Lieber Wasser als Wein? Die Weinbautage in Veitshöchheim

Weinbautega Veitshöchheim 2023

Ich muss mich entschuldigen für die leicht verspätete Berichterstattung. Und vielleicht auch, falls jemandem das nicht behagt, für die ausschließlich fachliche Thematik dieses Artikels. Hier gibt es nämlich keine rosenduftigen 95 Punkte-Weine und auch keinen Geheimtipp für den nächsten Wochenendausflug. Vielmehr geht es um die Menschen, die rosenduftige 95 Punkte-Weine herzustellen vermögen und mit ihrer Straußwirtschaft das Wochenende versüßen. Die Winzerinnen und Winzern nämlich, denen durchaus nicht kleine Herausforderungen gegenüberstehen. Schauen wir also, was die Weinbautage in Veitshöchheim zu bieten haben. Bislang waren sie eigentlich immer für spannende Anregungen gut…

Weinbautage in Veitshöchheim

Die Weinbautage im fränkischen Veitshöchheim, die gleichzeitig auch Weinwirtschaftstage sind, werden jährlich von der LWG veranstaltet, ausgeschrieben Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau. Seit vielen Jahren kommen hier Fachleute aus der Weinbranche zusammen, um sich weiterzubilden, anregen zu lassen und in den Pausen intensiv darüber zu diskutieren. Ich hatte bereits von der Ausgabe im Jahr 2020 berichtet, und interessanterweise ging es da auch um Wasser.

Diesmal stand am ersten der zwei Weinbautage ein Thema im Fokus: Weinbau im Zeichen der Nachhaltigkeit. Und das reichte von Lieferketten über Verpackungen, Siegel und Kostenexplosion bis zu den Vorgängen im Weinberg, den Steillagen, den Wurzeln und dem Wasser.

Der Emeritus in Form

Nach Grußworten und Statements von Ministerium, Regentin und gleich zwei Präsidenten folgte der erste eigentliche geplant inhaltliche Vortrag. Für jenen zeichnete Alois Heißenhuber verantwortlich, emeritierter Professor für Wirtschaftslehre des Landbaus aus Weihenstephan. Und, ich darf das mal so despektierlich formulieren, der erfahrene Wissenschaftsmann hat mich wirklich positiv überrascht. Sofern immer noch neugierig und nicht bloß auf Honorare für Vorträge aus, die bereits in der aktiven Zeit geschrieben wurden, hat ein Emeritus doch den unschätzbaren Vorteil der völligen Unabhängigkeit.

Zunächst einmal wies Heißenhuber darauf hin, dass die Begriffe »fair« und »nachhaltig« nicht geschützt oder legaldefiniert sind. Das ist eine zentrale Sache. Greenwashing würde rein begrifflich zum Beispiel keine Rolle spielen, wenn alle genau und übereinstimmend wüssten, was »green« eigentlich bedeutet. Da dem aber nicht so ist und Kontrolle für die verantwortlichen Institutionen Mühe und Kosten bedeutet, gibt es beispielsweise bei den Klimaschutz-Zertifikaten, mit denen sich Unternehmen von ihrer (Achtung, wichtig!) unvermeidlich negativen CO2-Bilanz freikaufen können, eine gewisse Schindluderei.

Nachhaltigkeit verständlich: Flasche schwer = schlecht

Diese Unvermeidbarkeit der negativen Bilanz ist wichtig für den Hinterkopf. Beim nächsten Vortrag zeigte uns Nachhaltigkeitsexpertin Dr. Helena Ponstein erst einmal, wo das größte CO2-Einsparpotenzial beim Wein steckt. Ich hatte schon öfter Vorträge von ihr gehört, kannte das also schon, aber wie bedeutend für die Bilanz tatsächlich die Verpackung (sprich: die Glasflasche) ist, das kann so eine Grafik noch einmal viel plastischer vor Augen führen als tausend schöne Worte.

Ponstein Flaschen CO2

Eigene Darstellung; Zahlen aus (1) Ponstein et al. 2019a, (2) Ponstein et al. 2019b, (3) Päällysaho et al. 2018

Ohne hier zu sehr ins Detail gehen zu wollen, wird deutlich:

  1. Eine schwere Flasche ist CO2-Bilanz-mäßig mehr als doppelt so schädlich wie eine leichte.
  2. Nur fünfmal Mehrweg (theoretisch wäre viel mehr möglich) reduziert den CO2-Wert um mehr als das Dreifache.
  3. Nicht-Glas-Lösungen, sogar PET, umso mehr BiB, gewinnen immer.

Nachhaltigkeit krass: Verschwinden ist besser als bleiben

A propos schöne Worte, also Buchstaben versus Zahlen. Es ist natürlich alles völlig richtig, was den CO2-Fußabdruck anbelangt und dass wir uns vernünftigerweise darauf fokussieren, wo der Impact tatsächlich am größten ist. Trotzdem habe ich immer ein bisschen Schwierigkeiten mit der CO2-Geschichte und der argumentativen Macht der Zahlen. Das Konzept ganz zu Ende gedacht bedeutet nämlich, dass die beste Bilanz generell eine Sache aufweist, die es nicht gibt. Ein Mensch, für sich allein berechnet, hat immer eine schlechtere Bilanz als kein Mensch. Der Erde oder zumindest ihrer Nachhaltigkeit würde es also besser gehen, wenn es dich und dich und mich nicht gibt. Das können wir nur ändern, wenn wir unsere Daseinsäußerungen kompensieren. Bäume pflanzen, die Früchte aber nicht ernten zum Beispiel. So nackt für uns allein sind wir nämlich Verbraucher, Zehrer, Schädlinge.

Dasselbe gilt auch für Wein. Jeder Wein, den es gibt, hat immer eine schlechtere Bilanz als jeder andere, den es nicht gibt. Und jeder Wein, der aus Reben entstanden ist, die angebaut und bewirtschaftet werden, hat eine schlechtere Bilanz als ein anderer, der aus im Labor erzeugten Aromen, recyceltem Brauchwasser und nicht-toxischem Alkohol besteht. An diesen Schrauben wird übrigens schon eifrig gedreht, das nur nebenbei.

Erst das Konzept verstehen, dann die Lösung suchen

So. Nicht dass ihr mich missversteht und mich für einen Schwarzmaler und Häretiker haltet. Aber wenn wir wirklich klug an unserer Zukunft arbeiten wollen, dann müssen wir uns solche Zusammenhänge erst einmal bewusst machen, um sozusagen eine Synthese erreichen zu können. Wie gesagt, ich halte es für sehr wichtig, dass wir diesen fast schon genetisch verankerten Drang zum Wachstum, und zwar zum rücksichtslosen Wachstum, realisieren und einlenken, Alternativen angehen. Aber die Philosophie, dass simples Schrumpfen die einzige Lösung sein könnte, ist lebens- und kulturfeindlich. Überhaupt, die Messbarkeit von Kultur, ein Thema, über das es viel nachzudenken gäbe.

Aber weiter im Text. Wenn wir uns also darauf verständigt haben, dass es grundsätzlich auf eine schwer zu berechnende Art irgendwie »wertvoll« ist, kulturgebundenen Wein herzustellen, können wir tatsächlich durch Maßnahmen wie Bag in Box oder Mehrweg viel im Detail einsparen. Wenn wir zusätzlich noch wüssten, wie lange unsere Weine eigentlich nach dem Verlassen des Hofes brauchen, bis sie getrunken werden, könnten wir uns für unterschiedliche Konsumarten unterschiedliche Lösungen überlegen. Plastikflasche mit Pfand, nicht PET, sondern weiterentwickelte Materialien, Mindesthaltbarkeitsdatum drauf (wegen der Verpackung, nicht wegen des Inhalts), fertig für ein Jahr shelf life. Das dürfte mindestens 95% des deutschen Weinkonsums abdecken. Als Vernunftlösung, nicht als Kulturlösung.

Weinbautage am Nachmittag: Wer braucht das Wasser?

Nachmittags, ich mache mal einen harten Cut und überspringe die interessante Talkrunde zur Problematik von Nachhaltigkeitssiegeln, ging es dann um den Weinbau an sich. Um das Wasser, den Klimawandel, die Bewirtschaftung von Steillagen. Die ersten beiden Vorträge von Marco Hofmann (Geisenheim) und Dr. Daniel Heßdörfer (LWG) ergänzten sich dabei ziemlich gut. Bei beiden ging es letztlich darum herauszufinden, welche Wasserversorgung für die Rebe ideal ist und wie man das erreichen kann.

Daniel Heßdörfer zeigte dabei (alles wie immer durch Feldversuche belegt), dass die Unterlagen, die wir hier jahrzehntelang benutzt haben, für trockenere Bedingungen schlecht aufgestellt sind. SO4 und 5BB liegen allerhöchstens im Mittelfeld, die Vitis rupestris-Unterlagen 110 Richter und 1103 Paulsen stehen in dieser Hinsicht wesentlich besser da, weil sie einen stärkeren Umfang besitzen und einfach tiefer wurzeln. Auch die Laubwandgestaltung (niedriger nämlich, weil weniger Wasserverbrauch dank weniger Verdunstung über die Blätter) kann viel zur stärkeren Trockenresistenz beitragen. Allerdings würde man gern vorher wissen, ob nicht doch ein nasser Sommer kommt, bevor man die Laubwand kappt. Denn unser Problem sind ja nicht nur Hitze und Trockenheit, sondern es ist die auch die hohe Schwankungsbreite. Aber gut, zumindest tiefere Wurzeln sind immer ein Vorteil.

Begrünung und alte Reben helfen

Das zeigte auch sehr eindrücklich Marco Hoffmann mit seinen Messungen. Zwei Dinge sind mir dabei besonders stark aufgefallen. Nummer Eins: Die Hangneigung hat einen überraschend geringen Einfluss auf den Oberflächenabfluss, die Begrünung hingegen einen immensen. Das erscheint mir umso wichtiger, als wir mit höheren Sommertemperaturen mehr Energie in der Atmosphäre und damit eine höhere Wahrscheinlichkeit von Starkregenereignissen haben. Also: Jede Zeile, die auch im Sommer begrünt wird, hilft dabei, Wasser im Weinberg zu halten – von Humus gar nicht zu sprechen.

Vortrag Hofmann Weinbautage Veitshöchheim

Nummer Zwei: Rebalter und damit Wurzeltiefe besitzen ebenfalls einen riesigen Effekt, wenn es um das Vermeiden von Trockenstress geht. Wurzeln die Reben zwei Meter tief, haben sie zu 83 Prozent maximal fünf Tage Trockenstress im Jahr. Wurzeln sie 80 Zentimeter tief, ist das nur zu 27 Prozent der Fall. Junganlagen leiden also am meisten und sind deshalb in Trockenfällen auf zusätzliches Wasser angewiesen. Alte Anlagen, die ja noch deutlich tiefer als zwei Meter wurzeln können, haben dagegen fast keine Probleme. Wer also seine Reben zu früh rausreißt statt sie drinzulassen (und sie entweder so zu nehmen oder umzuveredeln), macht in Zeiten zunehmender Trockenheit schlichtweg etwas Dummes.

Wie viel Wasser braucht man denn nun?

Interessant war in dieser Frage ein Versuch der LWG in der Lage Himmelstadter Kelter. Mit »moderater Bewässerung« war es da möglich, den Trockenstress einer Müller-Thurgau-Anlage im Sommer 2022 auf ein sehr vernünftiges Maß zu reduzieren. »Moderate Bewässerung« bedeutet hier konkret zehnmal je acht Liter Wasser pro Rebstock.

Was heißt das in Summe? Nehmen wir an, wir hätten eine mächtige Parzelle von der Größe eines Fußballplatzes (0,714 ha), die wir mit 6.000 Reben je Hektar bestockt haben. Dann müssten wir, damit wir die Rebe in einem moderaten Trockenstress halten, immerhin pro Saison 342.720 Liter zusätzliches Wasser auf diese Parzelle geben. Als Tropfen, wohlgemerkt, nicht etwa mit der Gießkanne. Das entspricht einem Würfel mit sieben Metern Kantenlänge. Oder aber zehn bis zur Decke vollgelaufenen Zimmern mit 15 m² Grundfläche.

Nehmen wir jetzt an, ihr bekommt dadurch einen Hektarertrag von 100 hl Wein. Dann bedeutet das, dass ihr für eine Flasche Wein im Feld etwa 60 Flaschen zusätzliches Wasser vertröpfeln müsstet. Ist das viel oder eher wenig? For you to judge. Ich wollte das nur einmal plastisch darstellen.

Main bei Margetshöchheim

Weinbautage – lernende Maschinen und was das alles kostet

Damit bin ich ehrlich gesagt durch mit dem Text, mit den Themen der Weinbautage allerdings längst noch nicht. Es kamen allein am ersten Tag nämlich noch der fulminante Vortrag von Dr. Matthias »Mätti« Porten vom DLR Mosel, der bei aller Unterhaltsamkeit gleichzeitig Begeisterung und leichten Grusel hervorrief, was künftig mit KI im Weinbau alles möglich sein wird. Dazu passte die Geisenheimer Unternehmensanalyse sehr gut, in bewährter Weise von Prof. Dr. Simone Loose dargeboten. Ihre Frage zu den fantastischen Maschinen, die spritzen, schneiden, ernten, lernen und jeden Rebstock mit Vornamen kennen: »Wer soll denn das bezahlen?« In eine ganz ähnliche Richtung ging der abschließende Beitrag von Beate Leopold vom Weinbauring Franken, die zwar über Kostenexplosionen im Weinbau sprach, aber das meiste Gemurmel im Saal hervorrief, als sie eine kleine Schafherde als natürliche Beikrautregulierer zeigte.

Fazit – Wie geht’s bittschön weiter?

Tatsächlich, und das macht sowohl die Sache an sich als auch die Veranstaltung so ungeheuer spannend, fächert sich die Weinwelt immer weiter auf. Alle, die künftig hierzulande Wein herstellen und verkaufen möchten, müssen rechtzeitig Entscheidungen treffen, wo sie sich innerhalb dieses Spektrums ansiedeln wollen.

Schafe im Weinberg, winzige Erträge, handgemalte Etiketten, ein paar tausend Flaschen teurer Naturwein? Das macht zwar Mühe und eckt manchmal an, aber es funktioniert.

Große Zusammenschlüsse, KI-Maschinen, die man sich teilt, perfekt aufgestellt in der Kommunikation, Nachhaltigkeitszertifikat, ertragsstarke Piwis, Flachlagen, exportorientiert – andere Seite des Spektrums, aber dürfte ebenfalls gehen.

Kundenpflege im regionalen Ballungsraum, Landerlebnis bieten, Traumwochenende auf dem Weingut, dazu guter Silvaner im Bocksbeutel – auch so könnte es funktionieren.

Aber: Was vermutlich spätestens in 20 Jahren nicht mehr da sein wird, ist die Art semi-industrieller Weinbau, wie ihn mindestens drei Viertel (vermutlich noch viel mehr) unserer Väter, Mütter und Zeitgenossen betreiben. Das ist mir bei den ganzen Vorträgen wieder bewusst geworden. Auch mit Fördermaßnahmen und politischen Vetos hält man den Lauf der Zeit nicht an.

Einen kleinen Hint für Alternativen bot der zweite der Weinbautage. Der beschäftigte sich nämlich mit Rot- und vor allem Roséwein. Lustigerweise hatte einer der Referenten, nämlich Felix Baumann von der LWG und dem Weingut Forellenhof, seinen Rosé letztes Jahr zu einer Falstaff-Competition eingeschickt. Der Wein hat dann (bestätigte mir Verkoster Uli Sautter) komplett abgeräumt und dieselben 92 Punkte mitgenommen wie die absolute deutsche Spitze.

Mein Meta-Fazit zum Schluss also: Wer alles verstanden hat, fähig ist und ein bisschen Glück hat, kann auch weiterhin seinen eigenen Weg gehen. Und das klingt in unserer latent bedrohlichen Welt doch irgendwie versöhnlich…

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3 Antworten zu Lieber Wasser als Wein? Die Weinbautage in Veitshöchheim

  1. Felix sagt:

    Moin MAtthias,

    zu Deiner Wasserrechnung habe ich eine Frage: 342.720 Liter Wasser für die Erzeugung von 7.140 Litern Wein schreibst Du und dann “dass ihr für eine Flasche Wein im Feld etwa eine halbe Flasche zusätzliches Wasser vertröpfeln müsstet“
    Sind das nicht eher 60 Flaschen Wasser (0,75l), oder mache ich einen Denkfehler?
    cheers und Danke für den interessanten Bericht
    Felix

    • Matze sagt:

      Ja, lieber Felix, der Denkfehler lag bei mir, du hast natürlich vollkommen recht. Ich korrigiere es sofort (leider macht es die Sache noch deutlich schlimmer 😉 )

  2. Pingback: Weingut Deppisch - Entdeckerfreude mit mutigen Weinen - Chez MatzeChez Matze

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