…das sagen gar nicht mehr so viele Menschen. Oder zumindest handeln sie nicht danach, denn in den letzten Jahren hat sich die Kluft zwischen den wachsenden Groß- und Universitätsstädten und den ländlichen Räumen immer mehr vergrößert. Landleben scheint nicht mehr angesagt zu sein. Genau hier – hört hört! – setzt mein neues Projekt an.
Nun bin ich ja selbst ein ehemaliges Dorfkind und kenne Landjugend-Feten, NPD-Nachbarn und grüne Aussteiger aus eigenem Erleben. Kenne solche Phänomene wie Wegzug der Jungen, Leerstand und Winter-Tristesse genauso wie Spaß im Sportverein, selbst gezogenes Gartengemüse und einfach viel Platz für wenig Geld. Zudem bin ich studierter Geograph und habe deshalb gelernt, wie sich viele persönliche Geschichtchen zu einer abstrakteren Erklärungsstruktur verdichten können. Interessant fand ich das Thema Landleben also immer schon, aber irgendwie hatte ich in den vergangenen Jahren nie die Gelegenheit (oder vielmehr, ich habe sie mir nicht genommen), mich intensiver mit dem Phänomen zu beschäftigen. Das ist jetzt anders geworden, und als new-born Freiberufler fand ich es wirklich an der Zeit, Chez Matze ein bisschen interne Konkurrenz zu machen.
Also habe ich die Website “Neu auf dem Land” aufgesetzt und bin seitdem unterwegs in ländlichen Regionen.
Worum geht es mir bei diesem Projekt? Ich möchte zum einen dabei mithelfen, die “Kommunikation über ländliche Räume” zu verbessern, und zwar dadurch, dass ich die Menschen ganz direkt zu Wort kommen lasse. Indem ich mit ihnen spreche und einfach die dabei entstandenen Töne in Buchstaben umwandele. Dann geht es mir natürlich – wie auch hier auf dem Blog – um Diversität. Also darum, die Vielfalt der Menschen, ihrer Lebensbedingungen und ihrer Umgebung (sprich: Natur) zu dokumentieren. Und dann ist da noch so ein lang gehegter Wunsch von mir: ein Buch zu schreiben, das auf dem “Smart Thinking“-Tisch bei Waterstones liegen könnte. So wie das Buch von Henry Hemming über englische Exzentriker, das gleichzeitig klug geschrieben und unterhaltsam ist, und das mich sozusagen dazu inspiriert hat, so etwas vielleicht auch einmal zu versuchen.
Was habe ich in den vergangenen knapp drei Monaten also gemacht, um das Landleben in seinen verschiedenen Formen zu dokumentieren? [Wenn Ihr auf die Zwischenüberschriften klickt, kommt Ihr direkt zum jeweiligen Artikel.]
Die Fachfrau
Zunächst wollte ich mich akademisch absichern lassen, damit ich nicht gleich zu Anfang Dinge behaupte, die gar nicht mehr so sind. Also habe ich Prof. Dr. Claudia Neu in Göttingen besucht. Sie hat mir erzählt, dass Dörfer immer noch mehr Orte für Jungs als für Mädchen sind, und dass vielleicht das ein Grund dafür sein könnte, weshalb junge Leute nicht mehr aufs Dorf zurückkommen. Ist ja so wie bei Parties früher: Wenn zu wenig Mädchen da waren, wurde es schnell langweilig. Und beim zweiten Mal kamen die Jungs dann auch nicht mehr.
Der Naturfreund
Dann bin ich in die Oberpfalz gefahren, in ein Dorf mit nicht einmal 100 Einwohnern. Dort habe ich Basti getroffen, einen BWLer aus Nordrhein-Westfalen, der jetzt in der tiefsten bayerischen Provinz beim Hutzelhof arbeitet, einem Demeterbetrieb. Und der sich dort ziemlich wohl fühlt, man mag es kaum glauben.
Der Alt-68er
Als nächstes wollte ich wissen, wie es früher auf dem Dorf war. Aber nicht irgendeine Geschichte von anno dunnemals, sondern ganz konkret: 50 Jahre ist es mittlerweile her, dass die ’68er-Bewegung viele gesellschaftliche Fragen neu gestellt hat. Aber was bedeutete 1968 auf dem Land? Hermann aus der Nähe von Hildesheim, der erste Bart- und Langhaarträger des Dorfes, hat mir darüber Auskunft gegeben.
Die Neuwinzer
Schnell wieder ins Hier und Jetzt und zu Menschen, die tatsächlich im Wortsinne der Website “neu aufs Land” gezogen sind. Auf dem Foto seht Ihr den Maschinenpark des Weinguts Bastian Hamdorf, denn Britta und Basti aus Schleswig-Holstein haben sich nach einem beeindruckenden theoretischen wie praktischen Parcours dazu entschlossen, ein eigenes Weingut in Klingenberg am Main zu gründen. 1,7 ha, ausschließlich steile Terrassenlagen. In meinem Interview wollte ich allerdings nicht nur etwas über die Weine erfahren, sondern vor allem, wie es ihnen im Alltagsleben so geht. Quasi als Orientierung, falls Ihr Euch auch mit dem Gedanken herumtragen solltet, nicht nur Weinblogs zu lesen, sondern auch ein bisschen winzerisch tätig zu werden…
Der Landwirt
Fährt man durch deutsche Landschaften, sieht man allerorten Wiesen und Felder: die so genannte Landwirtschaft. Ihr kennt sie sicher aus dem Schulunterricht. Aber mal ernsthaft, wer weiß eigentlich genau, was ein Landwirt heutzutage macht? Worauf er achten muss, welche Ackerfrucht sich am meisten lohnt, wie das mit den Subventionen aussieht? Um mehr darüber zu erfahren, habe ich mich mit Arndt aus Gittelde am Harzrand getroffen. Er ist Landwirt “seit immer schon”, also genau die richtige Person für Direktauskünfte.
Die Zukunft
Und schließlich war ich letztens im beschaulichen Städtchen Witzenhausen in Nordhessen. Dort gab es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts schon die “Tropenschule”, an der Menschen ausgebildet wurden, die dann als Auswanderer in die deutschen Kolonien gegangen sind. Nun ist die deutsche Kolonialgeschichte nicht wirklich von langer Dauer gewesen, aber Witzenhausen hat sich als agrarwissenschaftlicher Standort der Universität Kassel bis heute erhalten. Mit einem ganz eigenen Flair, was sicher all diejenigen bestätigen können, die schon einmal dort waren. Ich wollte in Witzenhausen ein bisschen in die Zukunft schauen und habe mich deshalb mit jungen Leuten über ihre Wünsche und Vorstellungen des Landlebens gesprochen. Und glaubt mir, das war wirklich interessant. Lesen könnt Ihr die Gespräche allerdings erst demnächst.
Die Zwitscherleute
Und wer sich ein bisschen ländliche und kontemplative Atmosphäre ins Büro holen möchte: Ich habe morgens um genau 4:09 Uhr am Waldrand mein Aufnahmegerät eingeschaltet und 40 Minuten Vogelgesang aufgenommen. Das kann man bei der PC-Arbeit wunderbar im Hintergrund mitlaufen lassen.
Mitmachen
Vielleicht habt Ihr ja jetzt ein bisschen Interesse an meinem Projekt gefunden und lest ab und zu, wen ich denn wieder auf dem Land getroffen habe. Vielleicht kennt Ihr auch Menschen, die es sich lohnen würde zu interviewen. Wie die Gothic Lady, den syrischen Flüchtling, die ehemalige LPG-Leiterin – die ich alle hoffentlich in den nächsten Monaten noch treffen werde. Vielleicht kommt Ihr aber auch selbst vom Dorf oder seid dorthin gezogen und möchtet nun über Eure persönlichen Erfahrungen mit dem Landleben berichten. In jedem Fall könnt Ihr Euch gern bei mir melden – die Email-Adresse findet Ihr im Impressum von “Neu auf dem Land”.
Wunderbares Lebensprojekt. Alles Gute. Eine – stille, aber treue Leserin.
Liebe Thea, das weiß ich wirklich sehr zu schätzen. Danke für die guten Wünsche!