Vor einiger Zeit hatte ich schon einmal einen Artikel mit dem Titel “Gemischte Weinkiste” veröffentlicht. Dabei handelt es sich schlicht um ein paar Weine, die ich in der letzten Zeit getrunken hatte und von denen ich annehme, dass sie auch andere Leute interessieren. Zumal es diese Weine – jedenfalls vom aktuellen Jahrgang – größtenteils auch in deutschen Weinhandlungen zu kaufen gibt. Beim ersten Mal waren unter anderem Weine von Simone Adams, von Mathieu Boesch und von den Riffels dabei. Diesmal geht es etwas weiter in die Welt hinaus – und zwar gleich mit dem ersten Wein.
Bodega Chacra – Argentinien/Patagonien
Wein 1: Bodega Chacra Barda Pinot Noir 2017, Patagonien, 13 vol%, biodynamisch ohne Zertifizierung (laut Website), Vorgängerjahrgänge bei Lobenberg für 22 €.
Story: Es gibt, und das sollte keinen verwundern, immer wieder Wein-Neuland auf der Welt. Sowohl für mich als auch allgemein. Während man in China und Chile mit den Anpflanzungen immer mehr in die Höhe geht, geht es in Argentinien straight in Richtung Südpol. Die Bodega Chacra vom Sassicaia-Neffen Piero Inciso della Rocchetta liegt am Río Negro, auf halbem Weg zwischen den Anden und dem Atlantik. Recht kühl ist es hier nachts, feucht nur vom Schmelzwasser der Anden, und windig auf eine Weise, wie wir es in Europa gar nicht kennen. 2004 wurde das Weingut gegründet, die Reben standen da schon alle.
Wein: Kannte man Neuwelt-Weine auf dem Höhepunkt ihres Hypes in den 1990ern nur als schwerfruchtige Blockbuster, hat sich das inzwischen stark geändert. Der Hype ist vergangen, und viele Weine sind von ihrer Machart her kühler und eleganter geworden. Das zeigt auch dieser Wein. In der Nase bin ich überrascht von leichten Unterreife-Tönen, ein bisschen grüne Paprika, dann aber auch Süßkirsche, Cranberry, Himbeere, wenig Holz, also null Blockbuster. Im Mund hohe Säure, mittleres Tannin, Holz nur als leichte Zeder, dazu eine bissige Frucht, rote Johannisbeere, Himbeere, weiter Süßkirsche, noch sehr jung und ein bisschen an semi-carbonique erinnernd. Stilvorbild ist jedenfalls Oregon und nicht Burgund. Keine Offenbarung, aber durchaus interessant und natürlich für Blindproben bestens geeignet.
Jetzt schon trinken? Es heißt, man könne es. Stimmt auch, aber ein bisschen Lagerung schadet keinesfalls. Ich denke nicht, dass der Wein eine echte Verschlussphase haben wird.
Was dazu essen? Das ist ein ziemlich versatiler Wein in seiner Frucht und auch nicht holzbetont. Da geht vieles.
Kaesler – Australien/Barossa
Wein 2: Kaesler Alte Reben Shiraz 2013, Barossa Valley, 15,5 vol%, gibt’s glaube ich nicht in Deutschland, ca. 60 € in London etc.
Story: Die Kaesler-Familie kam in den 1840er Jahren aus Schlesien nach Australien und etablierte sich in den folgenden Jahrzehnten als Weinbauern. Australische Weine sind derzeit in vielen Kreisen ziemlich unangesagt, denn auch da erinnern wir uns offenbar nur allzu gut an die matschigen Brummer mit 16 vol%, die uns die Aussies vor 20 Jahren vorsetzten. Alkohol dank Sonne und Hitze gibt es zwar immer noch, aber manche Weine können das besser verpacken als andere, nämlich die mit den tiefen Wurzeln. Wenn hier “Alte Reben” auf dem Etikett steht, ist das auch so gemeint. 1899 wurden die Weinstöcke bereits gepflanzt, auf Schieferboden. Ausgebaut wurde der Wein 19 Monate lang im Barrique und anschließend unfiltriert und ungeschönt abgefüllt.
Wein: Erst einmal: Hier gibt es Naturkork und keinen Schrauber, das ist in Australien die absolute Ausnahme – for the good or the bad. Ein blickdichtes Schwarzrot im Glas, Brombeergelee in der Nase, Alkoholanklang, süße Gewürze. Im Mund fällt mir gleich die ziemlich hohe Säure auf, die vielleicht ausschließlich von den Trauben kommt. Die Frucht ist wenig überraschend total reif, ein süßer Extrakt, und es gibt wirklich enorm viel Frucht. Auch das kennen wir in dieser Form aus Europa kaum. Brombeere dominiert, also Schwarzfruchtigkeit, daneben auch etwas Himbeere. Dazu gesellt sich eine starke Würze als Mischung zwischen Alkohol, schwarzem Pfeffer und Wacholder. Das ist beeindruckend, wenngleich viel zu jung. Aber ehrlich gesagt wollte ich genau so etwas probieren. Der Wein ist stark, aber nicht eindimensional.
Jetzt schon trinken? Die Frucht ist jetzt natürlich sehr schön, aber nein, ansonsten würde ich ihn jetzt nicht trinken.
Was dazu essen? Steak vom Grill oder auch Schokolade mit einer guten Kakaobitternote (aber nicht zu spröde).
I Vigneri – Italien/Sizilien
Wein 3: I Vigneri Rosso 2015, 13,5 vol%, Ätna (offiziell nur “Wein aus Italien”, also die frühere Tafelweinkategorie), biodyn ohne Zertifizierung, gibt’s bei Vinaturel und für Endverbraucher bei Müllers Weinwelt für 22,50 €.
Story: “I Vigneri” ist ein Winzer-Weinmacher-Konsortium im östlichen Sizilien um den Wein-Tausendsassa Salvo Foti. Wenn ich sage, dass sich hier am Ätna derzeit eines der spannendsten Grand Cru-Gebiete entwickelt, dann bin ich vermutlich der vorletzte Weinschreiber, der das tut. Aber es stimmt trotzdem. Meist in größerer Höhe bis hinauf auf 1.300 Meter stehen alte Reben im Alberello-System (also “Bäumchen”, erst am Stab, dann freistehend), kleine Parzellen, dicht bestockt auf fruchtbarem Boden, manchmal durchaus kühl, fast komplettes Handarbeitsland. Rebsorten sind hauptsächlich Nerello Cappuccio und Nerello Mascalese, die Vinifizierung ist sehr traditionell: Spontangärung und Ausbau im alten Holzfass, keine Temperaturkontrolle, ohnehin eher ein Werden-lassen. Musste ich probieren, logisch.
Wein: Im Glas zeigt sich ein junges Rubinrot, und diese relativ helle Farbe ist charakteristisch für die verwendeten Rebsorten. In der Nase (wir haben wiederum einen jungen Wein vor uns) kommt viel Frucht, eine Mischung zwischen Rot und Schwarz, dazu etwas Unterholz. Im Mund ist das ein richtig pikanter Wein, der einen schon ein bisschen anspringt. Die Säure ist (natürlicherweise) hoch, und was aromatisch für mich total dominiert, sind Sauerkirschkerne. Oder zumindest diese sehr kleinen wilden Kirschen, die ihr manchmal am Waldrand finden könnt. Durch die Aromenstärke wirkt der Wein weniger ätherisch, als ich das gedacht hätte, aber natürlich trotzdem weder südlich noch breit. Ich denke eher an die Gamays von Sérol oder Pothiers, was lustigerweise ja auch Vulkanboden ist.
Jetzt schon trinken? Das kann man durchaus tun, die Tannine sind zwar präsent, aber keinesfalls grob.
Was dazu essen? Christina Hilker schlägt auf der Vinaturel-Page Wacholderschinken oder Entenbrust oder Wildschwein vor. Ich denke, ein mediterraner Gemüseauflauf geht auch gut.
Deutzerhof – Deutschland/Ahr
Wein 4: Deutzerhof Dornfelder 2008, 13,5 vol%, Ahr, gibt’s ab Hof, beim Ahrweindepot für 16,50 € und manchmal im Karstadt.
Story: Dornfelder steht viel viel häufiger in den Regalen der Supermärkte und vermutlich auch auf dem Tisch der Kunden als auf Weinblogs oder in Weinzeitschriften. Warum mag das bloß so sein? Ganz einfach: Dornfelder ist ein Blender. Tintig schwarz, langweilige und eindimensionale Frucht, gewonnen aus hohem Ertrag, manchmal gar mit zugefügter Restsüße. Liebe Freundinnen und Freunde, so ehrlich muss man sein, das trifft auf mindestens 90% der Dornfelder zu, die es zu kaufen gibt. Aber es gibt auch ein paar andere. Einerseits sind das wenig extrahierte und schmackhafte Alltagsweine, auch schöne Rosés, und andererseits ist es dieses Exemplar von der Ahr. Gewonnen aus einem Hektarertrag von 45-50 hl, voll ausgereift, offene Maischegärung, gerbstoffbetont, dann noch 18 Monate im neuen (!) Barrique.
Wein: Ich finde die Rotweine vom Deutzerhof vor allem dadurch so spannend, dass sie – wie bei wenigen anderen deutschen Weingütern – praktisch ausschließlich zum Lagern gedacht sind. Das beweist auch dieser Dornfelder, und zwar schon mit seiner Farbe, die tatsächlich nach all den Jahren immer noch ein dunkles Purpurrot ist. In der Nase ein bisschen Kräuterbuschigkeit (vielleicht der Jahrgang?), vornehmlich aber Schwarzkirsche und etwas Kaffee. Im Mund ist der Dornfelder erst einmal mit gut abgeschmolzenenen aber weiterhin vorhandenen Tanninen gesegnet. Dazu besitzt er eine präsente Säure und eine enorm starke Saftigkeit. Sagte ich nicht unlängst, so eine intensive (natürliche) Fruchtigkeit wie beim australischen Shiraz kennen wir in Europa kaum? Anscheinend doch. Hier gibt es volle Schwarzkirsche, Brombeergelee, dazu Eukalyptus und Salbei. Würze und Tiefe existieren nicht wirklich, da merkt man dann doch die Endlichkeit der Rebsorte.
Jetzt schon trinken? Jetzt erst müsste es heißen, ja, das ist angemessen.
Was dazu essen? Rheinischer Sauerbraten, Rindsgulasch, solche Sachen.
Würde ich mir diese Weinkiste nachkaufen?
Hm, gar keine so leicht zu beantwortende Frage. Ich muss zugeben, dass mich vor allem die “Exotik” der Weine zum Kauf animiert hatte. Der erste stammt aus der Weite Patagoniens, ein Pinot Noir mit ganz eigenen Rahmenbedingungen. Der zweite war ein Pflichtkauf, weil ich endlich mal einen dichten reifen jungen guten Australier haben wollte. Der dritte ist nicht nur durch die Präsenz von Salvo Foti so etwas wie ein rising star in der internationalen Weingemeinde. Und schließlich wollte ich natürlich wissen, was ein Dornfelder wirklich kann, wenn man ihn dazu zwingt.
Ich denke, dass ich am ehesten den Wein vom Ätna nachkaufen würde. Aber ich gebe gern zu, dass ich ein gewisses Faible habe für außergewöhnliche Natur, für außergewöhnliche Kultur (am Ätna gab es bereits Reben, bevor die Griechen kamen) und auch für eine eher begleitende Weinbereitung ohne große Eingriffe. Jedenfalls hoffe ich, dass auch für euch etwas in der Weinkiste dabei war. Beim nächsten Mal kommen nach dieser virtuellen Weltumrundung vielleicht regionale Alltagsweine unter 8 €, wer weiß…?