Rochegude ist ein Ort in der südwestlichsten Ecke des Département Drôme, nicht weit von Orange entfernt, aber – so muss man es wohl sagen – mitten in der Pampa. Es gibt einen Bürgermeister, einen Einkaufsladen und eine Straße, die auf der einen Seite ins Dorf hinein und auf der anderen wieder herausführt, ohne dass jemand außer den Dorfbewohnern jene benutzen würde. Und es gibt ein Dorf-Bistrot, das aus allen Nähten platzt. Ich war dort, zur Mittagszeit unter der Woche, und habe mit großem Glück den letzten Tisch ergattert. Wie kann so etwas sein?
Zunächst einmal schulde ich meinem Frankreich-Experten Jens einen großen Dank, denn er hat mich auf dieses Etablissement aufmerksam gemacht. Eines der Geheimnisse für seinen Erfolg (des Bistrots natürlich) ist vielleicht diese Ruhe, diese Abgeschiedenheit, die Platanenallee vor der Terrasse, die alten Steinhäuser. Ein anderes glaube ich im Nachhinein herausgefunden zu haben: Das “Café du Cours” in Rochegude ist Mitglied in der Assoziation “Bistrot de Pays“. Dabei handelt es sich um eine eingetragene Marke, aber auch um ein Konzept, das es sich zum Ziel gesetzt hat, alten Dorfwirtshäusern zum Überleben zu verhelfen.
Die EU fand die Idee dabei so gut, dass sie sich mit Fördergeldern an dem Projekt beteiligt, dessen Richtlinien ganz simpel sind. Wer Mitglied bei “Bistrot de Pays” werden will, muss mindestens die folgenden Voraussetzungen erfüllen: 1. in einer ländlichen Gemeinde von weniger als 2.000 Einwohnern zu Hause sein, 2. eines der letzten Geschäfte des Ortes darstellen, 3. das ganze Jahr über geöffnet sein, 4. regionalen Produkten einen besonderen Schwerpunkt einräumen und 5. mindestens dreimal im Jahr ein Fest oder ähnliche kulturelle Veranstaltungen durchführen. Dafür gibt es Zuschüsse, eine gemeinsame Werbeplattform im Internet und die Möglichkeit, Gleichgesinnte zu treffen.
Das Konzept läuft ungeheuer gut, denn sowohl einheimische Dorfbewohner als auch Touristen schätzen genau diese Dinge. Wie gut die Sache funktioniert, kann man beispielsweise daran ersehen, dass sich allein in der “Drôme Provençale”, also dem südlichen Teil des Départements, 17 Wirtshäuser diesem Projekt angeschlossen haben. Seitdem ich davon weiß, fallen mir ständig die Mitgliedschilder von “Bistrot de Pays” auf, wenn ich über die Dörfer fahre.
Das “Café du Cours” ist gemäß dem Konzept nicht nur ein Bistrot, sondern auch eine Bar-Tabac mit allerlei Zeitungen, Zeitschriften, Rauchwaren und ein paar Lebensmitteln für den täglichen Bedarf. Was es dort zu essen und zu trinken gibt, ist keine Sterneküche. Das sollte jedem vor der Einkehr hier klar sein. Aber es gibt auch keinen Convenience-Fraß; alles wird frisch zubereitet. Das Mittagsmenü kostet 12,50 € und besteht aus Vorspeise, Hauptgericht und Dessert, wobei für jeden Gang zwei Wahlmöglichkeiten existieren. Was ich allerdings nicht wusste: Wer A sagt, sagt damit gleichzeitig B. Wer also eine “Terrine de Lapin” als Vorspeise wählt, bekommt automatisch den Fisch als Hauptgericht. Hätte ich ein Steak-Frites haben wollen, hätte ich den “Sommerteller” als Vorspeise nehmen müssen. Das bleibt aber nicht die einzige Überraschung.
Der Wein gehört nicht zu den Überraschungen. Er stammt von der örtlichen Genossenschaft und wird im Glaskrug ausgeschenkt, ein hundssolides Produkt. Die wahren Highlights stecken dafür im Detail: Der Fisch ist okay, aber das dazu gereichte Aïoli könnte man sich kaum besser denken. Handgerührt, nur aus Eidotter, Olivenöl und Knoblauchsaft bestehend. Völlig übertrieben, ich weiß, aber ich habe das ganze Schüsselchen ausgelöffelt. Genauso großartig war die Nachspeise, “Crème de Framboise”. Dabei handelte es sich um selbstgemachten Himbeerpudding mit eingekochten Früchten und frischen Himbeeren als Topping (auf dem Foto schon nicht mehr da…).
Ihr merkt, dass hier die einzelnen Produkte die Hauptrolle spielen und nicht die Raffinesse der Kombination. So ist das nun einmal im Dorfwirtshaus in Franken, im Mühlviertel und auch in der Provence – jedenfalls dann, wenn es weder in der Dr-Oetker-Zeit steckengeblieben ist noch auf Landhaus-Schick macht. Mir hat es hier jedenfalls ausgezeichnet gefallen. Schaut doch als Anregung mal auf der Website, ob Ihr nicht zufällig demnächst einen ähnlichen Verein für Eure Heimatregion aufmachen möchtet.
Hi Matze!
Ich wußte natürlich im vorraus, dass Dir der Laden gefallen würde. Dafür verfolge ich Deinen Blog einfach schon zu lange, um nicht zu wissen worauf Matze so steht. Leider war ich in letzter Zeit nicht mehr in der Gegend und somit schon einige Zeit nicht mehr da. Aber wie Du schreibst, hat sich ja dort nichts verändert. Der sehr freundliche Besitzer hat meiner Freundin sogar eine wirklich alte Ricardwasserkaraffe geschenkt, als Sie ihn danach fragte, wo man sowas käuflich erwerben kann. Wenn ich Deine Fotos so sehe, dann bekomm ich wieder Sehnsucht nach dem Süden…
Jens
Ja, war wirklich genauso, wie Du das beschrieben hattest. Wir sind auch mit den Tischnachbarn ins Gespräch gekommen, ist ja sehr konvivial hier. Er stammte aus Lyon, sie aus dem Elsass, und jetzt haben sie sich auf ihre alten Tage hier ein Häuschen in Rochegude gekauft. Alles ungeheuer nett, außer dass der Mistral mittlerweile weht. Aber das gehört ja auch irgendwie dazu…
Das hab’ ich Ende September auch mal erlebt. Wer das noch nie selbst gesehen, oder gespürt hat, der glaubt das einfach nicht. Eisiger, heftiger Wind. Wie vor dem Fön – nur nicht warm. Das geht durch Mark und Bein. Und so schnell wie er da ist, ist er auch wieder weg, der Mistral.
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