Saint-Emilion ist touristisch gesehen das Rothenburg ob der Tauber Frankreichs: immer nervig voll mit Touristen, Andenkenramsch an jeder Ecke, aber zugegebenermaßen auch voller Historie und mit einem Stadtbild ausgestattet, das auch der größte Griesgram nicht als unattraktiv abtun kann.
Natürlich gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden Orten: Während die Überseetouristen in Rothenburg Kuckucksuhren kaufen, werden in Saint-Emilion hauptsächlich die hochwertigen und teuren Weine der Region angepriesen.
Sagte ich teuer? Sagte ich hochwertig? Nun, dank eines seit Äonen schwelenden Streits über die Klassifikation der Weingüter von Saint-Emilion haben es die Winzer der Appellation doch tatsächlich geschafft, ihre Kunden vollends zu verwirren: Obwohl sich “Grand Cru” dem Namen nach so anhört, als hätte man hier die absolute Spitze des qualitativen Eisbergs erreicht, wird beim Blick auf die quietschbunten Angebotsschilder klar, dass dem nicht unbedingt so ist. Zum einen gibt es in der derzeit 48 Weingüter umfassenden Kategorie der Grands Crus solche und solche. Zum anderen hat man aus den Grands Crus noch die “Premiers Grands Crus B” und die “Premiers Grands Crus A” ausgegliedert. Letztere sind Ausone, Cheval Blanc, Angélus und Pavie, also die echten Spitzen. Nächstes Jahr müssen alle allerdings wieder ins Rennen gehen, denn man hat beschlossen, die Klassifizierung alle zehn Jahre immer wieder zu überprüfen. Ganz anders also als im Médoc mit seiner seit 1855 (fast) in Stein gemeißelten Rangfolge.
Kauft Euch aber wegen der Unbequemlichkeit des Herumtragens in Saint-Emilion erst einmal keinen Wein, sondern ein Gebäck. Ohnehin bietet es sich an, an den nördlichen Punkt der Altstadt zu fahren, sein Gefährt kostenfrei am Tennisplatz abzustellen und auf der Rue Guadet gemütlich in den Ort zu schlendern. Obwohl der Laden auf den oberen Bild von außen nur für geübte Augen vertrauenswürdig erscheint, werden hier bei Nadia Fermigier die einzigen echten “Macarons des Anciennes Réligieuses” von Hand hergestellt.
So sehen die kleinen Leckerchen aus, bestehend nur aus Süßmandel, Bittermandel, Eischnee und Zucker. In unseren Breiten werden die außen knusprigen und innen saftigen Plätzchen als “Silberkuchen” oder “Makronen” bezeichnet – und mich haben sie daran erinnert, wo bei dem ganzen Macarons-Ladurée-Hype rund um die Welt die wahren Ursprünge dieses Gebäcks zu suchen sind. Ein Produkt so simpel wie gut.
Solltet Ihr ein paar Dukaten in der Hosentasche mitführen, geht zum Weinkauf lieber gleich zum renommiertesten Laden des Ortes, den “Etablissements Martin”. Dort könnt Ihr unter den verschiedensten Flaschengrößen und Jahrgängen fast sämtlicher hochkarätiger Weine der Gegend aussuchen. Martin hat allerdings noch einen entscheidenden Vorteil zu bieten: Ihr könnt hier den Besuch verschiedener Châteaux arrangieren lassen, bei denen Ihr spontan garantiert vor verschlossenen Hofeinfahrten stehen würdet. Das ist an der Rive Droite mit ihren kleinen und eminent feinen Gütern ganz anders als beispielsweise in den Graves, wo sich die Hausherren viel stärker dem Oenotourismus verschrieben haben.
Beim weiteren ziellosen Herumstromern durch die (gar nicht übermäßig vielen) Gassen von Saint-Emilion werdet Ihr feststellen, dass der Ort durchaus einen gewissen Reiz besitzt.
Bevor es zum Schluss noch zu den übergroßen Stars des rechten Ufers der Dordogne geht, möchte ich Euch darauf aufmerksam machen, dass die weniger berühmten Appellationen nördlich und östlich von Saint-Emilion ganz ähnliche Weine von etwas geringerer Tiefe zu bieten haben. Der Spaß beginnt mit den “Satelliten-Appellationen” von Saint-Emilion und geht über Lalande de Pomerol bis zu den Côtes de Castillon. Meist handelt es sich um warm-würzige, Merlot-basierte Tropfen zwischen 10 und maximal 30 €. Wenige Kilometer von den Weltruhmorten entfernt, wird es nicht nur hügelig und damit irgendwie weinromantischer, sondern auch überraschend ländlich.
Aber natürlich – wenn ich schon mal in der Gegend bin – musste ich mir auch das anschauen, von dem Liebhaber wie Bonzen gleichermaßen schwärmen. Oben seht Ihr den Außenhof von Pétrus. Ob man das jetzt mit oder ohne accent schreibt, scheint den Franzosen nicht so wichtig zu sein; es steht nämlich ohnehin überall nur in Großbuchstaben. Das dazugehörige Gebäude ist prinzipiell ein einstöckiger, neo-klassizistischer Flachbau mit einem zweistöckigen (ehemaligen) Wohnhaus, also kein imposantes Château. Dafür wirkt alles, inklusive der Reben, äußerst gepflegt, gar geschleckt. Selbst die vor Mehltau warnenden Rosen am Ende jeder Rebzeile sind gebunden und duften zart.
Hier für die Experten unter Euch noch einmal der Blick auf die Reben. Eine hohe Pflanzdichte in jedem Fall, knapp drei Stöcke pro Meter Rebzeile, etwa ein Meter Abstand zwischen den Zeilen. Und selbst die Stickel sind aus Neuholz. Zwischen den Zeilen ist im zentralen Teil keine Begrünung, der Boden frisch bearbeitet, die Zeilen zum Rand hin sind mit Gras begrünt.
Und weil’s so schön ist, hier der Blick hinüber zum Château Lafleur, das vielleicht 300 Meter nordwestlich von Pétrus liegt. Wenn ich je das Bedürfnis verspüren sollte, mir einen einzigen der mythischen Pomerols anzuschaffen, dann vermutlich diesen hier.
Dass wir uns klimatisch hier in anderen Sphären aufhalten als zu Hause, wird mir ganz zum Schluss noch einmal bewusst, als ich an der Mauer des Château de Montaigne stehe: weiße Rosen, verblüht. Und so verblüht auch mein kleiner Ausflug ins Herz des kleinteiligen Bordelais, aber zum Glück ist mein Aufenthalt in Bordeaux noch nicht beendet. Wein- und essenstechnisch gibt es in jedem Fall das ganze Füllhorn noch zu entdecken, und zwar sowohl klassisch als auch alternativ. Das macht hier im Weltzentrum des konventionellen Wein-Denkens nämlich einen kleinen Unterschied, und von beidem möchte ich Euch noch berichten.
Hi Matze,
nach langer Zeit mal wieder eine Nachfrage. Ich weiß, dass Du die Berichte meist eine Zeit nach dem Besuch ins Netz bringst, aber bist Du zufällig noch zur Vinexpozeit in der Gegend? Dann könnten wir uns auf einem der Salons off So/Mo treffen wenn Du Zeit hast und ein paar der Besten probieren. Zum Anfixen : Anna Martens ist auch dort.
nette Grüße
Karl
Nein Karl, leider nicht. Ich bin zwar exakt jetzt in Bordeaux, werde aber dann noch in die Nähe von La Rochelle fahren. Die Vinexpo steht auf meinem Lebensplan erst in zwei Jahren 😉
Schade. So nah (250km) und doch so fern. Dann vielleicht in zwei Jahren oder zwischendurch sonstwo.
Das schaffen wir schon noch, da bin ich mir sicher.
Ich war noch nie physisch in St. Emilion, nur indirekt durch die konsumierten Weine 😉
Petrus sieht geradezu geleckt aus. Na ja, das viele Geld muss ja irgendwie gerechtfertigt und investiert wrden. Mein liebster und leistbarer Pomerol ist von Guillard Clauzel, einem direkten Nachbarn von Le Pin.
Guillot-Clauzel (das meintest Du sicher) kenne ich selbst nicht, aber die Notizen im Netz hören sich ja vielversprechend an. Ich muss eh zugeben, dass ich gerade dabei bin, eine leichte Schwäche fürs rechte Ufer zu entwickeln – hätte ich gar nicht für möglich gehalten 😉
Ja, sorry für den Fehler. Die Flaschen im Keller find ich aber blind 😉
HI Matze!
Viel Spaß noch in Bordeaux und Umgebung. St. Emilion hast Du schön beschrieben…..touristisch aber nicht ohne Charme.
Wo geht’s denn noch hin in die Nähe von La Rochelle?
Jens
Danke! Nach Fouras geht’s.
Schöne Ecke Matze. Ich war unzählige male auf der Ile D’Oleron. Plateau de Fruits de Mer bis zum abwinken. Ich beneide Dich grade sehr. Solltest Du die Ile D’Oleron besuchen wollen, so lass es mich wissen, dann geb’ ich Dir den ein oder anderen Tip für’s Essen dort. Ungefähr auf halbem Wege zwischen Fouras und der Ile D’Oleron liegt Brouage. Ein kleines Dörfchen mit Wehrmauern in der Marschlandschaft. Früher lag Brouage direkt am Meer, ist aber inzwischen versandet. Irgendwie mag ich die Stimmung am späten Nachmittag / frühen Abend. Dort über die alten Befestigungsmauern zu spazieren, nachher einen Pastis zu trinken und vielleicht in einem der paar Restaurants im Dorfkern was zu essen. Rochefort und La Rochelle haben natürlich auch ihren Charme. Aber das weißt Du ja bestimmt schon…..respektive bist dort schon gewesen. Ile de Aix und Ile de Re (da warst Du doch schon….oder..?) klemm ich mir als Tip, weil es zum Standardprogramm gehört wenn man in der Ecke ist.
Ile de Ré war ich schon und La Rochelle, aber das andere kenne ich bislang nicht. Rochefort und Brouage kennt meine Reisepartnerin vom Schüleraustausch – ganz frische Erinnerungen also 😉 . Ich bin schon sehr gespannt und freue mich total drauf; das ist nämlich der Sommerurlaub. Bordeaux finde ich auch interessant, aber eher als Stadt zum “richtigen” Leben, weniger als touristische Destination. Hier braucht man ein bisschen Alltagsgefühl.
Hallo Matze!
Bezüglich Bordeaux muss ich Dir zustimmen. Die Stadt hat sich mir irgendwie nur schwer erschlossen, obwohl ich zehn Tage da war. Irgendwie bin ich nur schwer reingekommen in Bordeaux und das kenne ich so eigentlich nicht. Insbesondere wenn es um Städte oder Regionen im gelobten Land geht.
Vielleicht aber lag es auch an mir und den falschen Vorstellungen, die ich von Bordeaux hatte. Da ist zum einen das Medoc, was ja untrennbar zu Bordeaux dazu gehört mit der Route de Chateau. Ich habe selten etwas unpersönlicheres und sterileres gesehen als diese Route de Chateau. Auf den Chateau herrscht in der Regel kein Leben (bis auf wenige Ausnahmen) und gewachsenen Charakter in den “mystischen Dörfern” stell ich mir auch anders vor. Besser wird es freilich, wenn man auf die andere Seite fährt und über Libourne nach St. Emilion und weiter ins Landesinnere vordringt, wo die Appellationen nicht oder nicht mehr so ganz prestigeträchtig sind.
Auch dachte ich , dass sich der Bordelaiser an sich mehr mit seinem Wein identifiziert. Also mit seinem Topwein, der ja ohne Zweifel ein Alleinstellungsmerkmal hat…..großer Bordeaux halt. Ich musste jedoch das komplette Gegenteil feststellen. Die klassifizierten Chateau sind was für reiche Engländer und Amis, für den Export, sowas interessiert uns hier nur am Rande. Wenn wir Bordeaux trinken, dann trinken wir Graves oder Pessac und zu Austern Entre deux Mers. Diese Aussage habe ich mehr als einmal gehört und sie kam mir zunächst etwas befremdlich vor, erschließt sich einem aber dann doch, wenn man weiß, was die 1er Kosten und das auf der andere Seite viele kleine Winzer am Existenzminimum kratzen. Trotzreaktion!? Ich hab’ keine Ahnung, könnte es aber verstehen.
Bordeaux besticht auch nicht durch die Weltläufigkeit von beispielsweise Paris, oder dem pittoresken Charme, wie man ihn in Lyon finden kann, oder der wuseligen Hektik und dem Vielvölkergemisch von Marseille. Bordeaux ist anders……distinguierter für meine Begriffe. In Bordeaux sollte man mit offenen Augen durch die Straßen spazieren und bereit sein alles in sich aufzunehmen. Bordeaux erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Wenn man dann Abends am Ufer der Gironde entlang schlendert und plötzlich weht Tangomusik von einem Platz am Quai herüber und man geht der Musik nach und plötzlich steht man vor Damen und Herren jeden Alters in Abendkleidung die zur Musik aus einem portablen CD Spieler tanzen, um einen Brunnen auf dem Platz, vor der Kulisse der Stadt, dann bemerkt man, dass man gerade Zeuge eines sehr intimen Moment geworden ist…..und dann ist man angekommen…..in Bordeaux…..
Fahrt auf die Oléron ( kannst Du einen Tagesausflug machen) und esst im Relais de Salines, Grand Village Plage und grüss mir James, den Besitzer und geh in’s Croix du Sud nach Le Château, super gute Küche mit poissons aus La Cotinière. Und Le Chäteau ist eh ganz nett geworden….
Vielen Dank für die Tipps! Ré oder Oléron, das ist wohl die ewige Frage… Es sei denn, man lebt in dieser Gegend eine Weile, dann geht natürlich beides und noch einiges mehr 😉 . Ist ja – bis auf den Juli und August wahrscheinlich – ein äußerst attraktives Fleckchen hier. Wir fahren heute also erst einmal auf die Ile de Ré, aber hurtig, denn für den Abend sind Gewitter mit Hagel angekündigt…
Wenn die scheiß Mücken im Relais de Salines nicht wären, dann würde ich da auch öfter hingehen……;-)…..ansonsten muss ich Dir zustimmen Bolli…..