Kleinen, was Istanbul so ausmacht. Außer historischen Gebäuden. Rapper Ceza (ja, der von “Crossing the Bridge”) stammt von hier. Alternative Szene, viele Bierbars.
Üsküdar. Mercan Dede stammt von hier. Ein wenig glamouröser Stadtteil auf der asiatischen Seite, aber noch sehr bezahlbar, auch direkt am Wasser. Üsküdar ist so, wie Kadıköy einmal war, bevor es so wurde, wie Beyoğlu einmal war. Nachvollziehbar? Ein Geheimtipp für alle, die lieber Tee als Bier in Istanbul trinken.
Jetzt aber zu den Fischen. Und weil es sich anbietet, werde ich das einfach alphabetisch angehen:
Ein Fisch, der für mich geschmacklich zum absolut Besten gehört, was aus den Meeren geholt wird. In Istanbul wird häufig die Variante aus dem Schwarzen Meer angeboten. Frittieren.
Ich sprach im ersten Teil ja schon von der Liebe der Türken zu ihrem Lüfer, dem Blaufisch. Weil die großen Exemplare davon derzeit im Mittelmeer weilen, gibt es hier die kleine Form.
Laut Fischbuch heißt es eigentlich “Çipura”, aber wir sind da nicht so. Anders als die elend billigen und gezüchteten Doraden, die man anderswo bekommt, sind diese aus dem Meer (= Deniz).
Relativ selten und relativ teuer. An den kleinen Bratständen werdet Ihr den Fisch nicht essen können, nur im Restaurant. Im Türkischen heißen übrigens alle Seezungenähnlichen “Dil”.
Mittlerweile einer der begehrtesten Mittelmeerianer, vor allem wegen seines festen und weißen Fleisches. “Fener” heißt übrigens “Laterne”, weil er einen wackelnden Fortsatz auf der Nase besitzt.
Wer schon mal in Griechenland war, kennt vielleicht Atherina, auch als Silverside bezeichnet. Dies ist der kleinste Fisch, der angeboten wird, saftig und mit kaum spürbaren Gräten.
Der Nationalfisch. Es gibt wunderschöne Fischergedichte auf den Hamsi und seine schwarmweisen Züge vom Schwarzen Meer durch den Bosporus. Dann ist hier der Teufel los. Müsst Ihr essen.
Der Populus-Fisch, nicht verehrt aber verzehrt. Der Istavrit ist gerade knapp zu groß, um ihn frittiert ganz hinterzuschlucken und zu klein, um ihn zu filettieren. Dafür sehr oft geangelt zu haben.
Kalkan = Schwarzmeer-Steinbutt
Das ist der Fisch der Sultane. Jetzt ist die beste Zeit, ihn zu genießen, aber leider hat er auch seinen Preis. Die Warzen auf der Unterseite sehen bäh aus, aber gut gebraten sind sie herrlich.
Wenn er klein ist, wirft man ihn in eine Fischsuppe, die der Bouillabaisse sehr ähnelt. In größerer Form kommt das feine Fleisch noch besser zur Geltung. Nicht sehr häufig zur Zeit.
Ein großer, ungeschlachter und noch dazu ziemlich teurer Geselle. Wer sich einen Lagos leistet, trinkt dazu keinen türkischen Wein. Eher an der südtürkischen Küste in Richtung Zypern zu finden.
Wird praktisch an jedem Fischstand angeboten, aber das liegt weniger daran, dass man ihn – wie auch die Dorade – inzwischen züchten kann. Die Angler holen derzeit viele aus dem Bosporus.
Ein zweifelhafter Fisch. Knochig am Kopf, mantschig am Körper, verlangt er nach einer gekonnten Zubereitung, damit das nicht eine allgemeine Fischbrei-Pfanne wird. Gern mit Rührei serviert.
Ein schmackhafter Fisch, der ab jetzt zunehmend weniger zu fangen ist. Wird deshalb gern als solcher bezeichnet, obwohl es sich um eine gewöhnliche Makrele handelt.
Glattbutt ist die korrekte Bezeichnung, aber wie mir versichert wurde, wird “Pisi” auch gern für alle möglichen anderen Plattfische verwendet. Gibt’s auch meist nur in Beyoğlu.
Sarı Kanat = mittlerer Blaufisch
“Sarı Kanat” bedeutet “Gelbflosse”. Wieder eine Variante des so geliebten Blaufischs. Mir schmeckt er auch sehr, besonders auf dem Holzkohlengrill zubereitet, aber das ist hier zum Glück Usus.
Natürlich gehört der Karpfen überhaupt nicht in diesen Beitrag. Alles andere als ein Bosporus-Fisch, wird der Karpfen seit ein paar Tagen verstärkt angeboten. Aus den kalten Seen Anatoliens.
Irgendwie fatal: Der norwegische Lachs (Norveç Somon) wird zu einem deutlich höheren Preis angeboten als sein kleinerer Bruder aus dem Schwarzen Meer. Hab ihn trotzdem noch nicht gegessen.
Tekir wird gern als Barbunya bezeichnet, aber nie umgekehrt, denn “Tekir” gilt nur für kleine Fische. Ganz ähnlich ist es in Griechenland mit “Barboúni” und “Koutsoumoúra”. Brüder.
Die Makrele ist an diesem Stand fast ausgegangen. Ein lausiges Foto, dabei gibt es genug Makrelen hier. Die meisten enden aber als Einlage im Balık Ekmek, dem beliebten Fischbrot.
Mit Z, also der letzte Fisch. Und jawohl, den kann man auch in der Ostsee angeln. Hier kommt er erst ab jetzt in Küstennähe, deshalb ist er noch selten zu finden auf den Fischmärkten. Mir gefällt er.
Wer bis hierhin durchgehalten hat, kann sich eine Fischmedaille umhängen lassen. Einen Tipp noch für all diejenigen, die tatsächlich mit dem Gedanken spielen, a) nach Istanbul zu kommen und b) hier Fisch zu kaufen. “Deniz” heißt “Meer”, was bedeutet, dass der Fisch im Meer gefangen wurde und nicht etwa aus einer Zucht stammt. “Karadeniz” heißt “Schwarzes Meer”, was in dieser Jahreszeit eigentlich nur Gutes bedeuten kann. Das absolute Zauberwort aber heißt “Olta”, was “Angel” oder eben geangelt bedeutet. Nicht wenige Fische werden hier nämlich noch per Hand aus dem Bosporus gezogen und sofort an den nächsten Fischstand verkauft. Der informelle Sektor ist riesig in Istanbul, und ein geangelter Fisch wird in aller Regel kaum teurer. Meist handelt es sich um Hamsi oder Istavrit, aber wie gesagt, Levrek und Uskumru sieht man ebenfalls oft.
Ich will nach Stambuuul!
Größte Überraschung: Karpfen!
Wieso gelten die Fische aus dem Schwarzen Meer als besser? Besser als aus dem Marmarameer oder dem Mittelmeeer?
Toll hier, gell? Nur halt keine großen Weinlagen 😉
Das Schwarze Meer gilt natürlich nicht als besser als die anderen lokalen Meere. Vielleicht ein bisschen aus emotionalen Gründen, weil viele Binnenmigranten aus der Schwarzmeerregion hier in Istanbul sind, die den Fisch über alle Maßen verehren. Daher kommen auch die meisten Gedichte. Nein, ich denke, es liegt daran, dass “Deniz” einfach “Meer” heißt, und das im Zweifelsfall auch Nordatlantik bedeuten könnte. “Karadeniz” ist halt entsprechend näher. Fische aus dem Marmarameer oder dem Bosporus sind wegen fehlender professioneller Fischerei wahrscheinlich meist als “olta” zu haben. Die Beschriftung “Marmara Denizi” habe ich jedenfalls noch nicht gefunden.
…Wenn dies hier ein erfolgreicher Artikel wird, dann fress ich einen Besen. Unter Zeugen.
Hihi. Und sei es auch nur, um Dich Besen essen zu lassen:
Neues aus Blogrollistan…
Also Matze Fischmedaille und Besen zum Fressen mitbringen…
Ich habe nicht nur bis zum Schluß gelesen, sondern mir jedes Foto vergrößert angeschaut – und als Lucy, unsere Miez mitbekam, dass es um Fisch geht, sprang sie mir auf den Schoß und hat begeistert mitgeguckt… Bis zum Schluß.
Jetzt haben wir beide Hunger. Mal gucken, ob noch ´ne Fischbüchse im Kühlschrank ist… Lieber wär mir ja, einen dieser Fischmärkte ums Eck zu wissen…
Hallo Torsten, ja, ich seh’s auch schon kommen! Die Fischmärkte sind übrigens auch in jedem einschlägigen Katz Guide als Haupt-Sehenswürdigkeit verzeichnet; die Hagia Sophia wird da nur zum Unterstellen bei Regen erwähnt…
Hagere Sophia,
da stell weder ich mich noch meine Katze bei Regen unter…
Wird doch wohl ´ne Markthalle geben, in die es nicht reinregnet…
Ich dachte, das könnte dies interessieren:
http://tinyurl.com/3s58ay3
Das interessiert mich in der Tat, vielen Dank für den Link!
Und bedrückend, dass es anscheinend so ist wie fast überall: Wenn nicht ausdrücklich eine Herkunft aufgeführt ist, muss man davon ausgehen, dass es sich nicht um ein lokales Produkt handelt. Wobei natürlich auch die Herkunftsangaben auf Treu und Glauben beruhen. Bei den Fischständen auf dem Markt und den angeschlossenen Restaurants und Essbuden dürfte das noch so sein. Bei den Balik-Ekmek-Booten steht allerdings nichts. Und die Massen, die da täglich umgesetzt werden, ähneln halt denen einer sehr gut laufenden Burger-Filiale.
Dass kleinere und mittlere Fische im (sichtbar stark verschmutzten) Bosporus überhaupt noch geangelt werden, mag da fast wie ein Wunder anmuten. Wenn man sieht, wie schnell die Fische rausgezogen werden, kann man’s gar nicht glauben, dass es einen Fischmangel geben soll. Aber Millionen zu versorgen ist halt doch etwas anderes als ein paar Familien.
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Ich liebe die fichmarkte in Istanbul
bin deutscher aber daß ist meine zweite Heimat
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