Eigentlich sollte es weder bei unserem Ausflug noch in diesem Artikel um Wein gehen. Wir wollten in die Cevennen fahren, um in Florac bei den örtlichen Produkteuren die lokalen Spezialitäten einzukaufen. Honig, Kastanien, Konfitüren, Wurst, Käse, so etwas. Und dann noch hoch auf die Causses fahren, ein bisschen in die trockene Hochplateau-Landschaft schauen, Schafsherden beobachten. Dann aber habe ich festgestellt, dass in den Läden in Florac auch Weine zu haben sind, die als Herkunfts-Département die 48 auf dem Etikett haben. 48, das ist Lozère, das ist mitten hier in den Cevennen. Sollte es in dieser Gebirgslandschaft tatsächlich Winzer geben?
In Florac
Florac ist nicht die Hauptstadt des Cevennen-Départements Lozère, das ist Mende, aber es ist der wichtigste und auch attraktivste Ort, den man per Tagesausflug aus den südlicher anmutenden Gefilden erreichen kann. Von Uzès aus braucht man mit dem Auto gut und gern anderthalb Stunden, von Nîmes aus ist es noch etwas länger. Aber es geht, wenn man will. Und nachdem man lange Kilometer durch grün bewaldete Täler und Höhen zurückgelegt hat, kommt man an einen Ort, der sichtlich eine andere Welt darstellt. Alle Dächer sind mit Schieferplatten gedeckt. Die Stadt wird von Bergen eingerahmt, aus denen Bäche mit ultraklarem Wasser hinabfließen. Und am Boulevard lässt es sich unter Schatten spendenden Platanen wunderbar sitzen. Von Reben ist hier aber weit und breit keine Spur.
Das ändert sich aber, sobald man zehn Minuten nach Norden in das Tal des Tarn gefahren ist (bis zu den “richtigen” Gorges du Tarn sind es nur wenige Kilometer). Dort gibt es nahe dem Ort Ispagnac auf halber Höhe in den Hängen Überbleibsel einer alten Weinkultur: Chormauern aus großen Steinen, aufgelassene und mittlerweile verbuschte Parzellen.
Geologisch ist die Gegend übrigens höchst interessant, denn hier treffen drei Formationen unmittelbar aufeinander: der Granit des Lozère-Massivs, der Schiefer der Cevennen und der Kalk der Causses. Vom Klima her macht die kurze Vegetationszeit (vor allem ihr später Beginn) eigentlich die größten Schwierigkeiten. Ausreichend sonnig und warm ist es nämlich im Tal, das ähnlich wie an der Mosel durch extrem unterschiedliche Mikroklimata geprägt ist: Während man im kühlen Mühlengrund bibbert, reift auf dem Südhang sogar die rote Syrah-Traube aus.
Wein aus den Cevennen reloaded
Was man heute kaum noch für möglich halten würde: In der Hochzeit des Weinbaus vor der Reblauskrise des 19. Jahrhunderts standen hier im oberen Tarn-Tal 2.000 ha unter Reben – das ist viermal soviel wie an der Ahr – meist allerdings zum Hausgebrauch und weniger für den Export. Nachdem die Reblaus die meisten Flächen verwüstet hatte, wurden zunächst in den leichter zu bewirtschaftenden Talsohlen Hybridsorten mit zweifelhaften geschmacklichen Qualitäten angebaut. Die steilen Terrassen mit den klimatisch bevorzugten Parzellen hingegen verfielen. Das 20. Jahrhundert schließlich war geprägt von der Abwanderung junger Menschen in die größeren Städte und prosperierenden Regionen Frankreichs. Der Weinbau am oberen Tarn kam damit komplett zum Erliegen.
Zwei Winzer gibt es mittlerweile wieder in Ispagnac, die hauptberuflich Weinbau betreiben. Beide sind als Quereinsteiger neu in die Gegend gezogen, was irgendwie kein Zufall ist. Schon oft habe ich in Frankreich Menschen getroffen, die frischen Wind in eine Region gebracht haben, alte Traditionen haben wiederaufleben lassen, eben WEIL sie keine Alteingesessenen waren.
Den Anfang machte Sylvain Gachet aus den Savoyen im Jahr 2002 mit seiner Domaine de Gabalie. Vier Jahre später kamen dann Elisabeth Boyé und Bertrand Servières mit der Domaine des Cabridelles hinzu. Ursprünglich stammen sie aus dem Languedoc, hatten aber zwischenzeitlich in Bordeaux gearbeitet. Bei den Rebsorten kann man spüren, dass die Cevennen irgendwie in der Mitte zwischen den berühmten Weinbaugebieten liegen. Angebaut wird in Rot nämlich Pinot Noir (wie im Burgund), Syrah (wie an der Nordrhône) und Marselan, eine Kreuzung zwischen Cabernet Sauvignon und Grenache. In Weiß gibt es Chardonnay (wie im Burgund), Sauvignon Blanc (wie an der Loire und im Bordelais) und Viognier (wie an der Nordrhône).
Ich habe mich für zwei 2015er Rotweine der Domaine des Cabridelles entschieden (jeweils 14,50 €), Terra Vinéa aus Pinot Noir und Cueilleurs d’Octobre aus Syrah. Preislich befinden wir uns nicht im Schnäppchen-Bereich, aber einerseits sind sowohl die erzeugten Mengen sehr klein (was die Produktion verteuert), andererseits wurden die Weine auch je zwölf Monate im Barrique ausgebaut. Bei beiden handelt es sich weinrechtlich um “Vins de France”, weil es in den Gorges du Tarn keine Herkunfts-Appellation gibt. Beide Weine sind sauber vinifiziert und eignen sich vor allem gut als Speisenbegleiter. Der Pinot Noir kommt in diesem warmen Jahrgang saftig und geschmeidig daher und mischt aromatisch am Gaumen Walderbeere mit Estragon. Der Syrah ist ebenfalls kräuterig, diesmal aber in Richtung Garrigue, und besitzt einen ziemlich straighten, tanninbegleiteten Zug – kein breiter Vertreter des Südens.
Rund ums Zentralmassiv
Nach dieser überraschenden Begegnung mit Weinen aus den Cevennen hat es mich natürlich interessiert, in welchen Gegenden es in der “leeren Mitte Frankreichs” ebenfalls Überbleibsel einer einstmals bedeutenden Weinbau gibt. Ich bewege mich dabei im Uhrzeigersinn zunächst nach Süden. Den Tarn weiter flussabwärts folgen als nächstes Weinbaugebiet in schlappen anderthalb Stunden die Côtes de Millau. Früher standen hier fast so viele Reben wie in der Champagne, die Weine wurden mit dem Zug bis nach Paris exportiert. Heute gibt es immerhin noch 100 ha, die meisten Trauben werden von der Genossenschaft verarbeitet.
Ebenfalls anderthalb Stunden von Ispagnac aus mit dem Auto in Richtung Westen folgen die Vins d’Estaing und dann die Vins d’Entraygues et du Fel. Hier im oberen Lot-Tal ist die Zusammensetzung der Rebsorten schon stärker in auf den Südwesten ausgerichtet. Die wichtigste Rebsorte heißt Fer Servadou, im Gaillac als Braucol bekannt. Anders als in den bisher genannten Gebieten gibt es hier auch einen Winzer, dessen Weine eine weit über die Region hinausreichende Bedeutung besitzen. Nicolas Carmarans, Abkömmling von Auvergnaten und einstmals Betreiber einer bekannten Pariser Vin-Naturel-Bar, stellt sehr bemerkenswerte und individuelle Weine her.
Im Norden der Auvergne, in der Gegend von Clermont-Ferrand, wird schriftlich bezeugt mindestens seit dem 5. Jahrhundert n. Chr. Wein angebaut. Die Côte d’Auvergne besitzt dabei zwar vulkanische Böden aber dieselbe Ausrichtung nach Osten mit den windabweisenden Bergen im Westen wie die Côte d’Or im Burgund. Angebaut wird häufig Gamay, der ganz anders schmeckt als im Beaujolais. Am weitesten in die Berge hineingewagt hat sich dabei Gilles Monnier mit seiner Domaine Palhàs, ein Geologe und ehemaliger Wissenschaftler am CNRS.
Chatus von der Ardèche
Und schließlich sind wir bei der Reise im Kreis fast wieder in den Cevennen angekommen, und zwar in den Coteaux de l’Ardèche. Südlich von Aubenas wurde in diesem – wie könnte es anders sein – historisch ebenfalls bedeutenden Anbaugebiet in letzter Zeit etwas getan, was die anderen Anbaugebiete noch vor sich haben: die Reaktivierung einer alten Rebsorte, die es praktisch nirgends anders gibt. Es handelt sich um den Chatus, den ich bereits vor einem Jahr bei meinem idealen Tag in Aubenas erwähnt hatte. Obwohl ich weiß, dass die Weine für eine längere Lagerung bestimmt sind, habe ich diesmal einen von ihnen geöffnet, und zwar Le Temps qui Reste 2015 von Benoît Salel und Elise Renaud. Ein wirklich überzeugendes Exemplar. Farblich noch purpurjung, in der Nase Holzeinfluss und Brombeerbüsche, zeigt der Wein am Gaumen beerig-kühle Aromen bei einer feinen Säure. Die Zedernoten vom Holzausbau wirken zunächst ein bisschen modern, ziehen die Tannine aber eindeutig auf die elegante Seite. Ich denke dabei eher an Portugal, an Douro- und Dão-Weine neuerer Zeit als an Frankreich. Der Wein ist aber in jedem Fall eine Empfehlung.
Wo kann man solche Weine kaufen?
Fehlen zum Abschluss noch die Hinweise darauf, wo man solche Weine aus diesen alten und partiell wiederbelebten Weinbaugebieten erstehen kann. Weine aus den Cevennen, also aus dem oberen Tarn-Tal, muss man vermutlich vor Ort kaufen. In Florac gibt es (mindestens) drei Spezialitätenläden mit jeweils einer ganzen Reihe von Erzeugnissen lokaler Genusshandwerker. Einer heißt “La Maison du Pays Cévenol“, der zweite “La Maison des Paysans” und der dritte “Chez les Paysans”. Mein persönlicher Tipp: Besucht sie alle! Das sind nämlich alles kleinste Vertriebsgenossenschaften, und Ihr werdet überall ein unterschiedliches Angebot vorfinden, die Erzeugnisse der beiden Winzer inklusive.
Die drei besten Chatus-Weine, die es momentan gibt, bekommt Ihr in Aubenas in der Table Gourmande (nebst einer Menge weiterer Spezialitäten). Den Weinkeller erreicht man dabei mitten im Laden über eine Wendeltreppe nach unten. Preislich liegen wir hier zwischen 15 und 20 €. Wer einen Chatus für weniger Geld probieren möchte, kann sich zwei Genossenschaftsprodukte für knapp 10 € in dem Käsegeschäft zwei Häuser weiter besorgen.
Die Weine von Nicolas Carmarans hingegen gibt es hingegen auch in Deutschland, und zwar bei Vins Vivants. Wilde Gamays vom Vulkanboden der Auvergne (Vincent Maries No Control) gibt es ebenfalls bei Vins Vivants. Ein bisschen zahmer geht es knapp außerhalb der Auvergne in der Côte Roannaise zu, wo die Domaine des Pothiers ebenfalls eindrucksvolle Gamays keltert, zu haben bei der K&U-Weinhalle.
Zeitzeugen in Baumform
Zum Schluss unseres kleinen Ausflugs nach Florac sind wir noch per Zufall an einem weiteren Ort von historischer Bedeutung für das Leben in den Cevennen gelandet: Les Ayres. Schuld daran war allerdings eine Straßensperrung, denn ansonsten wären wir auf der ungemein kruckeligen Landstraße niemals in diesen abgelegenen Weiler geraten. In Les Ayres stehen die knorrigsten und beeindruckendsten Esskastanienbäume, die ich je gesehen habe. Früher wurde an diesem Ort an den ersten beiden Oktober-Sonntagen “La Grande Loue” abgehalten, eine Jobbörse für Saisonkräfte. Aus den ganzen Cevennen kamen die Menschen hierher, um für die nächsten drei Wochen für die Kastanienernte einen Arbeitsvertrag bei den Bauern der Region zu ergattern.
Spätestens jetzt, beim Anblick dieser uralten Baumgiganten, die von längst vergangenen Zeiten künden, habe ich das Gefühl, dass die Cevennen irgendwie doch kein Gebiet sind, dass man auf einem Tagesausflug auch nur annähernd erfassen kann. Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal gleich eine ganze Reise in die Mitte Frankreichs machen, vom Burgund in die Auvergne, durch die Schluchten des Tarn, die Höhen des Aubrac und schließlich hinein in den französischen Südwesten. Wie sieht’s aus, wäre das auch eine Option für Euch?
Hallo Matze!!
Wie immer ein sehr schöner Berichts aus dem gelobten Lande abseits aller ausgetretenen Pfade. Ich komm’ auch gerade aus Frankreich zurück, wo ich es aber in 3,5 Wochen nicht geschafft habe die Champagne zu verlassen…..halt…..ich war in Paris und bin durch das 17 und 18 Arrondissement geschlendert……also auch was abseits der ausgetretenen Pfade……;-)
Herzliche Grüße Jens
Gefangen in der Champagne mit nur einem Freigang nach Paris. Ein schweres Los, wahrhaftig 😉 War die Ernte gut?
Ja war sie. Also an der Côte des Blancs. Soviel Trauben an einem Stock hab ich noch nicht gesehen…..was für das Team Pressoir (also unter anderem mich) an drei Tagen in Folge 12 Tonnen Trauben pressen hieß……war gut gar. Danach ging es etwas ruhiger weiter. 1,5 Hektar Trauben haben wir hängen lassen, da wir gar nicht soviel ernten durften. Hohe Zuckerwerte und Säuren auch gut. Trauben perfekt gesund. War jetzt meine 6. Ernte in der Champagne und sowas hab ich noch nicht erlebt. Leider hat es die Aube zum dritten mal in Folge heftig mit dem Wetter erwischt. Da gibt es viele Winzer die nichts oder nur wenig haben.