Diesmal geht es im Natürlichen Dienstag nicht nur um den Wein auf dem Foto. Vielmehr geht es primär um das dahinter stehende Konzept. Nathalie Cornec hat ihren Weinkeller nämlich in einer Garage mitten in Marseille. Eine Urban Winery sozusagen. Was sie da macht und welche Weine dabei herauskommen, davon soll die heutige Folge handeln.
Was macht “Pour” eigentlich?
Urban Wineries sind in den letzten Jahren groß in Mode gekommen. Gut, nicht in solchen Metropolen wie Nürnberg, aber in New York, Paris oder London. Das Konzept dahinter fokussiert sich meist auf den Event-Aspekt: Besucher können sehen, wie Wein bereitet wird, können in der Lounge probieren, können aber auch die Räumlichkeiten mieten für eigene Feiern. Alles ist schick im Stil eines BMW-Cabrios, die Weinqualität dafür nicht so furchtbar wichtig (wie vor einiger Zeit ein Test in der Revue du Vin de France offenbarte).
Das Konzept der Urban Winery ist allerdings weder besonders neu noch urspünglich besonders schick. Vor einigen Jahren war ich in der Weinhandlung Jean Berger im niederländischen Roermond. Dort zeigte mir Herr Berger im Keller seine Fässer, Stahl- und Kunststofftanks. Bereits seit 1862 wird hier Traubensaft in die Niederlande geliefert, hauptsächlich aus dem Bordelais, um dann an Ort und Stelle ausgebaut und abgefüllt zu werden. So ähnlich ging es früher an ganz vielen Orten zu, und einige von euch können sich bestimmt noch an einen weinabfüllenden Großonkel mit Glasballons im Keller erinnern. Aber zurück nach Südfrankreich.
Nathalie Cornec vinifiziert seit 2016 in einer 60 m² kleinen Garage mitten in Marseille – allerdings benutzt sie dafür nicht etwa Saft, sondern die frischen Trauben. Diese besorgt sie sich bei befreundeten Winzern im Luberon, im Gard und an der Ardèche. Alle Winzer sind bio-zertifiziert, werden aber auf den Etiketten natürlich nicht genannt. Im Keller, also der Stadtgarage, wird dann vergoren, gepresst, ausgebaut und abgefüllt. Das alles ohne Filtrierung und ohne jegliche Additive. Vins Naturels im engen Sinne halt. Man kann die Weine direkt vor Ort kaufen, allerdings erst nach Feierabend. Nathalie arbeitet nämlich “nebenbei” noch bei einem regionalen Bildungsträger. Wer möchte, kann sich das wirklich sehr interessante und charmante Youtube-Video über Nathalie und ihre Garage anschauen.
Wie schmeckt der Wein?
Die Weine von Nathalie Cornec tragen alle Namen, die mit Pour, also für oder um zu beginnen – dem Namen ihres Unternehmens: Pour l’instant, Pour suivre l’ombre, Pour boire le printemps sans attendre, Pour commencer… Mein Wein heißt “Pour la Vincaillerie“, und das kommt schlichtweg daher, dass es eine Abfüllung für den gleichnamigen Naturel-Weinhandel in Köln ist. Inhaberin Surk-ki Schrade und Nathalie Cornec kennen sich schon seit einigen Jahren. Und beide haben nach unterschiedlichen beruflichen Erfahrungen letztlich den Weg in den Wein gefunden.
Der “Pour la Vincaillerie” ist ein Rotwein aus Merlot und Grenache, wie gesagt komplett unbehandelt. Wenig überraschend handelt es sich um einen Vin de France ohne genauere Herkunftsbezeichnung oder Jahrgang. Der Wein hat einen Naturkork, denn irgendwie gehen Schrauber rund ums Mittelmeer überhaupt nicht. Ein mittleres, leicht trübes Rubinrot leuchtet im Glas, und ein kleiner Stinker steigt in die Nase. Dann kommen aber überraschenderweise Syrah-ähnliche Noten wie Wildleder, rohes Fleisch und schwarzer Pfeffer. Am Gaumen bizzelt der Wein leicht und präsentiert dann eine ziemlich milde Säure bei mittlerem Körper, aber einen durchaus dichten Fruchtkern. Ich schmecke primär rote Früchte, Kirsche, rote Pflaume und Himbeere, aber natürlich keine große Würze oder Tiefe.
Dies ist schlichtweg ein Wein unter Freunden, spontan aufgemacht und schnell ausgetrunken – obwohl ein bisschen Luft sicher nicht schadet. Die Tannine sind sehr mild, weil Nathalie die Trauben vor der Handpressung nur zwischen 5 und 15 Tagen auf der Maische lässt. Am zweiten Tag schleichen sich gewisse Brauntöne ein, aber bis dahin ist jeder Wein in Marseille längst getrunken.
Wo habe ich ihn gekauft?
Bekommen habe ich den Wein nicht etwa in Marseille, sondern online von der Vincaillerie. Er kostet dort 13 €. Hätte ich die Sache mit dem Garagenladen von Nathalie Cornec vorher gewusst, und hätte es an dem Tag nicht so schrecklich viel geregnet, ich wäre in Marseille natürlich auch selbst gern hingegangen. Allerdings habe ich so viele Dinge in Marseille nicht “geschafft”, dass ich ohnehin noch einmal wiederkommen muss.
Bis dahin kann ich den besonderen Esprit dieser Stadt am Mittelmeer wenigstens dadurch spüren, indem ich sinnierend am Glas süppele. Dabei kommt mir doch tatsächlich der Gedanke, dass eine Abfüllung “Pour Matze” auch gar nicht so schlecht klänge.
Ein tolles Konzept jedenfalls von Nathalie, und vielleicht finden sich ja auch in unseren Breiten Nachahmer. Trauben gibt es ja durchaus…
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