In Tokio gibt es nicht nur Suppenbars, Sushi-Fließbänder oder Soba-Restaurants, Tokio ist wahrscheinlich auch die Welthauptstadt der Süßigkeiten. Wenn Ihr die Depachika, die Food-Etage eines der großen Kaufhäuser der Stadt betretet, werdet Ihr schier erschlagen von Menge, Qualität und Vielfalt. Die japanischen Meister wie Toraya, Kitchoan oder Tsuruya sind hier genauso vertreten wie Hermé, Hévin oder Wittamer aus der westlichen Welt. Dazu kommen noch ein paar Grenzgänger, von denen ich vorher nie etwas gehört hatte, Gramercy, Juchheim oder Yoku Moku zum Beispiel. Damit aber nicht genug, die Süßmeister besitzen natürlich auch noch Stammhäuser, an denen man bei einem Spaziergang immer ganz zufällig vorbeikommt. Auf dem Bild oben seht Ihr übrigens ein Kaki-Daifuku aus “ziehendem” Reismehlteig mit einer Kastanienfüllung.
Die Japaner sind ganz verrückt nach Baumkuchen. Baumkuchen scheint für sie der Inbegriff des meisterhaften zentraleuropäischen Gebäcks zu sein. Und wenn es um Baumkuchen in Japan geht, steht ein Name immer ganz vorn: Juchheim. Lest Euch mal die Lebensgeschichte von Karl Juchheim und seiner Firma auf Wikipedia durch, sehr spannende Sache.
Die Pâtisserie Quatre zeichnet sich nicht in erster Linie durch Super-Spitzenqualität aus, sondern durch ihr produit phare, die Crème Brûlée in der echten Eierschale.
Einen ganz anderen Ansatz fährt dieser junge Mann in “Koreatown“, was im Prinzip zwei hochinteressante Straßenzüge östlich der U-Bahn-Haltestelle “Shin-okubo” sind: Er bereitet die sehr beliebten Pfannkuchen namens “Hoddeok” (unter Japanern auch als “Hottoku” bekannt) mit vier verschiedenen Füllungen immer frisch zu.
Das Saint Marc Café ist eigentlich nur eine Kette mit verschiedenen Niederlassungen. In Shibuya mitten im Einkaufstrubel nahm ich diesen Matcha-Eisbecher zu mir. Er besteht aus Milch-Softeis, Matcha-Milcheis (also aus Grünteepulver), relativ festem Azukibohnen-Mus, einem Grüntee-Gelee und schleimigen Reisteigbällchen. Ein pures Texturessen, wie es die Japaner lieben.
Ich sprach ja schon davon, dass die in den Depachikas vertretenen Süßwarenhersteller nicht einfach Lieferanten sind, sondern Spitzenkönner aus alteingesessenen Stammhäusern. Die Stammboutique von Minamoto Kitchoan befindet sich in Ginza direkt auf der Chuo-Dori. Als Tokiobesucher werdet Ihr ohnehin hier einmal entlangbummeln.
Kitchoan kannte ich noch aus ihrer Zeit in Paris, als sie einen eigenen Laden an der Madeleine haten. Leider mussten sie dem irrsinnigen Aufwand Tribut zollen, jeden Tag frische Waren aus Tokio einfliegen zu wollen. Offenbar hatten sie in Paris niemanden beschäftigt, der ihre “Wagashi”, also klassische japanische Konfektwaren, in einer zufriedenstellenden Qualität anbieten konnte. Konsequenz: Der Laden wurde geschlossen. Derjenige in Piccadilly in London noch nicht, aber beeilt Euch lieber… In Tokio solltet ihr die meistenhaften kleinen Häppchen von Kitchoan jedenfalls unbedingt probieren.
Den umgekehrten Weg, diesmal aber erfolgreich, wagte Dominique Saibron. Einstmals der bekannte “Boulanger de Monge”, wechselte er zunächst in eine eigene Boutique im 14. Arrondissement. Während dies in Frankreich seine einzige Boutique blieb, schaffte er es mit japanischer Unterstützung, zumindest in Tokio sehr gut präsent zu sein. Der Laden oben liegt keine 100 Meter von meiner Wohnung entfernt. Wenn es hier nicht so hervorragende “echt japanische” Dinge zu essen gäbe, ich könnte mir auch jeden Morgen ein fantastisches Pariser Baquette, ein Croissant oder ein Pain au Chocolat holen. Ganz interessant übrigens die Begründung für eine Filiale in Frankreich und mehrere in Japan, die Dominique in einem Interview einmal preis gab: In Japan müsste er nicht ständig vor Ort sein, da würden alle Angestellten peinlich genau seine Vorgaben einhalten. In Frankreich hingegen sei es wahnsinnig schwer, im Bäckergewerbe gute und zuverlässige Mitarbeiter zu finden. Er würde ja schon weit übertariflich bezahlen, aber noch mehr könnte er sich als Bäcker, der sein Geld mit einfachem Brot verdient, nicht leisten.
Darauf ein Blätterteiggebäck von seinen der Bäckerskunst offenbar mit Haut und Haar verschriebenen japanischen Mitarbeitern.
Ein Konzept, das ich Euch unter allen Umständen noch vorstellen muss, ist dasjenige der sogenannten “Antennashops”. Oben seht Ihr eine feuchte Sesamschnitte aus einem dieser Shops. Niemals zu süß übrigens, das ist in Japan fast schon ein Gesetz bei Süßwaren.
Ein Stammhaus, an dem Ihr nicht unbedingt versehentlich vorbeigeht, weil es nur über einen Durchgang zu erreichen ist (gut ausgeschildert allerdings), ist das Fruchthaus Takano. Hier wird das perfekteste Obst ganz Japans angeboten sowie entsprechende Fruchtzubereitungen. Man kann sogar ein mehrgängiges, fruchtbasiertes Menü probieren. Neben Kitchoan ist das für mich die zweite absolute Pflichtstation, und eine dritte folgt auch noch.
Falls Ihr Euch schon immer gefragt haben solltet, weshalb die Japaner bereit sind, umgerechnet mehrere hundert Euro für eine Netzmelone zu bezahlen, …dann kann ich Euch das in der gebotenen Kürze hier nicht komplett darlegen. Zwei Dinge nur dazu: 1. hat es etwas mit dem japanischen Streben nach Perfektion und Meisterschaft zu tun. Um eine solche Melone wie auf dem Bild oben zu erhalten, würde der Melonenbauer vielleicht sein ganzes restliches Beet vernachlässigen. 2. hat es auch etwas mit der übergroßen Pflicht der Japaner zum Geschenk zu tun. Wenn Euch jemand eine Melone von Takano mitbringen würde, wüsste jeder Japaner, welche Wertschätzung dahintersteht.
Tee und Teeblätterderivate kann man nicht nur als Aufguss trinken, man kann damit auch hervorragend Süßspeisen aromatisieren. Auf dem oberen Bild seht Ihr Pudding aus Hojicha, also geröstetem Grüntee (links) sowie Matcha, gemahlenem Grüntee (rechts).
Jetzt aber zum dritten Pflichtbesuch in Tokio, wenn Ihr an traditionellen Süßwaren interessiert seid. Praktischerweise liegt die Boutique von Toraya nur ein paar Meter von derjenigen Minamoto Kitchoans auf der Chuo-Dori in Ginza entfernt. Wenn Ihr Euch die drei japanischen Zeichen auf den Tüchern merken könnt, werdet Ihr feststellen, dass Toraya auch in vielen Depachikas vertreten ist. Als einzig übriggebliebene japanische Spitzenpâtisserie (Sadaharu Aoki mit seiner hochwertigen Fusion-Bäckerei zähle ich jetzt mal nicht dazu) gibt es Toraya noch in Paris, und zwar in der Rue Saint-Florentin. Der Laden in Tokio ist so stinkevornehm, dass man sich ohne Smoking erst gar nicht reintraut. Aber die Bedienungen sind sehr nett und freuen sich über jede Langnase, die ihre Art der Süßspeisen ebenso schätzt.
Ich habe mir bei Toraya diese “Limited Edition” aus dreimal Kastanie gekauft. Jetzt im Oktober und November müssen alle japanischen Pâtissiers unbedingt irgendetwas mit Kastanie anbieten, das gehört zwingend zum Konzept der jahreszeitlich wechselnden Spezialitäten dazu. Und Toraya hat mich nicht enttäuscht.
Zwischendurch vielleicht mal etwas zum Preisniveau: Die Spitzenpâtissiers verlangen pro Stück ungefähr zwischen vier und sieben Euro, die günstigeren Hersteller entsprechend weniger bis hinunter zu einem Euro. Natürlich sind fünf Euro für einen Happen Süßes nicht gerade wenig, aber demokratischer als im Süßwarenbereich geht es nirgends zu. Oder wo bekommt man sonst noch die Möglichkeit, an der absoluten kulinarischen Weltklasse für weniger Geld teilzuhaben? Im Weinbereich jedenfalls nicht, von einem kompletten Restaurantbesuch ganz zu schweigen.
Für weniger Geld als bei Toraya und viel japanischem Spaß kann man sich in den kleinen Boutiquen eindecken, die es immer noch als handwerkliche Betriebe in jedem Stadtviertel Tokios gibt. Oben seht Ihr beispielsweise eine Box mit Usagi-Daifuku, also Reisteigküchelchen in Hasenform aus einem Shop im äußeren Marktbereich von Tsukiji.
Die Antennashops, so viel sollte ich vielleicht schon verraten, bieten die Möglichkeit, Spezialitäten aus ganz Japan zu kaufen, ohne Tokio verlassen zu müssen. Die Glibberspeise mit der Zitronenscheibe oben (schön fruchtig und einfach null künstlich) stammt beispielsweise aus dem Antennashop der Präfektur Hiroshima. Der Konditor nennt sich übrigens absurd lustig Backen Mozart und wirbt auf der Verpackung mit dem Motto “Backen macht Freude”. Sachertorte ist dann auch in der Tat seine Spezialität.
Ganz zum Abschluss noch eine klassische Zitronentarte vom Großmeister der Backkunst und der Backkunst-Promotion, Pierre Hermé. Natürlich hat Pierre dieses Stück nie gesehen, aber wenn es ähnlich läuft wie bei Dominique Saibron, sind auch hier wieder wissbegierige und meisterschaftsorientierte japanische Angestellte am Werk gewesen. Schmeckte jedenfalls ausgezeichnet und dürfte auch in Paris nicht besser sein.
Wenn ich mich jetzt trotz dieser fantastischen Süßwaren, die alle den Weg in meinen Bauch gefunden haben, dennoch keinesfalls überfressen habe, dann liegt das vermutlich an der Ausgewogenheit der Ernährung. Sushi statt Whopper sozusagen, und Ingwer statt Ketchup. So, und jetzt macht es Euch mal schön gemütlich am Wochenende und backt Euch selbst eine Zitronentarte. Ich muss leider meinen Koffer packen und in ein anderes Zimmer umziehen. Dabei kann ich schon mal testen, ob der Koffer bereits flugreif wäre (also nur ein bisschen mehr als 20 Kilo wiegt). Ich habe da gewisse Bedenken…
Hat dies auf Raumzeitwellen Blog rebloggt und kommentierte:
Sweets for my Sweet
Pingback: Konzept bitte sofort importieren: Tokios Antenna-Shops | Chez Matze
Pingback: Depachika! Meine Tour durch alle Kaufhäuser von Tokio (I) | Chez Matze
Pingback: Im Osten viel Neues: mein persönlicher Jahresrückblick 2013 | Chez Matze