Weißweine von der Loire, das bedeutet auch für erfahrene Weinfreunde oftmals terra incognita. Warum ist das so? Nun, ich denke, dafür gibt es einige Gründe. Zunächst einmal ist Chenin eine Rebsorte, die es in dieser Qualität woanders nicht gibt (nein, bitte jetzt nicht „Südafrika“ sagen), mit der man geschmacklich also nicht allzu viel verbindet. Dann liegen in Frankreich sowohl die Prestige- (Bordeaux, Champagne, Burgund) als auch die Urlaubsgebiete am Mittelmeer woanders. In seiner Heimat besucht man den Chenin also selten. Und dann werden die besten Weine von kleinen Winzern gemacht, die oft nur Französisch sprechen und die auch keinen großen Investor im Hintergrund haben, was eine Teilnahme an internationalen Messen praktisch unmöglich macht.
Zum Glück gibt es allerdings ein paar Enthusiasten vulgo Wahnsinnige, die von den Weinen der Loire derartig begeistert sind, dass sie keine Anstrengung scheuen, diese Kunde auch unters Volk zu bringen. Einer dieser Enthusiasten heißt Matze von Chez Matze, also genau dieser Typ, der Euch gerade virtuell gegenübersitzt. Vor einigen Monaten habe ich eine sechsteilige Weinreise entlang der Loire hier auf diesem Blog veröffentlicht, die ob der Kombination aus Kostenlosigkeit und Intensität ihrer Information den Glauben an meine Zurechnungsfähigkeit nicht gerade gestärkt hat.
Heute also der nächste Schritt. Im Kreis der einigermaßen illustren Bonner Weinrunde haben sich einige Freunde und einige Neulinge eingefunden, um sich im Grün der Zeit ein paar weiße Loireweine zu genehmigen. Die Weine hatte ich zwei Stunden vorher mit dem Auto angeschleppt, so dass umfangreiche 24-Stunden-Doppeldekantier-Maßnahmen schon mal ausfallen mussten. Gekauft hatte ich die meisten Flaschen bei den Winzern selbst, einige auch im Fachhandel. Weil es so schwierig ist, an bestimmte Weine zu kommen, habe ich ein bisschen im Internet gestöbert und ein paar Händler aufgetan, die sich den Spaß antun, in Deutschland Loireweine verkaufen zu wollen (Hinweis folgt bei der jeweiligen Beschreibung).
Alle folgenden Weine stammen mindestens aus biologischem Anbau, die meisten sogar aus biodynamischem. Dass dies so ist, war mir bei der Auswahl zunächst gar nicht weiter aufgefallen, weil ich es gar nicht als programmatischen Ansatz vorgesehen hatte. Allerdings sind diese naturschonenderen und arbeitsintensiveren Methoden bei fast allen Spitzenwinzern der Loire mittlerweile Usus. Dabei ist es ziemlich unwesentlich, ob sie derartig wirtschaften, weil sie einem theoriegeleiteten Gesamtkonzept folgen oder weil sie einfach ihre Reben und den Wein daraus lieben und deshalb so sorgfältig wie möglich arbeiten wollen. Aber schauen wir einfach, was sich hinter dem Begriff der „Weißweine von der Loire“ so alles verstecken kann.
1. Domaine de la Louvetrie „Hermine d’Or“ 2010
Joseph (Jo) Landron, AOC Muscadet Sèvre et Maine (sur Lie), 12 vol%, in D: 8,80 € beim Vigneron Français. 100% Melon de Bourgogne, 20-60 Jahre alte Reben der Lage „Les Houx“, Sand auf Urgestein, zehnmonatiger Ausbau auf der Hefe (sur lie), bio.
Überraschenderweise sind bereits Honignoten zu spüren, obwohl der Wein noch relativ jung ist. Was ich ebenfalls nicht erwartet hatte: Der Wein ist nicht ganz trocken, also jedenfalls nicht furztrocken. Dafür gibt es eine Note, die ich vor einiger Zeit beim „Granite“ der Domaine de l’Ecu schon mal wahrgenommen hatte, nämlich so eine Art mergeliger Staub, obwohl Mergel nun wirklich das Entfernteste ist, was man sich untergrundsmäßig hier vorstellen könnte. Sehr mineralisch also, erdig, und durchaus schwieriger als erhofft. Könnte gerade in seiner Verschlussphase sein.
2. Domaine de la Louvetrie „Fief du Breil“ 2000
Joseph (Jo) Landron, AOC Muscadet Sèvre et Maine (sur Lie), 12 vol%, 12,50 €, nicht in D. 100% Melon de Bourgogne, 40 Jahre alte Reben, 7.000 Stöcke pro Hektar, Lehmboden auf Orthogneiss, Spontangärung, 14-24 Monate Ausbau auf der Hefe, unfiltriert abgefüllt, bio.
Obwohl der Firn in der Nase schon auf ein gewisses Alter hindeutet, ist der Wein am Gaumen komplett frisch, also so frisch, wie man es bei einem 14 Jahre alten Weißwein niemals glauben würde. Die Aromen erscheinen mir auch neutraler, der Wein trockener, weniger erdig-mineralisch als eisbachisch. Ob ich ihn jetzt noch zu Austern reichen würde, weiß ich nicht. Aber zu nördlichem Seefisch kann ich mir wahrscheinlich kaum etwas Geeigneteres vorstellen.
3. Domaine aux Moines 2005
Tessa Laroche, AOC Savennières-Roche aux Moines, 14,5 vol%, in D: 2011er für 18,90 € bei Domovino. 100% Chenin, Südhang auf Schiefer, Reben 25-80 Jahre alt, Ausbau in Stahl und Holz, (damals) in Umstellung auf bio.
Das absolute Kontrastprogramm zu den Meeresweinen davor: Savennières ist ja immer stark, immer intensiv, immer alkoholreich. Man muss also keine ganze Flasche davon trinken, aber für schwerere „weiße“ Gerichte wie Kalb in Sahnesauce oder irgendetwas Helles mit Trüffel kann man einen solch intensiven Wein sehr gut verwenden. Dieser hier präsentiert sich quasi klassisch: trockene Botrytis, Honig, eine Wahnsinnswürze, dazu allerdings eine gewisse Buttrigkeit, was vermutlich dem heißen Jahr geschuldet ist. Ein sehr nachhaltiger Wein jedenfalls, aber natürlich kein Solo-Schoppen.
4. Château de la Roche-aux-Moines „Clos de la Bergerie“ 2007
Nicolas & Virginie Joly, AOC Savennières-Roche aux Moines, 15,5 vol%, in D: 2011er für 36 € bei Lobenberg. 100% Chenin, der „mittlere“ der drei Joly-Weine, 30 Jahre alte Reben auf Schiefer und Quarz, Spontangärung, wenig Schwefel, Ausbau im gebrauchten Holz, biodynamisch seit 1984.
Wir alle kennen Nicolas Joly von seinen öffentlichen Auftritten, seinen Büchern, seiner Vehemenz und seinen Verschwörungstheorien. Seine älteren Weine gelten als Inbegriff der Jahrgangsschwankung und der Flaschenvarianz, was manche als „sehr nah an der Natur“, andere hingegen als „unsauber gearbeitet“ interpretieren. Nun, da Tochter Virginie mehr und mehr die Vinifikation verantwortet, wage ich die Prognose, dass wir hier vielleicht ein bisschen umdenken müssen. Die Weine sind immer noch so natürlich wie früher, allerstrengste Biodynamik, aber sie erschienen mir schon bei der Probe auf dem Weingut, nun ja, komplett sauber. Also nicht, dass wir uns missverstehen, Charakter und Intensität sind weiterhin da, aber eben keine offensichtlichen Fehltöne.
Dieser Wein ist jedenfalls einer der Stars der Probe: goldfarben, Holz noch ein wenig in der Nase und am Gaumen einfach groß, wie ein ganz kräftiger Grand Cru-Burgunder. Die Säure erscheint mir perfekt, die Aromen von Menthol, Fenchel und einer bernsteinigen Mineralität getragen, und zum Schluss folgt eine Würze, die fast ein wenig zu intensiv ist. Im Vergleich mit dem Wein davor ist die Frucht sehr reif, die Botrytis aber dennoch viel weniger präsent. Und – das überrascht mich vielleicht am meisten – der analytisch fürchterlich hohe Alkohol ist fantastisch eingebunden. Dadurch wird er natürlich nicht weniger, aber dies ist nun einmal eine hohe Intensität auf allen Ebenen. Selten habe ich bislang sagen gehört, dass die Weine von Nicolas Joly ihren aufgerufenen Preis wert seien, aber diesmal ist genau das der Fall.
5. Clos Rougeard „Brézé“ 2000
Jean-Louis (Charly) & Bernard (Nady) Foucault, AOC Saumur, 12,5 vol%, in D: 2009er auf Nachfrage für 54 € bei Wein-Kreis, wird ansonsten gern dreistellig gehandelt. 100% Chenin, Kalkboden, beste Lage von Saumur, praktische Biodynamik ohne Zertifizierung und ohne Veränderung der Methoden seit 1969, 50 Jahre alte, wurzelechte Reben, minimale Erträge, Ausbau 18 Monate auf der Hefe im neuen Barrique, Naturstein-Tuffkeller, Restsüße je nach Gärverhalten des Jahrgangs.
Unverhofft kommen wir gleich darauf zum eigentlichen Star der Probe. Ich hatte ihn eigentlich für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen, war aber ganz offensichtlich so aufgeregt, dass ich ihn schon jetzt geöffnet habe. Oder aber „erst jetzt“, ganz wie man es sieht, denn normalerweise sollte man die Urweine der Brüder Foucault dekantieren. Aber dafür war nun leider keine Zeit mehr, und ehrlich gesagt hat er sich auch so nicht gerade schlecht präsentiert. In der Nase ist diese Kombination von Holz und Mineralität zu spüren, wie ich sie in dieser Form nur von den richtig großen fruchtfreien Weißen kenne, den Weinen von Coche-Dury zum Beispiel oder dem fantastischen Coume Gineste von Gérard Gauby.
Am Gaumen kommen drei Elemente zum Tragen, von denen das erste an mir liegt: Der Wein moussiert nämlich noch leicht von der Gärkohlensäure, Dekantieren wäre in der Tat angebracht gewesen. Dann spürt man einen winzigen Zuckerrest, denn der 2000er war nicht komplett durchgegoren. Und schließlich, wir sind hier ja wieder bei 12,5 vol%, offeriert der Brézé einen ungeheuren Trinkfluss für einen Wein dieser Güteklasse. Das ist doch auch mal angenehm. Allerdings bleiben wir auch hier auf der aromatisch eher spröden, fruchtfreien Seite, begleitet von einer starken Salzanmutung und einer irgendwie großen Natürlichkeit. Ganz klar ein großartiges Erlebnis, zwei Stufen weniger intensiv als der Wein von Joly, dafür aber noch seelenvoller, wenn ich das mal so pathetisch ausdrücken darf.
6. Domaine Huet „Le Mont“ sec 2007
Anthony Hwang (Noël Pinguet), AOC Vouvray, 13 vol%, in D: 2011er für 21 €, 2012er für 25 € bei Vinaturel. 100% Chenin, Boden grüner Lehm und Feuerstein, genannt „Perruche“, darunter Kalk, Säure 5,4 g, Restzucker 8,9 g („sec tendre“), biodynamisch.
„Sec“ heißt zwar trocken, aber in Vouvray, wo sie aus dem Chenin trockene, halbtrockene, süße und schäumende Weine unter derselben Appellation erzeugen, sind die Grenzen trotz der anmutenden Klarheit manchmal fließend. Aber das gibt es ja auch woanders. Die Erzfranzosen würden vermutlich einen trocken genannten Rheingauer Riesling gustativ auch nicht als „trocken“ bezeichnen. Jedenfalls ähnelt der Huet am meisten einem deutsch-trockenen Wein, wie wir ihn hierzulande gewohnt sind. Aber einem ausgezeichneten, denn er bietet eine knackige Säure als Gegengewicht zur Süße an und – ja, auch das gibt es – zum ersten Mal eine wirklich „leckere“ Frucht. Die drei trockenen Lagenweine von Huet erhalten jedesmal unglaublich viele Punkte in den französischen Weinguides. Wenn man sie ganz jung probiert, wird man das nicht unmittelbar nachvollziehen können. Aber nach einigen Jahren kommt die pure Eleganz zum Vorschein, ohne dass das Animierende verschwinden würde.
7. Domaine de Bellivière „Vieilles Vignes Eparses“ 2004
Eric Nicolas, AOC Coteaux du Loir, 13 vol%, in D: 2009er für 29,90 € bei der Weinhalle. 100% Chenin, 50-80 Jahre alte Reben, Untergrund Feuersteinboden auf Tuff, 25 hl/ha Ertrag, Ausbau in Barriques, biodynamisch, Restsüße je nach Jahrgang.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Weine von Eric Nicolas in ihrer Jugend schweigen. Da gibt es praktisch gar nichts zu hören, zu riechen und zu schmecken. Entsprechend sind sie in Deutschland im Grunde genommen unverkäuflich – jedenfalls außerhalb der Freak-Kreise, die wissen, was da noch kommt. Hier haben wir uns schöne zehn Jahre Zeit gelassen mit dem Öffnen, und der Wein hat sich sichtlich entwickelt: sehr dunkel in der Farbe, in der Nase ebenfalls Botrytis- und Oxidationsnoten. Am Gaumen sind die “Alten Reben” enorm nachhaltig, da haben wir wieder die extreme Würze. Dazu kommen eine leicht oxidative, apfelige Note, ein erdiger Anklang und ein Touch Karamell, der sehr gut zur Apfeligkeit passt. Die Säure ist bei alldem wirklich knackig und bindet die tendenziell doch eher üppigen Noten sehr schön ein. Wieder ein großer Wein, der vierte in der Reihe.
8. Domaine St-Nicolas „Reflets“ 2008
Thierry Michon, AOC (AVDQS) Fiefs Vendéens, 12,5 vol%, in D: 2012er für 11,40 € bei Wein-Kreis. 40% Pinot Noir, 20% Gamay, 20% Cabernet Franc, 20% Négrette, Schieferboden, einen Kilometer entfernt vom Atlantik, 20 hl/ha Ertrag, biodynamisch seit 1995, Spontangärung.
Zum Essen (frischest mögliche Gemüsesuppe, ein großer Dank an Käufer und Schnippler) kommen nun zwei Rote quasi als Erholung. Und dieser Wein hier präsentiert sich genau so, wie ich ihn in Erinnerung hatte, als ich ihn in der staubigen Lagerhalle von Thierry Michon probiert hatte: wunderbar frisch, rotbeerig, säuerlich, mit Schiefernoten, und trotz der Fruchtigkeit und der angeblich doch so kurzen Maischezeit mit einem anständigen, appetitanregenden Tannin. Für mich persönlich, der ich diesen sauerfruchtig-mineralisch-schlanken Stil sehr schätze, ist das ein geradezu idealer Alltagsroter.
9. Domaine des Roches Neuves „La Marginale“ 2006
Thierry Germain, AOC Saumur-Champigny, 13 vol%, in D: 2010er für 31,60 € bei Wein-Kreis. 100% Cabernet Franc, Kalkboden, biodynamisch, 35 hl/ha Ertrag, biodynamisch, malolaktische Gärung in Stockinger-Fuderfässern, dann knapp zwei Jahre Barrique-Ausbau.
Von einem etwas anderen Kaliber ist dieser Wein, der beim ersten Riechen und beim ersten Antrunk auch schon einmal als fehlerhaft durchgehen kann. Ist er aber nicht, den will der Winzer so haben. Nämlich animalisch-stinkelig in der Nase und dann am Gaumen sehr unfiltriert wirkend (was er natürlich auch ist, enormer Trub). Von den Aromen mischt sich eine schmackhafte Himbeernote mit der Loire-Cabernet-Franc-typischen Kräuterigkeit. Mit dieser Intensität und diesem Anspruch hätte der Wein natürlich wesentlich besser zu rotem Fleisch gepasst, einem Rindersteak beispielsweise.
10. Domaine de la Grange Tiphaine „Quatre Mains“ 2012
Coralie & Damien Delecheneau, AOC Touraine, 14 vol%, ca. 20 €, in D: 24 € bei der Weinhalle. 100% Sauvignon blanc, alter Klon, den es nur noch dort gibt, mindestens 50 Jahre alte Reben, bio, roter Lehm und Feuersteine auf Kalk, langsame Gärführung, 5-10 Jahre Lagerung empfohlen.
Weiter geht es nun entlang der weißen Loire. Nachdem wir den Chenin nun in seinen verschiedenen Erscheinungsformen erlebt haben, muss natürlich noch der Sauvignon Blanc folgen. Ich hatte dabei echte Auswahlprobleme, denn als gewöhnlicher Weintrinker kennt man den Sauvignon nur als stark parfümierten Stachelbeer- und Cassissaft, und genau das muss er nicht sein. Es gibt derartig unterschiedliche Sauvignon-Interpretationen an der Loire, dass ich an dieser Stelle lieber mal zwecks weiterführender Informationen auf den „Sancerre-Teil“ meiner Weinreise Loire verlinken möchte.
Diesen Wein habe ich jedenfalls ganz spontan mit in die Probe aufgenommen, weil ich ihn nicht kannte, und die Informationen vielversprechend waren. Wie zu befürchten bei einem gut bereiteten 2012er, hat die Nase zunächst wenig zu riechen. Jedenfalls keine Stachelbeere und keine schwarze Johannisbeere, sondern eher ein wenig Holunderblüte. Dafür präsentiert sich der Wein am Gaumen umso intensiver. Wieder ungeheuer viel Würze, viel Fenchel, viel Feuer. Natürlich werden ein paar Jahre im Keller noch komplexere Aromen aus dem Wein herausholen, aber vielversprechend ist das auch schon.
11. Domaine Philippe Tessier „Les Sables“ 2008
Philippe Tessier, AOC Cour-Cheverny, 13 vol%, ca. 11 €, nicht in D. 100% Romorantin, „junge Reben“ (= 15-30 Jahre) auf Sand und Lehm, bio, Ausbau im Holz, Schwefel 20 mg/l.
Mittlerweile sind wir tief im Binnenland angekommen, und haben hier den einzigen Wein dieser Probe aus der alten und wirklich extrem lokalen Rebsorte vor uns. Und es ist ein echter Kontextwein. Das sind nach meiner Definition solche Weine, die solo punktemäßig immer abgestraft werden, wenn sie es denn überhaupt in eine Publikation schaffen, und das liegt vornehmlich daran, dass sie überhaupt nicht für den Sologenuss gedacht sind, sondern eben im Kontext. In diesem Fall wirkt die Nase apfelig-schwefelfrei, und am Gaumen folgt eine Säure, die wahrhaft mutig erscheint. Aber, oh Wunder, der dazu gereichte frische Ziegenkäse (Thomas hatte wieder ein paar passende Schätzchen dabei), der ja an sich auch von seiner Säuerlichkeit lebt, schafft hier das Unglaubliche: Säure A mal Säure B ergibt in diesem Fall den totalen Wohlklang, wie das auch immer vor sich gegangen sein mag.
12. Domaine Alphonse Mellot „Edmond“ 2006
Alphonse Mellot jr., AOC Sancerre, 13 vol%, in D: 2011er für 33 € bei WeinWeber. 100% Sauvignon blanc, 40-87 Jahre alte Reben, Mergelboden auf Kimmeridge (= „Chablis-Kreide“), 8-10.000 Stöcke pro Hektar, bio, Ausbau im kleinen Holz, zu 60% neu.
Wie schon mal erwähnt, lässt sich offenbar mit der Sauvignon-Traube so einiges anstellen. Alphonse Mellot hat seinen vergorenen Traubensaft jedenfalls ins Barrique gegeben, und das ist ungefähr so, als würde man dasselbe mit Riesling tun. Was mich zunächst überrascht, ist die wirklich sehr helle Farbe, die ich bei einem immerhin acht Jahre alten Holztropfen gar nicht erwartet hätte. In der Nase sind die Aromen insgesamt ebenso dezent, am Gaumen kommt das Holz dann aber doch durch. Viel Feuer ist spürbar, viel Pikanz, eine ausgewogene Säure und eine gewisse Cremigkeit. Vielleicht mag es dem einen oder der anderen wie eine Erleichterung nach den extrem individuellen Chenins erscheinen. Mir allerdings nicht. Ein guter Wein, aber kein großartiger, keiner, der den Ausdruck der Überraschung und der Faszination aufs Gesicht zaubert.
13. Gérard Boulay Sancerre 2007
Eigentlich hätte ich hier einen ganz klassischen Sauvignon mit einer ganz klassich kreidig-stachelbeerigen Aromatik präsentieren wollen. Den Wein von Gérard Boulay hatte ich nur mitgenommen für den Fall, dass einer der anderen Weine korkig sein sollte. Nun ist er es selbst, welch Unglück. Allerdings wäre ich beim Clos Rougeard darüber noch wesentlich unglücklicher gewesen.
14. Domaine St-Nicolas „Les Clous“ 2008
Thierry Michon, AOC (AVDQS) Fiefs Vendéens, 12 vol%, in D: 2013er (ab Mai) für 12,40 € bei Wein-Kreis. 45% Chenin, 45% Chardonnay, 10% Groslot gris, 20 Jahre alte Reben auf Schieferboden, biodynamisch von Anfang an, 17 hl/ha Ertrag, Spontangärung, Ausbau in Stahl.
Zum Abschied von den trockenen Weinen noch einmal ein Sprung aus dem Binnenland an die Küste. Wie schon beim Roten von Thierry Michon, haben wir hier einen Alltagswein vor uns. In der Nase eine gewisse Dumpfheit, wie ich sie vom einfachen Trinkwein der Domaine auch kenne, der allerdings nicht in den Handel gelangt. Danach folgt am Gaumen eine schöne Säure, die auch diesen Wein wieder als Speisenbegleiter zu Austern, Meeresgetier insgesamt, Fisch oder auch frischem Ziegenkäse prädestiniert. Olivier Poussier empfiehlt in der aktuellen Ausgabe der RVF übrigens exakt diesen Wein zu Makrelen-Rillettes.
15. Domaine Huet „Clos du Bourg“ demi-sec 2005
Anthony Hwang (Noel Pinguet), AOC Vouvray, 13,5 vol%, nicht in D (außer z.B. 1957er für 309 € bei Vinaturel). 100% Chenin, legendäre Lage, begrenzt von Steinmauern, relativ flach, Ausrichtung nach Süden, 20 Jahre alte Reben, biodynamisch, Kalkplatte in einem Meter Tiefe, Restsüße etwa 25 g/l.
Dass man an der Loire, zumal aus Chenin, auch einen ausgezeichneten Süßwein bereitet, ist außerhalb Frankreichs eigentlich nur in eingeweihten Kreisen wirklich bekannt. Der Herbstnebel legt sich über das Tal der Loire wie über das Tal der Gironde, und so sind je nach Jahrgang mehr oder weniger botrytisierte Süßweine zu erwarten. Den Anfang des Abschlusses macht ein großer Klassiker der Region, der halbtrockene Vouvray von Huet, in diesem Fall aus der Lage Clos du Bourg. In der Nase die typischen Noten von Quitte, Bienenwachs und Honig, hält der Wein sein Versprechen am Gaumen überraschenderweise nicht: leicht bitter, ziemlich schlank, gar zu jung wirkend, wenig aromatisch und irgendwie momentan in einer schlechten Phase.
16. Domaine de la Haute Borne „Première Trie“ 2003
Vincent Carême, AOC Vouvray, 11 vol%, nicht in D. 100% Chenin, klassische Loire-Kalklage, Ertrag 12 hl/ha, nur aus erstem Lesedurchgang, bio, relativ niedrige Säure durch den heißen Sommer, 80 g/l Restsüße.
Der letzte Wein des Abends ist sicher der zuckerreichste, obwohl man in der Hinsicht natürlich noch deutlich weiter gehen kann. Karamellfarben im Antlitz, passenderweise Noten von karamelisierter Birne in der Nase und am Gaumen die übliche Öligkeit, Birne, Lösungsmittel, aber nicht sehr stark fruchtig. Zudem erscheint mir der Wein für seine Substanz im Abgang doch ziemlich kurz, was sehr schade ist, denn ich weiß aus vielfacher Erfahrung, dass es auch ganz anders geht.
Vielleicht hätte ich doch den halbtrockenen Chenin „Fleur d’Erables“ der Domaine des Sablonnettes aus dem Jahrgang 2008 mirbringen sollen, der sich vor ein paar Wochen ganz fantastisch präsentiert hatte, saftig, animierend und einfach gut. Da ich für ihn aber lediglich 8,80 € bezahlt hatte, kam ich mir zu schofel vor, einen solchen Süßwein der erlesenen Gemeinde vorsetzen zu wollen. Ein Tipp für einen richtig dicken Wein im TBA-Stil wäre auch der großartige Bonnezeaux von Mark Angeli gewesen, über den ich hier schon einmal geschrieben hatte.
Als Fazit lässt sich allerdings für mich persönlich nur festhalten, dass es an der Loire einige der größten Weißweine der Welt gibt. Nicht mehr und nicht weniger. Alle sind aus Chenin bereitet, denn nur diese Traube vermag eine Komplexität zu entwickeln, die ein großer Wein nun einmal benötigt. Dabei war es für mich interessant zu sehen, dass offenbar viele Wege nach Rom zu führen scheinen, denn die opulente Würze von Joly, die individualistische Natürlichkeit von Clos Rougeard oder auch die viel mehr auf Konsens ausgelegte souveräne Eleganz von Huet stehen gleichwertig nebeneinander. Und wer schon einmal richtig gelungene Weine von Mark Angeli, von Richard Leroy oder auch von Marks Kompagnon Stéphane Bernaudeau getrunken hat, der weiß, dass es in der Liga (und im Preisniveau von etwa 30 €) noch mehr gibt. Wer solch komplexe Weine allerdings zu früh öffnet, wird sie nie verstehen können.
Dank nochmals an die Organisatoren und die geduldigen Teilnehmer, von denen auf Nachfrage nur ein einziger bislang die Loire in personam besucht hatte. Das, liebe Freunde, sollte sich zukünftig zwingend ändern.
Das kann ich nur unterstreichen! Das muss sich ändern.
Ich wäre wirklich sehr gespannt, wenigstens ein bisschen von Deiner grandiosen Loirereise des Spätwinters zu erfahren. Schade, dass Du nicht zur Prowein kommst (also nicht, dass wir uns ausgerechnet dort hätten treffen müssen, aber halt in einem nicht allzu weit bemessenen Umkreis davon 😉 )
Schade, das Aufgebot hätte ich gerne probiert. Vor allem die Chenins. Die sind in Deutschland aber wirklich nicht leicht an den Mann zubringen. Ähnelt wahrscheinlich zu sehr dem Riesling zumindest was Säure, Qualität, Lagerfähigkeit und Flexibilität betrifft. Trocken, halbtrocken, edelsüß, sprudelnd… Habe vor einem Jahr unter Gastro-Kollegen eine Chenin-Probe gemacht, 13 Weine, mit dabei auch der Rudera Robusto der als einer der besten südafrikanischen Chenins gilt aber nicht überzeugen konnte, zu eichenlastig.
Von der Loire alles dabei, von einfachen Jasnieres über Montlouis von Chidaine, Coulée Serrant 91&97, Clos Naudin, 98er Clos du Papillon von Delesvaux, 1974er Layon moelleux…..
Und was war die Meinung der Kollegen? War ja alles interessant, aber wann machst du mal Große Gewächse?
Ja, scheint wirklich schwierig zu sein. Vermutlich muss man wirklich die Atmosphäre an der Loire erlebt haben, die uralten Rebstöcke gesehen, dem leise glucksenden Fluss gelauscht, die höhlenartigen Keller der Winzer besucht, um eine Beziehung zu der Gegend und ihren Weinen zu entwickeln.
Hallo Matze;
auch ich kann Dir da nur zustimmen; würde das Fazit aber erweitern. Jede Region kann – und tut es auch – richtige Bomben produzieren: Man muss sie nur finden und meist findet man sie nicht im Laden um die Ecke oder in großen Regalen.
Chenin ist für mich auch eine potente Rebsorte und macht Spass: meine Favoriten in naturel sind uneingeschränkt :
La Tour grise und Mosse.
Nicht nur wegen der Weine!
PS Leider habe ich heute Abend eine Probe zu veranstalten und kann dich nicht bei Sur-Ki treffen. In Anlehnung an Tarkowski : so fern – so nah. Super Film.
Aber Du wirst ja nicht heute Abend schon zurück fahren. Hermann sagt zwar Du kannst nicht reinschgauen, aber vielleicht ändern sich ja die Pläne und für dich machen wir auch ne Sonderschicht:;=))
Wahrscheinlich ist es tatsächlich so, dass jede Weinbauregion ihre ganz individuellen “Bomben” produzieren kann. Allerdings liegt vielerorts das Potenzial noch brach oder ist einfach von der Welle des großen Industrie-Mainstreams überschwemmt worden.
Heute auf der Prowein habe ich Thierry Michon getroffen, von dem zwei Weine der Probe stammten (Domaine St-Nicolas). Das war ein unheimlich nettes Gespräch, und er hat mir zwei Rote gezeigt, die wirklich ihresgleichen suchen. Das Tolle an der Loire ist, dass die Region wegen ihrer Abgeschiedenheit vom Weltmarkt so eine Dynamik besitzt, dass eigentlich jedes Jahr wieder neue interessante Winzer mit neuen interessanten Weinen auftauchen.
volle Zustimmung – zudem ist es gerade auch bei ihm interessant, Sorten die eigentlich mit anderen Gebieten verbunden sind, zu finden. Und “in der Fremde” angebaut ermöglichen die nochmal ganz neue Dimensionen zu entdecken. La Poire mit 100% Negrette.
Viel Spass in D’dorf noch
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