Wenn es irgendein Gewässer gibt, auf das der Beiname “langer ruhiger Fluss” exakt zutrifft, dann ist es die Loire. Hat sie erst einmal die vulkanischen Ausläufer des Zentralmassivs hinter sich gelassen, trägt es sie durch Landschaften von großer Gleichmut. Keine dramatischen Berghänge, keine hyperaktiven Metropolen, nur Wiesen, Auewälder, Steinhäuser, Weinreben.
Nun, ganz so ist es natürlich nicht. Um die Schlösser herum drängen sich im Sommer die Reisebusse, und auch in den Weinbars von Nantes oder Tours geht es fröhlich und laut zu. Aber um ehrlich zu sein, habe ich an der Loire – und erst recht ein paar Kilometer nördlich oder südlich von ihr – ansonsten immer das Gefühl gehabt, auf dem Land “von früher” zu sein.
Das Land “von früher” ist ein geheimer Sehnsuchtsort für urban gewordene Dorfkinder wie mich. Es riecht an diesem Ort wie in der Speisekammer der Großeltern, und man ist den Jahreszeiten, der feuchten Erde, dem Schaffen mit den Händen irgendwie viel näher als einer Lebenswirklichkeit mit Bürostühlen, Stempelkarten und Vorweihnachtsstress nach Feierabend.
In meinen Streifzügen entlang der Loire habe ich dabei nicht nur aus der Zeit gefallene, rosteiserne landwirtschaftliche Werkzeuge gesehen (die ich im Nachhinein wirklich hätte dokumentieren sollen), sondern auch einfache rote Schoppenweine getrunken aus Gamay oder Cabernet Franc, bei denen man nie nach dem Preis fragen musste, denn es waren ja dann doch immer weniger als 10 € pro Flasche.
Ich habe für Euch deshalb ganz uneigennützig und leicht romantisierend vier Weine aus Chinon und Umgebung getestet, die alle in diese Kategorie fallen: ländlich, authentisch, günstig.
1. Domaine Gouron, Chinon, “Terroir” 2009, 13 vol%, 7,20 € (alles Ab-Hof-Preise)
Ein Roter aus einem warmen Jahr, 100% Cabernet Franc, dunkelfarben, in der Nase durch seine leicht herbe Kräuterigkeit eindeutig als Loirewein zu erkennen. Am Gaumen bleibt der Wein prinzipiell eher herb, keine vanillige Marmelade, sondern einfach eine sehr schöne Frucht in Richtung Sauerkirsche-Heidelbeere. Durch die Frucht, die deutlich präsente Säure und das gezähmte Tannin wirkt der Wein frisch, aber keineswegs unreif. Bei der Speisenbegleitung musste ich erst ein bisschen herumprobieren: Für ein Wildgericht fehlt es ein bisschen an Kraft und Würze, aber kalte Platten oder herbstliche Eintöpfe mit Schwein und Kohl begleitet der Wein hervorragend. Mir persönlich gefällt diese frisch-süffige Art sowieso.
2. Domaine de Noiré, Chinon, „Soif de Tendresse“ 2011, 13 vol%, 8 €
Ein Roter, der kein Holz gesehen hat und der von einer Parzelle mit reiner Südausrichtung stammt. Brombeere und Blutorange in der Nase, am Gaumen dann mit eher milder Säure im Vergleich zum Vorgänger, aber dafür mit deutlich mehr Tannin. In Kombination mit der reifen, rotbeerigen Art konstatiere ich einen gewissen „Merlot-Charakter“, obwohl der Wein natürlich ein reiner Cabernet Franc ist. Interessant ist dabei der große Unterschied zum Vertreter der Domaine Gouron, der zeigt, dass man auch in dieser Preisklasse aus derselben Region sehr unterschiedliche Ansätze finden kann. Dementsprechend passt dieser Wein deutlich besser zu kräftigen Speisen auch mit dunklerem Fleisch, trinkt sich solo dafür längst nicht so süffig. Auch gut gelungen, aber unter einer Cuvée, die die „Zärtlichkeit“ im Namen trägt, hätte ich mir eine weniger tanningeprägte Variante vorgestellt.
3. Domaine Bernard Baudry, Chinon, „Les Granges“ 2010, 12,5 vol%, 8,50 €
Das recht dunkle Rot und der blassbläuliche Rand deuten Frucht und Jugendlichkeit an. In der Nase folgt direkt nach dem Öffnen erst ein veritabler Stinker, der dann aber vergeht und dem Gefühl von Unterholz und der typischen Loire-Kräuternote Platz macht. Überhaupt profitieren alle vorgestellten Rotweine sehr von einer frühzeitigen Öffnung – egal ob das ein Dekantieren in der Karaffe oder (von mir bevorzugt) das Entkorken einen Tag vor dem Verbrauch bedeutet. Am Gaumen ist der Kleine von Baudry dann ungemein schmackhaft: Cabernet-Kräuterigkeit, pikante Säure, aber ein weicher Fruchtkern aus Sauerkirsche und Brombeere, dazu ein samtiges Tannin. Offenbar befindet sich der Wein gerade in einer äußerst charmanten Phase, und fast habe ich das Gefühl, bei der Auswahl der Speisenbegleitung könnte man gar nichts falsch machen.
4. Château de Coulaine, Chinon 2012, 12 vol%, 9,50 €
Wie der Rote davor ein Wein aus Bioproduktion, der mir vom Weinhändler als “sehr lecker” angepriesen wurde. Nach dem Öffnen bin ich allerdings erst einmal überrascht, wenn nicht gar leicht entsetzt: ein sehr deutlicher Stinker, der viele Weinfreunde (außer den Vin Naturel-Freaks) im Restaurant dazu veranlassen würde, den Wein zurückgehen zu lassen. In diesem frischen Zustand wirkt der Wein auch am Gaumen extrem natürlich, kräftig, fruchtig, herb, ein durchaus forderndes Produkt. Aufgrund dieser Präsentation entschließe ich mich, den Wein diesmal sogar zwei Tage in der Flasche offen stehen zu lassen. Angst, dass er dabei wegen zu geringer Schwefelgabe umkippt, habe ich aber nicht, denn bräunliche Töne sind überhaupt nicht zu ahnen, der Wein wirkt ziemlich robust. Und siehe da, am dritten Tag haben wir zwar nicht den samtenen Edelmann vor uns, aber alles wirkt wesentlich harmonischer – auch der Stinker ist verflogen. Dennoch bleibt das hier eine eher herzhafte Angelegenheit für Freunde des Charakters.
Summa summarum: Die Rotweine von der Loire haben es in sich, und mit „Loire“ meine ich an dieser Stelle die Touraine und Weine aus Cabernet Franc. Auch bei einem geringeren Budget braucht man sich nicht davor zu fürchten, flache und geschmacksarme Süßholzraspler vor sich zu haben. Allerdings sollte der Konsument schon ein gewisses Faible für Herzhaftes mitbringen. Wer die typische Kräuterigkeit mag (und das trifft auf mich zu), schätzt an den Weinen besonders ihre appetitanregende Frische und ihren leicht rustikalen Charakter. Wem das nicht so gefällt, und wer seine Weine lieber vollmundig und reintönig haben möchte, sollte auf einen warmen Jahrgang zurückgreifen, die Weine ein paar Jahre im Keller lagern und vor dem Trinken zusätzlich lüften. Dann tritt das Schmeichelnde stärker in den Vordergrund.
Natürlich kann man eine größere Souveränität und Eleganz im Wein auch dadurch erreichen, dass man einfach auf die Spitzenprodukte zurückgreift. Ein gereifter Roter von Clos Rougeard ähnelt dann immer mehr einem wirklich hochwertigen St-Emilion, ohne in die dort leider häufiger präsente internationale Belanglosigkeit abzudriften. Allerdings wollen wir hier ja weniger als 10 € für unser Weinchen ausgeben, und ich muss persönlich gestehen, dass ich gerade die einfachen Roten von der Loire schätze, weil sie irgendwie in verständlichen Worten von Land und Leuten erzählen.
P.S. Während ich die Weine Nr. 3 und Nr. 4 selbst erstanden habe, sind mir die beiden ersten Weine unverlangt zugesandt worden vom Tourismus- und Weinbauverband. Nicht immer treffen solche Geschenke auch den Geschmack des Beschenkten, aber diesmal hatte ich mich wirklich gefreut. Soweit ich das sehe, ist aber keiner der Weine bislang in Deutschland zu kaufen. Über den Beweis des Gegenteils in den Kommentaren würde ich mich aber sehr freuen…
Auch noch interessant:
http://www.originalverkorkt.de/2013/06/eine-lange-reihe-meist-hervorragender-cabernet-francs/
+
http://www.alleswein.com/product_info.php?pName=chinon-granges-2012&mName=domaine-bernard-baudry&osCsid=c2ab49c1dd89cc4a6f6b503898b13033
Santé!
Ja, bei Christ gibt es oft wirklich interessante Sachen, danke für den Hinweis. Und bei Christ-oph gibt es sogar IMMER etwas Interessantes zu lesen 😉 . Deinen anderen Link hab ich jetzt mal nicht freigeschaltet; bei 20 € Versandkosten pauschal kann ich ja auch bei Mathieu Baudry selbst anrufen und mir die Sachen schicken lassen 😉