Würde das Bier unter der typisch deutschen Beklageritis leiden, dann würde es wahrscheinlich darauf hinweisen, dass hierzulande immer weniger von ihm getrunken wird – laut Statistik kaum mehr als 100 Liter pro Kopf im letzten Jahr. Dabei waren wir doch mal mit ganz oben dabei, 200 Liter schafften die Tschechen, 180 die Iren, und nicht weit dahinter folgten die Deutschen. Warum die Tendenz so ist, wie sie ist, treibt dabei so manchen Analysten um. Eine Autorin im neuesten Slowfood-Magazin vermutet beispielsweise, es läge “an der Demoskopie”. Und wirklich – ich kann mich nicht daran erinnern, Uli Deppendorf bei seiner Wahlprognose je mit einem Weizenbier in der Hand gesehen zu haben.
Spaß (auf Kosten anderer) beiseite, meine lieben Freunde. Auch wenn der Kopfjahresdurchschnittsverbrauch an Bier bei uns gesunken ist, sind 103 Liter immer noch sehr viel. Gut, Salafisten und Hooligans dürften zusammengerechnet im Schnitt sein, aber wenn ich mir überlege, dass meine Generation die Biere ausgleichen muss, die im Kindergarten und im Altenheim nicht getrunken werden, dann ist das doch eine ziemliche Herausforderung.
Welche Bedeutung der Standort Deutschland aber für Brauprozessexperten und Anlagenbauer immer noch hat, das wurde mir bei der diesjährigen BrauBeviale bewusst, die diesmal mit 37.000 Besuchern (darunter geschätzte 40% aus dem Ausland) alle Rekorde brach. Weltweit gesehen steigt der Bierkonsum nämlich weiterhin, und was wir hier in West- und Nordeuropa an – allerdings moderaten – Mengeneinbußen hinnehmen müssen, das wird woanders mehr als ausgeglichen.
Zwar stehen die Tschechen beim persönlichen Bierkonsum immer noch einsam an der Spitze, aber wenn Ihr wissen solltet, dass sich unter den Top 20-Nationen auch solche Länder wie Venezuela oder Panama (3,9 bzw. 6,2% Jahressteigerung) befinden, dann, ja dann braucht Ihr eigentlich nicht mehr weiterzulesen. Für Euch gibt es hier nichts Neues.
Das meiste Bier pro Land und nicht pro Kopf wird übrigens in China getrunken, gefolgt von den USA und Brasilien. Deutschland nimmt nach Russland hier den fünften Platz ein, gefolgt von Mexiko und Japan. Das nur einmal zur Einordnung, wie global das Bier als solches mittlerweile geworden ist. Was für Bier in den meisten Ländern in großen Quantitäten getrunken wird, lässt gleichzeitig den Kenner jammern und den Anlagenbauer frohlocken: Es handelt sich nämlich zumeist um ein tiptop industriell-sauberes Produkt ohne viel Seele und Geschmack.
Von einer solchen Situation ist man in Deutschland trotz der Aufkaufs- und Konsortienbildungstendenz der letzten zehn Jahre weit entfernt. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gibt es in Deutschland nämlich drei dicke Rettungsringe, die den hiesigen Biermarkt davor bewahren, die Qualität gänzlich der Quantität unterzuordnen:
- Das Reinheitsgebot. Viel geliebt – weil es genial einfach erscheint und gerade im unteren Segment eine woanders nicht vorhandene Qualitätsgarantie bietet. Viel gescholten allerdings auch – weil es ohnehin schon stark unterlaufen wird (Stichwort Stabilisierungsmethoden) und die Stilmöglichkeiten ein wenig einschränkt.
- Die mittelständischen Brauer. Das ist der Hort der Tradition, und wer sich je durch die oberfränkischen Dorfbrauereien getrunken hat, der wird hoffen, dass es für immer so bleiben möge.
- Die neuen Freaks. Bier ist vielleicht im Mainstream nicht mehr so selbstverständlich, wie das vor einigen Jahrzehnten noch der Fall war, aber am kreativen Rand des Spektrums tut sich seit einiger Zeit enorm viel.
Für diejenigen von Euch, die noch nie auf so einer Messe waren, möchte ich jetzt aber auf einem kleinen Rundgang zeigen, was es da so alles zu sehen gibt. First and foremost, dies ist eine Technikmesse. Es gibt keinen einzigen Brauer, der hier ausstellt. Das heißt, es gibt natürlich indirekt doch welche, am Stand ihres jeweiligen Verbandes oder eben in der “Craft Beer Corner”. Ich treffe aber erst einmal am Stand des Bayerischen Brauerbundes die Bierexperten Harald Schieder und Ralph Forster, deren neuestes Buch mit allen Brauereien Ostbayerns pünktlich vor der Bescherung auf den Markt kommen soll. Gemeinsam gehen wir dann an den Stand der “Privaten Brauereien”, wobei letztere die mittelständischen Brauer, der Brauerbund dafür die Großbrauer vertritt. Bei den Mittelständlern gibt es auch Bier. Alle halbe Tage wechseln Wirt und Angebot, der Chef zapft hier immer selbst. Im Moment gibt es das Dunkle der Brauerei Lindner aus Scheßlitz, und viele Brauer stehen an den Tischen zum Fachsimpeln herum.
Den größten Andrang gibt es vor dem Stand des Malzproduzenten Weyermann aus Bamberg, aber auch die Hopfenproduzenten können sich nicht beklagen. An solchen Rohstoffständen können die Fachbesucher nämlich auch Sachen zu sich nehmen, die es nirgends zu kaufen gibt: “Testbiere”, oft sortenrein mit bestimmten Hopfen oder Malzen gebraut, um die Unterschiede auf diese Art erschmeckbar zu machen. Eine sehr spannende Sache.
Ich gehe zum Stand von Naturland, dem einzigen Aussteller der Rubrik “Bio und Artverwandtes” auf der gesamten Messe – ein Umstand, der mich doch sehr erstaunt. Mitaussteller ist die Braumanufaktur Potsdam, mit deren Mitarbeiterin ich mich unterhalte. Die Biere kenne ich aus meiner Zeit in Berlin, ich habe sie damals regelmäßig gekauft. Was ich nicht wusste, ist die Tatsache, dass die Potsdamer ausschließlich Naturdoldenhopfen verwenden, damit aber irgendwie gar nicht werben. 8.000 hl werden im Jahr mittlerweile produziert, was eine Menge Arbeit bedeutet. Darunter ist seit einiger Zeit auch eine echte “Berliner Weiße”. Höllisch müsse man da aufpassen, dass die Milchsäurebakterien nicht aus der Weißen auf die anderen Gebräue überspringen, sonst hätte man nur noch Sauerbier zu verkaufen.
Mit Sauerbier, namentlich der “Oude Gueuze”, hat auch ein anderer Aussteller der Messe zu tun – allerdings nicht als Produzent. Bei Brouwland aus Belgien kann man nämlich komplette Produktionsanlagen erwerben, vom Braukessel bis zur Abfüllanlage. Wichtig ist dabei nicht nur das technische Gerät, sondern auch die Beratung, weshalb man sich erst einmal mit dem Brauer zusammensetzt, um eine maßgeschneiderte Lösung zu finden. Zielgruppe sind allerdings nicht die Großbrauereien. Als ich Mitarbeiterin Nadia frage, ab welchem Volumen man denn die Brouwland-Gerätschaften nutzen könnte, meint sie nur: “20 Liter”. Und die Obergrenze liege bei 3.000 hl, sie seien auf wirklich kleine Brauereien spezialisiert. Ich frage dann Jef, wer denn die Brouwland-Anlagen nutzen würde. “Och, die kennt man nicht”, meint er. Dann rückt er aber doch mit ein paar Namen heraus: Drie Fonteinen, Hanssens, Glazen Toren zum Beispiel. Und wer schon einmal in der Gegend westlich von Brüssel war oder aber ein ausgesprochener Bierfreak ist, der weiß, das sind allererste Adressen für höchst traditionell hergestellte Spezialbiere.
Zum Schluss geht es für mich noch einmal in die “Craft Beer Corner”. Erst teste ich mit Harald und Ralph noch ein paar Biere für den Konsumentenpreis des “European Beer Star“. Blind. Das ist enorm schwierig, weil es ja wirklich Äpfel und Birnen sind, die man hier in ein grobes Punkteschema einordnen soll.
Später findet hier noch ein Bloggertreffen statt, das die Messe Nürnberg organisiert hat. Und tatsächlich, da sind ja die Leute, die über Bier schreiben. Ich spreche zuerst mit Jan aus den Niederlanden, der seit August 2003 bloggt, ohne das Erscheinungsbild seines Blogs zu ändern. Das ist wahrhaft cool, und ich habe das Gefühl, das solche sympathischen Typen, denen Moden und Glitzerdinge ziemlich wurscht sind, in der Bierwelt häufiger anzutreffen sind als anderswo. Felix von Lieblingsbier, der demnächst wieder irgendetwas Neues an den Start bringen wird, ist ebenso dabei wie Norbert von Bier des Tages, der in der Tat jeden Tag ein weiteres fränkisches Bier vorstellt – momentan ist er etwa bei Nummer 1.100 und noch lang nicht durch.
Es gibt auch etwas zu trinken beim Bloggertreffen, erst ein Tucher Pils und dann ein Porter aus London. Ich fand letzteres etwas zu stark aufgebrezelt im Aromenspektrum, CRAFT in Großbuchstaben, wenngleich natürlich von untadeliger Qualität. Miroslav aus Kroatien findet das Bier hingegen fantastisch, und was er sonst noch zu erzählen hat, ist äußerst interessant. Ab und zu bloggt er auch, aber das eigentlich Spannende ist die Tatsache, dass er Mitinhaber des Brauprojekts Nova Runda in Zagreb ist. Als solcher möchte er das gute Bier an die Bewohner und Besucher der Stadt bringen, das dort seit längerer Zeit schon fehlt.
“Wir hatten nicht genug Geld”, erzählt er, “um gleich eine Brauerei aufzumachen. Also haben wir erst eine Kneipe gepachtet und unser Bier in kleinsten Mengen woanders gebraut. Die Flaschenabfüllung war uns auch zu teuer, es gibt unser Bier also nur direkt aus dem Fass. Mittlerweile sind aber Gäste von uns, denen das Bier gefallen hat, darauf aufmerksam geworden, und wir haben jetzt tatsächlich so etwas wie Investoren und einen Business Plan. Wir werden nach und nach versuchen, eine eigene kleine Brauerei aufzumachen, und wir sind aktiv im Netz, besonders bei Twitter. Das macht zwar Arbeit, aber es kostet nichts, und wir können damit immer mehr Leute erreichen.”
Ich frage ihn, woher sie die Rohstoffe beziehen. Ob es eigentlich Hopfenbauern in Kroatien gibt? “Ja”, meint er, “das ist eine komplizierte Geschichte. Es gab früher Hopfenbauern, die für die alten Großbrauereien produziert haben. Dann kamen die neuen Investoren ins Land und kauften die Brauereien auf. Karlovačko gehört jetzt zu Heineken, Ožujsko zu Anheuser-Busch InBev und Pan zu Carlsberg. Weil die Rohstoffe woanders billiger hergestellt werden können, haben die neuen Inhaber keinen kroatischen Hopfen mehr benutzt. Aber als ich zu den Hopfenbauern gefahren bin, habe ich gemerkt, dass die sich eh noch nie für ihr Produkt interessiert hatten. Sie trinken lieber Wein, und das mit dem Hopfen war nur ein Job für sie, die Qualität hat sie nie interessiert. Es ist wirklich schade, wenn Leute nicht das machen, was sie lieben. Wir müssen deshalb im Moment unseren Hopfen auch importieren, aus den USA. Aber mal schauen, vielleicht gibt’s da ja auch noch Änderungen in der Zukunft.” Sagt’s und zwinkert dabei, ein 150%iger Bierfreak, der seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat.
Bei der interessanten Unterhaltung merke ich gar nicht, wie weit die Zeit schon fortgeschritten ist. Um kurz vor 18 Uhr tönt die Stimme aus dem Lautsprecher und ermuntert die Besucher, jetzt den Weg in Richtung Ausgang anzutreten.
Für mich war der Messebesuch wirklich eine spannende Sache. Gut, weniger wegen des intensiven Probierens besonderer Biere. Aber die Szene, zu der riesige, glänzende Maschinen genauso gehören wie bunte Zapfhähne, langhaarige keltische Bartträger genauso wie Manager im dunklen Anzug, porentief rein gefilterte Maissäfte genauso wie wilde Gebräue, diese Szene allein zeigt schon, welche Vielfalt in der heutigen Bierwelt geboten wird. Zu Hause angekommen, erfrische ich Körper und Geist dann mit einer “Potsdamer Stange” und bin in Gedanken beim 20-Liter-Braukit von Brouwland. So teuer ist es bestimmt gar nicht, das mal selbst zu versuchen…
Hallo Matthias, habe deinen Artikel wiedermal verschlungen. Wenn du mal Bierbreuen selbst ausprobieren willst und nicht gleich so tief in den Geldbeutel greifen möchtest, dann können wir ja nach dem Barolo, der in Königsberg noch auf dich wartet am nächsten Tag beim Nchbar ein Bier brauen. Unser bersteinfarbenes leicht rauchiges Kellerbier macht eine Flaschengärung und ist sehr süffig. Leider hat unser Brau-/Wurstkessel nur ein Fassungsvermögen von 100 l.
Danke für das Angebot, das Bier hört sich ja sehr gut an! 100 Liter sind für den Privatbedarf doch mehr als genug, wär ja horizontverengend, wenn man immer nur sein eigenes Bier trinken müsste 😉
Danke für den Artikel! Ich bin erst um 18.00 Uhr aufgeschlagen, und könnte mich dann aber durch eine angenehme Fügung durch die European Beer Star Biere trinken. Bin eigentlich auch ein Fan der unprätentiösen fränkischen Biere, aber das Spektrum international ist gigantisch. Firewalker mit dem Stickee Monkey hat mich schier umgehauen..
Wir hatten schlauerweise ja keine Liste dabei und haben deshalb “richtig blind” probiert, also nur die Nummern. Hinterher hätten wir schon gern gewusst, was wir denn getestet haben 😉 . Aber es waren auch wirklich ein paar schöne Sachen dabei; wir haben dann einfach den Stil geraten bzw. wie wir den Stil des Bieres nennen würden.
Matze, Danke für dein super Artikel 🙂 und ich gebe dir voll Recht, auch mit dem Fazit der Messe. Vor paar Jahren war die Brau sogar noch viel viel viel mehr auf Anlagen und Technik ausgelegt, da gabs kaum “spannende” Biere, auch weil früher vor vielen jahren dort eben so richtig gesoffen wurde und es ausartete. Aber mittlerweile trinkt man eben qualitativer und nicht mehr so auf quantität und deswegen sieht auch das Messeteam der Brau es so, dass die Bierkultur in flüssiger Form wieder gefplegt wird!
Beste Grüße, bis bald..
felix
P.S. das neue bei mir ist, dass der Blog geupdatet und neu gelauncht wird 🙂 Cheers!
Ah, sehr gut, ich bin gespannt!
Die Weiße aus der Braumanufaktur Potsdam heißt meines Wissens Potsdamer Weiße, sie darf sich wohl nicht Berliner Weiße nennen, obwohl sie neben der vom Brewbaker die einzig “wahre” ist (wie a href=”http://vilmoskoerte.wordpress.com/2013/01/27/die-rueckkehr-der-berliner-weisse/”>die von Bogk inzwischen ist, weiß ich leider nicht), was Kindl als Berliner Weisse verkauft, ist ein Ersatzprodukt ohne Milchsäurevergärung.
Ja, als ich noch in Berlin gewohnt habe, konnten nur die ganz Alten von einer Zeit berichten, in der es die echte Berliner Weiße gab 😉 . Danach war dann jahrzehntelang nichts (also Kindl-Zeit halt), bis dann Brewbaker kam. Das mit dem Namen dürfte genauso wie mit dem Kölsch in Köln sein: die markenrechtliche Festlegung auf ein bestimmtes Gebiet (der Braustelle). Das Kölsch aus Bonn heißt deshalb Bönnsch. Dass der Name nichts mit der Qualität zu tun haben muss, gilt für Köln ja leider genauso wie für die Berliner Weiße von Kindl… Die haben halt eher die Herkunft als den Herstellungsprozess rechtlich eintragen lassen.