Das, meine lieben Freundinnen und Freunde des ROTEN DEUTSCHLANDS, ist vielleicht mein wichtigster Artikel in dieser Serie. Gut, es mag spannendere Themen geben mit spektakulären Weinbergen, vergessenen Rebsorten und schrägem Zeug. Aber de facto sind die kleinen Spätburgunder einfach die Rotwein-Kategorie in Deutschland mit dem größten Umsatz. Und das alte Sprichwort, dass man einen großen Winzer an seinem kleinsten Wein erkennen kann, ist eines derjenigen mit der allerhöchsten Validität. Hier folgen jetzt also vier Spätburgunder unter 15 € (teils sogar deutlich darunter), die mir vor allem in ihrer Unterschiedlichkeit viel Spaß gemacht haben.
Deutsche Rote unter 15 € – die kleine Revolution
Ich wiederhole mich ungern, aber an dieser Stelle muss ich es tun. Hätte ich diesen Test mit deutschen Spätburgundern vor 20 Jahren gemacht, hätte ich nicht nur eine viel geringere Auswahl gehabt, sondern vor allem auch eine geringere Qualität. Die Ausbildung angehender Winzer*innen hat sicherlich das meiste dazu beigetragen. Studium in Geisenheim, verschiedene Auslandspraktika, gar ganze Arbeitsstationen nach dem Abschluss. Lernen von den Besten, das Streben nach Qualität im Detail, Ertragsreduzierung, unterschiedliche Klone, das Revival des Holzfasses, aber mit Fingerspitzengefühl, die echte spontane Maischegärung, das Unterlassen von stark beeinflussenden Elementen wie Schönung und Filtration. All das.
Und natürlich lässt sich auch nicht von der Hand weisen, dass wärmere Durchschnittstemperaturen an der ehemaligen Nordgrenze des Weinbaus positive Effekte haben können. Interessanterweise aber eben nicht dadurch, dass man die roten Trauben der größtmöglichen Sonneneinstrahlung aussetzt, denn Spätburgunder lebt ja von Feinheit und Balance und nicht von ruppiger Dörrhitze.
Bei der Preisgestaltung sind wir übrigens weit von burgundischen Tendenzen entfernt. Gut, das hier sind keine Premiers Crus, was man vor allem an der geringeren Dichte merkt. Aber ich war wirklich überrascht, dass letztlich von den vier übrig gebliebenen Weinen nur einer tatsächlich an der 15 €-Schwelle kratzt. Zwei bleiben sogar unter 10 €. Und damit gehen wir rein in die Top 4. Wie üblich ist die Aufzählung hier allein meiner Tasting-Abfolge geschuldet.
Rings Spätburgunder 2019
Das Weingut Rings aus dem pfälzischen Freinsheim ist mittlerweile mit ganz oben in Deutschland gelandet. Was hier passiert ist in den letzten Jahren, kann man nur als schlichtweg atemberaubend bezeichnen. Und noch besser: Ich kennen niemanden, der das anders sieht. Kleines Beispiel dafür: Ein Kollege war offenbar bei der Ernte dabei und berichtete dann ganz aufgeregt: “Das glaubst du nicht, die selektieren die Beeren auf dem Sortiertisch – bei ihrem Gutswein!” Unfiltriert ist der Wein eh, mittlerweile bio-zertifiziert, 12,90 € ab Hof.
Im Glas der dunkelste der vier Weine, und in der Nase erst ein bisschen wild. Gärnoten, Holzkohle, Rauch, dahinter Schwarzkirsche – hui! Am Gaumen besitzt der kleine Rings eine kräftige Säure und insgesamt viel Kernigkeit und Intensität. Das ist ein wirklich fester Wein, aromatisch ebenfalls eher dunkel sauerkirschig gehalten, ein bisschen fordernd, aber er hält diesem Anspruch auch absolut stand. Ein bisschen fühle ich mich bei dieser festen Blauschwärze tatsächlich an einen hochwertigen Wein aus Oregon erinnert. Vor drei Jahren hatten wir ja in einem wunderbaren Test Pinots aus Burgund und Oregon miteinander verglichen. Wer auf Expressivität und individuellen Ausdruck schon beim Gutswein steht, kommt am Rings Spätburgunder nicht vorbei. Das ist schon ein echter Knaller.
Sander Spätburgunder Lössterrassen 2018
In Kooperation mit dem Weingut Sander möchte ich euch diesen Spätburgunder vorstellen. Das Weingut Sander befindet sich in Mettenheim am Rand der Hügel, die aus der Rheinebene aufsteigen. Genau sechs Kilometer sind es bis zu Aulerde, Kirchspiel, Morstein, ihr kennt die Promi-Lagen. Das Besondere am Weingut Sander ist aber vor allem die Tatsache, dass sich bereits der Großvater des jetzigen Besitzers in den 1950er Jahren mit ökologischem Weinbau beschäftigte. Soll heißen: Die Mannigfaltigkeit systemischer Pestizide ist Reben und Böden hier gänzlich unbekannt. Der ausgewählte Wein stammt von den Lössterrassen, ist spontanvergoren und in gebrauchten französischen Barriques gereift. 14,90 € ab Hof und das einzige Exemplar aus dem Jahrgang 2018, das es unter die Top 4 geschafft hat.
Farblich sind die Lössterrassen eher auf der hellen Seite. Aber nicht nur farblich. Das ist nämlich ein wahrhaft spannendes Kontrastprogramm zum Rings. In der Nase erst ziemlich ätherisch, erinnert mich spontan an eingelegte Kirschblätter, sakura ha no shiozuke auf Japanisch. Am Gaumen bleibt dieses leicht Balsamische weiterhin präsent, Süßkirsche, Walderdbeere, bevor dann eine überraschende weißpfefferige Würze folgt. Zum Glück, denke ich mir, bin ich kein Zehn-Sekunden-Tester, der nach den ersten Primäraromen ausspuckt und dann “85!” oder “93!” schreit. So harmlos-gleitend der Sander-Wein nämlich erst wirkt, hat er einen enorm langen Atem.
Das zeigt sich besonders bei meiner kleinen Foodrunde. Es ist nämlich so, dass vernünftigerweise kaum einer der Weine ausschließlich als Solist getrunken wird. Deshalb probiere ich über zwei Abende eine abenteuerliche Bandbreite an kleinen Häppchen dazu. Nicht alles halte ich danach systematisch fest, schließlich darf so ein Test auch dem Tester selbst Spaß machen. Was mir aber auffällt ist die Tatsache, dass so ein hell-nachhaltiger Typus wie der Sander Lössterrassen-Spätburgunder besser als andere mit pikanten oder gar scharfen Dingen umgehen kann. Ich sage einfach mal in Sichuan-Pfeffer mariniertes Schweinefleisch.
Gabel Spätburgunder 2019
Eigentlich wollte ich ja Dopplungen vermeiden und nicht wieder den Spätburgunder von Oliver Gabel hier vorstellen. Das hatte ich nämlich hier schon einmal gemacht – nebst einem wahrhaft feinen Weißburgunder. Aber leider hat er sich beim Test dann tatsächlich durchgesetzt, was soll ich tun… Auch bei diesem kleinen Spätburgunder selektive Handlese, Spontangärung, ein gutes Jahr Ausbau im französischen Barrique, unfiltriert abgefüllt, und dann für gerade einmal 9 € an Mann und Frau gebracht. Bio-zertifiziert auch noch. Zeigt mir bitte mal ein Exemplar aus einem anderen Land, das diese Merkmalskombination vorweisen kann. Okay, es geht hier natürlich nicht nur um theoretische Leistungen, der Wein muss ja auch schmecken.
Nachdem ich die Flasche aufgeschraubt habe (verblüffend, der einzige Schrauber unter den Top 4), strömt mir ein sehr kühler Duft aus dem Glas entgegen. Sauerkirsche, leicht buschiges Brombeerblatt, Minze oder doch eher Shizo. Am Gaumen ist das definitiv der kühlste, kargste, schlankste Wein unter den Top 4. Man muss so einen Typus schon mögen, das gebe ich gern zu. Aber hier ist dieses Federleichte herb grundiert, ideal austariert, das Gegenteil von Kitsch. Ich habe ja neulich die Fagus-Werke besucht (allerdings nicht auf dem Blog darüber berichtet, wie ich gerade feststelle). An diese bauhausigen Linien musste ich beim Genuss dieses Weins denken. Das ist streng – aber elegant.
Holger Koch Spätburgunder Kaiserstuhl 2019
Die Weine von Holger Koch kenne ich schon seit vielen Jahren. Es muss Mitte der Nullerjahre gewesen sein, als ich sie zum ersten mal auf einer der legendären K&U-Hausmessen probiert habe. Interessanterweise ist mir damals die Wertigkeit der Koch’schen Produkte noch gar nicht so stark aufgefallen, weil besonders die Weißen sich viel eher als geniale Speisenbegleiter eignen denn als Solokünstler. Vielleicht sind die Weine aber auch tatsächlich mit den Jahren noch besser, feiner, präziser geworden, weil Holger Koch als Undogmatiker ständig an kleinen Details feilt. Hier jedenfalls steht Spätburgunder auf der Flasche, und deshalb sind auch die Beeren aus Freiburger Klonen drin. Echt Kaiserstuhl eben, aber nicht in breit. 12,5 vol% (keiner der Weine hier im Artikel hat mehr als 13 vol%), 9,70 € ab Hof.
Dass der Kaiserstuhl mit die heißesten Lagen in Deutschland sein Eigen nennen kann, merkt man bei den Weinen von Holger Koch nie. So auch diesmal. In der Nase ist das ein sehr interessantes Potpourri aus ganz unterschiedlichen Eindrücken: erdige Dominanz, Kakaopulver, Sumach, kleine Beerenfrüchte erst dahinter. Auch im Mund gibt es weiter eine fruchtige und eine bodennahe Komponente, da trifft sich die Walderdbeere mit etwas Kurkuma-haftem. Natürlich ist der Spätburgunder von Holger Koch wärmer angelegt als die Version von Oliver Gabel, bietet aber dennoch Tiefe und Festigkeit bereits auf Gutsweinniveau.
Mein Fazit
Mit der Auswahl für diesen Artikel habe ich mich wirklich schwer getan. Und das nicht etwa, weil ich nach einigermaßen passablen Kandidaten suchen musste, sondern weil es schlicht zu viele davon gab. Auf den Plätzen 5 und 6 befinden sich zum Beispiel Ziereisens Tschuppen und der Guts-Spätburgunder von Peter Wagner, also richtig gute Weine.
Tatsächlich, ich schrieb das ja weiter vorn bereits, haben mich aber nicht nur Qualität und Preiswürdigkeit positiv überrascht. Wie individuell die Interpretationen nämlich ausfallen können, merkt man eigentlich erst, wenn man solche Weine innerhalb weniger Sekunden direkt miteinander vergleicht. Alle vier Weine haben mir in diesem Sinne gleich gut gefallen, aber ich würde sie je nach Stimmung und Begleitfunktion in ganz unterschiedlichen Situationen aufmachen.
Diese nominell auf der Basisstufe (oder eine darüber) der jeweiligen Winzer gelegenen Weine bieten bereits einen wunderbaren Ausblick auf das, was in dem Weingut philosophisch und stilistisch los ist. Dass es sich um drei biologisch zertifizierte Betriebe – und einen nach ähnlichen Maßstäben arbeitenden – handelt, die im Keller auch ihre kleinen Weine so achtsam behandeln wie ihre großen, ist dabei wahrscheinlich gar kein Zufall. Hut ab jedenfalls, so kann es weitergehen.
Lieber Matthias,
danke für Deine Recherchen und diesen wunderbaren Artikel, der meine Neugier zu 100% befriedigt. Sehr schön, dass diese Weine alle nicht mehr als 13% vol. haben. Mehr braucht Spätburgunder nicht.
Ein weiteres Beispiel für einen eleganten und fruchtbetonten, im Fuder ausgebauten Spätburgunder vom Schiefer ist der 2019 Spätburgunder vom Weingut Thanisch aus Lieser. Er hat zwar 13,5% vol., bindet die aber wunderbar ein und bleibt kühl im Stil. 2,8 g/l Restzucker und 4,8 g/l Säure, rote Beeren, schwarzer Pfeffer, leicht salzige Mineralität, gute Balance und eine schöne Länge. Entrappung, 14 Tage offene Maischegärung, unter 12 €.
Kennst Du schon den biologisch erzeugten 2019 Jurakalk von Helmut Dolde?
Drei weitgehend unbekannte Weingüter mit darum (?) sehr preiswerten Weinen aus der Südpfalz sind Richard Rinck (Herrenpfad), Karlheinz Becker (Bunter Sand & Im Käferpflug) und Ehrhart (Bio, unfiltrierte Abfüllung, Ausbau in älteren Barriques schon beim Gutswein, der ‘R’ für 14 € reift in neuem Holz).
Schönen Gruß
Thomas
Danke für deine zusätzlichen Tipps! Probiert habe ich davon glaube ich gerade einmal Ehrhart, die anderen vier nicht. So wie es aussieht (es kommen ja noch mehr Artikel im ROTEN DEUTSCHLAND), wird immer mal wieder ein kleiner Spätburgunder eingestreut. Ich hätte jedenfalls schon wieder ein paar Kandidaten 😉 . Aber ich muss zugeben, die hier im Artikel haben sich natürlich schon gegen echt starke Konkurrenz bewiesen…
Tolle Zusammenstellung! Das macht neugierig! Koch und Rings habe ich bestellt, bin gespannt!!
Grüße Ralph
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