Langlebig, altmodisch, spektakulär – das ist Madeira. Ja, letztlich kann man damit die ganze Insel meinen, die ich vergangenes Jahr im Januar besucht hatte. Ganz konkret beziehe ich mich hier allerdings auf den Madeira-Wein. Und noch viel konkreter auf dieses Schätzchen, das auf dem Tisch vor mir steht: den Sercial von d’Oliveiras. Jahrgang 1969, also 51 Jahre alt, von denen er geschlagene 50 Jahre im Fass zugebracht hat. Und angeblich soll er immer noch munter sein wie ein junges Rehlein. Da ich ihn direkt vor Ort gekauft habe, möchte ich euch erst einmal zeigen, wie es dort so aussieht. Also in den Weinbergen von Madeira und beim Shipper d’Oliveiras.
Sercial – der Wein des Meeres
Madeira hat ein ganzjährig mildes Klima mit Sonne und Regen im Winter, Sonne und Trockenheit im Sommer. Das zieht nicht nur rüstige Rentner und Wanderwütige an, sondern auch stressflüchtige Menschen wie Unge, Deutschlands vielleicht bekanntesten Youtuber. Wein gibt es auf der Insel deutlich länger, nämlich seit dem 15. Jahrhundert. Im Jahr 1419 wurde das bis dahin unbewohnte Madeira offiziell entdeckt und von Portugal in Besitz genommen. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte, die ich an dieser Stelle einmal zeitraffen möchte, entwickelte sich der unverwechselbare Stil der Madeira-Weine. Und zwar aus Rebsorten, die anderswo weitgehend unbekannt sind.
Sercial, Verdelho, Terrantez, Boal und Tinta Negra stammten dabei ursprünglich aus Portugals Norden und wurden von den frühen Siedlern mitgebracht. Der Malvasia de Cândia hingegen wuchs seit dem Altertum auf Kreta. Nachdem die Venezier damit die ganzen Mittelmeer-Anrainer kirre gemacht hatten, dachte sich Heinrich der Seefahrer, dass man diese Rebsorte doch auch gewinnbringend auf Madeira anpflanzen könnte.
Während die Malvasia sich vor allem im sonnigen Süden der Insel etablierte, wachsen die Trauben für die trockensten, säurereichsten Madeiras weiterhin primär an der Nordküste. Auf dem Foto ganz oben seht ihr das gischtend blaue Meer bei Porto Moniz, dem Hauptort für den Anbau von Sercial. Die Reben werden meist im Pergola-System gezogen, die winzigen Weinfelder mit trockenen Ästen vor dem Meereswind geschützt. Anders als man bei einer Insel denken könnte, auf der es auch im Winter 20 Grad warm wird, machen die Weinreben hier eine natürliche Winterruhe durch. An den steilen Nordhängen bei Porto Moniz fällt während dieser Zeit kein einziger Sonnenstrahl auf die Felder – die Sonne steht einfach nicht hoch genug. Viel mehr als durchgegorene 9 vol% haben die Weine aus Sercial allerdings ohnehin nicht, bevor sie für den Ausbau als Madeira verwendet werden – ein bisschen wie bei den Grundweinen für Champagner.
Madeira von d’Oliveiras
Im Prinzip gibt es zwei Methoden für die Herstellung eines Madeira. Der Wein wird bei beiden aufgespritet (der Alkoholgehalt liegt zwischen 17 und 22 vol%) und einem Erwärmungsprozess unterzogen. Beim Canteiro-Verfahren passiert das in Fässern unter dem Dach des Vinifizierers, und zwar mindestens zwei Jahre lang, immer dem Jahresgang folgend. Das Estufagem-Verfahren geht dagegen weitaus schneller, nämlich mindestens drei Monate, während derer Rohre mit heißem Wasser am Wein entlang geführt werden. Jahrgangs-Madeiras wie mein Sercial müssen dabei im Canteiro-Verfahren hergestellt sein. Durch dieses langsame “Durchoxidieren” ist Madeira fast unbegrenzt haltbar und kann (stehend!) auch bereits angebrochen in der Küche ein gutes Jahr problemlos durchhalten.
Pereira d’Oliveira, auch als d’Oliveiras bekannt, ist einer der kleinsten Shipper (= Inverkehrbringer) von Madeira, gleichzeitig aber einer der traditionellsten. Wer einmal in eine Zeitmaschine steigen möchte, voilà, hier am Rande der Altstadt von Funchal ist die Gelegenheit dazu. Als ich von der Straße in den geräumigen Verkaufsraum trete, sehe ich, dass mit einer gewissen Nonchalance in den Regalen bereits spektakuläre Flaschen stehen. Weiter hinten kann man die Fässer erkennen, in denen der Madeira gelagert wird. Und zwar seit 1862, kann das wirklich sein? Ja, es kann. D’Oliveiras besitzt den größten Altbestand an Madeira-Weinen in Fässern. Auf Anfrage von Händlern können auf diese Weise durchaus auch 1850er Weine frisch abgefüllt auf den Markt kommen.
Die wundervolle Preisliste
Während ich mit großen Augen die Reihen der Flaschen abgehe, schenkt die Bedienung als Begrüßung gleich einmal drei einfache Weine aus Tinta Negra ein. Das ist die einzige Rebsorte, die nicht für Jahrgangs-Madeiras verwendet werden darf. Am häufigsten, so erfahre ich, schneien hier Kreuzfahrt-Touristen und andere Urlauber herein und kaufen sich eine Flasche mit dem Geburtsjahr der Großtante, die ja bald ihren runden Geburtstag feiert. Tatsächlich kann man auf der Preisliste erkennen, dass die Jahrgänge zwischen 1937 und 1968 derzeit nicht verfügbar sind. Also die üblichen Onkel- und Tanten-Jahrgänge.
Dafür aber viele andere, und das zu Preisen, die eigentlich jede/n Sammler/in von Weinen und anderweitigen Antiquitäten ganz unruhig machen müsste. Ja natürlich, auch die 152 €, die ich für meinen Sercial 1969 hingeblättert habe, sind echtes Geld. Aber wenn ich daran denke, dass der Wein bereits 51 Jahre alt ist und sich aller Wahrscheinlichkeit nach in einem Top-Zustand befindet, dann erscheint mir der Preis sogar ziemlich günstig. Auch ein 170 Jahre alter (!) Verdelho für 1.300 €, bitteschön, wo bekommt man denn sowas noch?!
Die meisten hochwertigen Madeiras werden übrigens auf dem portugiesischen Festland verkauft, gefolgt von Japan, den USA und Belgien. Auch China ist ein stark steigender Markt. Ohne in die mir ziemlich fremde Panik verfallen zu wollen, sei an dieser Stelle ganz zart auf diese Tatsache hingewiesen. Wenn die Chinesen nämlich erst einmal auf den Geschmack kommen (und solche oxidativen Stile schmecken den Chinesen), dann sind die Altbestände ruckzuck weg. Neu produziert werden diese 1850er bekanntlich nicht mehr…
Die Probe: d’Oliveiras 1969er Sercial
Wie schmeckt denn nun ein 51 Jahre alter Madeira?
Also erst einmal muss ich ja sagen, dass ich diese Ausstattung mit den handgeprägten weißen Buchstaben auf schwarzem Glas sehr schätze. Durch Wachsverschluss und schwere Bleiblechkappe arbeite ich mich vor zum Stopfen. Jetzt also.
Ein wunderbar leuchtendes Rotbraun ergießt sich ins Glas. Allein der Geruch ist schon sehr intensiv. Es gibt Trockenpflaume, Toffee, Kaffee, Röstnoten, und dennoch scheint die Fruchtfrische durch. Sercial ist ja die Rebsorte, aus der nicht nur die trockensten, sondern auch die pikantesten Madeiras gekeltert werden. Am Gaumen ist die Säure wirklich bemerkenswert und gibt den Weg frei für eine verblüffende Frucht zwischen chinesischer Pflaume und Verjus. In der Mitte sieht das wieder ganz anders aus, denn da schmecke ich die geschroteten Kaffeebohnen, die Röstigkeit, gebrannte Mandeln mit Karamell und einen laaangen Abgang.
Der Hersteller (die Fässer stammen ursprünglich aus der Adega do Torreão) empfiehlt eine Trinktemperatur von 18°C, aber ich wage mich an einen Frevel. Wer die enorme Fruchtfrische schätzt, sollte das Ganze kühler trinken, bei vielleicht 12°C, und noch vielleichter sogar einen Eiswürfel dazugeben. Das ist wie ein Longdrink im Sommerkleid.
Bei der ProWein im letzten Jahr hatte ich mich mit Ricardo Diogo unterhalten, dem Kopf des exzellenten Madeirahauses Barbeito. Es ging um Madeira als den Wein der Alten und um die Probierschwelle. “Ja”, sagte er, “die muss man überwinden. Ich bin selbst oft erstaunt, wenn Leute zum ersten Mal Madeira probieren und sagen, das würde sie komplett umblasen. Von selbst wären sie aber nie auf die Idee gekommen, einen Madeira zum Trinken zu kaufen.”
Das Fazit
Also, liebe Leute, tut genau das. Kauft euch einen guten Madeira, was bedeutet, dass es mindestens ein 15jähriger sein sollte. Das geht übrigens sogar online, falls man euch nicht mehr aus dem Haus lässt. Weil er sich gut hält, muss man ihn auch nicht am ersten Abend austrinken. Und dann schaut mal, was ihr dazu sagt…
sehr interessante Abhandlung – Weine beinahe als Sammelobjekte
….Respekt & Vielen Dank