So ein sommerliches Wochenende kommt vielleicht so schnell nicht wieder. Dachten wir uns zumindest und sind über die chronisch verstopfte A 9 gen München geschlichen und weiter ins Chiemgau. Auf den Chiemsee selbst haben wir allerdings verzichtet und sind ein wenig weiter im Norden am Seeoner See geblieben. Dies ist unser Lieblingsplatz im Voralpenland. In diesem Artikel werdet Ihr deshalb ein bisschen Natur, drei Gasthöfe, zünftige Speisen und eine Reihe von Bieren vorfinden.
Ich plaudere jetzt mal aus dem Nähkästchen, wenn ich Euch erzähle, dass meine Freundin in ihrer Kindheit immer in den Sommerferien hier war. Natürlich mischen sich dabei Erlebtes, Mythen und Romantizismen. Und ebenso natürlich mögt Ihr gern an den Chiemsee oder nach Starnberg fahren, um Euer oberbayerisches Wochenende zu verleben. Aber hier in Seeon, am Bräuhausen-Kircherl, am Kloster Seeon mit seinen Zwiebeltürmen – und vor allem am See selbst, die Holzstege durch die schilfigen Ufer ins Freie führend, an den Nestern von Blässhühnern, Stockenten und Haubentauchern vorbei – hier glaubt man wirklich, dass die Zeit während einer besonders harmonischen Periode stehen geblieben ist.
Allerdings muss ich zugeben, als ich während des drohenden Gewitters oben im Wald war, um Schmetterlinge zu fotografieren, bin ich dabei von stechenden Untieren derart angegangen worden, dass ich jetzt fast 50 Stiche an meinen Beinen zählen kann. Es ist halt im Paradies nicht alles perfekt. Dafür habe ich mehrere Minuten mit einem Kleinen Schillerfalter verbringen können, einem unserer schönsten Schmetterlinge überhaupt.
Aber kommen wir zum Kulinarischen. Im Ort Seeon, der sich halbkreisförmig um den See herumzieht, gibt es (mindestens) sechs Gaststätten. Am Strandbad befindet sich die Pizzeria Lido, die dort beim ausgelassenen Kinder-Toben einfach am besten aufgehoben ist. Quer über den See und ein paar Meter den Hang hoch steht das Waltenberg-Stüberl, nach seiner Vorbesitzerin auch “die Alberta” genannt. Im Kloster selbst gibt es den Klosterwirt. Die restlichen drei Wirtschaften klumpen sich im alten Zentrum des Ortes, ein paar Meter abseits des Sees. Es sind dies der Alte Wirt (= Altwirt), das Rauchhaus und der Neuwirt.
Beim Klosterwirt feierte eine Hochzeitsgesellschaft, nach Pizza war uns nicht so, und das Rauchhaus kam uns trotz des wirklich beeindruckenden Gebäudes irgendwie zu bemüht und Skihütten-Münchnerisch vor – wenn Ihr wisst, was ich meine. Wir sind halt gnadenlos Old School, und deshalb kann ich Euch hier vom Alt- und Neuwirt sowie von der Alberta berichten.
Am ersten Abend waren wir beim Altwirt. Hier gibt es – und darüber lässt sich überhaupt nicht diskutieren – das schönste altbaierische Gasthaus und den schönsten Biergarten. Ausgeschenkt werden die Biere der Klosterbrauerei Baumburg, von denen mir das Standard-Hell bereits sehr geschmeckt hat. Bei Altwirt ist nach einem Besitzer- und Kochwechsel vor ein paar Jahren alles ein wenig ambitionierter geworden. Die erste Enttäuschung für meine Freundin: kein Schweinsbraten auf der Karte. Und kein Kaiserschmarrn. Dafür Blüten von der Kapuzinerkresse als Dekoration. Hatte ich schon unseren Old School-Ansatz erwähnt? Gut, nach langen Jahren des täglichen Schweinsbratens kann es dem Koch schon einmal zu viel werden. Die Jungbullenlende hat mir dann auch gut gefallen. Aber wer als Wochenend-Chiemgauer die unvermeidlichen Standards sucht, wird diese beim Altwirt nicht (mehr) finden.
Zweiter Einkehrort am nächsten Mittag: der Gasthof Neuwirt. Auch der Neuwirt besitzt ein altes, quasi klassisches Gebäude zentral an der Durchgangsstraße, wirkt aber auf den ersten Blick nicht ganz so einladend wie der Altwirt. Dafür findet man hier einen echten Stammtisch der Handwerker oder Altbauern oder wer sich von den Einheimischen halt zugehörig fühlt. Die Atmosphäre ist dementsprechend von kompletter ChiChi-Losigkeit geprägt. Die Speisekarte listet alle bayerischen Spezialitäten auf, wegen derer man hier gelandet ist. Zusätzlich wird auf der Karte noch ausgeführt, woher die einzelnen Produkte stammen, die Fische beispielsweise von einem der (wenigen) Berufsfischer der Gegend. Ich esse Renken in durchaus üppiger Buttersauce, und der Fisch schwimmt hervorragend im Hellen der Brauerei Stein an der Traun. In meinem Magen, versteht sich. Abends kommen wir noch einmal wieder zu Surschnitzel und Kaiserschmarrn.
Am letzten Tag schließlich kehren wir mittags bei der Alberta ein. Hier oben am Hang in der auf Almhütte getrimmten Tageswirtschaft ist die Zeit stehen geblieben. Und zwar nicht an der vorletzen Jahrhundertwende wie unten am See, sondern in den 60er und 70er Jahren. Die Bänke, die Krüge, die Schirme, die Gäste, das Essen – alles ist stimmig. Am hier ebenso vorhandenen Stammtisch wird darüber diskutiert, ob die Resi schon 1968 sich mit dem Sepp eingelassen hat oder erst ein Jahr später. Der persönlich anwesende Sepp kann selbst nichts Eindeutiges zu der Frage beitragen, da er laut eigenen Angaben “so um die viermal” verheiratet gewesen ist, was dem Erinnerungsvermögen nicht zuträglich erscheint. Ich esse derweil zunächst eine Leberspätzle-Suppe und hernach zwei Wollwürscht. Farbe und Geschmack lassen erahnen, dass hier möglicherweise sogar wahrhaftig Hirn verwendet wurde, aber sicher bin ich mir nicht. An Bieren gibt es die Produkte vom Auerbräu aus Rosenheim, die – so leid es mir tut – auf meiner persönlichen Wochenend-Bierrangliste nur den dritten Platz von dreien einnehmen.
Am Samstag war ich noch kurz vor Toreschluss in den örtlichen Edeka Summerer gehetzt (bis 13 Uhr geöffnet), um mir die Biere der Schlossbrauerei Stein auch für den Alltag mitzunehmen.
Der Stoaner Zwerg, ein Pils aus der 0,33-Liter-Flasche (4,8 vol%, 11,8% Stammwürze), wird bei ratebeer nicht umsonst als “Bohemian Pilsener” bezeichnet. Trotz feiner Hopfung stellt es eher den milden, südlichen Typ dar. Findet dennoch (oder gerade deswegen) (oder völlig unabhängig davon) mein Gefallen.
Das Steiner Export (5,3 vol%, 12,5% Stammwürze) ist ein verbessertes Helles von sehr dezenter, optimal speisenbegleitender Art. Eine starke Hopfung kann man hier nicht erwarten, aber eine feine Malzsüße, die ungemein ausgewogen daherkommt.
Das Steiner Chiemgau urdunkel (4,9 vol%, 12,4% Stammwürze) zeigt mit seiner Amberfarbe eindeutig in eine andere Richtung. Alle Biere sind übrigens nicht zu stark karboniert, der Schaum verfliegt auch schnell, für mich persönlich eine Wohltat. Wer hier gaumenauskleidende Röstnoten erwartet, sieht sich getäuscht. Dies ist kein Poser-Bier, sondern eher ein Hell im dunklen Malzgewand. Sehr elegant.
Für Freunde der Würze haben die Steiner allerdings doch noch ein Bier im Programm, das Heinz vom Stein Hefeweissbier dunkel (4,9 vol%, 11,8 % Stammwürze). Ein Bio-Bier übrigens, wir hatten es ja kürzlich über die Dominanz von Neumarkter Lammsbräu und Riedenburger in diesem Segment. Der wilde Heinz riecht bereits nach einer Mischung aus Rindersteak vom Grill und einem Holzkohlenmeiler. Ganz so krass wird es geschmacklich dann nicht, aber die Röstnoten sind solo deutlich vorhanden. Zum entsprechenden Essen (rotes Fleisch!) passt sich das Bier aber sehr gut an.
Zum Schluss folgt noch der oberbayerische Klassiker, das helle Hefeweißbier, hier in Gestalt von Heinz himself (4,9 vol%, 11,7 % Stammwürze). In der Nase spüre ich die typischen Aromen wie Banane und Hefe, letztere aber in einer Form, als sei ein frischer Brotlaib eingebraut worden. Am Gaumen geht es eher in die pampelmusige Richtung mit deutlich spürbarer fruchtestriger Säure. Für mich ganz subjektiv das schwächste Bier der Serie, aber immer noch weit über dem Durchschnitt.
Gute Biere brauen die Steiner, sehr passende, wenngleich keine spektakulären. Dass Letztere drei Kilometer weiter in Truchtlaching, und zwar in der Brauerei “Camba Bavaria” das Licht der Welt erblicken, einer der vermutlich interessantesten Brauereien ganz Bayerns, wurde mir leider zu spät zugetragen. Aber ehrlich gesagt passt mir das ganz gut. Ich würde nämlich diesen Sommer sehr gern noch ein weiteres Wochenende am Seeoner See verbringen – und da ist mir jeder Vorwand recht.
Wie schaut’s mit Eurer Alpenliebe aus? Welches ist Euer Lieblingssee, und warum?
Alpenliebe: ja! Schon als Kind fand ich unsere Toure durch die französischen Alpen immer besonders aufregend, wegen des guten Essens. Dabei waren wir dort stets nur auf der Durchreise, um an die Côte d’Azur zu kommen. Kurz vor Nizza, in den letzten Alpenausläufern vor dem Meer verbrachten wir ganze Tage damit, Kräuter zu sammeln und die Gegend zu erkunden.
Der für mich schönste Alpensee befindet sich aber in der Schweiz. Es ist der Caumasee bei Flims.
Ich muss zugeben, dass ich die ganzen Westalpen sehr schlecht kenne. Einmal bin ich mit dem Zug von Mailand durch die Schweiz gefahren und habe mich gewundert, dass es tatsächlich so aussieht wie auf den Postkarten von Tante Frieda. Irgendwie ist es aber beruhigend zu wissen, dass da noch eine ganze Welt auf mich wartet. Der Caumasee ist mir zum Beispiel völlig unbekannt. Hätte ich vom Namen her (wenn mit einem “K” beginnend) spontan nach Finnland verlegt.
Aber ich nehme an, Du hast den Caumasee gleich gegoogelt? Die Farbe ist so unwirklich, dass man es kaum glauben kann. Selbst bei bedecktem Himmel ist der See immer leuchtend türkis. Und wenn man darin schwimmt und an sich herunterblickt, dann ist man selber auch komplett türkis. In unmittelbarer Nachbarschaft liegt der kleinere Crestasee, der eine ähnliche Farbe hat.
Natürlich ;). Bei solchen Karstseen weiß ich allerdings nie, ob die Farbe durch die Lichtbrechung oder (hört sich zunächst irgendwie unromantischer an) durch die Algenpopulation zustande kommt. Aber sieht großartig aus, das gebe ich nur zu gern zu.
Meine Frau hat mir irgendwann einmal von wunderschönen Kinderferien am Staffelsee vorgeschwärmt. Das ist mit Seeon vergleichbar. Während unserer Zeit in München haben wir die Sommerwochenenden meist dort mit unserer Tochter verbracht. Mit dem Boot auf dem See, schwimmen, Gasthäuser, Berge… herrlich. Diesen Sommer wollen wir mit der Enkeltochter hin. Die Geschichte wiederholt sich. Forever Old School 🙂 Wie unterdessen der Zander schmeckt?
Alfredo
Bestimmt gut! An den Staffelsee kann ich mich (obwohl ich noch nie dort war) wegen einer ganz weit zurückliegenden Geschichte erinnern. Wir Geschwister hatten damals den “Tierfreund” abonniert. In einer Ausgabe lag ein sehr schönes Poster vom Sonnenaufgang über dem schilfigen Staffelsee bei. Den Gesang der Vögel habe ich mir dabei quasi automatisch dazugedacht. Ich glaube, das Poster hing sogar eine Weile lang an meiner Kinderzimmertür.
Das schönste altbaierische Wirtshaus – gibt’s das?
Als Oberpfälzer – und damit auch zu Altbayern zu zählen – lege ich dir einen Besuch beim Röhrl-Bräu in Eilsbrunn (Laabertal bei Regensburg) nahe. Die Tische in der Wirtsstube seit Jahrhunderten echt sandgescheuert, Gerichte einfach traditionell und gut, ich sag mal einfach nur ‘Schweinsbraten’. Die Biere dazu gibt’s vom Röhrl Bräu aus Straubing, aus einem anderen Familienzweig (da in Eilsbrunn leider nicht mehr gebraut wird). Und für den Sommer einen kühlen Biergarten. Die meisten Gäste rekrutieren sich aus der Region, dazu ein paar Wanderer.
Für mich ist das das schönste und unaufgeregteste altbaierische Wirtshaus 😉 – gelebte Tradition ohne diese groß herauszustellen.
Ralf
Da nehme ich Dich beim Wort! Röhrl Straubing (die Biere) hatte ich irgendwo schon einmal probiert, aber erinnern kann ich mich nicht mehr (war vermutlich vor der Excel-Zeit ;)) DAS Schönste in jeglicher Hinsicht gibt’s eh nie. Das ist quasi wie die Suche nach dem Paradies, auch da sollte man besser schauen, dass man seine Zeit ein ganz wenig unambitionierter nutzt…
Der kleine See und die Biere gefallen mir, Gössen (Schnaken) und Bremsen allerdings weniger.
Mein liebster Alpensee? Der Attersee, an dem ich seit 2 Jahren im Sommer lebe. Obwohl er verkehrstechnisch versaut ist. Und der idyllische Weissensee in Kärnten, das ist aber kein Alpensee mehr, oder?
Ach, wenn ich das schöne, alte Rauchhaus mit viel Holz sehe und dann die unsäglichen Plastiksessel und Tische auf der Wiese – wie kann ein Wirt nur so wenig Gespür haben!
Doch, den Weissensee kann man (meiner subjektiven Meinung nach) komplett als Alpensee anerkennen. Allein schon des kalten Wassers wegen. Beim Attersee werde ich (und meine Schwester) wahrscheinlich ewig assoziativ geschädigt sein, weil uns in unserer Kindheit ein Busfahrer (wir waren gerade auf dem Weg von Salzburg nach Wien) einen unglaublich schlechten Witz erzählt hat, als wir daran vorbeifuhren. Auf der Autobahn, so viel zum verkehrstechnisch Versauten. Aber Deine Fotos aus der Sommerfrische sind immer wunderschön, ich möchte jedesmal direkt dort sein.
Schöner Bericht, und mir gefallen auch deine Bierproben. Aber schon ein krasser Kontrast: Nach Thailand, Malaysia, Frankreich, allerelei Top-Weinen und Delikatessen, nun ins Chiemgau! Gut zur Erdung, aber länger als 2 Tage würde ich es da nicht aushalten.. ;=) Schöne Grüße, Alex
Doch, ich würde es da schon länger als zwei Tage aushalten. Ich glaube, man beschäftigt sich dann automatisch mit den Dingen, die es vor Ort gibt. Lustigerweise ist das ja eine der Erkenntnisse, die ich von meinen ganzen Reisen mitgenommen habe: Man darf nicht in dem einen Ort das suchen, was man im anderen gehabt hat. Dann gibt es auch immer wieder Neues zu entdecken. Aber zugegeben: Im Winter muss es in Seeon schon sehr fad sein. Meinte selbst die Vermieterin.
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