Es ist nicht nur von Vorteil, ein fotografisches Gedächtnis zu haben. Es ist ebenso von Vorteil, Fotografien als Gedächtnisstütze zu nutzen, denn alles kann man sich ja nie merken. Vor allem dann, wenn die Ereignisse so über einen hereinprasseln wie bei mir zur Zeit in Asien. Ich habe das Gefühl, schon 1.000 verschiedene Restaurants und Straßenstände in Bangkok besucht zu haben, weil ich immer auf der Suche nach dem neuen Erlebnis bin. Zum Glück habe ich stets meinen Fotoapparat dabei, um wenigstens schnell das Essen zu knipsen oder die Straßenecke. Ansonsten hätte ich morgen schon wieder vergessen, wo ich heute gewesen bin. Wenn ich ein Restaurant bei dieser Geisteshaltung nicht weniger als dreimal aufgesucht habe, dann muss ich es wirklich für exzellent halten.
In keinem Reiseführer wird dieses Restaurant erwähnt. Das hat einerseits sicher ein wenig damit zu tun, dass es sich an einer recht stark befahrenen Straßenecke befindet. Dann besitzt es auch noch ein Mobiliar, das an die Eisdielen unserer Fußgängerzonen erinnert. Und schließlich und endlich – das komplette KO-Kriterium – hat es keinen Namen. Jedenfalls keinen, den die internationalen Foodies lesen können, mich selbst eingeschlossen. Ich habe das Schild einfach abfotografiert, denn das müsste der Name sein: Bitte, Thai-Freaks aller Länder, helft mir und uns allen dabei, diesen Namen zu entziffern.
Die Ortsbeschreibung ist hingegen weniger schwierig. Ihr erreicht dieses Restaurant, indem Ihr mit dem Skytrain (= BTS) bis zur Station “Victory Monument” fahrt. Dort nehmt Ihr den südöstlichen Ausgang, also “rechts hinten”, solltet Ihr aus Richtung Innenstadt gekommen sein. Ihr geht am lokalen Einkaufs- und Kinozentrum “Century” entlang nach Süden, dann die nächste Straße nach links (die Thanon Rang Nam), und an der Einmündung der nächsten Straße (der Rat Withi 9) befindet sich das Restaurant auf der linken Seite. Man könnte auch sagen, direkt vor dem “Tida Esarn”, das ich ja bereits einmal mit feurigem Gewinn besucht hatte.
In meinem Lieblings-Restaurant gibt es ebenfalls die Küche des Isaan, des trockenen Nordostens von Thailand, aus dem so viele Binnenmigranten nach Bangkok gehen mussten. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber vielleicht hat die Häufung der Isaan-Restaurants in dieser Ecke auch etwas damit zu tun, dass am Victory Monument die großen und kleinen Fernbusse ins ländliche Thailand abfahren und ankommen. Jedenfalls gibt es eine ähnliche und diesmal verbriefte Situation ja rund um den Bahnhof Montparnasse in Paris mit seinen bretonischen Creperien.
Das Essen im MLR (= Meinem Lieblings-Restaurant) ist nicht ganz so günstig wie an den Straßenständen davor. Die Salate kosten zwischen 40 und 60 Baht, und ein Fisch überschreitet in der Regel die 100-Baht-Grenze. Jetzt sind das natürlich Preise, die weit unter jenen des fadesten Hotelessens liegen, aber über denen, die ein gewöhnlicher Thai sich wochentags leisten möchte. Dementsprechend gibt es trotz Verkehrsgebraus und harten Stühlen ein paar zusätzliche Annehmlichkeiten. Einen Ventilator zum Beispiel, ein Servierwägelchen und auch eine Speisekarte mit mehr oder minder gelungenen Fotos der Gerichte.
Was auf den auch nicht gerade künstlerisch wertvollen Fotos zu sehen ist, die ich gemacht habe, beschreibe ich Euch jetzt mal kurz von oben nach unten (wenn Ihr mit dem Cursor aufs Fotos geht, erscheint der Name):
- “Würste des Nordens” mit Reis, sicherlich auch ein paar Innereien und rein geschmacklich vom Schwein stammend. Dazu solltet Ihr unbedingt – entsprechend achtsam natürlich – die mitgelieferten Chillies und Ingwerscheiben knabbern. Passt geschmacklich nämlich sehr gut zu den eher milden Würsten.
- “Zerfaserter Fisch mit Erdnüssen”, zerrupft und kross frittiert, wirkt fast wie eine Fischwolke. Hier ist die Textur noch entscheidender als der Geschmack.
- “Mangosalat” – mit kurz marinierten Zwiebelringen und Chilli-Abschnitten, aber nicht zu scharf. Dennoch das absolute Aromenfeuerwerk, weil die süß-säuerliche Mango offenbar sehr gut ausgesucht wurde. Passt derartig perfekt zur Fischwolke, dass man sich im Sternerestaurant wähnt. Ganz groß.
- “Kräuter-Tomatensalat mit frittierten Schwimmblasen, Shrimps und Cashews”. Schwimmblasen vom Fisch, denn “Fish Maw” heißt nicht etwa “Fisch-Mäu(ler)”, sondern bezeichnet ebenjene Schwimmblasen. Das hört sich erst einmal seltsam an, schmeckt aber gar nicht gewöhnungsbedürftig. Von der Konsistenz her war ich überrascht, dass die Blase nicht etwa nur eine knusprige Hauthülle ist, sondern eher wie ein Amarettini daherkommt. Also außen fest knusprig und innen lockerständiger knusprig.
- “Salat von Grüner Papaya mit Spiegelei”. Den Papayasalat gibt es in verschiedenen Versionen, aber immer ist er ungemein erfrischend, leicht säuerlich und pikant, nie höllenscharf. Das macht auch die Qualität dieses Restaurants aus, denn mit Schärfe alles zu übertünchen ist ja leicht. Aber hier stehen die einzelnen Aromen im Vordergrund, und die Schärfe dient nur als Zungenstichler. Ohnehin wirkt die Küche insgesamt leicht, sommerlich, sehr frisch, sehr animierend.
Wenn Ihr auf ein schickes Ambiente verzichten könnt und für geringes Geld wirklich exzellente Nordost-Thaiküche genießen wollt, kommt am besten mit mehreren Leuten. Am meisten Spaß macht es nämlich, wenn man sich fünf oder sechs kleine Portionen zusammenstellen lassen kann. Auf dem Innenraum-Foto sieht es übrigens nur deshalb so leer aus, weil ich nachmittags um halb vier dort war, der essensfernsten Zeit. Mittags ist es nämlich gut gefüllt, und abends sogar richtig voll.
Wenn es eine Sache gibt, die ich aus Bangkok in nächster Zeit besonders stark vermissen werde, dann die unnachahmliche Vielfalt der Essgelegenheiten. Vor allem ist es diese Selbstverständlichkeit, stets bei leichten Hungergefühlen irgendetwas Interessantes zu finden. Und die Möglichkeit, dank der kleinen Portionen auch drei oder vier solcher Kleinigkeiten über den Tag verteilt auszuprobieren.
Unter anderem in diesem Restaurant, dessen Namen Ihr mir doch bestimmt jetzt sagen könnt, oder?
Fish Maw gab’s bei mir neulich auch. Auf Facebook, wie Du weißt. Vielleicht werden ich bei meinen holländischen Fischdealern mal danach fragen. “Zwemblaas?” Das wird sicher lustig, wenn sie in dieser Stadt mal mit anderem Begehr als immer nur Seelachsfilet konfrontiert werden.
Zu dem Schriftzug: Haben Weitgereiste wie Du nicht inzwischen längst OCR in sämtlichen Sprachen auf dem Smartphone?
Was mich (zwar nicht total, aber doch ein bisschen) nervt: Es gibt eine “normale” Thai-Schreibschrift und daneben offenbar noch eine neue Art, tja, Werbetafelschrift. Letztere ist auf Verpackungen, auf Werbeseiten und sonstigen privaten Schildern zu finden, erstere wahrscheinlich in der Schule und in der Zeitung. Jedenfalls hilft mir das Alphabet selten weiter. Und darüber hinaus bin ich zu faul ;).
Aber frag mal nach der “Zwemblaas”! Bei Tim Raue gibt’s das glaube ich auch auf der Speisekarte. Nur habe ich möglicherweise nicht ganz so viel dafür bezahlt…
Das Restaurant heißt Isanromjen.
Übersetzt etwa Gemütliches Isan (der Nordosten Thailands).
1.000 Dank! Mein Übersetzungscomputer hatte mir so etwas wie “Der Vorbote des Hofes” vorgeschlagen. Sehr weit daneben, würde ich sagen.
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