“Ja ja, der Chiantiwein, der lädt uns alle ein!” Rudi und Waltraud lassen sich, he Garzone! oder wie hieß das noch gleich, schnell nochmal die Gläser füllen aus der bauchigen Korbflasche. Wie schade, dass der Käfer nur diesen kleinen Kofferraum hat. Eigentlich müssten wir mindestens 100 Liter davon mitnehmen für Erikas Hochzeit…
That was then, and this is now. Ganz schön schlecht war er geworden, der Ruf des Chiantis, nachdem man endlich gemerkt hatte, dass in den bauchigen Korbflaschen keineswegs mehr der historische edle Rotwein aus der Toskana zu finden war, sondern gern mal ein dünnes rotfarbenes Wässerchen. Dabei sollte doch alle Welt auf diese Weise die Möglichkeit haben, in der regnerischen Kühle des Nordens von Bella Italia zu träumen. Aber schlechter Wein kann niemals ein guter Botschafter sein. Das dachte sich auch das Consorzio del Vino Chianti Classico, als es im Jahr 1987 begann, für ein deutlich enger umgrenztes Gebiet striktere Regeln aufzustellen.
Der schwarze Hahn ist das Markenzeichen des Chianti Classico. Die DOCG hat bestimmte Vorschriften bezüglich Höchstertragsmengen, Extraktgehalt und Reifezeit, aber besonders wichtig für ein einheitliches geschmackliches Auftreten ist vermutlich die Tatsache, dass mindestens 80% Sangiovese in einem Chianti Classico enthalten sein muss. Diese Rebsorte besitzt hohe Tannin- und Säurewerte bei deutlicher Sauerkirschfrucht. Ein idealer Chianti Classisco sollte also immer ausreichend frisch und auch ein bisschen robust sein, nicht etwa ein tiefschwarzer, üppiger Schmeichler. Ich persönlich mag diese Frische und Ausgewogenheit in Rotweinen, war aber bislang noch nie auf die Idee gekommen, die besten Chianti Classicos gegeneinander antreten zu lassen.
Jetzt war es aber soweit. Natürlich kann man immer darüber streiten, was denn die “besten” Weine einer Region sind, aber ich hatte mir bei der Auswahl wirklich Mühe gegeben. Erst einmal ließ ich mich von diversen Quellen leiten, sei es den Büchern von Hugh Johnson, Ian d’Agata, Benjamin Lewin, dem Gambero Rosso, dem Slowwine Guide und natürlich dem, was man im Internet finden kann. Dann mussten alle Weine wegen des direkten Vergleichs aus demselben Jahrgang kommen (2015) und einer ähnlichen Qualitätsstufe entspringen, die sich in einem grundsätzlichen Preis zwischen 15 und 20 € äußert. Und sie mussten alle problemlos in Deutschland erhältlich sein (einfach googeln), um nicht irgendwelche Exoten hier zu küren, die dann doch niemand kaufen kann. Letztlich hatte ich mich für fünf Chianti Classicos der angesagtesten Weingüter plus einen “Piraten” entschieden, einen Rosso di Montalcino.
Und hier kommt mein Ergebnis:
Platz 6: Riecine, 13,5 vol%, 16,90 €
Das hat mir ehrlich gesagt am meisten leid getan. Den Riecine kenne ich seit Jahren, und er hatte mir eigentlich immer gefallen. 100% Sangiovese, naturnaher Anbau, ausgebaut im Holz, nicht filtriert – ein sehr authentisches Exemplar, wie es auch das Etikett versprach. Dass es der hellste aller sechs Weine war, fiel nicht wirklich ins Gewicht. Wie Ihr beim Titelfoto sehen könnt, sind die Unterschiede da nicht wirklich groß.
Aber ansonsten hatte ich leider etwas zu bemängeln, nämlich die Unsauberkeit. Ich gebe zu, wenn ich einen wilden vin naturel als Maßstab nehmen würde, wäre dieser Wein hier nicht als fehlerhaft zu bezeichnen, denn leichte Abweichungen können ja auch den Zugewinn an Charakter bedeuten. Aber bei diesem Test ging ich von einem Idealtyp aus, und zu dem gehören flüchtige Säure und ein traubenzuckersüßer Fruchtkern nicht wirklich. Ansonsten ist der Wein recht leicht und frisch, und zum Essen geht der minimale Essigstich auch unter. Dennoch: An allen drei Tagen war dies der Wein auf dem letzten Platz – sorry.
Platz 5: Lisini, 14,5 vol%, 19,50 €
“Pirat” ist natürlich eine etwas übertriebene Bezeichnung für einen Wein, der aus derselben Rebsorte hergestellt wird wie alle anderen, nur eben 100 km weiter südlich. Dennoch, bereits die Werte versprachen einen gewissen Unterschied, denn mit 14,5 vol% war dies der alkoholstärkste Vertreter. 17 Punkte verteilte Jancis Robinson übrigens, das ist schon mal kein Pappenstiel.
Den meisten Alkohol, aber den kürzesten Kork, das haben wir gern. Nein, das ist natürlich kein Kriterium. In der Nase zeigt der Rosso erst einmal viel Zurückhaltung, latent Brombeer und irgendwie eine leichte Käsigkeit. Das bleibt dann auch leider beim Geschmackstest an allen drei Tagen spürbar. Es wirkt mir fast nach Gärproblemen, diese leichte laktisch-käsige Note. Vom Körper her haben wir hier vielleicht den kräftigsten Wein, der Alkohol versteckt sich nicht, ein “Spätlese”-Gefühl schwingt mit, aber das führt im Vergleich zu den anderen Weinen nicht zu mehr Struktur. Alkohol, Mandel, süße Schwarzkirsche, dies ist ein anderer Typ und auch einer, der noch ziemlich viel Zeit braucht. Vielleicht tue ich dem Wein unrecht, aber derzeit ist das ganz klar Platz 5.
Platz 4: Badia a Coltibuono, 14 vol%, 12,90 €
Der einzige biologisch zertifizierte Wein im Test, der einzige auch mit drei Gläsern im Gambero Rosso, mit 17++ Punkten von Jancis Robinson, dazu noch mit dem geringsten Preis. Mit 6,4 g Säure und einem pH-Wert von 3,27 ist dies allerdings auch ein Vertreter, der über die Frische kommen muss. Übrigens sind im Badia a Coltibuono wirklich nur 80% Sangiovese drin, wobei der Rest ausschließlich aus den autochthonen Sorten Canaiolo, Ciliegiolo und Colorino besteht.
Ich muss zugeben, dass diese technischen Werte eigentlich – also ohne Test – auf einen ganz vorderen Platz hinweisen. Aber dann war ich zu Anfang gleich ein bisschen überrascht, einen Diam5-Kork aus der Flasche zu ziehen. Ein Chianti Classico, der nicht älter als fünf Jahre werden soll? Ja, so ist es, und zwar zu Recht. In der Nase helle Süßkirsche, im Mund auch gleich viel Frische, viel Säure, ein erstaunlich leichter und sofort zu konsumierender Trunk. Keine Ahnung, wo hier die 14 vol% versteckt werden, aber sie sind jedenfalls kaum zu spüren. Dies ist ohne Zweifel der einfachste, süffigste und am jüngsten wirkende Wein im Test. Viel Gehalt kann man da nicht erwarten, aber zu Mortadella macht das am meisten Spaß. Lagern lohnt hier kaum.
Platz 3: Fèlsina, 13 vol%, 15,90 €
Fèlsina ist mit 94 ha Anbaufläche und fast einer halben Million Flaschen im Jahr das größte der hier vorgestellten Güter. Entsprechend groß ist auch die preisliche Bandbreite der Produkte. Antonio Galloni zeigt sich vom Berardenga ziemlich begeistert und empfiehlt, den Wein gleich kistenweise mitzunehmen und über die nächsten 20 Jahre zu genießen. Naturnaher Anbau wie beim Riecine auch hier, was im nicht wirklich zertifizierungsfreudigen Italien häufig genug bedeutet, tatsächlich im Biobereich unterwegs zu sein.
Ja, ich muss zugeben, der Wein hat wirklich Qualitäten. In der Nase überrascht er mit unheimlich vielen Nuancen, die von leicht rumtopfiger Süßkirsche bis hin zu Salbei reichen. Im Mund gibt es dann mehrere fast widerstreitende Elemente, eine ziemlich große Komplexität. Einmal gibt es die Bissigkeit eines roten Johannisbeer-Busches, verbunden mit einer leicht traubenzuckerigen Note, gleichzeitig eine wenig pikante, gleitende Materie und dazu noch das meiste Tannin aller sechs Weine im Test. Ich weiß nicht, ob ich mir gleich eine ganze Kiste kaufen würde, schließe mich aber Galloni insofern an, als ich den Wein auch noch weit von seinem Höhepunkt entfernt sehe. Trotzdem, nach dem lecker-süffigen Badia a Coltibuono ist das hier ein komplexes Kontrastprogramm.
Platz 2: Ama, 12,5 vol%, 19,90 €
Der Ama vom Castello di Ama stammt nicht nur von den am höchsten gelegenen Weinbergen dieses Tests, er bringt auch alkoholmäßig das geringste Gewicht auf die Waage. Nur 12,5 vol%, und das in einem warmen Jahrgang, das ist für heutige Verhältnisse ja schon fast avantgardistisch. Neben Sangiovese gibt es hier übrigens noch 4% Merlot, aber das dürfte sich geschmacklich kaum auswirken.
Oh, ein sehr stark gewachster Kork. Damit kann ich mir fast nach dem Duschen über die Haare streichen. Farblich haben wir hier den zweitdunkelsten Wein, und auch in der Nase ist eine dunklere Kirschigkeit spürbar, eine gewisse Bissigkeit, viel Ernst. Im Mund geht das Früchtepotpourri dann weiter. Himbeere wie frisch aus der roten Grütze, Sauerkirsche, aber vor allem Kirschkern. Das Holz ist spürbar, aber nicht störend, Säure und Tannin stehen gut da, der Wein ist wirklich eine fast erhabene Erscheinung. Leider kommt der zunächst noch winzige Korkton im Laufe der Zeit etwas stärker zum Vorschein. Weil aber ganz sicher nicht jede Flasche damit zu kämpfen hat, möchte ich das in die Bewertung des Weins an sich nicht einfließen lassen. Der ist nämlich gut.
Platz 1: Isole e Olena, 13,5 vol%, 21,90 €
Dies ist der teuerste Wein des Tests, der einzige, der über die 20 €-Hürde gesprungen war. Jancis Robinson gibt allerdings mit 17,5 auch die meisten Punkte, und ein gewisser Doctor Wine (Daniele Cernilli) sogar 95 davon. 85% sind Sangiovese, 10% Canaiolo, 5% Syrah, und der Ausbau erfolgte für zwölf Monate im gebrauchten Holz. Isole und Olena sind übrigens nicht etwa die beiden Besitzer, sondern die beiden Weiler, um die sich die Rebflächen erstrecken.
Jawoll, das ist er. Wer macht also den besten Chianti Classico? Isole e Olena! Ich muss zugeben, dass ich selten einen Quertest hatte, bei dem in allen Durchgängen und an allen Tagen ein Wein so klar und deutlich vorn lag wie dieser hier. Dabei sollte er doch stilistisch gar nicht so mein Fall sein. Dies ist der farblich dunkelste Wein, und der deutlich spürbare Holzeinsatz (von wegen “gebrauchtes” Holz) lässt ihn in eine eher moderne und eher internationale Richtung gleiten. Mag sein, sagt da Dottore Objectivo, aber bedenke dies: Das Holz ist nicht süß und vanillig, sondern duftet nach Zeder. Der Wein hat die größte Tiefe von allen, Materie, Frucht und Säure harmonieren miteinander. Und selbst wenn er jetzt schon gut schmeckt, wird er sich weiterhin positiv entwickeln. Grazie mille, Dottore, Sie haben ja recht, ich werde den Wein mit Vergnügen trinken und ihn allen anderen weiterempfehlen. Was hiermit geschehen ist.
Bleibt noch kurz Zeit für ein allgemeines Fazit:
Ein gelungener Chianti Classico ist keine Wundertüte und sollte das auch nicht sein. Kirschfrucht spielt die Hauptrolle, lebendige Säure, manchmal ein bisschen herzhaftes Tannin, aber immer ein angenehmer Trunk, das möchte ich hier sehen. Wer auf große Protzer steht, wird damit ebenso wenig glücklich wie derjenige, der ganz explizite Charaktere bevorzugt. Vielen der “normalen” Weintrinker dürfte ein gut gemachter Chianti Classico aber wirklich Vergnügen bereiten. Gerade wenn es um Pizza und Pasta geht, denn die Sangiovese-Säure macht selbst bei Tomatigem nicht schlapp. Und das ist wahrhaftig nicht selbstverständlich bei Rotweinen des 21. Jahrhunderts. Ich war jedenfalls von der Toskana-Fraktion ziemlich angetan, und auch das Preis-Genuss-Verhältnis stimmt durchgängig. Dass ausgerechnet der teuerste Wein gewonnen hat, ist dabei eher Zufall. Kauft Euch also einfach den Testsieger und seht selbst, ob Ihr schon das Zeug zu einem Klassiker habt.
Hi Matze!
Der für mich bislang beste CC ever ist der Candialle Jahrgang 2012. Gibt’s bei WaL und liegt bei Ende 20 EUR. Ist jeden Cent wert!!!
Grüße Jens
Ah, danke! Ja, ich hatte mir ein Limit gesetzt, preislich versteht sich 😉 Soll heißen, alles über 22 € habe ich dann gar nicht mehr angeschaut…