Eine Freundin hat mich gerade darauf aufmerksam gemacht, dass dies die einzige Woche im Sommer ist, in der alle Bundesländer Ferien haben. Da habe ich mir gedacht, warum nicht mal ein Thema bringen, das auch ein bisschen ferienhaft klingt? Das Priorat im spanischen Nordosten befindet sich nur 30 Kilometer von den Stränden der Küste entfernt, ist mental jedoch eine völlig andere Welt. Eine legendäre Bergregion für Weinfreaks, legendär karg, legendär kleinteilig, legendär hochwertig und hochpreisig. Ich war dort, und zwar mit Miguel Torres Maczassek, dem »Junior«chef der ebenso legendären Familia Torres.
Was mache ich im Priorat bei Torres?
Ich war eingeladen zu einer Pressereise der Familia Torres, bei der es um das Thema Nachhaltigkeit in seinen verschiedensten Facetten gehen sollte. Zunächst haben wir die Zentrale besucht, sind dann ins Priorat gefahren und haben zum Schluss an einem Symposium der »Viticultura Regenerativa« in Falset teilgenommen. Wenn ihr mögt, könnt ihr von der Nachhaltigkeitsdiskussion (samt Interview mit Miguel A. Torres, das ist der Senior) in der Septemberausgabe der Wein+Markt erfahren. Wovon ihr dort nicht lesen werdet, sind meine Weinerlebnisse und Landschaftseindrücke. Das ist natürlich sehr schade, weshalb ich genau das an dieser Stelle nachholen möchte.
Zugegeben, was das Priorat anbelangt, bin ich im Gegensatz zu solchen Experten wie Priorat-Torsten natürlich nur »neigeschmeckt«. In wenigen Worten dargestellt, handelt es sich um eine einsame und bergige Region im Hinterland der Küste um Tarragona. Im Mittelalter hatten die Klöster den Weinbau vorangetrieben, hergestellt wurden vor allem schwere Süßweine. Im modernen Spanien des 20. Jahrhunderts war so etwas natürlich prädestiniert für Landfluchtbewegungen, und genau das passierte hier auch.
Erst durch mehrere kleine Wunder am Ende des Jahrhunderts drehte sich das Blatt. Zum einen entdeckten berühmte Winzer wie René Barbier und Álvaro Palacios das schlummernde Potenzial. Zum anderen entsprachen ihre neuen, kraftvoll trockenen Roten genau dem Geschmack von Robert Parker, dem Weltweinherrscher der 1990er Jahre. Seitdem werden auf dem immens teuer gewordenen Land reihenweise 100-Punkte-Weine produziert. Trotzdem ist längst nicht alles ein reiner Hype. Immerhin handelt es sich weiterhin um teils uralte Reben, steile Weinberge, kleine Parzellen und niedrige Erträge. Und noch etwas hat sich seit den 1990er Jahren verändert: Schwere Brummer sind weniger angesagt.
Die Torres-Kellerei in El Lloar
Miguel Torres ist eigentlich kein Newcomer im Priorat. Schon früh hatte er eher provisorisch 75 ha Rebland gekauft und wurde damit der größte Weinbergsbesitzer der Region. Der erste eigene Jahrgang war allerdings erst 2005, und seitdem ist auch Keller-Mastermind Jordi Foraster dabei. Wir treffen ihn auf einer Anhöhe bei dem Dorf El Lloar, wo sich heute in Alleinlage die Kellerei befindet. Weit reicht der Blick über die Berge und lässt ahnen, wie mühselig das Winzerdasein hier sein kann.
»2.200 ha Rebland gibt es im Priorat«, sagt Jordi, »und das verteilt sich auf 110 selbst abfüllende Weingüter.« Die internen Unterschiede im Priorat seien groß, erläutert er weiter. Neun Dörfer gibt es, vom heißen El Lloar bis zum kühlen Porrera. Die Hänge sind fast immer steil, zeigen aber in ganz unterschiedliche Richtungen. Zudem ist das Mikroklima in einem auf 300 m gelegenen Kessel natürlich ganz anders als im höchsten Weinberg der Region, Els Tossals. Wir werden ihn noch besuchen.
Steinig ist es im Priorat aber immer. Fast fühlt man sich an die Mosel erinnert, und geologisch ist das gar nicht so abwegig. Das vorherrschende Gestein hier ist nämlich der Llicorella-Schiefer, und der sorgt eigentlich erst für die Individualität der roten Priorats. »Das Großartige an der Llicorella ist, dass sie die Säure hält«, begeistert sich Jordi. »In guten Jahren haben wir hier 7,5 g Säure und einen pH-Wert von 3,2. Das hilft, die Farbe zu erhalten, und der Most ist weniger anfällig. Schwefel wirkt beispielsweise besser bei niedrigen pH-Werten, und deshalb brauchen wir weniger SO2 hinzuzufügen.« Die einzige Herausforderung sei es, nicht zu reif zu ernten, damit der potenzielle Alkohol im Rahmen bleibt.
Wine Tasting in Torres’ Mas de la Rosa
Natürlich haben wir auch bei Jordi Weine probiert, und zwar wunderbar akademisch. Fassproben einzelner Parzellen, reinsortig Garnacha, reinsortig Cariñena, auch mal etwas Picapoll tinto dabei, 100 Jahre alte Reben, großartige Sachen. Weil es aber nur winzige Erträge sind, geht alles, von Jordi komponiert, in die generischen Cuvées. Am Abend im Mas de la Rosa durften wir dann die fertigen Weine probieren.
Das Mas de la Rosa ist ein 1,9 ha großer Weinberg in the middle of nowhere. Wie so oft im Priorat, kommt man nur mit dem Geländewagen bis hierhin. Besitzer Manolo lieferte die Trauben früher an Torres ab, wo sie in den Perpetual eingingen (wir werden ihn gleich probieren). Jetzt arbeitet Manolo direkt bei Torres, und die Trauben ergeben einen eigenen Wein, der in einem einzigen großen Fass ausgebaut wird, entweder 1.000 oder 2.000 Liter. 60% sind Cariñena, 40% Garnacha, aber wie alt die Reben wirklich sind, weiß niemand. Auf einem Foto aus dem Jahr 1939 standen die Rebstöcke jedenfalls schon genauso da wie heute, ausgerichtet sind sie prinzipiell in Richtung Nordosten.
Salmos 2019
Der erste Wein, den wir probieren, ist der Salmos 2019 (klickt auf den Namen, dann seht ihr die Parzelle auf der Karte). Die Reben stammen aus Porrera und wurden in Reihen mit Drahtrahmen gepflanzt. Das war bei der Neubestockung der Weinberge so üblich. Mittlerweile, erklärt Jordi, sei man wieder zum uralten Prinzip der einzelnen Buschreben übergegangen. Da kann man maschinell zwar gar nichts tun, aber bei Regen wird mit Abstand am wenigsten Boden fortgespült.
Der Wein selbst gefällt mir schon richtig gut. Typisch schieferig, erst rotfruchtig, etwas Holzkohle, dann dunkler im Abgang. Ansprechend, charaktervoll, nicht zu schwer und schon jung zu öffnen.
Perpetual 2018
Der Perpetual ist anders als die beiden anderen Weine hier nicht das Produkt einer einzigen Parzelle, sondern eine Cuvée. Und zwar eine, zu der ausschließlich Reben Zugang finden, die mindestens 75 Jahre alt sind. Oft sind das keine Torres-eigenen Flächen, sondern solche, die ein Bäuerle seit Jahrzehnten irgendwo in den Bergen betreut. Die genaue Zusammensetzung der Rebsorten ist deshalb auch nicht bekannt, zumal es sich meist um field blends handelt. Miguel Torres Maczassek, der mir am Tisch gegenübersitzt, geht aber davon aus, dass es sich mindestens um 80% Cariñena handelt.
Der daraus gekelterte Wein besitzt eindeutig mehr Anspruch als der wild-charmante Salmos. Tiefer ist er, blauer in den Aromen, weniger rauchig, aber mit einer deutlich präsenteren Tanninstruktur. Die niedrigen Erträge dürften damit zu tun haben. Ein auf irgendwie heimliche Weise eleganter Wein, der eine längere Lagerung lohnt.
Mas de la Rosa 2019
Schließlich gibt es noch den Mas de la Rosa. 2016 war der erste eigene Jahrgang daraus, dies ist also erst die dritte Version. 1.300 Flaschen gibt es vom 2019er, die Flasche kostet 350 €.
In der Nase wirkt der Wein wieder schiefriger und rauchiger, erinnert insofern mehr an den Salmos. Am Gaumen merkt man jedoch, dass es sich gewissermaßen um ein best of both worlds handelt. Eine präsente Säure macht den Wein ungemein frisch und pikant. Weniger spröde und tanningeprägt als der Perpetual, ist er gleichzeitig dichter und reifer als der Salmos. Ein großartiger Priorat ganz nach meinem Geschmack, da gibt es überhaupt keinen Zweifel.
Torres’ Außenbetriebsleiter, der neben mir sitzt und mir die drei verschiedenen Schieferarten im Weinberg gezeigt hatte, erzählt, dass sie früher stärkere Weine gemacht hätten, mit mehr Extraktion. Aber das habe sich insgesamt im Priorat in den vergangenen 20-25 Jahren stark gewandelt, bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Der Alkohol liegt bei allen drei Weinen zwar »immer noch« bei 14 vol%, aber dennoch wirken sie viel frischer, mit eleganterem Tannin und völlig ohne überkochte Töne. Da habe ich in Deutschland schon Dutzende wesentlich heißerer Weine probiert.
Next Level: Els Tossals
A propos Kühle. Jetzt geht es auf den höchsten Weinberg im Priorat auf 748 Metern über dem Meeresspiegel, angelegt erst im Jahr 2018. Els Tossals heißt er, und obwohl er sich in der ohnehin schon kühlsten Gemarkung Porrera befindet, seien es hier im Durchschnitt angeblich noch einmal 5°C weniger als im Dorf. Von der theoretischen Temperaturdifferenz her, die ja 0,8°C je 100 m Höhe ausmacht, dürften es »nur« 3,6°C sein. Hinzu kommt aber noch die exponierte Lage auf einer Kuppe. Als Beweis gibt es bei unserem Besuch jedenfalls gleich mal einen windigen Regenschauer.
Miguel Torres Maczassek erklärt, dass eine der großen Schwierigkeiten darin bestanden hätte, die Eigentümer des Weinbergs auszumachen. Irgendwie hätten sie es aber geschafft und anschließend reinsortig Garnacha als Buschreben gesetzt. Eine Bewässerung wird es hier, weitab von Siedlungen und Infrastruktur, nie geben. Über viele Kilometer mussten sie mit dem Traktor ein bisschen Wasser zum Gießen vorbeibringen, als die Reben noch ganz jung waren. Jetzt nach fünf Jahren müssen jene für sich selbst sorgen. Einen Wein aus Els Tossals gibt es noch nicht. In diesem Jahr soll aber die erste richtige Ernte stattfinden, und alle sind natürlich schon wahnsinnig gespannt darauf.
Wo kann man die Weine kaufen?
Nachdem ich die Weinberge gesehen, die Weine probiert und ein paar Steine mitgebracht hatte, wollte ich natürlich auch die Weine für den Hausgebrauch erwerben. Da ich mit Handgepäck unterwegs war, konnte ich sie nicht direkt vom Weingut mitnehmen. Aber im Duty Free des Flughafens von Barcelona müsste sich doch eine Gelegenheit ergeben, dachte ich mir. Stimmt, Salmos, Perpetual und jede Menge anderer Torres-Weine warteten dort auf zufriedene Käufer*innen. Aber die Preise kamen mir doch reichlich mutig vor gegenüber dem, was ich im Weinguts-Shop hätte bezahlen müssen.
Tatsächlich sind die Torres-Priorats hierzulande auch zu erwerben. Der Salmos 2019 ist allerdings noch nicht überall auf dem Markt. Bei Hawesko kostet er derzeit 32,90 €, während der Vorgängerjahrgang bei Vinos für 24,90 € über die Theke geht. Das wäre auch meine persönliche Obergrenze für den Wein.
Für den Perpetual 2018 muss man beim mir bislang unbekannten Shop Vinum Nobile 39,50 € hinlegen, am Flughafen hätte er 72 €. Übrigens war der Perpetual der ausgesprochene Lieblingswein aller Torres-Leute, wenn man sie privat gefragt hat. Warum? Einerseits wegen der Herzensrebsorte Cariñena, auf gut Katalanisch natürlich Carinyena. Andererseits weil so viele verschiedene Mini-Parzellchen aus der ganzen Region hier mit hineinkommen. Also der in einer Flasche vereinte Ausdruck des Priorats, seiner Menschen, seiner Landschaft, seiner alten Reben.
Schließlich noch der Hinweis darauf, dass es auch den Mas de la Rosa 2019 gibt, und zwar für 349 € bei Tesdorpf.
Ein großer Dank also noch einmal an Wein+Markt und natürlich an die Familia Torres selbst, dass ich die Möglichkeit hatte, hier dabeizusein. Übrigens: Was den regenerativen Weinbau oder die wiederentdeckten historischen Rebsorten anbelangt, die ich bei der Tour auch kennengelernt habe, davon sollte ich lieber bei einer anderen Gelegenheit berichten…
Hola Matthias!
Schöner Bericht.
Gerne wüsste ich ja, welche der Steine in der abgebildeten Hand echte Licorella sind. Die schwarzen?
Und – die Frage wird Dich nicht wundern – wirst über die wiederentdeckten historischen Rebsorten in den field blends des Priorats und den regenerativen Weinbau berichten? Interessant fände ich auch, etwas mehr über den Rebschnitt zu erfahren, insbesondere über den mehrjährigen Weg zur Ausbildung der “Schultern”, die auf dem Bild des “Mas de la Rosa” zu sehen sind.
LG Thomas
Ja, die schwarzen, »Carboniferan Slate«, das sei klassisch Llicorella. Die rötlichen enthalten Eisen, »Devonian Slate«, sind ein Erdzeitalter älter. Dann gibt es noch den helleren »Estenguer« (habe ich so verstanden, er hat es ja nur gesagt) mit anderen Grundbestandteilen wie Sand, granitischem Material und Quarzitadern.
Natürlich, die historischen Rebsorten, höchst interessant! Der Experte dafür bei Torres ist Josep Sabarich, mit ihm zusammen haben wir die Weine probiert. Falls ich nicht dazu kommen sollte, etwas Genaueres zu schreiben: Ein Professor Bobals hatte sie vor Jahrzehnten angeregt, nach alten Varietäten zu suchen. Erst war das nur eine private Sammlung, jetzt kultivieren sie 60 davon versuchsweise, alle mit eigener Genetik (haben die Proben nach Montpellier geschickt). Manchmal gab es alte Namen dafür, manchmal haben sie sie einfach nach dem Ort benannt, wo sie sie gefunden haben. Im »Grans Muralles«, einem weiter verbreiteten Wein, sind seit längerem einige enthalten. Jetzt gibt es Pirene (rot) und Forcada (weiß) als reinsortig ausgebaute Weine. Kosteten vor Ort 47 € (Pirene) und 56 € (Forcada). Zukünftig, das hatten wir auch probiert, sollen noch Moneu, Querol und Gonfaus auf den Markt kommen. Alles im Prinzip später reifende Sorten, höher in der Säure, leichter im Alkohol, klimawandelresistenter sozusagen.
Über den Rebschnitt hatten wir nicht gesprochen, da muss ich passen.
Danke für den interessanten Beitrag . Wir waren im November letzten Jahres im Priorat und montsant unterwegs. Da ist uns erst einmal klar geworden welcher Aufwand hier vonnöten ist . Begeistert haben uns die uralten Rebstöcke und die schlichten Ortschaften . Wie eine Zeitreise. Die Preise sind sicherlich dem geringen Ertrag geschuldet. Das Priorat ist sicher auch etwas gehypt. Das umliegenden Montsant und seine Weine fanden wir nicht minder interessant. Auch preislich eine gute Alternative.
Ja, Montsant macht sich als “kleiner Bruder” sehr gut! Was ich zum Beispiel spannend finde: Alfredo Arribas hat mit dem “Gotes del Montsant” und dem “Gotes del Priorat” zwei (durchaus erschwingliche) Weine, bei denen man das mal super vergleichen kann. Oder auch beim “Sense Fronteres” von Dominik Huber…