Nun zu Teil zwei der großen Frage aus der Überschrift. Während ich mich übrigens in den letzten Tagen notgedrungen mit anderen Dingen beschäftigen musste, ist die Karawane nicht etwa weitergezogen, sondern hat quasi ein thematisches Feldlager aufgeschlagen. Überall Basisdiskussionen, wie mir scheint, zum Beispiel im Weinforum, bei Dirk Würtz oder – anders formatiert – wiederum beim Captain. Offenbar besteht ein großer Nachholbedarf in diesem Bereich, denn ehrlich gesagt hatte ich in den deutschen Weinguides eine derartige Diskussion immer vermisst.
Zurück zu meiner Typenfrage. Ich hatte festgestellt, dass es zwischen Nicolas Joly, der seine Trauben fast spirituell pflegt, und Xaver Z, der mit dem Spritzwagen durchprescht, einen ideellen Graben gibt. Was macht eigentlich Xaver, der Wein wie ein Lebensmittel behandelt?
Xaver bewegt sich innerhalb des Rahmens der weingesetzlichen Bestimmungen. Er wendet Mittel an, die dort aufgeführt oder zumindest nicht untersagt sind. Seine Methoden mögen ruppig sein, aber Düngen, Spritzen, maschinelles Ernten und Nachbehandeln im Keller sind nur dann Teufelswerk, wenn wir dem Wein eine Reinheit zusprechen wollen, die dem Blut Christi gleichkommt. Das gilt in der heutigen Zeit anscheinend als überholt.
Der Vorteil von Xavers Philosophie ist klar: Wein kann relativ günstig produziert werden, der (körperliche) Arbeitsaufwand hält sich in Grenzen, der Wein ist breiten Schichten der Gesellschaft zugänglich.
Die Nachteile liegen allerdings ebenso auf der Hand: Derartig hergestellter Wein besitzt eine gewisse Beliebigkeit. Traubensorte, Anbaubedingungen, Winzerkunst, alles das fällt hinter den Wunsch nach preisgünstig produzierter Zugänglichkeit zurück.
Wäre Wein auch rechtlich gesehen ein Lebensmittel, würden im Übrigen dieselben Akteure auf den Plan gerufen, die es auch in anderen Lebensmittelbereichen gibt. Zwei Gegenspieler sind dabei in den letzten Jahren immer wichtiger geworden: der Verbraucherschutz und die Industrie. Der Siegeszug des Verbraucherschutzes hat auch damit etwas zu tun, dass er als politisches Machtinstrument erkannt worden ist. Die Industrialisierung der Nahrungsmittelwirtschaft hingegen greift im Zeitalter der Globalisierung zu Methoden, Techniken und verwendeten Zusatzstoffen, die ein normaler Koch oder Winzer niemals in Erwägung ziehen würde.
Beide Bereiche, der Schutz des Verbrauchers vor fiesen Stoffen, und der Wunsch der Lebensmittelindustrie, kostengünstigen Ersatz für natürlicherweise teure Zutaten zu finden, schaukeln sich damit hoch. Sie bedingen sich sogar gegenseitig. Am Ende passt der Beipackzettel nicht mehr auf zwei DIN-A4-Seiten, und es gibt trotzdem ständig neue Skandale. Das sollte Xaver eigentlich wissen.
Wein würde also im Lebensmittelbereich von ganz anderen Spielern angegangen werden, die auch mit ganz anderen Mitteln kämpfen und weitaus mehr Macht und Einfluss besitzen als die “mickrigen” Weinoberen derzeit. Xaver und auch die anderen kleinen Winzer würden viel von ihrer Selbstbestimmtheit verlieren. Groteskerweise leistet er dieser Tendenz selbst Vorschub, indem er den Wein als Genussmittel verstanden wissen will, ihn aber wie ein Lebensmittel behandelt. Dass das Weinrecht lax ist und keine Deklaration verlangt, kommt ihm dabei zupass. Meint er. Allerdings sieht er gar nicht, dass er auf diese Weise nur die Vorhut für die Gallos dieser Welt bildet, die ihn später überrollen werden.
Warum ist es denn heute so, dass der Rübenbauer seine Rüben nur noch zu einer von 20 Annahmestellen deutschlandweit schicken kann? Dass diese 20 Zuckerfabriken nur drei Betreibern gehören, nämlich Nordzucker, Südzucker und Pfeifer & Langen? Wie sieht es in der Milchindustrie aus? Wo gibt es noch kleine Molkereien, Käsereien? Wie hat sich die Brauereilandschaft in den letzten Jahrzehnten verändert? Alles rhetorische Fragen, ich weiß. Hier also die Antwort, die eh jeder kennt: Weil Herstellung und Verarbeitung durch industriell definierte Kriterien bestimmt werden.
Xaver kommt, obwohl er im Weinbereich arbeitet, mit Lebensmittelmethoden voran. Und er ist ja nur ein ganz kleiner Fisch. Wie ist das möglich? Und wie sieht die Gegenseite aus? Damit möchte ich mich in Teil 3 befassen – und zwischendurch noch die Gelegenheit haben, darüber ein wenig zu reflektieren.
Zu den Käsereien gibt es das Buch von Ursula Heinzelmann
Stimmt. Wurst, Käse, Bier, Brot – da bin ich durchaus guter Hoffnung. Slowfood lässt grüßen, aber für die Vielfalt, die es einmal gab, sind wir immer noch ziemlich weit unten.