Ich habe mir etwas überlegt. Wie wäre es, wenn ich an dieser Stelle einfach sechs Weine vorstelle, die ich vor kurzem getrunken habe? Eine gemischte Weinkiste sozusagen. Dabei soll es nicht um Produkte gehen, die niemand außer den Vollfreaks jemals gesehen hat. Die ich in einem winzigen Kramladen auf der anderen Seite des Erdballs erstanden habe. Sondern es soll um Weine gehen aus dem Weinladen nebenan, dem Supermarkt, vom Online-Händler. Dann könnt Ihr sie entweder nachkaufen oder auf die schwarze Liste setzen – je nach geschmacklichen Vorlieben. Seid Ihr bereit? Also los.
Wein 1: Simone Adams Spätburgunder Kaliber 12 2015, Rheinhessen, 13 vol%, 12,80 € bei K&U.
Story: Okay, ja… Es gibt sicher dezentere Möglichkeiten darauf hinzuweisen, dass man diesen Wein für einen Volltreffer hält als ausgerechnet ein Einschussloch auf dem Etikett. Winzerin und Jägerin Simone Adams hat jedenfalls zu stressbedingten Alterungsvorgängen in Weißweinen promoviert und als Konsequenz daraus in der Praxis dann lieber voll auf ungestressten Rotwein gesetzt. Nein, stimmt natürlich nicht, sie macht auch Weißweine, aber es sind die Spätburgunder aus Ingelheim (fast) am Rhein, die momentan besonders von sich reden machen. Christoph Schlee von K&U meinte zu mir, “ach, nimm doch erst mal den Kleinen, dann siehst du, ob dir der Stil gefällt.” Und das tut er.
Wein: Hellfarbig, ziegelrot, zurückhaltende Nase, im Mund zuerst leicht, dann mit konsequenter Säure, rote Johannisbeere, Verbena, leichtes Tannin, schlank und fein. Vor allem nicht mit dieser Rauchwürzeklebrigkeit, die mir deutsche Spätburgunder oft das Genießen schwer machen. Jetzt bin ich auf die größeren Kaliber gespannt und darauf, ob jene die Tiefedimension besitzen, die der Kleine logischerweise nicht hat. Fazit: ein echt guter Wein.
Jetzt schon trinken? Ja.
Was dazu essen? Kalte Platte. Weil sich die Säure schön durchs Fett im Essen schneidet und selbst plockige Mortadella deshalb leicht wirkt, darf es ruhig etwas Herzhaftes sein.
Wein 2: Cantina Orsogna Zeropuro Linfae Primitivo 2017, Abruzzen, 13,5 vol%, Demeter, 8,99 € bei Denn’s.
Story: Sagt mir wenn ich mich täusche, aber ich hatte den Eindruck, dies ist der erste Demeter-zertifizierte Vin Naturel in einem deutschen Supermarkt. Also Biodyn-Anbau, Spontangärung, kein SO2-Zusatz. Ich war wirklich gespannt. Die Cantina Orsogna ist natürlich ein größeres Unternehmen, eine Genossenschaft in den Abruzzen, etwa 20 km von der Adria entfernt. Für ihr Etikett, das man einfach abziehen kann, haben sie jedenfalls schon mal den Red Dot-Designpreis gewonnen.
Wein: Farblich haben wir ein dunkles, klares, blauschwarzes und sehr junges Rot vor uns, was bei dem gerade abgefüllten Jahrgang auch nicht überrascht. In der Nase herbe Brombeere, leicht eingekocht. Im Mund vorn erst schwarze Noten, feine Säure, dann mittleres Tannin, sehr sanft für Primitivo, hinten eingekochte und leicht herb-kräuterige Noten. In diesem Zustand ist nichts Schwefelfreies spürbar, ich vermute semi-carbonique, also eine halbe Kohlensäuremaischung wie bei besserem Beaujolais. Macht den Wein jung zugänglicher. Fazit: ein sauberer, beerig-dunkler Wein, den man durchaus mal probieren kann.
Jetzt schon trinken? Eigentlich nicht, die Harmonie zwischen frontender Frucht und strengerer Struktur könnte noch größer werden. Andererseits: Wer legt einen solchen Wein schon in den Gewölbekeller?
Was dazu essen? Spontan fällt mir ein alter Ledergürtel ein. Es kann aber auch dunkles Fleisch sein oder vielleicht sogar so etwas wie Schwarzwurzeln, also erdige Noten, um die Frucht einzufangen.
Wein 3: Domaine Léon Boesch Gewürztraminer Les Fous 2014, Elsass, 13,5 vol%, Demeter, 14,90 € bei K&U.
Story: “Verrückt” nach alt-elsässischer Definition ist offenbar jemand, der Gewürztraminer-Traubensaft voll durchgären lässt, um daraus dann einen trockenen Wein zu bereiten. Deshalb heißt der Wein auch so, “Les Fous”, denn Marie und Mathieu Boesch haben sich jede Menge familiären und dörflichen Ärger mit ihrem Ansatz à la “neumodischer Krimskrams” eingehandelt. Aus Sicht der übrigen Welt ist es allerdings gar nicht so dumm, eben keine sirupartigen Weine auf den Markt zu bringen, die Tante Berta noch gefallen haben mögen, die jetzt aber wie Blei in den Regalen liegen.
Wein: Goldfarben im Glas, Rosenduft und Quitte in der Nase, also den Sortencharakter hat der Wein definitiv beibehalten. Im Mund eine recht hohe Viskosität, dann Pikanz, Würze, etwas quittig-Gelbfruchtiges, dazu Menthol. Die Säure ist nicht besonders hoch, der Wein aber tatsächlich trocken, wenngleich im Abgang ein Hauch hellen Honigs hängenbleibt. Ein neutral schmeckendes Tröpfchen wird jedenfalls nicht mehr daraus. Fazit: einmal individuell, immer individuell.
Jetzt schon trinken? Ja, kann man aufmachen, er würde sich aber auch lang halten.
Was dazu essen? Indische Küche. Oder vielmehr Moghul-Art, afghanische, persische Einflüsse. Also schon pikant gewürzt, aber eben nicht in die tropische Kokosrichtung, weil sich das möglicherweise etwas mit den Rosennoten beißen würde. Das ist kein ganz einfacher Speisenbegleiter, aber er kann dafür umso interessantere Kombinationen zulassen.
Wein 4: Riffel Binger Silvaner Quarzit 2015, Rheinhessen, 12,5 vol%, Ecovin, 12 € im Online-Shop des Weinguts.
Story: Ich hatte glaube ich schon mehrfach geäußert, dass dieses Weingut zu meinen Lieblingen gehört, wenn es um im besten Wortsinne preiswerte Bioweine aus deutschen Landen geht. Enttäuscht worden bin ich von den Weinen aus Bingen noch nie, und so auch diesmal nicht. Allerdings ist es hier wie bei allen Weingütern, die nicht gegen die Natur arbeiten und die Jahrgangscharakteristika deshalb beibehalten: Dieser Wein ist anders als sein Vorgänger und anders als sein Nachfolger. 2015 war heiß.
Wein: Die Hitze merkt man aber nicht beim Alkohol, weder analytisch noch sensorisch. In der Nase erst ein leicht reduktiver Anklang (minimal “stinkelig” verschlossen), dann aber erdige Noten, Fenchel, etwas Aprikose. Nicht die gleißende Klarheit, sondern die Spur der Steine. Im Mund eine höchstens mittlere Säure, dafür aber ein kräftigerer Körper, birnig, weißer Pfirsich, weißer Pfeffer. Die viele Sonne hat den Wein nicht müd, aber mild gemacht, substanzreicher, vielleicht ein bisschen behäbig. Fazit: Wer knackige Frische will, sollte lieber einen anderen Jahrgang nehmen. Wer viel Wein fürs Geld haben möchte, liegt hingegen goldrichtig.
Jetzt schon trinken? Ja, kann man machen. Zwei Jahre später wäre aber auch nicht verkehrt.
Was dazu essen? Nichts Kaltes. Geht zu Kalbsgeschnetzeltem, zu Sahnigem insgesamt, aber vielleicht auch zu den “orientalischeren” Sachen, die ich beim Gewürztraminer empfohlen habe.
Wein 5: Domaine du Vissoux Moulin-à-Vent Les Deux Roches 2005, Beaujolais, 13 vol%, 100% Gamay, vor zwölf Jahren in den Keller gelegt. Den neuen Jahrgang 2016 (“Trois Roches”) gibt’s für 19,50 € bei Lobenberg.
Story: Das Jahr 2005 habe ich in Liège verbracht. Eine ganz wichtige Zeit für mich, denn ohne diesen Aufenthalt würde es diesen Blog ganz sicher nicht geben. Ein Jahr lang habe ich mich beim Cave des Oblats durch die Schule der Weinpraxis gearbeitet, jeden Samstag ein Stückchen klüger als den Samstag davor. Ich weiß noch, wie mir seinerzeit Jung-Weinhändler David von seiner Reise ins Beaujolais erzählt hat. “Ich war richtig geschockt von der bäuerlichen Armut dort”, meinte er. “Die Kleinwinzer haben 2 ha, verteilt auf 20 Parzellen, und die Preise sind durch den schlechten Ruf so weit unten, dass sie selbst für 4 € ihren Wein oft nicht loswerden. Du kommst bei denen ins Wohnzimmer und denkst, so muss es kurz nach dem Krieg gewesen sein. Es wird wirklich Zeit, mehr guten Beaujolais zu trinken, auch um den Leuten vor Ort bessere Perspektiven aufzuzeigen.” Word.
Wein: Pierre-Marie Chermette von der Domaine du Vissoux dürfte sicher kein Hungerleider sein, aber dafür sind seine Weine oft auch richtig gut. Dieser hier zeigt im Glas ein helleres Rubin mit Granatrand, also schon gereift. Die Nase hält ein warmes Unterholz bereit, Beerenfrüchte und Wacholder. Im Mund schließlich kommt gleich eine deutliche Säurenote, die den Wein lebendig hält. Gemischt wird das mit der immer noch sehr präsenten Frucht, Cranberries, Himbeere, Kirsche, das bleibt immer rot, immer fein, immer würzig. Würde er ein bisschen anders riechen, könnte man diesen Wein ohne Probleme in eine Burgunder-Vergleichprobe stellen, und ich wette, er würde dort gut abschneiden. Fazit: Legt mal einen guten Beaujolais in den Keller!
Jetzt schon trinken? Den 2005er ja, aber wie gesagt, wer Platz und Muße hat, sollte ruhig mal so einen Gamay einlagern.
Was dazu essen? Das ist interessant. Als der Wein jung war (ich hatte zwei Flaschen gekauft), hätte ich eher an kalte und herzhafte Sachen gedacht, aber in seinem jetzigen Zustand würde ich eher an gebratenes Geflügel denken.
Wein 6: Askaneli Brothers Rkatsiteli Kvevri, kein Jahrgang, Georgien, 13 vol%, 7,49 € im Mix-Markt.
Story: Zum Abschluss noch so eine Sache. Ich reise ja ganz gern in ferne Länder, aber ehrlich gesagt finde ich es auch ganz schön, wenn diese Länder zu mir kommen. Dabei ist Osteuropa natürlich nicht allzu weit entfernt, aber dafür kann man, wenn man will, zunehmend ihre kleinen kulinarischen Konsulate in der Nachbarschaft aufsuchen. In der Nürnberger Südstadt gibt es bulgarische Läden, polnische, rumänische und auch den Mix-Markt, der natürlich eine andere Historie hat, aber mittlerweile ein sehr differenziertes Angebot. Und an dem georgischen Amphorenwein im Regal konnte ich wahrhaftig nicht vorbeigehen. Die Askaneli Brothers sind natürlich keine echten Brüder, aber egal. Der Wein, dem noch ein kleiner Anteil Mtsvane innewohnt, wurde jedenfalls für neun Monate in georgischen Amphoren ausgebaut, die in die Erde eingelassen sind.
Wein: Farblich findet man hier das erwartete dunkle Gold mit leichten Amberansätzen. In der Nase ist von simpler Frucht schlichtweg gar nichts zu spüren: getrocknete Apfelschale, Laub, Kurkuma. Am Gaumen machen die Brüder weiterhin einen auf richtig spröde. Null Frucht, furztrocken, spürbare Gerbstoffe, gute Säure und wieder diese Noten aus der Nase, latent Quitte, Kurkuma, Apfelschale. Fazit: Nicht fehlerhaft, aber auch nicht wirklich lecker. Solo ist das ein Wein mit dem dicken Stempel “unsexy” drauf.
Jetzt schon trinken? Ja, definitiv.
Was dazu essen? Viel, und zwar sofort. So knörzig der Wein solo schmeckt, so sehr lebt er auf, wenn man ihm etwas zu essen vorsetzt. Gemüseküche primär, und zwar solche, bei der das Gemüse nicht begleitet, sondern im Fokus steht. Am besten gleich vegetarisch, dann ist es auch egal, ob das Gemüse frittiert oder gekocht ist (nur ganz roh ist nicht so toll, da streitet sich Gerb mit Gerb).
Das war’s, ein abruptes Ende, aber damit haben wir sie schon durch, die gemischte Weinkiste. Ich hoffe, es war auch für Euch irgendetwas dabei, und falls nicht, die nächste Folge kommt bestimmt.
Prima Idee, diese gemischte Weinkiste. Macht Lust auf mehr… Danke!
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