Wie komme ich auf die Idee, Insekten zu essen? Und wieso gebe ich eine Weinempfehlung dazu ab? Okay, Letzteres ist weniger exotisch, schließlich befindet ihr euch hier auf einem Weinblog. Auf die Insekten bin ich gekommen, als ich bei der diesjährigen digitalen BIOFACH auf einmal gemeinsam mit Franzi vom Start-up Essento im Breakout-Room saß. Essento stellt Insekten-Snacks her, und zwar mit interessant klingenden Gewürzmischungen. Nun ist es ja so, dass ich immer mal Essen ausprobiere, das ich noch nicht kenne. Percebes zum Beispiel oder Seeigel oder Farn oder kroatisches Gemüse oder auch Sachen aus dem Asia-Markt um die Ecke. Also warum nicht mal Insekten?
Darf man Insekten essen?
Ich hatte mir selbst versprochen, zu diesem Artikel nicht allzu lange zu recherchieren. Nur probieren und fertig. Aber ehrlich gesagt bin ich ziemlich schnell auf die Frage gestoßen, ob man Insekten eigentlich essen darf. Also nicht in dem Sinne, dass wir das ohnehin ständig tun – zumindest im Sommerhalbjahr. Als Kind hatte ich bei einer Blind-Chipsverkostung mal einen dicken Käfer dabei, der in die Tüte geflogen war. Diese Art des Dürfens meine ich also nicht, sondern die rechtliche Frage.
Tatsächlich gelten Insekten in der EU seit dem Jahr 2018 nämlich als sogenanntes Novel Food, also neuartiges Lebensmittel. Das sind alle Lebensmittel, die – so ist das definiert – vor dem 15. Mai 1997 noch nicht “in nennenswertem Umfang” in der EU verzehrt wurden. Möchte ein Hersteller etwas Neuartiges hier auf den Markt bringen, muss er einen Antrag auf Zulassung einreichen. Was der 15. Mai 1997 damit zu tun hat? Das ist das Datum der alten Verordnung, die einen solchen Zulassungsprozess noch nicht kannte. Insgesamt geht es dabei natürlich nicht um Geschmack, sondern um Lebensmittelsicherheit. Der Hersteller beantragt also die Zulassung, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) begutachtet das, und die EU-Kommission fällt einen Beschluss darüber.
Traditionelles Lebensmittel
Insekten werden in weiten Teilen der Welt als Lebensmittel verspeist. Escamoles in Mexiko, Heuschrecken in Guatemala, frittierte Käfer in Thailand, Sagowürmer in Malaysia. Wer schon einmal in diesen Ländern unterwegs war, hat vielleicht die Stände mit den Snacks am Straßenrand gesehen. Ganz klar, dort ist das ein traditionelles Nahrungsmittel und kein Novel Food. In der EU haben die Hersteller mittlerweile Zulassungsanträge für 15 verschiedene Insektenarten eingereicht. Am weitesten gediehen ist dabei der Mehlwurm. Im Januar 2021 hat die EFSA ein positives Gutachten darüber abgelegt, jetzt muss die Kommission entscheiden. Weniger langwierig als die EU sind allerdings die Schweizer. Dort darf man Insekten-Snacks herstellen – verkaufen allerdings auch bei uns. Deshalb kommen meine getesteten Insekten aus der Schweiz.
Insekten-Snacks im Praxistest
Vier verschiedene Insekten-Snacks habe ich probiert. Drei sind auch dem Foto oben, das vierte, Grillen mit Thai-Gewürzen, kam später noch dazu.
Acheta mit Paprika
Acheta domesticus ist die Hausgrille. Die Grillchen sind knapp zwei Zentimeter groß und stellen beim Kauen keine Herausforderung dar. Allerdings ist das Paprikapulver eine solche, ein bisschen jedenfalls. Wer viel mit echtem Paprikapulver kocht und nicht etwa mit Granulat, weiß, dass das Pulver die Neigung zum Klumpen besitzt. Klütern, sagte mein Großvater. Das passiert auch hier. Obwohl mir die Paprikawürzung wegen ihrer Nähe zum ungarischen Ideal wirklich gut gefällt, gibt es für die unkräckige Konsistenz des Snacks einen Punktabzug. Weinbegleitung: ein kontinentaler Weißer, Welschriesling zum Beispiel. Oder ein samtiger Rosé, fast noch besser.
Locusta mit Alpine Herbs
Locusta migratoria ist die Europäische Wanderheuschrecke. Wanderheuschrecken sind ziemliche Trümmer und mit Abstand die größten der Snäckereien hier. Auch bei dieser Version verteile ich wieder viel Lob für die Würzung. Rosmarin, Liebstöckel und Oregano sind die drei wichtigsten Zutaten, und das schmeckt richtig gut. Aber es gibt ebenfalls einen Minuspunkt, und zwar wegen der Spelzigkeit der Heuschreckenflügel. Weinbegleitung: Ich bin virtuell in der Schweiz, also nehme ich einen dichteren Weißen mit nicht allzu viel Säure, einen Petite Arvine zum Beispiel.
Tenebrio mit Salt & Pepper
Tenebrio molitor ist der Mehlkäfer. Hier geht es allerdings nicht um den Käfer selbst, sondern um seine Larven, die Mehlwürmer. Optisch und von der wimmeligen Vorstellung her ist das vielleicht das gewöhnungsbedürftigste Produkt. Aber das beste. Und das liegt sowohl an der Würzung als auch an den Würmern. Wichtigste Würzzutat ist nicht etwa Schwarzer, sondern Rosa Pfeffer, und das prägt den Geschmack erheblich. Rosa Pfeffer ist in Wirklichkeit gar kein echter Pfeffer, sondern gehört zu den Sumachgewächsen. Richtig, Sumach wie in der persischen Küche. Die Mehlwürmer selbst besitzen eine kraschig-mürbe Textur, schmecken leicht nussig und pappen nicht zusammen. Weinbegleitung: Hier passt vieles. Ein heller Roter nach Art eines Trollingers geht ebenso wie ein spritziger Sauvignon Blanc. Also stimmt die Überschrift dieses Artikels schonmal.
Acheta mit Thai-Gewürzen
Die Hausgrille Acheta hatten wir ja bereits. Die Thaimischung besteht aus Chili, Ingwer, Koriander, Kreuzkümmel, Zitronengras, der ganzen Bandbreite. Und die ist wieder sehr schön, richtig aromatisch mit einer ansprechenden Schärfe. Aber auch hier klütern die Grillen und mindern den Genuss etwas. Weinbegleitung: In Thailand hatte ich zu einem ähnlich gewürzten Snack einen dicht-gelben und fruchtsüßen Chenin Blanc getrunken und fand die Kombination sehr gelungen. Aber auch eine Silvaner Auslese müsste gut funktionieren.
Mein Fazit
Insekten als Snacks sind in unseren Breiten ungewöhnlich und erfordern deshalb beim Probieren ein bisschen Überwindung. Was mir bei allen vier Sorten sehr gefiel, das war die total unkünstliche Würzung. Allerdings stellt der anspruchsvolle Esser, der so etwas nicht ausschließlich aus Gründen der Proteinzufuhr verspeist, doch gewisse Unterschiede in der Konsistenz und deshalb vielleicht auch in der Eignung der unterschiedlichen Insekten fest.
Die Mehlwürmer waren dabei mein absoluter Favorit. In Kombination mit dem Rosa Pfeffer geht das abends auf der Couch ganz hervorragend. In weniger aromatischer Würzung könnte ich mir die krossen Mehlwürmer auch sehr gut als Notration für die Bergwanderung vorstellen. Oder wenn ihr eine interessante Vorspeise für die Fusion Food-Party sucht.
Fall ihr euch am Schluss dieses Artikels fragen solltet, ob ihr Insekten als Nahrungsmittel wirklich braucht, kann es da nur eine sinnvolle Antwort geben. Selbstverständlich, nämlich ebenso dringend wie Wein…