Diesen Wein hatte ich bereits am Samstag im Boomer-Talk auf Instagram probiert. Aber da so ein Livestream ja immer so schnell vorbei ist und der Wein durchaus ungewöhnlich war, kommt er hier noch einmal im Natürlichen Dienstag. Ich hatte den Campaglione von Filippo Manetti Anfang Januar in Bologna gekauft. Es war das Ende der italienischen Weihnachtsferien. Grüppchenweise flanierten die Menschen in aufgeräumter Stimmung durch die Straßen der emilianischen Hauptstadt. Was 2020 wohl bringen würde? Nur drei Monate später wissen wir zumindest, dass es ganz anders wird als gedacht. Und anders als ich gedacht hätte, präsentiert sich auch dieser Wein.
Campaglione 2016 von Filippo Manetti
Filippo Manetti arbeitete bei einem Hersteller von Klimaanlagen, als er im zarten Alter von 27 Jahren beschloss, sich lokalklimatisch zu verändern. Er erwarb einen leicht heruntergekommenen Gebäudekomplex in den Hügeln der Romagna, gute 20 Minuten südwestlich der Stadt Faenza. In der ehemaligen Kirche dieses Mini-Weilers mit Namen San Lorenzo in Campiume lebt Filippo. Um die Gebäude herum befinden sich 4 ha Rebland, das er mit den in der Gegend üblichen Sangiovese und Trebbiano, aber auch mit Cabernet Sauvignon und Merlot bestockt hat. Zusammen mit ein paar anderen Winzern der Umgebung hat Filippo die BioVitiCultori gegründet, die sich – man könnte es bei dem Namen vermuten – der Biodiversität und dem non-interventionistischen Weinbau veschrieben haben. Konkret bedeutet das: keine Herbizide und Fungizide draußen, nichts systemisch Wirkendes, keine Reinzucht, Filtration, Temperaturregulierung im Keller.
Eigentlich ist Filippo Manetti eher für seine Rotweine bekannt, und sein Campaglione war eher als eine Art Hauswein gedacht. Das hat sich aber inzwischen geändert. Gekeltert wird der Campaglione aus 100% Trebbiano. Trebbiano ist nicht nur eine der am meisten angebauten Rebsorten in Italien, er genießt auch einen zweifelhaften Ruf als Neutralweingrundlage. Genau deshalb allerdings erlauben sich manche Winzer auch Experimente mit Trebbiano, die sie sich mit “edlen” Rebsorten weniger trauen würden.
Die Trauben für den Campaglione jedenfalls durften fünf Tage lang mitsamt den Schalen mazerieren, bevor sie dann sanft abgepresst wurden. Ausgebaut wurde der Wein im Stahltank und dann unfiltriert abgefüllt. Filippo verwendet entweder sehr wenig oder gar keinen Schwefel für seine Weine. Wie es beim Campaglione konkret aussieht, habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Es ist aber auch nicht weiter wesentlich.
Wie schmeckt der Wein?
Ich hatte die Flasche in den Kühlschrank gestellt und eigentlich erst direkt vor dem Boomer-Talk, der Livesendung auf meinem Instagram-Kanal wieder herausgeholt. Zu spär, wie sich schnell herausstellte. Dieser Weine möchte nicht unbedingt kühlschrankkalt genossen werden. Als ich den Campaglione ins Glas gebe, bin ich ein bisschen überrascht. Oben auf dem Titelfoto könnt ihr die beeindruckende Farbe sehen. So dunkel hatte ich sie wahrhaftig nicht erwartet. Der Wein ähnelt farblich eher einem fränkischen Landbier oder einem Cognac. Bernstein bis Amber, wunderbar leuchtend. In der Nase spüre ich leicht gärige Noten, Bratapfel und Aprikose, ein bisschen streng, ein bisschen schmeichelnd.
Im Mund bin ich schon wieder überrascht. Grundsätzlich bin ich ja Überraschungen gegenüber sehr aufgeschlossen. Aber trotzdem wundert es mich, dass mir doch schon ziemlich altem Hasen das bei ein und demselben Wein gleich mehrfach passiert. Aber der Reihe nach: Ich spüre eine mittlere Säure bei einem eher etwas leichteren Körper und weiterhin Aromen von Orange, gelber Pflaume und Aprikose, dazu eine minimale Flüchtigkeit. Der Wein ist insgesamt sehr fruchtbetont gehalten, hat dann aber als Kontrapunkt durchaus kräftige Gerbstoffe zu bieten. So viel Tannin habe ich bei etlichen deutschen Rotweinen nicht gehabt. Zusätzlich gibt es aber eine gewisse Restsüße, die sich zwar vermutlich im “harmonisch trockenen” Bereich abspielt, aber dennoch deutlich spürbar ist. In der Kombination ist das eine wirklich gewagte Sache. Lecker und crazy gleichzeitig. Sowas muss man sich trauen.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich den Wein in der Enoteca Faccioli in Bologna, einem wahrhaft alteingesessenen Haus. Normalerweise schleiche ich in solchen Etablissements gern ein bisschen an den Regalen entlang und lasse mich dann beraten, ob ich von den beiden ausgesucheten Weinen eher den einen oder den anderen nehmen soll. (In der Regel werden es dann doch beide, aber das nur nebenbei.) Bei Faccioli geht das nicht. Man kann zwar dort nicht nur Wein kaufen, sondern auch trinken und dazu ein Häppchen essen. Aber alle Flaschen stehen in Regalen, die in über zwei Metern Höhe erst beginnen. Nur die Besitzerin klettert auf die Leiter. Das ist also ein reiner Beratungsladen.
Also verlasse ich mich komplett auf sie. Nur wie soll ich die Weine beschreiben, die ich mir wünsche? Ich hätte gern einen klassischen Lagerwein (sie holt einen Barolo), einen guten Wein der Region (sie holt La Stoppa) und dann noch, tja… Vielleicht einen Wein, den ich meiner Tochter anbieten könnte. Ich spüre, wie mich die Signora mustert. Ganz offenbar fragt sie sich, wie die Tochter dieses nordeuropäischen Boomers wohl sein könnte. Jetzt nachdem ich den Wein probiert habe, weiß ich es endlich. Der Wein, ich schrieb es ja bereits, ist eine Mischung aus crazy und lecker. Kauft ihn also für eure echten Töchter. Oder für eure innere Tochter. Die 16 € sollten euch das wert sein.