Das Essigbrätlein ist ein Restaurant, dessen Name eigentlich von allen Gesprächspartnern immer zuerst genannt wird, wenn es um das Stichwort “hervorragend essen in Nürnberg” geht. Nicht nur deshalb hielt es J für eine gute Idee, mich zu meinem Geburtstag einmal dorthin einzuladen. So schwierig war es übrigens nicht, mich von dieser guten Idee zu überzeugen, zumal die Online-Reservierung auch noch kurzfristig problemlos möglich war. Freut Euch also mit mir auf fünf Gänge zur Mittagszeit!
Das Essigbrätlein steht für eine meisterliche Gemüse- und Gewürzeküche, es steht hingegen nicht für “edle” Zutaten oder den barocken Faltenwurf. Das scheint den wertenden Testessern aber zu gefallen, denn das Essigbrätlein kann nicht nur seit langem 18 Punkte im Gault Millau, sondern seit genau zehn Jahren auch zwei Michelin-Sterne vorweisen. Und das mit dem stets gleichen Küchengespann, den erwähnten Andree Köthe und Yves Ollech, die es sich nicht nehmen ließen, bei unserem Mittags-unter-der-Woche-Besuch selbst am Tisch vorbeizuschauen, um einen Gang mal genauer zu erläutern.
Die Klingel am Eingang wirkt zwar zunächst ein bisschen wie eine Politik der harten Tür, aber ich fürchte, man will damit nur eine bewusste Entscheidung des Gastes signalisieren, um nicht von Touristenhorden in Erwartung eines Bratwursttellers überrannt zu werden. Innen ist das Essigbrätlein nämlich eine ursprüngliche, traditionelle Gaststube. Wenn alle Tische belegt sind, mag das schon einmal ein wenig eng sein. Ansonsten kommt bei mir gleich mal auf die Seite der Pluspunkte, dass es hier null geziert und chi-chi-mäßig zugeht. Eine wirklich nette Atmosphäre.
Fünf Gänge stehen mittags wie erwähnt auf dem Plan, und wer wie wir vor halb eins im Lokal erscheint, kann sie auch alle wahrnehmen. Lustigerweise sind ja mittlerweile viele der angesagten Spitzenrestaurants dazu übergegangen, ihre einzelnen Gänge nicht mehr mit “Schäumchen an Hauch à la Princesse” zu bezeichnen, sondern so wie oben: Lauch. Da zeigt sich die Philosophie der Entbarockisierung schon in der Wortwahl, und ich glaube, das Essigbrätlein war eines der ersten mit “Nordic Cuisine-Worten” auf der Karte. Allerdings leidet eine auf Frische, Regionalität und Gemüse ausgerichtete Küche natürlich ein bisschen, wenn man sie im März besucht. So sehr viel lokales Grün ist draußen ja nicht zu finden. Aber mir gefällt Wintergemüse nebst verschiedenen Formen der Haltbarmachung ebenso; vielleicht können aus dem Mangel heraus sogar noch spannendere Sachen entstehen.
Die beiden ersten Amuse Gueules erinnern irgendwie ein bisschen an jene, die ich beim Trois-Etoiles-Artikel schon gesehen hatte, während die Sternefresser zu einer gänzlich anderen Jahreszeit hier waren mit entsprechend gänzlich anderen Speisen. Aber nicht nur des geschenkten Gaules wegen ist mir das herzlich wurscht, ob es diese Speise im Verlauf der bereits drei Jahrzehnte währenden Lebenszeit des Essigbrätleins schon einmal gegeben hat. Ich bin nämlich auch geschmacklich mit der Qualität des eingelegten-Radieschen-mit-Samen-Löffels sehr einverstanden.
Hier Rosenkohlblätter aus der Krone, die eine Rahmfüllung in sich bergen.
Und hier Amuse Gueule #3, eine Endivie, die in einen sehr aromatischen Vinaigrette-Dip getaucht wird. Mehrmals und mit der Hand. Yves Ollech weist dankenswerterweise darauf hin, dass man da ein bisschen vorsichtig sein müsse, weil man sich sonst leicht eintropfen kann. Bitter und sauer gehen bei mir übrigens immer – sofern ich keinen Bärenhunger habe, aber den sollte man beim Essigbrätlein auch nicht mitbringen.
Und falls doch, es gibt ja auch Brot (noch ofenwarm) mit eingebackenen Karotten und einer ganz erstaunlichen Bohnenbutter, die man in angewärmtem Zustand auch einmal solo probieren sollte.
Jetzt aber, der erste korrekte Gang laut Karte: Saibling mit Karotte. Für unsere Nachbarn war das der beste Gang des Menüs, und ja, das ist durchaus nachvollziehbar. Der Saibling ist nur ganz wenig gebeizt und deshalb fast roh und ultrazart wie ein richtig gutes Sashimi. Die anderen fünf Bestandteile ergänzen sich hervorragend und sind von hoher aromatischer Intensität. Es handelt sich um eingelegte, geraspelte Karotte, Karottenjus, Petersilienjus, Grapefruit-Mesocarp (das sind die weißen Tüpfchen) und vietnamesisches Basilikum.
Zweiter Gang, Staudensellerie mit Kartoffeln. Nicht zu sehen sind die grob gestampften Kartoffeln im Innern, wobei die grüne Farbe des Pürees von frischem Schnittlauchsaft stammt. Ebenso verborgen bleibt der geschmorte Apfel mit Senfsaat. Dafür sieht man außen den in Estragonessig eingelegten Staudensellerie in zwei verschiedenen Formen, den frischen Estragon und ein bisschen Geflügelbrühe. Das bleibt dann auch das einzig un-vegetarische oder gar un-vegane an diesem Gang. Für mich ist das, peinlich aber wahr, absolutes Comfort Food, samtig und schlotzig. Vor allem, wenn ich an das denke, was ich ansonsten mit Sellerie in Verbindung bringe. Das war früher das auf dem Teller, was am ehesten übrig geblieben ist.
Ganz ausgezeichnet fand ich persönlich auch den Gang Nr. 3. Hier haben wir nämlich schwarzen Lauch = verkohlt und das Innere herausgezogen, dazu Wacholderbutter, und beides auf einem Bett von, ja, name it, Haferschleim.
Witzig finde ich, dass sich der Lauch auch noch einen kleinen Salat als Beilage leistet, und zwar einen aus festeren Lauchabschnitten in Joghurt und fermentierter Lauchbutter.
Dies scheint der klassischste Gang zu sein, denn hier gibt es etwas, das “Wertigkeit” im, nun ja, klassischen Sinne ausstrahlt: ein edles Stück Fleisch. Der Gang heißt “Lamm mit Steckrübe“, wobei es die Steckrübe in drei Erscheinungsformen gibt: als Püree, als ziemlich roher Zahn und als geflämmte Scheibe. Dazu abgehangener Joghurt und Fenchelsamen. Ein Gang mit leichter Süße, mit Laktik, mit Umami. Und obwohl das Lammfleisch ganz hervorragend ist, gebe ich zu, dass mir nichts gefehlt hätte, hätte es statt des Fleisches, sagen wir mal, drei Sorten unterschiedlich zubereiteter Pilze gegeben. Ich bin mir aber dessen bewusst, dass “Klassikesser” das möglicherweise ein bisschen anders sehen würden.
Zum Abschluss des Essens gibt es als fünften Gang nämlich noch das Dessert “Reiseis mit Mandarine“, das auf drei Tellern gereicht wird. Was die knappe Bezeichnung verschweigt und was hierbei für die Farbe verantwortlich ist, das ist Paprikasaft. Den schmeckt man auch sowohl beim Reiseis als auch bei den beiden Mandarinenhälften, und das passt sehr gut zur Süße der Frucht und zum laktisch-Sämigen von Reis und Joghurt. Eine Mandarinenhälfte ist übrigens frisch und mit Rosen-Blütenblättern belegt, die andere getrocknet und wieder zum Leben erweckt.
Worüber ich bislang noch nicht gesprochen habe, das ist die Weinbegleitung. Wir wollten mittags keine ganze Flasche trinken und auch ein Glas je Gang war ein bisschen zu viel. Also haben wir zwei Weine genommen, und zwar jene, die auch ansonsten glasweise dazu gereicht werden. Zu den ersten Gängen war das ein 2011er Silvaner Recis von Rudolf May, zum Lamm dann ein 2011er Ridge Cabernet Sauvignon Estate. Wahlweise hätte es auch den 2015er Frühburgunder Bürgstadter Berg von Paul Fürst gegeben, an dem wir ebenfalls nippen durften. Ohnehin, falls noch nicht erwähnt, Atmosphäre, Service, alles ist so, wie ich mir das persönlich wünsche. Also nett und aufmerksam, aber nicht derartig, als sei ich ein hochwohlgeborener Herr aus dem Zauberschloss, mit dem man nicht normal reden dürfte.
Bei einem größeren Angebot hätte ich die Weine aber lieber anders ausgewählt. Der Silvaner neigt ein bisschen zur Breite und passt deshalb weniger zu raffinierten grünen Gemüsenoten als vielmehr zu sahnigeren. Da hätte ich mir einen festkörperigen Wein gewünscht, vielleicht sogar maischevergoren. Und der Ridge aus dem rotbeerigeren Jahrgang 2011 ist derzeit einfach noch zu stark von seinem Fruchtkern bestimmt. Das wirkt ein bisschen wie flüssige Preiselbeeren zum Rind, aber auf dem Teller ist Steckrübe. Ich weiß, vielleicht bin ich weinmäßig ein bisschen zu freakig. Und ebenfalls zugegeben, das ist die glasweise Begleitung, nicht die Sommelierempfehlung. Aber persönlich finde ich, dass zu solchen Speisen, die sich ja doch von der klassischen Sterneküche unterscheiden, auch mal ein bisschen mehr Mut im Glas möglich sein könnte.
Zum Abschluss kommt noch ein ganzer Strauß unterschiedlich belegter Milchschokoladen an den Tisch: Himbeer, Haselnuss, Traube, Erdnuss-Karmell und Sauerampfer-Marzipan. Wer bislang noch nicht satt geworden sein sollte, voilà, hier ist die Möglichkeit der Energiezufuhr galore.
Und damit bin ich beim Fazit meines Besuchs beim Essigbrätlein. Was unbedingt angesprochen gehört, ist die Tatsache, dass die Küchenchefs dank der vielen Jahre an Topf und Herd handwerklich schlichtweg ohne Fehl und Tadel arbeiten. Interessant ist dabei, dass sie einerseits einen in klassischen Medien hoch bewerteten Gourmettempel führen, andererseits aber eine Küche anbieten, die nicht sofort greifbar auf “Luxus” setzt. Es gibt keinen Kaviar, keinen Hummer, keine Fois Gras, kein Wagyu-Rind, noch nicht mal ein Safran-Champagner-Schäumchen, nur Lamm und mit Einschränkungen Saibling, damit auch das Ehepaar Generaldirektoren das Gefühl haben kann, bei den 300 € fürs gemeinsame Mittagsmenü auch ein bisschen Stoff fürs Geld bekommen zu haben. Auf der anderen Seite bedient das Essigbrätlein aber auch nicht ausschließlich die Erwartungen solcher Gäste, die auf eine sehr wilde, avantgardistische und latent anstrengende Küche stehen.
Vielmehr sind hier – mit dem Schwerpunkt “raffiniert zubereitetes und gewürztes Gemüse” – aus beiden Kochwelten Elemente vorhanden. Diese Elemente stehen sich aber nicht auf konfrontative Weise gegenüber, sondern werden stets mit diesem sympathischen, einladenden Touch präsentiert. J stellte dabei fest, dass ihr die “klassischen” Varianten lieber waren, ich fühlte mich eher zur Gemüse-Avantgarde hingezogen.
In jedem Fall würde ich als Fazit-Fazit einen Besuch im Essigbrätlein allen empfehlen, die sich ernsthaft nicht nur für Geschmack, sondern auch für Esskultur heute und morgen interessieren.
Beim anschließenden Besuch der beiden Nürnberger Hauptkirchen St. Sebald und St. Lorenz wurde mir noch einmal bewusst, dass diese Stadt zu anderen Zeiten auch schon große Künstler mit visionären Gedanken beherbergt hat. Das sind doch gute Anknüpfungen.
Hi Matze!
300 Euro für das Menü inclusive 4 Glas Wein und ner Flasche Wasser und 2 Espresso wie ich annehme?? Du kennst mich….bei mir sitzt das Geld bei essen und trinken immer locker….aber das halte ich gelinde gesagt, für einen Scherz!! Zudem finde ich die Anrichtung der Speisen teilweise grausam. Lauch auf Haferschleim und auch das Lamm auf der Steckrübe sehen alles andere als appetitlich aus für mich. Sorry…..aber jetzt bin ich froh, dass ich letztes Jahr vom Rückweg der 501 nicht in Nürnberg gehalten habe und nicht dort essen war. Hoffe Du hast mich jetzt immer noch halbwegs lieb…….;-)
Grüße Jens
Natürlich hab ich Dich noch lieb 😉 . Den Rest haben wir ja schon besprochen… Okay, und meine Fotos sind vielleicht nicht die allerbesten.