Malta – das war für mich bislang ein heißes und überbevölkertes Felseiland im Mittelmeer, das die Engländer für eine Sauftour ansteuern. Wie Ihr an den qualifizierten Bemerkungen unschwer erkennen könnt: Ich war vorher noch nie hier. Ob ich mittlerweile genauer Auskunft erteilen kann, weiß ich allerdings auch nicht so recht. Denn Malta präsentiert sich an einem stürmischen Dezembertag einfach ganz anders als in jedem Reiseführer.
Meine Ankunft auf der Insel beginnt schon mit mehreren Aha-Erlebnissen: Zunächst einmal steigen wir auf dem Rollfeld einfach so aus dem Flieger und gehen dann seelenruhig zum Flughafengebäude. Jenes ist innen ganz in dunklen Brauntönen gehalten, die Numminen in seinem Kneipenmann zwar für das Symbol der Gemütlichkeit schlechthin hält, aber das hat vielleicht auch etwas mit dem Zeitkolorit zu tun.
Ein kleiner Schlenker: In Lüttich stand dort, wo sich jetzt die moderne Mediacité befindet, vor einigen Jahren ein altes Einkaufszentrum. Das war zu der Zeit, als man noch in Innenräumen rauchen durfte. Und so war das “Braune Café” in diesem Einkaufszentrum jeden Nachmittag voll mit rauchenden Rentnern, die sich nach dem Shoppen noch ein Bierchen genehmigten. So in etwa müsst Ihr Euch den Flughafen Malta vorstellen: eine gediegene Pub-Einrichtung in einer weiten Halle mit Teppich und dunklen Furnierholzwänden, ein paar Tische und an jenen Tischen alte englische Tanten, die offenbar auf Malta überwintern und sich hier zum Afternoon Tea treffen. Großartig.
Vom Flughafen in “die Stadt” (also Valletta) kann man ein Taxi oder den Hotelshuttle nehmen, man kann allerdings auch ganz normal mit dem Bus fahren. So wie ich. Und dieser Bus bildet die ganz normale Realität des Jahres 2013 am Mittelmeer ab. Seine Route führt nämlich zuerst am Flüchtlingslager vorbei und dann erst zum Flughafen. Und so ist der Bus gut gefüllt mit jungen Afrikanern, die meisten davon aus so unwirtlichen Ländern wie Somalia oder Eritrea, die es irgendwie auf die Insel geschafft haben. Jetzt fahren sie also mit mir in die Stadt, einige zum Arbeiten – zwei haben denselben Weg wie ich und gehen dann in die Hotelküche – und andere, um am Busbahnhof zu bleiben und einfach die Zeit rumzukriegen.
Das, was ich auf dem Weg vom Busbahnhof zum Hotel sah, waren meine einzigen lichten Momente in Valletta. Kaum auf dem Zimmer angekommen, beginnt es nämlich zu schütten wie aus Kübeln. Erst mit der Dämmerung, die ja im Dezember leider übertrieben früh einsetzt, kann ich ein bisschen durch die Stadt schlendern.
Ein kurioser Ort. Das war mir schon aufgefallen, als der maltesische Durchsager im Flugzeug seinen letzten Satz mit “Merhaba” begann und mit “Grazi” beendete. Diese nordafrikanisch-süditalienische Mischung wäre an sich schon interessant genug. Aber die britische Kolonialzeit hat nicht nur Englisch zur zweiten Landessprache gemacht, sondern auch den “Wembley Shop” und den “Marks & Spencer” in die Innenstadt von Valletta gebracht. Und im Dezember offenbar den Weihnachtskitsch. Bei 16 Grad im (leider ständig vorhandenen) Schatten dudeln hier unentwegt die Jingle Bells aus den Außenlautsprechern der Fußgängerzone, blinken und glitzern die Lampen, dass es eine Freude ist.
Als ich kurz darauf an einer Kirche vorbeikomme, gibt es genau an dieser Ecke einen verblüffenden kakophonischen Moment: Ältere Frauen eilen durch die geöffnete Kirchentür in den Innenraum, aus dem getragene Choräle auf die Straße klingen. Draußen singt immer noch Bing Crosby aus dem Lautsprechern und ein paar Meter weiter erheitert sich eine englische Reisegruppe, die natürlich bei den milden Temperaturen in Shorts und Sandalen vor einem Pub sitzt. Und über diesen ganzen Geräuschen schweben ein ständig blinkendes Kerzen-Neonlicht und eine genauso geschmackvoll bläulich hinterlegte Madonna mit dem Kind. Brighton meets Palermo sozusagen.
Meine Abendmahlzeit nehme ich im Guzé ein, einem edleren maltesischen Bistro, das nach 21 Uhr offenbar sehr schnell voll werden kann. Natürlich muss ich Fisch wählen, wie sich das erstens für mich und zweitens für eine Insel gehört, die 100 Kilometer von sämtlichen Festlanden entfernt ist. Der “Fang des Tages” sind zwei Fische, nämlich einmal Sea Bream, also Dorade (ganz allgemein ausgedrückt), und einmal Brown Meagre, worunter ich mir erst einmal nichts vorstellen kann. Ein Besuch bei Fishbase bringt später die Lösung: Es handelt sich um die Sorte “Sciaena umbra”, im Deutschen unter dem seltsamen Namen “Meerrabe” bekannt. Oder eher nicht bekannt. Zwei sehr gute Fische übrigens, und das Restaurant kann ich durchaus empfehlen. Auf dem Rückweg vom Restaurant zum Hotel schüttet es übrigens noch einmal, und diesmal werde ich dann wirklich pitschnass. Zudem schlägt der Blitz mit lautem Krachen in eins der benachbarten Gebäude ein, als ich gerade an der Kathedrale vorbeikomme. Ganz schön ungemütlich.
Am nächsten Tag will ich eigentlich einen Markt besuchen und vorsichtig etwas in Valletta umherschlendern, denn das Wetter verheißt weiterhin nichts Gutes. Kaum habe ich jedoch die Republic Street, die Haupt-Fußgängerstraße, betreten, da strömen, nein schwellen mir Massen von Menschen entgegen, unaufhaltsam, und wie die Lemminge nur mit einem Ziel: rein in die Sackgasse, die Valletta nun einmal darstellt. Alle tragen lilafarbene T-Shirts und schauen irgendwie erschöpft aus. Des Rätsels Lösung: Einmal im Jahr gibt es den so genannten “President’s Charity Fun Run”. Alle Malteser, die etwas auf sich halten und die Solidarität zeigen wollen, machen dabei mit. Man zahlt zehn Euro Teilnahmegebühr, bekommt dafür offenbar ein lilafarbenes T-Shirt und eine Urkunde, aber es bleibt dank der, äh, geringen Anschaffungskosten für die Hemden noch genügend Geld übrig, das den Bedürftigen der Insel zugute kommen soll. Nun ist das ja nichts, gegen das man irgendetwas einwenden könnte. Aber die Aussicht auf 20.000 verschwitzte Lilahemden, die hernach die ganze Stadt verstopfen, treibt mich dann doch – mit Mühe gegen den Strom schwimmend – zum Stadttor hinaus.
Da ein Tagesticket mit dem Bus auf Malta nur 2,60 € kostet und ich auf diese Weise auch bei Regen ein bisschen von der Insel würde sehen können, steige ich in den Bus mit der Nummer 41. Das tue ich deshalb, weil diese Linie besonders weit fährt, nämlich bis zum Fähranleger zur Insel Gozo. Wenn es mir unterwegs gefällt und die Sonne doch noch herauskommen sollte, kann ich ja einfach aussteigen. Allerdings ist das Einsteigen schon schwer genug, denn nachdem zum wiederholten Male der Himmel seine Schleusen geöffnet hatte, beschließen auch die Lilahemden, anstatt eines Stadtbummels jetzt doch wieder gen Heimat zu fahren. Was Starkregen im Dezember am Mittelmeer bedeutet, wird dann schon nach wenigen Metern klar: Das Wasser auf den Straßen steigt höher und höher. Zuerst kommen die Autos noch durch (wie auf dem Foto oben). Als wir die Stadt aber verlassen, schießt uns ein ganzer reißender Fluss entgegen. Die Autos waren schon weggeschwommen, nur unser Bus pflügt sich noch quälend langsam durch die Fluten. Jetzt bitte kein Abschmieren in der Kurve oder sonst etwas Unangenehmes. Vollgepropft mit glücklich schwitzenden Lilahemden wäre auch eine simple Panne eher wenig erbaulich. Aber irgendwie schaffen wir den Anstieg, und oben auf der Höhe ist dann das Wasser bereits weg.
Ich fahre mit dem Bus fast bis zum Ende, nämlich bis zur Bucht von Ghadira. Dort steige ich aus und wandere auf einer schmalen Straße rechts einfach in Richtung Meer, bis es nicht mehr weiter geht. Na klar, ab und zu regnet es, und klar, starken Wind gibt es natürlich auch. Aber trotzdem ist so eine Mittelmeerlandschaft völlig außer der Saison ein großartiges Erlebnis, wenn man gerade aus der mitteleuropäischen Kälte kommt. Etliche Pflanzen fangen hier jetzt im Dezember an zu blühen. Bei einigen sprießen sogar frische Blätter aus den Zweigen. Und wieder andere tragen Früchte wie die Opuntien. Sogar einen Distelfalter sehe ich an den Blüten herumflattern.
Am Ende führt die Straße geradewegs auf die Klippen zu. Eine Marienstatue steht dort fast direkt am Abgrund, ein paar Meter entfernt eine kleine Kapelle, in die ich mich bei einem erneuten Schauer flüchten kann. Viele Malteser scheinen sonntags einen Ausflug auf bestimmte Art zu machen: Sie steigen ins Auto, fahren bis zur Madonna an die Klippen, bleiben im Auto bei laufendem Motor sitzen und blicken sinnierend aufs Meer. Nach ein paar Minuten drehen sie um und fahren wieder nach Hause. All das kann ich durch das Fenster der Kapelle beobachten, weil der Regen mich deutlich länger als notwendig dort festhält.
Das Meer mag um diese Jahreszeit noch eine sehr angenehme Temperatur haben. Und ich hatte tatsächlich eine Badehose mitgenommen, man weiß ja nie. Aber der Sturm hat das Wasser so aufgewühlt, dass an Baden überhaupt nicht zu denken ist. Zurück in der Bucht von Ghadira kann ich von der Bushaltestelle aus noch einen schönen Regenbogen beobachten (siehe Titelbild) sowie einen unermüdlichen Surfer, den ich allerdings nie auf seinem Brett stehen sah.
Am Busbahnhof von Valletta hole ich mir nach dem Ende der Tour noch etwas zu essen und zu trinken. Die Atmosphäre dort ist nach Einbruch der Dunkelheit irgendwie sehr hafenarbeiterisch. Überall an den eher dürftig beleuchteten und nicht gerade luxuriös aussehenden Buden stehen Grüppchen von Männern, die sich gestikulierend unterhalten. Die Eritreer auf eritreisch, die Malteser auf maltesisch. Bei einem etwas mürrischen Budenmann nehme ich etwas mit, das mich vor allem seines Geruchs wegen interessierte. Ehrlich gesagt hatte ich die Bude dank ihrer Lage in der zweiten Reihe einzig und allein wegen des ausströmenden Duftes wahrgenommen. Und in der Tat handelt es sich irgendwie um eine frittierte Anistasche mit, tja, leicht süßem Anispüree oder so etwas als Füllung. Es sieht ur-maltesisch aus, so wie das ganze Ambiente um diese Bude herum. Erst heute auf dem Flughafen konnte ich in einem Buch nachlesen, dass es sich um “Imqaret” gehandelt hat, eine Teigtasche mit Anis, Orangenblütenwasser und Dattelmusfüllung. 100% arabisch, würde ich sagen.
Wenn man auf Malta nur ein einziges Getränk unbedingt zu sich nehmen muss, so wurde mir gesagt, dann sei das “Kinnie”. Kinnie ist ein Softdrink mit Auszügen aus Wermut und Bitterorangenschale. Natürlich habe ich mir gleich ein Kinnie gekauft, und es schmeckt auch gar nicht schlecht. Eine Brause für Erwachsene eben, eine Art Bitter Lemon oder genauer eben Bitter Orange Campari ohne Alkohol. Leider musste ich bei einem Blick auf die Inhaltsstoffe feststellen, dass wirklich überhaupt nichts Natürliches in diesem Kinnie enthalten ist. Gut, Wasser und Zucker können wir noch so durchgehen lassen. Ansonsten gibt es hauptsächlich unspezifische Aromastoffe. Aber gut, was habe ich im tropischen Asien nicht schon alles für irrwitzige Softdrinks zu mir genommen. Da wollen wir hier mal nicht so sein.
Da ich die Insel leider schon wieder verlassen muss, bleibt mir nur die Erkenntnis, dass eine Stippvisite besser als gar nichts ist, dass man auch im Dezember im Mittelmeerraum sehr viel Interessantes zu sehen bekommt (lest dazu unbedingt “An den Gestaden des Mittelmeers” von Paul Theroux!), dass Malta aber mit seinen vielfältigen, unterschiedlichen, ineinander verwobenen und sich überlagernden Einflüssen doch mehr zu bieten hat, als man in so einer kurzen Frist auch nur grob wahrnehmen kann. Vielleicht habe ich beim nächsten Mal ja mehr Zeit und sehe die Stadt sogar bei Tageslicht.
ich war schon mal auf Malta, vor vielen Jahren Ende Oktober. Man konnte baden und es war richtig heiß. Das Essen mochte ich nicht besonders, hatte mich aber leider auch gar nicht vorbereitet. Das Hotel war typisch englisch und eher ungustiös, mitten in Sliema. Die Insel selbst ist allerdings, wenn man mal die vielen Touristen und das (damals) schlechte Essen ausblendet, wirklich schön. Angefangen bei den vielen Höhlen und Steinmonumenten, den Steilküsten im Westen und den netten Hafenorten. Und Gozo hat mir fast noch besser gefallen, dort war es ruhiger. Was mir besonders aufgefallen ist: unglaublich viele, große Kirchen. In fast jedem noch so kleinen Örtchen. Ich will unbedingt noch mal hin … (und das mit dem Essen müsste ich diesmal eigentlich besser hinkriegen :-))
Das mit dem Essen hatte man mir vorher auch gesagt. Repräsentativ sind meine Erfahrungen natürlich nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass man mittlerweile auf Malta durchaus gut und auch authentisch essen kann. Nicht überall vermutlich, aber am Ballermann würde ich sicher auch nicht nach einem kleinen Bistrot mit katalanischer Landküche suchen ;).
Das mit den Kirchen ist mir auch aufgefallen. Sehr präsent visuell, aber wohl auch nach wie vor von ihrer Bedeutung her. Am Flughafen habe ich noch einen Rotwein aus der autochthonen Traube Gellewza gekauft (noch nicht probiert), kleine harte Schafskäse aus Gozo und einen offenbar typisch maltesischen Kaffee mit Zichorie, Nelken und anderen Dingen – also zwar gewürzt, aber nicht unbedingt auf die “arabische” Art. Ohnehin schien mir der Flughafen mit Spezialitäten irgendwie besser ausgestattet zu sein als die Läden in der Stadt, aber vielleicht habe ich auch nicht die richtigen gefunden…
Hallo Matze!
Hab die Tage auf Arte in der Reihe Reisen für Genießer – Escapade Gourmande mit Guy Lemaire die Folge über Malta gesehen. Da ging Guy auch auf die kulinarischen Einzigartigkeiten der Insel ein…..weil es sie nämlich nicht gibt. Langweiliges englisches Essen a la Bohnen und Speck vermute ich…….Soll sich aber in der letzten Zeit gebessert haben…..In der Sendung wurde das nicht vorhanden sein von guten Restaurants damit begründet, dass der Malteser an sich zu Hause en familie isst und selten ausgeht. Wenn er denn ausgeht, dann mit der kompletten Familie und dann sucht man nach etwas einfachem……Pizza….oder so…..
Grüße Jens
Interessant. Ich habe mir noch ein Büchlein gekauft (was es wegen der Touristen auch auf Deutsch gab), nämlich “die maltesische Küche”. Da sind ehrlich gesagt schon ein paar Sachen drin, die ich mir von einem lokalen Restaurant wünschen würde. Interessanterweise werden am Schluss unter der Rubrik “Einkaufsbummel” (genauer, wo man den offenbar bekannten maltesischen Snack Hobz biz-Zeit bekommt) solche Adressen genannt wie das Café am Sportplatz oder der sich irgendwie komisch anhörende “Club der Nationalistenpartei”. Also tatsächlich eher nicht die Restaurants. Aber mal schauen, ich werde im Frühjahr noch mal dort sein, da sollte ich dann auch ein paar Urlaubstage mit dranhängen…
Vielen Dank für deinen Bericht. Ich bin grad in Valletta und werde deine Anregungen gleich nutzen 😉