Normalerweise bin ich ja ein großer Anhänger des selbst verfassten Artikels. Also nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich. Irgendwas wiederzukäuen, was im Original bereits woanders im Internet zu finden ist, missfällt mir. That being said, wie der Engländer das ausdrücken würde, werde ich jetzt allerdings genau das tun. Aus einem bestimmten Grund: Drei berühmte Sommeliers haben vier Tage lang insgesamt 277 Champagner blind verkostet – mit einem radikalen Ergebnis.
Diese drei Herren waren: Olivier Poussier, Sommelier-Weltmeister 2000, Antoine Gerbelle, Weinautor, und Michel Dovaz, legendäre schweizerisch-französische Weinnase und Oldtimer-Sammler. Veröffentlicht wurde das Ganze in der aktuellen Doppelausgabe der “Revue du Vin de France” (Dezember 2010 / Januar 2011). Natürlich sägen die drei nicht komplett an dem Ast, auf dem sie selbst sitzen und haben in den jeweiligen Überschriften die positiven Aspekte herausgestrichen, die es bei dieser Verkostung zweifellos auch gab. Aber in Wirklichkeit war das Ergebnis hammerschlecht.
Von den Marken-Champagnern in der Kategorie “Brut sans année” (und etwas anderes bekommt man zumal in Deutschland in den allermeisten Geschäften nicht) wurden 20 mit mehr als 12,5 Punkten bewertet, 28 aber unterhalb der 12,5-Punkte-Schranke. 12,5 Punkte, das gehört in die so definierte Kategorie “vin correct”, in der sich normalerweise Hausschoppen für 5 € tummeln. Und diese Champagner hier kosten allesamt zwischen 30 und 40 €! Wie kann das sein, dass solch teure Schaumweine in dieser Blindverkostung so grauenhaft abgeschnitten haben? Ich übersetze hier einfach mal den Erklärungsversuch der drei Tester:
“Wir haben eine derartig große Degustation seit zehn Jahren nicht gemacht. Der erste Eindruck, der sich dabei verbreitete, war eine atemberaubende Uniformität der Weine. Es ist für den gewöhnlichen Weinliebhaber unmöglich, die Besonderheiten des Stils in einer Serie von zehn oder fünfzehn Weinen zu erfassen, die alle ähnlich schmecken. Der “weiche Bauch” der Champagnerflasche sozusagen [okay, wortwörtlich übersetzt]. Die Gründe für eine solche Monotonie? In erster Linie ziehen wir hier die Verwendung neutraler Grundweine in Betracht, Konsequenz eines zu intensiven Weinbaus oder der Neutralisierung durch korrigierende Techniken: Entsäuerung und Chaptalisierung [Anreicherung des Mosts mit Zucker] in kalten Jahrgängen, Säurezufuhr in heißen Jahrgängen. Wir wollen hierbei nicht die Verwendung industrieller Hefen für die Gärung vergessen, die quasi identisch sind bei allen Weinfirmen in der Champagne. Kurz gesagt, duplizierbare Verarbeitungstechniken, die logischerweise zu einer Produktion von “technisch” und standardisiert wirkenden Basis-Champagnern führen. Wenn man jetzt noch bedenkt, dass diese weit verbreiteten Flaschen zu einem Preis von mehr als 20 € verkauft werden, kommt das einem schon ziemlich stark vor. Vor allem in Anbetracht der Qualitätssteigerung bei den Schaumweinen aus dem Burgund, dem Jura, von der Loire, aus dem Elsass und von anderswo, zum Beispiel dem italienischen Franciacorta.”
Soweit also die Tester. Wer war denn jetzt unter den “Verlierern” mit weniger als 12,5 Punkten (nur die bekanntesten Marken): Laurent-Perrier, Mumm, Pommery, Vranken, Canard-Duchêne, Heidsieck. Am besten geschlagen haben sich Billecart-Salmon (Brut Réserve) mit 15,5 und Deutz (Brut Classic) mit 15 Punkten.
Um jetzt aber nicht den Eindruck zu erwecken, Champagner würden grosso modo nichts taugen, möchte ich auch die Sieger bei den “Großen”, den Jahrgangschampagnern und den besonderen Cuvées nennen: 19 Punkte für den Bollinger Brut rosé Grande Année 2002 (125 € ab “Hof”), 19 Punkte für den Krug Brut 1998 (205 €) und ebenfalls 19 Punkte für den Pol Roger Brut Sir Winston Churchill 1999 (166 €).
Mein Fazit aus dem Ergebnis dieses Tests: Marken-Champagner im Basissegment lohnen sich überhaupt nicht. Wer auf Geschmack und stilistische Individualität Wert legt und nicht auf das ChiChi eines Namens, der ist mit Schaumweinen anderer Herkünfte wesentlich besser bedient. Allerdings sollte es dann auch keine Cava für 7 € sein oder der legendäre Aldi-Champagner – denn die sind wegen der verwendeten Techniken entsprechend flach und nichtssagend. Viel besser fahrt Ihr mit einem handwerklich hergestellten Produkt eines echten Winzers, das es in aller Regel nur im Fachgeschäft gibt. Dabei hat man auch den Vorteil, dass der Weinhändler seine Schätzchen kennt und je nach persönlicher Vorliebe den “richtigen” herausgreifen wird. Wer ein “Champagner-Gefühl” mit gutem Druck, gleichmäßigen Bläschen und vollem Geschmack bevorzugt, sollte das dem Händler signalisieren, denn (nur mal als Beispiel) die Dauer des Hefelagers und der Flaschengärung beeinflussen den Geschmack nicht unerheblich. Dennoch wird ein guter Schaumwein dieser Art meist nicht mehr als 15 € kosten.
Wer den puren Luxus bevorzugt und ohnehin alle zwei Wochen einen Pétrus auf dem Sonntagstisch stehen hat, kommt allerdings um die größten Champagner nicht herum. Dass ein hoher Preis selbst hier nicht automatisch ein fantastisches Produkt kennzeichnet, versteht sich von selbst.
Hallo Matze,
Tja, das ist leider nichts neues, ich kenne das schon aus eigenen Vergleichen in den 90ern. Insofern überrascht mich das Ergebnis keinesfalls, aber es bestätigt meine Eindrücke auf breiterer Basis.
Die “ChiChi” Marken lohnten schon damals nicht, aber vor Ort bei Vignerons Independants gekaufte Fläschchen konnten schon mal richtig begeistern. Die meist mindestens doppelt so teuren Flaschen der großen Häuser waren im Unterschied nicht viel anders als Coca Cola und Pepsi Cola… Beides ernüchternd.
Ich war vor einigen Jahren mal ausführlicher vor Ort und habe da wunderschöne Entdeckungen abseits der ausgetrampelten Pfade gemacht. Einige interessante Kleinwinzer findet man auch auf den Salons des Vignerons Independant.
Aber ansonsten halte ich mich auch gern an die verschiedenen Cremants, neben dem Jura und einigen anderen vernünftigen der großen Gebiete bin ich auch oft begeistert von den Schaumweinen aus Die nahe der Rhône und von denen aus Limoux am Fuße der Pyrenäen. Und auch unter den 7 € Cavas gibt es interessante Sachen, wenn sie nicht aus den großen Häusern wie Freixenet oder Codorniú kommen, sondern von kleinen Betrieben.
jetzt war´s schneller abgesendet, wie ich grüßen konnte…
Also beste Grüße von
Torsten
Hallo Torsten,
interessant – wiewohl natürlich auch nicht neu – fand ich vor allem die endlich mal in einem bedeutenden Magazin ausgesprochene Tatsache, dass in der Champagne der großen Häuser 1. hyper-technisch in Weinberg und Keller gearbeitet wird, 2. hohe Erträge immer noch das allein Seligmachende sind und 3. die Verwendung derselben Champagner-Reinzuchthefen nichts als Uniformität bringt.
Was die Crémants anbelangt, Stéphane Tissot aus dem Jura muss mit seinem aktuellen Crémant wirklich Großes geleistet haben, da hört man nur Lob. Ich fand auch die Crémants von Chidaine und Jacky Blot (Taille-aux-Loups) von der Loire höchst anständig, aber okay, der Selosse-Champagner hat dann doch die kleinen Aufmüpfigen weggepustet. Zum Preis von 5mal Tissot, versteht sich.
Viele Grüße
Matze