Weinreise Loire (III): die atlantische Loire

Pornic IEines meiner faszinierendsten, weil überraschendsten Weinerlebnisse hatte ich mit einem Wein, für den ich die stolze Summe von 5,70 € entrichten musste. Wir waren, wie viele andere Touristen, auf der Ile de Ré ganz zum Ende bis zum Leuchtturm von Baleines durchgefahren. Direkt am Parkplatz gab es ein paar Stände mit dem üblichen Touristengelumpe: Strohhüte, Häkeltäschchen, Industriemarmeladen in Gläsern mit Leuchtturm-Aufklebern. Jedenfalls dachten wir das. Aus Erinnerung an die Insel und weil es so ein schöner Tag war, kaufte ich an einem der Stände eine Flasche hellroten Wein und an einem anderen ein Glas mit Fruchtgelee.

???????Schon längst wieder zu Hause, öffnete ich den Rotwein. Es stellte sich heraus, dass es sich um einen reinsortigen Cabernet Franc handelte, angebaut tatsächlich auf der Ile de Ré und vertrieben von der örtlichen Winzergenossenschaft. Liebe Freunde, wenn es jemals einen Wein geben sollte, der die Attribute „mineralisch“, „salzig“, jodig“ verdient hätte, dann dieser. Natürlich war es ansonsten ein kleiner Wein, frisch und fruchtsäuerlich, aber eben mit diesem merkwürdig salzigen Timbre von Gischt und Meereswiesen. Es gibt nur ein paar Orte auf der Welt, an denen Reben ähnlich dicht am Meer wachsen wie hier. Aber nirgends werden die Trauben während der Vegetationsperiode derartig stark von Wind und Meeresgischt beeinflusst wie auf den französischen Atlantikinseln.

Hinterland KüsteWesentlich bekannter als für Wein sind die Inseln (außer für überbordenden Sommertourismus) allerdings für Salz und für Austern, die Ile de Noirmoutier außerdem noch für – Kartoffeln. Die in diesem salzig-sandig-steinigen Boden offenbar prächtig gedeihenden Frühkartoffeln sind in ganz Frankreich begehrt, zumal sie nur aus einer kleinen Produktion stammen und ausschließlich Anfang Mai angeboten werden. Wenn Ihr um diese Zeit zufällig in der Gegend seid, macht doch mit beim Wettrennen der Sterneköche um ein Kilo der Bonnottes. Natürlich ist es ein Kult, und natürlich ist es leicht übertrieben, aber für mich persönlich hat es sich auf jeden Fall gelohnt.

Der Weißwein der Ile de Noirmoutier, den ich nach dem tollen Erlebnis mit dem Roten von der Ile de Ré gekauft hatte, hielt dann sein Versprechen leider nicht. Gut, ich hatte ihn auch mit einer gewissen Erwartungshaltung mit nach England geschleppt, um an einem sonnigen Tag direkt am Meer ein schönes Verkostungsvideo zu drehen. Während des Drehs fiel mir dann auf, dass ich etwas Entscheidendes vergessen hatte, aber das könnt Ihr ja selbst sehen…

Les Sables d'OlonneNeben gelegentlichen Zufallstreffern scheint es an der Atlantikküste zwischen La Rochelle und Saint-Nazaire wirklich nur ein Weingut zu geben, das wirklich exzellente Produke herstellt: die Domaine Saint-Nicolas von Thierry Michon. Eigentlich besitzt das Weingut einen schmucken Verkostungsraum beim Weingut selbst, aber wir sind spontan an der Produktionsstätte selbst vorbeigefahren, die sich hier in einer großen Halle befindet (die Aufschrift ist nicht zu übersehen, GPS 46.5603 / -1.7644). Probieren und kaufen kann man die Weine übrigens an beiden Orten, wenn’s geht aber nur unter der Woche. Die Domaine ist beachtliche 40 ha groß, wird zur Gänze seit mittlerweile 18 Jahren biodynamisch bewirtschaftet und ist damit der unumstrittene Platzhirsch der Gegend, quantitativ wie qualitativ. Im Keller ist Spontangärung angesagt, Aufzuckerung und önologische Tricks sind hingegen verpönt.

???????Angeboten werden offiziell elf Weine, die in ihrer Art wirklich sehr unterschiedlich sind und bei denen es sich lohnt, alle zu probieren, um seinen persönlichen Liebling herauszufinden. Obwohl sich also Rebsorten und Ausbau stark unterscheiden, eine Sache eint die Weine dann doch: das Terroir. Der Untergrund besteht nämlich hauptsächlich aus Schiefer, und ich hatte beim Probieren den Eindruck, dass dies insbesondere den Charakter der Roten prägt. Nicht auf eine moselanische oder „ahrische“ Weise, sondern eher wie die Schieferstinker, die gelegentlich bei den Rotweinen von Saint-Chinian und Faugères im Languedoc auftreten.

St-Nicolas Gammes en MayMeine Liebling bei den Roten von Saint-Nicolas ist vor allem der einfache Wein, „Gammes-en-May“. Vielleicht lasse ich mich auch ein wenig von dem Etikett leiten, das die Atmosphäre eines französischen Dorffestes wunderbar einzufangen vermag. Dieser Gamay (8 € ab Hof) ist ein fruchtiger, herzhafter, säuerlicher Wein, ganz wie er mir behagt. Der beste Rote von Thierry Michon dürfte allerdings „Le Poiré“ (21 €) sein, überraschenderweise ein reinsortiger Négrette, eine Traube, die ansonsten im Frontonnais nördlich von Toulouse angebaut wird. Von den Weißen gefielen mir der bereits im vorherigen Teil erwähnte Hauswein aus Grolleau Gris (6,50 €) und der „Haut des Clous“ (18 €) am besten, ein reinsortiger Chenin. Letzterer wurde allerdings für 15 Monate im recht neuen Halbstückfass ausgebaut, und man sollte ihm deshalb ein paar Jahre Reife gönnen, damit sich die Materie besser einbindet. Die Erträge auf Saint-Nicolas sind übrigens sehr niedrig und schwanken zwischen 15 und 25 hl/ha, ganz anders als in der Region, die wir gleich besuchen werden.

MareuilGeographisch befinden wir uns hier übrigens in den „Fiefs Vendéens“, dem Land der ehemaligen Lehnsgüter (fiefs) der Bistümer. Obgleich die Römer bereits den Weinbau eingeführt hatten, war er erst unter dem Einfluss der Klöster im Hochmittelalter zu voller Blüte gelangt. Der Absturz folgte allerdings im 19. Jahrhundert mit Säkularisierung, Reblausplage und dem nachfolgenden Anpflanzen von Hybridrebsorten für den örtlichen Konsum. Heute sind von dieser einst ausgedehnten Weinregion noch 480 ha inselhaft übrig geblieben. Wer sich für die Weine aller Vendéens-Teilgebiete, also Brem, Mareuil, Pissotte und Vix interessiert, kann entweder eine große Rundtour machen oder – bei weniger Zeit – im „Maison des Vins“ in Challans vorbeischauen. Es gibt dort immer ungefähr 25 Weine aus der Region zu kaufen, die meisten kann man auch probieren. Auf der Website wird dummerweise nicht die Adresse genannt, aber das kann ich hier ja ergänzen: 29, boulevard Mourain du Pâtis, Challans (GPS 46.8499 / -1.8915; ich selbst habe zwar kein Navi, aber mich nerven diese falschen Adresslokalisationen bei Google).

Pornic IIWeiter in Richtung Norden der Küste entlang kommt Ihr in das Département 44 – Loire-Atlantique, dessen Präfektur sich in der Stadt Nantes befindet. Bevor wir allerdings nach Nantes kommen, empfehle ich Euch dringendst den Besuch des Städtchens Pornic. Wem dieser Name seltsam unfranzösisch vorkommt, täuscht sich nicht. Offenbar stammt er von der Kombination der Wörter porzh (bretonisch für Hafen) und dem männlichen Vornamen Nitos ab. Pornizh, der Hafen des Nitos, so hieß der Ort bis ins 19. Jahrhundert hinein für die Einheimischen, denn in der Tat war dies hier ein Teil der historischen Bretagne, und die Grenze verlief 15 km südlich von Pornic. Pornic ist allerdings weniger bekannt für seinen guten Wein als vielmehr für seine malerische Lage – und seine Erdbeeren. Wenn Ihr die Promenade am Hafen entlanggeht, werdet Ihr unweigerlich auf die Fraiseraie stoßen. Eine gute Gelegenheit, auf der Stelle ein Eis oder ein Sorbet zu essen und ein paar ausgesuchte Erdbeerprodukte für den fruchtarmen Winter mitzunehmen. Da übrigens Pornic von Osten wie von Westen gleichermaßen gut aussieht, habe ich für diesen Artikel als Titelbild die Ansicht von Osten und hier die Ansicht von Westen benutzt.

KüsteFahrt Ihr von hier in Richtung Nantes, das eine dreiviertel Stunde entfernt liegt, streift Ihr bereits das größte zusammenhängende Weinbaugebiet Frankreichs. Sagt man. Wer auf die Idee gekommen ist, in diesem flachen und fruchtbaren Land Weinreben anzubauen, dürfte unschwer zu erraten sein: die Römer natürlich. Die Bestockung allerdings mit (fast) nur einer einzigen Rebsorte, dem Melon de Bourgogne, ist sicher einer Kombination von Faktoren geschuldet. Die Frosthärte nach dem verheerenden Winter von 1709 hatte ich ja bereits im letzten Teil angesprochen. Mindestens ebenso wichtig ist allerdings die ungeheure Wüchsigkeit und der hohe Ertrag, den diese Rebsorte unter den gegebenen Umständen hervorzubringen vermag. Und noch ein dritter Grund: Der Muscadet, denn so heißt die Appellation, war in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg praktisch das Synonym für „Wein zu Fisch und Meeresfrüchten“. Und die Franzosen verspeisen jede Menge davon, am liebsten natürlich im Urlaub an der Atlantikküste. Der Muscadet wurde damit zum reinen Bistrot- und Urlauberwein, und dank der hohen Erträge ließ er sich auch günstig genug herstellen, um die vielen Winzer der Region ernähren zu können.

Heute ist die Situation schlimmer als im Beaujolais. Auf den ersten Blick erfreut sich das Auge an Weinfeldern, auf denen die Reben üppigst wuchern – hier leider ein Anzeichen für mangelnde Weinbergspflege. Die Anwesen sind groß, die Felder auf den fruchtbaren Böden flach, der industriellen Weinproduktion steht also nichts im Wege. Es gibt wahrscheinlich nicht wenige Winzer, die noch nie anders als motorisiert in ihren Weinfeldern unterwegs waren. Und die Produkte der ausgiebig mit Pestiziden bearbeiteten Reben findet Ihr dann in einem Preisbereich zwischen 3 und 5 € in den Supermärkten der Republik.

Das soll nicht heißen, dass die auf diese Weise hergestellten Muscadets grauenhaft schmecken würden. Nein, ähnlich wie im Bordelais oder in der Champagne (nur auf einem niedrigeren Niveau) hält die moderne Technologie mannigfache Eingriffs- und Kontrollmöglichkeiten bereit. Die Weine werden dadurch vor einem Fall in die Untrinkbarkeit bewahrt, schmecken dafür aber auch alle ähnlich mit ihren Gletscherbonbon-Fruchtnoten. Ob die Kunden sich dessen bewusst sind, dass die Herstellung dieser Produkte knapp am Tatbestand der Bodenverunreinigung vorbeischrammt?

Unter dieser Gesamtsituation haben – wie sollte es anders sein – besonders diejenigen Winzer zu leiden, die einen ganz anderen Weg eingeschlagen haben. Muscadet muss billig sein – also können auch die besten Winzer fast nichts im zweistelligen Eurobereich verkaufen. Muscadet muss jung getrunken werden – also werden auch die anspruchsvolleren Cuvées im ersten Jahr weggeschluckt, die eine längere Lagerung durchaus belohnt hätten. Wer hier ökonomisch über die Runden kommen will, sollte auch als Qualitätswinzer über eine etwas größere Rebfläche verfügen.

MuscadetEiner, der mehr als 30 Jahre lang nur auf Qualität gesetzt hat, ist Guy Bossard von der Domaine de l’Ecu. Zu einer Zeit, als das 99,9% der Winzer für pure Spinnerei hielten, hat Guy Bossard schon auf biodynamisches Arbeiten gesetzt. Viele, die diese Methoden später auf ihren Weingütern umgesetzt haben, wurden von Guy angelernt oder inspiriert. Was er dabei nie vergessen hat zu erwähnen ist die Tatsache, dass äußerst präzises und sorgfältiges Arbeiten die Voraussetzung dafür bildet, um die zweifellos größeren Risiken des An- und Ausbaus ohne die Segnungen der modernen Agrochemie entsprechend auffangen zu können. Seine Weine sind für mich immer wie pures Steinwasser gewesen, ungemein straff, ungemein mineralisch und so gar nicht hedonistisch. Dass diesen Stil nicht jeder mag, ist deshalb für mich sehr nachvollziehbar. Drei verschiedene „Formationsweine“ bildeten dabei immer das Grundgerüst der Produktion: der „Gneiss“ (8,55 €), der „Orthogneiss“ (8,80 €) und der „Granit“ (9,50 €).

Weshalb ich hier ständig in der Vergangenheitsform spreche? Ganz einfach, im Jahr 2010 hat sich Guy Bossard offiziell zur Ruhe gesetzt. Da er keinen Nachfolger für sein 21 ha-Gut hatte, musste er sich jemanden suchen. Und er hat ihn gefunden in dem Großstädter und völligen Quereinsteiger Frédéric Niger Van Herck (dank seines langen Namens eigentlich nur als „Fred“ bekannt). Es ist nicht so, dass Fred nichts von Wein verstehen würde. Ein ausgezeichneter Koch ist er übrigens auch. Aber nachdem er seinen Informatikerposten aufgegeben hatte, musste er erst einmal ein paar Jahre in die Lehre bei „Maître Guy“ gehen. Das Gut ist mittlerweile ganz an Fred verkauft, aber Guy ist, wie man so hört, eigentlich jeden Tag noch bei der Arbeit. Allerdings gibt es mit dem Jahrgang 2012 ein paar neue Cuvées, und es wird interessant sein, den Stil der Domaine weiter zu verfolgen.

Muscadet - LandronWem die Weine der Domaine de l’Ecu zu karg erscheinen, kann auf eine mindestens ebenso gute Alternative im Muscadet-Gebiet ausweichen. Die Alternative trägt einen Schnauzbart, der sich durchaus mit den Exemplaren von Heiner Brand oder Rheingau-Winzer Hajo Becker messen kann, und heißt Jo Landron. Joseph Landron natürlich, aber das sagt eigentlich niemand, genau wie bei Fred. Jo ist stolzer Besitzer von 48 ha Rebland, aus denen jedes Jahr um die 250.000 Flaschen entstehen. Und eigentlich jedes Jahr kaufe auch ich den Muscadet der Domaine (hier die GPS-Koordinaten für den Besuch: 47.1528 / -1.3882), denn ehrlich gesagt haben mich die Weine von Jo Landron noch nie enttäuscht. Für mich sind das einfach Musterbeispiele für einen guten Muscadet, zitronenfrisch, perfekt zu Tisch. Der „einfache“ Domaine de la Louvetrie beginnt mit 6 €, und am anderen Ende steht die Cuvée „Haute Tradition“ für 15 €. Dazwischen gibt es den leichten und frischen „Amphibolite“, die „Hermine d’Or“, den Gold-Hermelin, und die kräftigere Cuvée „Fief du Breil“. Den „Amphibolite“ könnt Ihr übrigens in ganz Frankreich in etlichen Bio-Supermärkten erstehen, denn Jo möchte eine breitere Klientel mit seinen Produkten erreichen.

Um es ganz klar zu sagen: Auch dies sind keine „großen“ Weine, die man genießerisch in kleinen Schlucken schlürfend zu sich nimmt. Aber es sind gute Weine, auch hinsichtlich der Herstellung. Ein Beispiel für den „Fief du Breil“: 40 Jahre alte Reben auf steinigem Lehm über Orthogneiss, gepflanzt mit einer Dichte von 7.000 Stöcken pro Hektar. Zertifiziert biologischer Anbau in Richtung praktischer Biodynamik, Maximalernte von 40 hl/ha, meist deutlich weniger. Handlese mit Auswahl (tri), um nur gesunde Trauben zu verarbeiten. Spontane Vergärung für drei Wochen in Zement (scheint mehr und mehr in Mode zu kommen, ist sicher diskutabel), Schwefelung mit 30 mg/l, um den BSA zu vermeiden, anschließend 14-24 Monate Ausbau auf der Hefe. Keine Hinzufügung irgendwelcher Stoffe und Abfüllung mit Hilfe der Schwerkraft, gelegentlich komplett unfiltriert je nach Gusto des Winzers. Das nenne ich einen ehrlichen Wein und den optimalen Kompromiss zwischen Schwefelfrei-Fetischisten und Sauberkeits-Fanatikern (okay, dieser Wein ist für beide nichts, aber für alle anderen Weinfreunde dazwischen).

Der lange Ausbau auf der Hefe („sur lie“) könnte auch das Geheimnis für die Haltbarkeit der entsprechenden Muscadets sein. Ich habe kürzlich einen offenbar frisch auf den Markt gekommenen 1997er getrunken, den (Luft holen) „Muscadet Sèvre-et-Maine Château du Coing de Saint-Fiacre Comte de Saint-Hubert“ von Véronique Günther-Chéreau. Ein Wein, der sicher nicht die große aromatische Tiefe besaß, aber so extrem frisch wirkte, dass ich den Jahrgang kaum glauben konnte. Ältere Muscadets bekommen oft Honignoten, ein Gefühl von Strohblumen und eher Quitte als Zitrone in der Aromatik, behalten aber eine merkwürdig unoxidative Spritzigkeit bei. Ob sie nach 16 Jahren besser sind als nach einem, das lässt sich schwer beurteilen. Bei der „Haute Tradition“ von Landron und dem „Expression de Granit“ der Domaine de l’Ecu würde ich aber einige Jahre Kellerlagerung anempfehlen.

Zum Abschluss der Weinempfehlungen möchte ich Euch auf zwei „Außenseiter“ aufmerksam machen, die noch nicht überall gelistet sind, die aber genau jenen frischen Wind in die weintechnisch immer noch vergleichsweise schläfrige Atlantikregion bringen, den sie so dringend benötigt.

Marc Pesnot von der 14 ha großen Domaine de la Sénéchalière in Saint-Julien-de-Concelles, nur 15 km östlich von Nantes, macht im An- und Ausbau fast alles ähnlich wie Jo Landron. Nur befinden sich seine Reben im Schiefergebiet, und er gibt noch weniger SO2 zum Most – oder auch gar keinen. Über einen seiner Weißen könnt Ihr beim Wine Doctor hier lesen, über einen seiner ungewöhnlichen (naturel-) Rotweine hier. Letzterer ist der „Labouriou“, bereitet aus Abouriou, einer der seltenen und tanninreichen Trauben des Südwestens. Kennt Ihr vielleicht von Elian da Ros.

In Getigné auf der Domaine de Belle Vue, hat sich Jérôme Bretaudeau niedergelassen. Auch er, tja, was soll ich sagen? Draußen zertifiziert biologisch, Reben auf Gabbro und Granit, drinnen Spontangärung, Hefelager, nicht chaptalisiert und nicht gefiltert abgefüllt, weniger als 20 mg freier Schwefel. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber das sind halt die in dieser Gegend ganz und gar nicht selbstverständlichen Eckdaten des Qualitätsweinbaus. Ja, so etwas geht auch bei Weinen, die weniger als 10 € kosten.

Wollt Ihr eine größere Anzahl von Muscadets auf einem Haufen sehen, müsst Ihr allerdings nach Nantes fahren. Nantes ist die Hauptstadt der Region, und – ich hatte es beim letzten Mal schon erwähnt – die Franzosen sind ganz wild darauf, in Nantes leben zu wollen. Gekürt als „angenehmste Stadt zum Leben in Europa 2004“ vom Time Magazine, die Nr. 1 der lebenswerten Städte in Frankreich laut Le Point 2008 (das ist so ein bisschen der französische Spiegel), jetzt im Jahr 2013 auch noch „Umwelthauptstadt Europas“ (European Green Capital) der EU – was ist dran an diesen Lobhudeleien? Nun, ein paar Gründe fallen mir spontan ein:

NantesNantes ist eine Großstadt mit all ihren Möglichkeiten, aber nicht so groß, dass man in den kompletten Dauerstress verfallen müsste (eine halbe Million Einwohner mit Vororten). Nach Paris mit dem TGV braucht man nur zwei Stunden, was für viele Franzosen ungemein wichtig ist – nicht nur für Einkäufer und Kulturfreaks, sondern auch für alle Angestellten, die ständig zu Meetings in die Kapitale müssen. Ans Meer kommt man je nach Verkehrssituation in einer knappen Stunde, also optimal für den Sonntagsausflug ohne Übernachtung. In der Stadt selbst ist in den letzten 15 Jahren ebenfalls sehr viel auf die Beine gestellt worden: ein komplett neues Tram-Netz, das die nervigen Staus verbannte, eine ausgedehnte Fußgängerzone, dazu viele Studenten und Bobos, Weinbars, Restaurants, eine reaktivierte Einkaufspassage (auf dem Foto), ein gewisser bürgerlicher Wohlstand – kurzum, alles, was man die Jahrzehnte davor schmerzlich vermisst hatte.

Weintechnisch kann man sich auch nicht beklagen. 22 Weinläden werden im „Guide des Cavistes“ aufgeführt, von der vin naturel-Bar im Rasta- und Tattoo-Style bis hin zu Läden für die hochpreisigen Bordeaux. Ein paar Läden sowie Schank- und Speisewirtschaften möchte ich an dieser Stelle explizit nennen:

  • Verygood“, 28 boulevard de la Prairie-au-Duc: Weingeschäft südlich der Innenstadt auf der Ile Mabon, ein ehemaliges Industrieviertel, das im Dockland-Stil (okay, nur fast) neu bebaut wird. 60% ihrer 850 Weine stammen aus der Kategorie Bio/Naturel/Biodynamie, schräge Sachen, die man auch mal nach Etikett kaufen kann.
  • Vino Vini“, 25 rue Racine: ein Klassiker des Weinhandels westlich der Innenstadt, 1.200 Weine; wer hier nichts findet, mag keinen Wein.
  • Les Vins au Vert“, 11 Rue Saint-Léonard: mitten in der Innenstadt, die Website ist erst so halb fertig, 150 verschiedene Weine gibt es, fast alle unkonventionell.
  • Les Carafés“, 8 rue Grande Biesse: auch auf der Ile Mabon wie das Verygood, aber direkt an der Brücke, eine Weinbar, wie es sie (fast) nur in Frankreich gibt. Kurze Speisekarte, mittags unter der Woche etwa 15 € mit Hauswein, dazu 30 verschiedene Weine auch zum Mitnehmen.
  • Le Vin Vivant“, 90 rue Maréchal Joffre: ganz zentral, ebenfalls ein Weinladen und gleichzeitig Bistrot, ein Sterne-erfahrener Wirt (Ex-Sommelier), 180 Weine aus dem Bereich Bio/Naturel/Biodynamie, aber nicht nur das wildeste Zeug, auch sehr klassische Vertreter, dazu Tapas-ähnliche Häppchen, die sich auch zu einem Menü zusammenstellen lassen.
  • Café du Havre“, 4 rue de l’Hermitage: nur mittags unter der Woche, nur ein Menü für alle, 13 € mit einem Viertel Wein – Ihr wisst schon, worauf das hinausläuft: eine Arbeiterkantine, südwestlich der Innenstadt in wenig einladender Umgebung am Kai, laut, voll, keine Tischdecken. Mir gefällt’s an solchen Orten, und ich frage mich (vor allem, wenn ich das nächste Mal mit Kollegen vor einem Tablett in der Eurest-Kantine sitze), warum es so etwas bei uns nicht gibt.

Zum Schluss sei noch darauf hingewiesen, dass die Nr. 1 unter den Restaurants in Nantes bei Tripadvisor das „l’u.ni“ ist, bei Gralon das „Cocotte“. Bewertet von 80 bzw. 101 Essenden, was ja für eine gewisse Durchgängigkeit spricht – ich selbst kenne beide allerdings nicht.

GezeitenEinen allgemeinen Tipp habe ich noch für einen rundum gelungenen Aufenthalt an der atlantischen Loire: Profitiert von der guten Luft, dem beeindruckenden Ozean, der meerigen Küche und den dazu passenden Weinbegleitungen. Aber erwartet Euch nicht reihenweise Spitzenweine. Denn die folgen erst im nächsten Teil, wenn es ins Anjou geht und nach Saumur.

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13 Antworten zu Weinreise Loire (III): die atlantische Loire

  1. Ich wollte nur sagen, ich verfolge das, was Du schreibst immer noch mit großem Interesse und freue mich auf den nächsten Teil.

  2. Markus Kloss sagt:

    Ich muß mich jetzt auch einfach mal bedanken. Für die aufwändigen (diesmal besonders) , sehr informativen, äußerst unterhaltsamen, inspirierenden und immer sehr liebenswert geschriebenen Artikel. Dein Blog ist für mich eine absolute Top-Adresse und ich kann neue Artikel immer kaum abwarten. Herzlichen Dank!

  3. Alex sagt:

    Noch nicht mal wegen des Weines, aber dieses schöne Episode hat in mir den dringenden Wunsch geweckt, mich endlich mal wieder an die französische Atlantikküste zu begeben….

    Und möchte mich bedanken, dass du dich dieser Aufgabe angenommen hast, hier in epischer Breite die Loire vor uns auszubreiten. Freue mich auch auf den nächsten Teil!

    LG,
    Alex

    • Matze sagt:

      Komisch, früher als Kind hat mich das Meer nie interessiert, ich wollte immer lieber in die Berge. Heute finde ich die Berge zwar nach wie vor nicht schlecht, aber ich wünsche mir, zumindest für ein Jahr mal am Meer zu leben.

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  6. Keita sagt:

    Hi Matze,
    hast du von Landron schon den Atmosphere probiert?
    Den habe ich bei vins-etonnants im Internet gesehen, ein Schaumwein aus 80% Folle Blanche und 20% Pinot Noir. Leider hatten die Landrons den nicht mit auf der Weinmesse in Lille im letzten November.

  7. Keita sagt:

    Vielen Dank für die Mühe, muss mich mal durch den Shop wühlen, der ja leider nicht sehr aufgeräumt und aktualisiert aussieht. Die Schweizer und Gaillac lächeln mich da an, der Jurancon von Dagenueau ist mir einfach zu teuer.

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