Man mag es bedauern, weil es Missverständnisse und Schubladendenken befördert, aber es lässt sich kaum ändern, dass der erste Sinneseindruck, den wir von einem Menschen oder einer Sache haben, oft der visuelle ist. Das ist auch beim Wein nicht anders. Betrachten wir also das Etikett dieses Weins. Da sitzt ein Typ mit einem Hipster-Bart offenbar auf seiner Harley und knattert wie weiland Dennis Hopper männlich und zugedrogt durch die Gegend. Aber moment mal, das ist ja gar keine Harley, sondern… ein Bonanzarad! (Wann habt ihr zuletzt an dieses Wort gedacht?) Naja, in Wirklichkeit handelt es sich doch eher um einen Californian Cruiser. Aber jedenfalls bekommt der Name Easy Rider dadurch noch einmal einen ganz anderen Klang, nämlich unbedrohlich und wahrhaft kommod.
Vieux Moulin Easy Rider 2019
Der bärtige Typ auf dem Rad ist tatsächlich der Winzer selbst, Alexandre They vom Château Vieux Moulin. Zusammen mit seiner Frau Laurence bewirtschaftet er immerhin 28 ha Reben im südfranzösischen Languedoc. Genauer gesagt in der AOP Corbières auf halber Strecke zwischen Carcassonne und Narbonne. Das Château sieht nicht aus wie ein Schloss, sondern wie ein gewöhnlicher Bauernhof mit ehemaliger Mühle im Dorf Montbrun. Genau das ist es auch. Aber immerhin ein Bauernhof mit Geschichte, sieben Generationen lang und immer polykulturell ausgerichtet. Heiß und trocken ist es in der Gegend, ganz typisch Südfrankreich. Rebkrankheiten kommen selten vor, und so ist es kein Wunder, dass das Weingut biologisch bewirtschaftet wird.
Es gibt ausschließlich rote Rebsorten, nämlich Carignan, Grenache, Mourvèdre, Syrah, Cinsault und ein bisschen Cabernet Sauvignon. Unter den Weinen sind vier Rote und ein Rosé sozusagen klassische Bioweine. Darüber hinaus bereiten Alexandre und Laurence jedoch auch noch einen PetNat und drei Naturels. Alexandre sagt dazu, dieser Ansatz sei bei einem so alten und traditionellen Weingut eine kleine Revolution. Ob diese kleine Revolution auch mit einem kleinen Knatsch der Generationen einherging, lässt er dabei offen.
Der Easy Rider jedenfalls besteht aus Cinsault und Carignan. Vergoren wurde spontan, aber die Pressung fand ziemlich früh statt, weshalb sich die Weinfarbe zwischen Rot und Rosé einpendelt. Alex wollte einen fruchtigen, easy und vielleicht sogar leicht kühl zu genießenden Wein herstellen. Und da es sich um einen Vin de France handelt, der nicht die übliche Qualitätsweinkontrolle durchlaufen muss, kann er ja auch tun, was er möchte.
Wie schmeckt der Wein?
Verschlossen mit einem Naturkork, fließt ein Saft ins Glas mit der äußerst seltenen Weinfarbe pale purple. In der Nase wirkt der Easy Rider sehr fruchtig, und zwar rotfruchtig. Himbeere, Kirsche, rote Pflaume, dazu eine leicht pfefferige Würze. Der Alkohol ist auch spürbar, denn trotz der leicht daherkommenden Art gibt es immerhin 14 vol%, also die gewöhnliche Stärke des französischen Südens.
Als ich den Wein das erste Mal probiere, bin ich ein wenig überrascht. Das ist nämlich kein vin naturel für Leute, die den schrägen Schnitt schätzen. Eigentlich handelt es sich um einen ganz normalen, süffigen, fruchtigen, trockenen und tanninleichten Bio-Rotwein. Einen, den man gut abends zum Essen trinken kann, ohne erst kompliziert überlegen zu müssen, welche Speisen oder welche Gäste dazu passen mögen. Easy Rider bedeutet hier tatsächlich aufmachen, einverleiben, nachschenken. Ich persönlich würde mir einen Wein mit dieser Attitude gern noch ein bisschen leichter wünschen, aber das ist ja bekanntlich Geschmackssache.
Wo habe ich ihn gekauft?
Das ostbelgische Liège, auf Deutsch Lüttich, ist der letzte große Außenposten der französisch geprägten Lebensart. Eine halbe Stunde per Zug oder Auto von Aachen entfernt, muss man allerdings ein bisschen wissen, wo man was finden kann. Vor längerer Zeit hatte ich schon einmal einen kulinarischen Einkaufsführer Lüttich (Teil 1 und Teil 2) verfasst, vor noch längerer Zeit dort auch einmal eine Weile gelebt. Als ich im letzten Jahr wieder dort war, musste ich zu meiner Verwunderung feststellen, dass es genau zwei Gassen in der ansonsten lange Zeit vernachlässigten Altstadt gibt, die einen echten Aufschwung genommen haben. Ich spreche von En Neuvice und der Rue Souverain Pont.
In letzterer ist beispielsweise der hervorragende General Store Wattitude zu finden, ein strikt regionaler Kramladen im Los Angeles Style. Und in ersterer gibt es Les Petits Producteurs, das Käsegeschäft Uguzon – und Les Vintrépides. Auf der Website sieht es so aus, als würde es sich dabei ausschließlich um einen Spirituosenladen handeln, aber in Wirklichkeit kann man dort schöne (sogar belgische!) Weine erstehen mit einem Schwerpunkt auf Bio und Naturel. 12 € hat mich der Easy Rider letzte Woche gekostet. Ich finde den Preis fair, vor allem in Anbetracht der Aufmachung (ein schönes Geschenk ist das). In Deutschland habe ich den Easy Rider bislang leider nicht gesehen, aber wer weiß, bei der Kombination aus visuellem Eindruck, Geschmack und Preis könnte das doch eigentlich eine lohnende Sache sein…