Früher war nicht alles besser. Das gilt zum Beispiel für die ersten Natural Wines, die ich vor gut zehn Jahren probiert habe. Damals war das eine neue und wilde Bewegung mit neuen und wilden Winzertypen, gern aus dem Süden Frankreichs. Weder Winzer noch Händler in dieser Szene verstanden viel von Wein, von seiner Bereitung, seiner Lagerung, denn es sollte ja ein Gegenentwurf sein zu dem blasierten Auftreten der Bordeaux-Connoisseure. Als Resultat konnte ein solcher Wein frisch vom Fass köstlich sein, aber sehr sehr viele von ihnen bekamen ziemlich schnell Essigstich, Mäusel, wasweißich, klassische Weinfehler, die man auch mit Charme nicht so leicht wegwischen konnte. Ich mochte diesen quereinsteigerigen Ansatz eigentlich sehr. Aber ich fragte mich auch, wie es wohl wäre, wenn Leute mit richtiger Weinahnung solche Sachen machen würden. Mittlerweile gibt es das. Die Domaine Weinbach ist ein Star in Frankreich, und der MFØ ist ihr Natural Wine.
MFØ 2019 von der Domaine Weinbach – Orange Wine aus dem Elsass
Die Domaine Weinbach ist seit 120 Jahren das Werk der Familie Faller. Glorioses und Tragisches gehen hier Hand in Hand, um es mal übertrieben pathetisch auszudrücken. Das Weingut in Kaysersberg ist im Besitz des Clos des Capucins, einer legendären Lage, deren Weine bereits im Jahr 890 erstmals erwähnt wurden. Daneben besitzt es Parzellen in vier Grand-Cru-Lagen, und zwar Schlossberg, Furstentum, Mambourg und Marckrain. Nach dem Tod von Ehemann Théo führte Colette Faller das Weingut erst allein, später mit ihren beiden Töchtern und etablierte es endgültig im Olymp des französischen Weinbaus (drei Sterne im Guide der RVF, die höchste Kategorie). Nachdem im Verlauf weniger Monate zunächst Tochter Laurence ganz überraschend und dann auch noch Mutter Colette verstorben waren, machte Catherine seit dem Jahr 2015 zunächst allein weiter. Mittlerweile sind offiziell Catherines Söhne Théo und Eddy an Bord, der dafür aus Brasilien zurückkehrte.
Catherine und Laurence hatten im Jahr 1998 die ersten 8 ha biodynamisch bewirtschaftet, und seit dem Jahr 2005 wird das gesamte Weingut so betrieben. Riesige Klassiker des Sortiments (und auch meine große Empfehlung) sind die Riesling-Grands Crus. Es gibt den “normalen” Schlossberg, den Schlossberg Ste-Catherine und den Schlossberg Ste-Catherine Inédit, über den Christoph vor einiger Zeit berichtet hatte. Die ersten beiden sind trocken, der Inédit besitzt eine gewisse Restsüße.
Hier sind wir aber beim MFØ (Macération Furstentum Ø Intrant). Der Grand Cru Furstentum besitzt Kalkmergel im Untergrund, bedeckt von tertiärem Geröll, ist südausgerichtet und entsprechend warm. Im Jahr 1330 erstmals erwähnt als Besitz des Bistums Basel, handelt es sich um eine klassische Gewürztraminer-Lage. Der MFØ des Jahrgangs 2019 schließlich ist der erste Orange Wine des Weinguts. 70% Gewürztraminer, 30% Pinot Gris, Handlese, Spontangärung in Eichenfässern auf der Maische, anschließend Umzug in Stahltanks, malolaktische Gärung und Lagerung auf der Vollhefe. Nicht geschönt, nicht filtriert, nicht geschwefelt – voilà.
Wie schmeckt der Wein?
Als ich den Wein ins Glas schenke, leuchtet mir spontan ein, weshalb man orange als vierte Weinfarbe bezeichnen kann. So ein idealtypisches Orange sieht man selten in dieser Kategorie. Zugegeben, Gewürztraminer und Grauburgunder sind von der Farbe ihrer Beerenhaut natürlich auch bestens dafür geeignet. In der Nase dominiert der Gewürztraminer, und zwar schon in seiner heißen Variante. In Alkohol eingelegte Rosenblätter, etwas zimtig-Orientalisches, normal für die Rebsorte, aber im Vergleich mit dem Rest der Weinwelt schon sehr eigenständig.
Im Mund gibt es viel Stoffigkeit bei mittlerer Säure. In Wirklichkeit sind das analytisch nur 3,9 g, aber bei 0 g Restzucker (sprich wiederum zéro) ist das ein Wein, der für mich den Herbst in seiner goldbraunsten Pracht repräsentiert. Hellpflaumige Würze ist reichlich da, Gerbstoffe auch ein wenig, letztlich aber alles auf eine gezähmt-elegante Art. Zwar steht auf dem Etikett, da es sich ja um einen vin naturel reinsten Wassers handelt, dass man die Flasche ständig bei weniger als 14°C halten sollte, aber der MFØ wirkt komplett sauber und ist meiner Erfahrung nach auch entsprechend robust. Das ist schlichtweg ein hochwertiger Gewürztraminer aus dem Elsass – aber mit enorm viel individuellem Charakter.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich den MFØ der Domaine Weinbach genau hier, im Weinladen La Bonne Bouteille in Sélestat im Elsass. Es gibt, ich wiederhole mich gern, sowohl in der Stadt selbst als auch im Umland eine Unzahl an weinisch-gastronomisch-kulturellen Hotspots. Wenn es dieses Jahr irgend möglich ist, werde ich also auch diesmal wieder in der Gegend sein.
Wer die Domaine Weinbach und ihre Reputation kennt, kennt vermutlich auch die Preise, die hier für die Grands Crus üblicherweise abgerufen werden. Zu Recht übrigens, wie ich finde. Ich habe für den MFØ, der aus der Grand Cru-Lage Furstentum stammt und aus zwei im Elsass als Grand Cru-würdig beurteilten Rebsorten bereitet wird, genau 18 € bezahlt. Das ist nicht viel, in Anbetracht der Qualität ohnehin nicht. So sind hier ansonsten die Gutsweine bepreist.
Aber andererseits habe ich mich natürlich auch schon gefragt, wie gut die noblen elsässischen Rebsorten wie Gewürztraminer und Pinot Gris eigentlich laufen. Normalerweise mit Restsüße ausgestattet und reichlich Alkohol, sind das aromatisch und kulturhistorisch zwar enorm interessante Weine – aber mögen Leute unter 70 sowas überhaupt? Falls nein, könnte der MFØ ein Versuch sein, eine jüngere Kundschaft mit traditionellen Rebsorten in hipper Verpackung bekannt zu machen. Handwerklich ist das auf jeden Fall top, daran besteht überhaupt kein Zweifel. Und auch ansonsten: Wenn ihr wieder mal mit anderen Menschen lebhaft diskutieren dürft, über den eigenen Weingeschmack, die Vorlieben, die Vorurteile, über Moden und Traditionen, dies hier ist garantiert der richtige Wein für ein solches Beisammensein. Meine Empfehlung zur Trinktemperatur übrigens: 16 Grad. Ernsthaft.
In Deutschland gibt es den MFØ der Domaine Weinbach (soweit ich das gesehen habe) ausschließlich bei Vinaturel, preislich ganz ähnlich angesiedelt wie im Elsass selbst.