Hier in good old Kölle gibt es seit neuestem Weine zu kaufen, wie sie gleichzeitig altmodischer und postmoderner kaum sein könnten. Allergiker, alternative Artisten und Agnostiker treffen aufeinander in der Welt der schwefelfreien Weine. In Deutschland kenne ich keine Winzer, die sich systematisch an solche Dinge heranwagen, in Frankreich boomt die Branche dafür bereits. Aber Moment mal, gibt es überhaupt „schwefelfreie Weine“? Und wenn ja, wie schmecken die?
Natürlich, werte Freunde exakter Formulierungen, gibt es keine schwefelfreien Weine. Schwefelhaltige Verbindungen existieren praktisch überall, sei es im Boden, in der Luft oder in Pflanzen – allerdings in relativ geringer Menge. Hier geht es aber auch um etwas anderes, und das Rubrum „schwefelfrei“ deutet nur die Philosophie an, die dahintersteckt. Schwefel in der Form von Schwefeldioxid wird in der Kellerwirtschaft seit ewigen Zeiten als Konservierungsmittel eingesetzt, weil er unter anderem die Oxidation verhindert. Ohne Schwefel würde Wein schneller braun und essiglich werden. Nur gibt es dabei gewisse gesetzlich festgelegte Obergrenzen, die wirklich sehr sehr weit oben liegen. Und die Winzer, die „schwefelfreie“ Weine erzeugen, geben – wenn überhaupt – nur sehr sehr geringe Mengen Schwefel dazu. Solche schwefelarmen und weitgehend zusatzstofffreien Weine schmecken anders, verhalten sich anders, sind auch letztlich etwas ganz anderes als das, was wir konventionell als Wein kennen.
Man kann ja immer trefflich darüber streiten, ob Wein jetzt eher ein Naturprodukt oder eher ein Kulturprodukt ist. Die „vins naturels“, wie diese Weine in Frankreich genannt werden, sind definitiv im Naturbereich der Skala anzusiedeln, so knapp über spontan vergorenem Traubensaft. Das macht solche Weine
- ungemein bekömmlich (deshalb jubeln die Allergiker und chronischen Kater-Besitzer),
- sie entstehen in einer Umgebung, die so unmanipuliert und unindustriell ist, wie es in einer Monokultur nur sein kann (deshalb jubeln die alternativen Artisten),
- und manche Winzer fragen sich, sollte es denn einen Gott geben, ob er oder sie solche Dinge wie die Gärung erfunden habe, und ob es dann quasi der göttliche Ratschlag an die Menschheit sei, daraus auch etwas zu machen (Diskussionsstoff für die Agnostiker also).
Wie schmeckt jetzt aber „schwefelfreier“ Wein? Ich würde sagen, leicht essigscharf, gemüsig, mit einer spröden Frucht gesegnet, nicht gerade elegant, aber irgendwie hat man ziemlich schnell das Gefühl, dass einem dieses Glas gut bekommen wird.
Andererseits kann ich ehrlich gesagt nur eins wirklich empfehlen: probieren geht über studieren. Mailt oder ruft an bei der Vincaillerie (viele Infos auf der Homepage), holt Euch den Wein ab oder lasst ihn Euch schicken und urteilt selbst. Auf eine Sache sollte man allerdings achten: Diese mit Konservierungsmitteln jedwelcher Art schlecht ausgestatteten Weine sind entsprechend empfindlich. Hat der Winzer etwas schlampig abgefüllt, stand die Flasche länger in der Sonne oder am Kamin, schon hat man einen sprudelnden Essig im Glas. Also Vorsicht mit den Schätzchen. Und demnächst werde ich an dieser Stelle auch zwei dieser „schwefelfreien“ Weine testen.
Danke für den interessanten Artikel! Von diesen Weinen habe ich schon gehört, aber hatte noch keine Gelegenheit, sie zu probieren. Da ich nicht mehr ganz jung bin 😉 und Alkohol prinzipiell nicht mehr so gut vertrage, würde ich mich echt freuen, wenn diese Weine etwas schonender sind. Man macht sich wahrscheinlich als “Normalverbraucher” keine Vorstellung, was alles in Weinen drin ist außer Trauben. Kannst Du denn einen der Weine besonders empfehlen? Und sind diese Weine problemlos mit Essen kombinierbar?
Hallo Yvonne, Du hast Recht, man macht sich wirklich keine Vorstellungen davon, was in Lebensmitteln noch so alles drin ist. Was Schadstoffe anbelangt, wird ja nur das gemessen, nach dem auch gesucht wurde, ist so ähnlich wie beim Doping.
Einen bestimmten Wein möchte ich Dir nicht empfehlen, nimm zu Anfang am besten einen der “kleinen” Weine unter 10 €, die sind schon sehr typisch, und Du kannst sehen, ob Dir so etwas zusagt. Von den Kombinationen her fand ich tatsächlich Gerichte am besten, die einen stark gemüsigen Kern besitzen, also Gemüsetöpfe und Suppen, von Kohl über Zucchini bis Bohnen.
Das Interessante für mich ist, dass hier nicht nur die Winzer, sondern auch wir Konsumenten erst einmal lernen müssen, wie man mit diesen Weinen umgeht. Wenn Du eine tolle Kombination gefunden hast, schreib mir doch schnell, es gibt noch nicht soo viele Menschen hierzulande, die da schon eine große Erfahrung hätten.
Also, einen Wein, der so beschrieben wird: “leicht essigscharf, gemüsig und keinesfalls elegant”, den möchte ich nicht einmal probieren! Wenn das das Ergebnis sein soll, wenn man Schwefel weglässt, dann trinke ich lieber schwefelig! Nichts für ungut, bin gespannt, was weiter auf dem Blog passiert, Gery
Lieber Gery, das ist ein berechtigter Einwand! Ich muss zugeben, dass die Beschreibung sich vielleicht ein wenig abwertend anhört, aber ich habe versucht mich daran zu erinnern, wie es mir beim ersten Mal gegangen ist. Mein Gaumen hatte “Wein” erwartet, und geschmeckt hat er ein überraschendes Getränk, sehr erfrischend und aromatisch, aber halt kein “Wein” nach meiner Vorstellung.
Das ist so ähnlich, als wenn Du auf einer Flasche “Apfelsaft” liest, und es schmeckt dann wie Bier (weil es Bier ist). Ein bisschen Spielen mit Erwartungshaltungen ist das, eigentlich ganz faszinierend, ein bisschen entlarvend auch. Beim ersten Mal ist man fast versucht, das Zeug wieder auszuspucken, weil der Kopf signalisiert: “Das ist nicht das, was ich dir eingeflüstert habe”. Beim zweiten Mal ist man dann nicht mehr geschockt, beim dritten hat sich das Muster schon im Kopf festgesetzt.
Lustigerweise habe ich die Erfahrung gemacht, dass die totalen Weinnovizen schon beim ersten Mal nicht “päh!” gemacht haben – einfach, weil sie kein Erwartungsmuster abrufen und deshalb “vorurteilsfreier” an die Sache herangehen konnten.
Ich möchte jetzt nicht insistieren, dass jeder Weinfreund und jede Weinfreundin unbedingt schwefelfreien Wein probieren sollen. Aber spannend ist es allemal, mein persönlicher Horizont hat sich auf jeden Fall erweitert.
Lieber Gery, bleib weiter dran, in wenigen Tagen fahre ich nach Frankreich und werde vor Ort auch richtig große Weine verkosten! Bin schon sehr gespannt darauf.
Pingback: Die Suche geht weiter: Vin Naturel von Marcel Richaud | Chez Matze
Dieser Beitrag ist zwar schon 3 Jahre alt,aber ich bin heute erst drauf gestossen.
der Hype ist grösser geworden und hat richtig Wellen geschlagen.
Ich selbst hab mich vom Fruchttrinker zum Liebhaber von gereiften Weinen entwickelt.
Auch Vin Naturell hab ich mehrmals verkostet.Eher nicht mein Ding.Bis auf den SB 2010,ungeschwefelt,unfiltriert(muss!sonst instabil),vom Weingut Hubert Lay,Ihringen,ECOVIN-Betrieb,am Kaiserstuhl.
In der Nase sehr fruchtig.Am Gaumen dann wieder rote Früchte,dann aber sehr traubig.Werd ich weiterverfolgen.
Aufmachen und austrinken sagt der Winzer.Zur Lagerfähigkeit hat er eine sehr eigene Meinung.hat auch eine website,aber nicht sehr aktuell.
Seine SB sind richtig gut.
Für Regenthasser:probiert mal Seine gereiften 6-8 Jahre alten Regent.
LG
der Drachenflieger