Wenn Ihr meinen Blog schon länger lest, dann habt Ihr im Prinzip zwei Reaktionsmöglichkeiten beim Anblick der obigen Überschrift. Möglichkeit 1: “Oh nein, wieder so ein Weinquark! Ich möchte viel lieber lesen, wie Matze einen gesottenen Wattwurm im indianischen Pfahldorf verspeist.” Möglichkeit 2: “Endlich wieder ein Weinartikel! Nächstes Jahr fahre ich dann aber wirklich selbst zur Hausmesse.” Von dem Ausrufer der Möglichkeit 1 möchte ich mich deshalb an dieser Stelle verabschieden – der Wurm kommt später vielleicht nochmal. Der Ausrufer der Möglichkeit 2 weiß hingegen, dass dies die erste Gelegenheit des Jahres ist, bei der ich ernsthaft den neuen Jahrgang probiere – 2013 in diesem Fall.
Wenn es irgendetwas gibt, was ich nach dem Verkosten der vielen 2013er Weißweine zusammenfassend von mir geben kann, dann am ehesten das: Nach dem Testen der 2010er hatte mir der Zahnschmelz stärker geschmerzt. Trotzdem ist natürlich die SÄURE in großen Buchstaben das prägende Merkmal der Weine – und das scheint sich interessanterweise durch ganz Europa zu ziehen. Im Allgemeinen hatte ich aber den Eindruck, dass sie weniger apfelscharf ausgefallen ist als 2010. Die Frische kann man den Jungweinen jedenfalls nicht absprechen. Was aber im unteren Bereich gelegentlich ein wenig zu neutral-mager daherkommt, kann oben ganz erstaunliche Höhen erreichen. Dass der Witterungsverlauf im Jahrgang 2013 nicht gerade günstig war – geschenkt. Einige Winzer haben es offenbar doch geschafft, auch ohne die brutalen Kellereingriffe ihrer Kollegen schöne Weine hinzubekommen.
Wirklich verblüffend fand ich zudem, dass sich der Vorgängerjahrgang 2012, als Jungwein noch energetisch und brilliant, derzeit bei den meisten Winzern in einer deutlichen Entwicklungsdelle befindet. Mit anderen Worten: Viele 2012er sind im Moment erstaunlich matt. Natürlich macht so ein Wein im Laufe seines Werdens immer eine ganze Reihe von Wellenbewegungen durch, aber ich war nicht darauf gefasst, wie übereinstimmend verschlossen sich diesmal die 2012er präsentierten. Dafür scheinen die 2011er wieder aus dem Tal der Lappalien auferstanden zu sein. Sie sind zwar weiterhin nicht gerade spannend, aber zumindest sehr angenehm trinkbar. Sehr gut fand ich diesmal, dass Winzer wie Christmann oder von Winning drei oder gar vier identische Weine aus verschiedenen Jahrgängen mitgebracht hatten. So waren die Unterschiede des Jahrgangs und des Reifezustands noch besser zu schmecken.
Was ebenfalls hervorragend zu schmecken war, das war die Qualität der “Begleitstände”, also jener Kulinarikhandwerker, die sich mit ihren Produkten rund um die Winzer platziert hatten. Franken-Foodcamper werden beispielsweise auf dem Foto oben die Brote von Arnd Erbel wiedererkennen, und das sagt eigentlich schon alles über das Niveau hier.
Jetzt aber zu meinen Lieblingsweinen. Wir Ihr Euch vorstellen könnt, habe ich trotz eifrigen Bemühens von den sicher wieder weit über 300 Weinen, die an beiden Tagen angestellt waren, gerade mal die Hälfte geschafft. Billy Wagner ist glaube ich ganz durchgekommen – jedenfalls hatte er es sich vorgenommen. Insofern ist die folgende Auflistung nicht als “Best of Hausmesse” zu verstehen, sondern als “Best of halbe Hausmesse mit stark subjektiver Note”.
Stéphane Tissot, Arbois, “La Mailloche” 2012, 28 €
Eigentlich weiß ich es ja, aber irgendwie bin ich dann doch jedesmal wieder geschockt darüber, wie mutig Stéphane Tissot seine Weine bereitet. Mittlerweile ist sein Weingut 50 ha groß, komplett biodynamisch bewirtschaftet, über 30 verschiedene Weine in jedem Jahrgang, alle total risikoreich vinifiziert ohne Kompromisse, 12 hl Ertrag pro Hektar übrigens, 15 mg/l SO2 total im Wein – und das alles schafft er mit wahnsinnig viel positiver Energie. Natürlich kann ich auch die Weinfreunde verstehen, denen solche Weine zu extrem, zu puristisch sind. Der Chardonnay vom harten Mailloche-Boden hatte mir wie schon letztes Jahr am besten gefallen: der Steinbeißer schlechthin, rauchig und säurefrisch gleichzeitig, schwungvoll wie sein Schöpfer. Ein großer Wein.
Stephan Krämer, Franken, Müller-Thurgau “Röttinger Feuerstein” 2013, 9 €
Auch dieser Wein ist gewissermaßen rauchig vom Feuerstein, und auch er präsentiert sich säuerlich und frisch. Aber natürlich handelt es sich hier um eine kleinere Materie. Dennoch: Die Brot-und-Butter-Sorte der Franken, spontan vergoren, aus Bioanbau, ohne die sonst immer so lästigen Muskatschwere-Fehltöne, und das noch aus einer der schönsten Lagen des Taubertals – so gefällt mir das. Und nein, das ist nicht Stephan Krämer auf dem Foto, sondern Hannes Hofmann – haben die Kenner sicher schon erkannt.
Eva Clüsserath, Mosel, Riesling “Trittenheimer Apotheke” trocken 2013, 19,90 €
Irgendwann vor längerer Zeit hatte ich Eva Clüsserath einmal gefragt, ob sie auch noch einen “größeren” trockenen Wein machen wollte, also so eine Art GG oberhalb der jetzigen Abfüllung. Ganz verwirrt hat sie da geschaut, “Wie…? Größer?”. Jetzt fange ich an zu begreifen, weshalb sie mich nicht verstanden hat. Dies ist nämlich bereits die ganz große Nummer. Intensives Aroma, REIFE Säure, ein ziemlich hochtouriges Produkt mit jeder Menge Schwung, aber natürlich ohne zu viel Alkohol. An der Mosel gibt es mittlerweile einige sehr spannende Weingüter, die moselanisch-trockene Weine ohne Kleber zu produzieren vermögen. Die richtig Fruchtsüßen mag ich übrigens auch, das nur nebenbei.
Philipp Wittmann, Rheinhessen, Riesling “Morstein” GG 2013, 42,80 €
Und da war es wieder, das Traumpaar der Traubengärung. Ein bisschen langweilig mag es vielleicht anmuten, wenn man ausgerechnet das Große Gewächs aus dem Morstein als Lieblingswein bezeichnet. Aber, beim besten Willen, was soll ich tun? Wieder mal eine ganz starke Kollektion mit ziemlich helltönig-mineralischen Weinen und dem Morstein als enorm säurekräftiger, aber gleichzeitig reifer und cremiger Spitze.
Heymann-Löwenstein, Mosel, Riesling “Uhlen B” GG 2013, 26,80 €
Dieser Wein wird polarisieren. Heute, morgen und übermorgen, und das nicht etwa, weil er von den ever-polarisierenden Löwensteins stammt. Als Gesamtbewertung der Kollektion habe ich diesmal hingeschrieben “…an der Mosel angekommen”, wobei ich auch den extrem langlebigen Elsass-Wachau-Stil zu schätzen wusste, den Reinhard Löwenstein vor 2011 produziert hat. Dieser Wein polarisiert also nicht wegen seiner Bodybuilder-Süße, denn er ist zwar schwungvoll, aber frisch und lang. Dafür besitzt er aber eine deutliche Nelken-Korianderkörner-Nase, die laut Conny Löwenstein vom neuen 1.000 Liter-Holzfass stammt. Anfangs war der Holzeinfluss so stark, dass sie sich überlegt hatten, den Wein möglicherweise gar nicht gesondert zu füllen. Jetzt ist er schon ein wenig abgemildert, aber immer noch deutlich da. Mal schauen, wohin die Reise geht; warten darf man bei diesen Weinen ja lang genug, während sie sich harmonisieren.
von Racknitz, Nahe, Riesling “vom Schieferboden” 2012, 13,90 €
Vielleicht die einzige 2012er-Kollektion (neben der sehr schönen K&U-Sonderabfüllung von Kühling-Gillots Ortsriesling “Nackenheim”), bei der die 2012er sich nicht in einem aromatischen Tal befanden. Der Gutsriesling macht richtig Spaß, und bei den Formationsweinen “Schieferboden”, “Vulkangestein” und “Kieselstein” spürt man schon die Qualität der faszinierend vielfältigen Nahe-Lagen. Eigentlich sind das alles große Lagen hier, aus denen man auch entsprechend Große Gewächse holen könnte, VDP hin oder her. Aber erstens wäre das unter Marketinggesichtspunkten nicht gerade schlau – denn die Wahl unter 13 Großen Gewächsen wäre in der Tat eine Qual. Und außerdem: Wer möchte denn schon abends zum Wurstsalat ständig die riesengroßen Knaller trinken? Also ich nehme lieber diesen hier.
Holger Koch, Baden, Pinot Noir K&U 2012, 18,50 €
Ich weiß nicht, ob ich das schon einmal irgendwo gesagt habe, aber Holger Koch ist für mich vielleicht der beste Winzer in Baden. Warum? Weil seine Weißweine immer die notwendige Frische und Natürlichkeit haben. Und weil seine Rotweine eine Finesse besitzen, für die man ansonsten bis nach Dijon fahren müsste. Die drei Pinots, die ich hier probieren konnte, waren alle eine Klasse für sich: Der kleine 2013er mit einer ungemein animierenden herben Frische, der in der Überschrift erwähnte 2012er bereits mit echt burgundischen Eleganz-Adern, und schließlich die fast dreimal so teure Reserve 2012, die ich deshalb zwar nicht kaufe, die aber ihren ersten Platz bei der Sternefresser-Blindverkostung wahrhaftig verdient hat.
Danjou-Banessy, Côtes du Roussillon Villages, “Les Myrs” 2012, 34 €
Wenn es einen Kandidaten für mich gibt, der bei der Hausmesse den Titel meiner persönlichen “Entdeckung des Jahres” zugesprochen bekommen sollte, dann Sébastien Danjou vom Weingut Danjou-Banessy. Ehrlich gesagt – und das passiert mir gar nicht so oft bei solchen Qualitäten – kannte ich das Weingut vorher überhaupt nicht. Im Nachhinein sehe ich natürlich, dass sie mittlerweile in den französischen Weinguides auch entsprechend bewertet worden sind. Manchmal ist es auch ganz gut, wenn man völlig ohne Orientierung irgendwo landet, denn nur dann kann man voller Überraschung ausrufen: “Wahnsinn, was für eine großartige Kollektion!” Der oben erwähnte “Les Myrs” ist dabei das Spitzenprodukt, ein Roter aus 100% Carignan vom Schieferboden, wenn ich mich recht erinnere, unglaublich fein und trotzdem mit Energie, perfekt ausgewogen, eine ganz tolle Sache. Auch die Weine darunter deuten an, dass man hier ganz genau weiß, was man macht. Anbau und Vinifikation passen ebenso ins Bild wie der supernette und ziemlich schlaue Winzer. Ich glaube, ich habe hier einen neuen Lieblingsbetrieb entdeckt…
Les Eminades, Saint-Chinian, “Vieilles Canailles” 2010, 24,80 €
Luc Bettoni kenne ich jetzt schon seit einigen Jahren von seinen Messebesuchen, so dass man nicht unbedingt mehr von einer Entdeckung sprechen kann. Ich mochte die Weine schon immer, weiß wie rot, weil sie aufgrund der Unterschiede der Rebsorten und des Terroirs wirklich extrem individuell ausfielen. Wenn ich jetzt hier schon wieder den roten Spitzenwein in den Vordergrund stelle, dann deshalb, weil ich in dieser Kategorie irgendwie auf der Suche nach der großen Harmonie gewesen zu sein scheine. Die alten Kanaillen, das sind uralte Carignan-Rebstöcke, die im prächtigen Jahrgang 2010 einen gleichzeitig dichten und elegant-gleitenden Saft hervorgebracht haben. Wenn das hier als Konsenzwein gelten sollte, dann wären wir in einer idealen Weinwelt angekommen.
Moric, Burgenland, Blaufränkisch “Alte Reben Lutzmannsburg” 2011, 78 €
Ich weiß, dass ich die Österreicher diesmal viel zu spärlich besucht habe. Kein Veyder-Malberg, kein Muster, kein Neumeister, und das tut mir wirklich leid. Quasi als Kompensation musste ich dann schier kurz vor dem Verlassen der Messe noch einmal einen meiner all time favourites besuchen. Stellt sich nur die Frage, welche “Alten Reben” ich probieren soll, Neckenmarkt oder Lutzmannsburg? Da wir hier unter uns sind, kann ich es Euch ja gestehen: Eigentlich ist das total wurscht, genau wie der Jahrgang. Diese beiden Weine habe ich nämlich noch nie in schlechter Form erlebt. Das ist wie ein großer Côte-Rôtie, nur mit mehr Beeren und weniger Stein.
Wenn Ihr Euch jetzt fragen solltet, was es mit diesen fast unangemessen erscheinenden Jubelarien auf sich hat, die würde man ja eher woanders erwarten und nicht beim dezent-distinguierten Matze, dann lasst Euch Folgendes sagen: a) Das Niveau war wieder mal sehr hoch, der Jubel somit berechtigt, und b) ab und zu jubele ich auch mal ganz gern. Da ich ja prinzipiell keine Sechser-Kisten kaufe, habe ich während der Hausmesse selbst wie immer keine Bestellung abgegeben. Aber so ein bis zwei richtig schöne Weine sollten dann doch den Weg in meinen (komplett überfüllten, ich weiß) Keller finden.
Also von Holger Koch war ich diesmal (wieder) schwer begeistert. Die K&U Edition wird mein Weihnachtswein, vermutlich der 2012. Die Reserve wäre gigantisch, aber das sprengt mein Budget… Ansonsten war die Domaine de la Chevalerie eine Entdeckung, da paßt auch gleich der Verweis auf deinen nachfolgenden Blogpost: An der Loire gibt es manchen Schatz zu heben!
Ich hatte diesmal die Weißen von Holger Koch gar nicht probiert. Der Grauburgunder K&U aus dem letzten Jahr hatte mir aber super gefallen, obwohl ich ja sonst kein allzu großer Fan des gewichtig-holzigen Badener Weißweinstils bin. Aber wie gesagt, wenn die Frische da ist, dann gleicht sich das schön aus. Den Pinot Noir K&U 2012 hab ich mir jetzt auch zugelegt – und auf die Reserve aus demselben Grund verzichtet wie Du.
Was die Domaine de la Chebalerie anbelangt: Hast Du auch den Grand-Mont probiert (war der diesmal überhaupt dabei)? Ich fand die 2010er Ausgabe sehr gut, also echtes Loire-Spitzenniveau – allerdings halt nicht für weniger als 10 €, logisch…
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