Wer diesen Blog schon länger verfolgt, wird mitbekommen haben, dass mich das Thema “Wein ohne Zusatzstoffe” umtreibt. Zunächst hatte ich hier einen Laden in Köln vorgestellt, in dem es diese Weine zu kaufen gibt. In Paris hatte ich die Produkte eines Winzers aus dem Gard probiert, die mir so vorkamen, als würden sie auf der Modewelle mitschwimmen wollen. Später habe ich mir dann etwas substanziellere Gedanken darüber gemacht, wie “natürlich” ein Wein eigentlich sein kann. Und schließlich ergriff ich die Gelegenheit beim Schopf, einen wirklich teuren “vin naturel” zu testen, der mich ein wenig ratlos zurückließ. Jetzt bin ich aber direkt vor Ort und kann den optimal gelagerten Wein frisch aus dem Keller des Winzers probieren. Ob das die Essignoten abhält?
Es gibt hier in der Gegend, genauer gesagt in Vaison-la-Romaine, einen Ort, der gleichzeitig Bistrot, Weinbar und Weinhandel ist. Er heißt etwas umständlich “Le bonheur suit son cours” und wird von Xavier und Fabienne betrieben. Die Weinauswahl besitzt eine eindeutige Tendenz in Richtung “bio”, “biodynamisch” und “naturel”. Genau deshalb kommen die Gäste, wobei man hier auch ausgezeichnet essen kann. Weil Xavier ein Kenner der Materie ist und ich mich bei solchen Weinhändlern sehr gern auf die Empfehlungen verlasse, habe ich ihn einfach nach einem guten “vin naturel” aus der Gegend gefragt. Ich musste dann präzisieren, ob ich lieber einen leichten Suffwein haben möchte, einen mit etwas mehr Substanz oder einen kantigen Brocken zum Lagern. Ich habe mich für die mittlere Variante entschieden.
Neben den Domaines Gramenon und Viret ist mir besonders der Rotwein von Marcel Richaud ins Auge gestochen, und das aus mehreren Gründen. Zum einen hatte ich schon die Gelegenheit, seine “konventionellen” Weine zu trinken (“konventionell” bedeutet in diesem Fall bio nach Ecocert). Zum anderen hat Marcel justament im Guide Vert 2012 seinen zweiten von drei möglichen Sternen erhalten. Ohnehin gilt er seit Jahren als absolutes Zugpferd in Cairanne. Mit anderen Worten: Das ist einer, der es kann. Interessanterweise stellt Marcel von seinem Cairanne-Standardwein zwei Versionen aus exakt demselben Traubenmaterial her. Beide Weine stammen im Jahr 2009 aus 49% Grenache, 27% Mourvèdre, 15% Carignan, 8% Syrah und 1% Counoise. Der Ausbau findet zu 70% in Betontanks statt, zu 30% in Barriques. Abgefüllt wird jeweils unfiltriert. 12 € kosten die Weine ab Hof und auch bei Xavier. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Cuvées besteht darin, dass die erste vor der Füllung leicht geschwefelt wurde, die zweite jedoch nicht.
Weil ich – obwohl es sehr interessant wäre – bei diesem Wetter nicht zwei Weine gleichzeitig aufmachen möchte, nur um dann die verbliebenen und angekochten Reste wegkippen zu müssen, habe ich mich gegen den Vergleich und für den Alleintest des schwefelfreien Weins entschieden. Marcel schreibt auf das Etikett, dass der Wein vor der Öffnung möglichst nie Temperaturen von über 14 Grad ausgesetzt sein soll. Bis auf die wenigen Minuten von Xaviers Keller bis zum Zelt war das auch durchgängig der Fall. Endlich garantiert optimale Bedingungen. Welchen Eindruck macht also der “Naturwein”?
Farblich entspricht er genau dem, was man von Marcel Richaud erwarten kann: tiefdunkles Rot, in diesem Fall mit einem jungen, bläulichen Rand am Glas. In der Nase ist eine ebenso tiefe, süße, sehr reife Brombeerfrucht zu merken, aber keinerlei Anzeichen für flüchtige Säure. Am Gaumen moussiert der Wein frisch geöffnet noch ganz leicht, aber wirklich minimal. Dieses winzige Bizzeln genügt aber, um den Eindruck von Frische mit hineinzutragen. Ansonsten ist dies nämlich ein sehr südlich-dunkler Wein: Massen von voll- bis überreifen Brombeeren, sehr saftig, dazu Noten von schwarzen Oliven, reich und generös, aber relativ wenig Würze und erstaunlicherweise auch nur äußerst zurückhaltendes Tannin. Nicht wirklich mein Stil, aber in seiner Art gut gelungen.
Je länger der Wein offen bleibt, desto mehr verschwindet die leichte Perlage, was aber klar war. Dafür kommt zum ersten Mal ein Aroma zum Vorschein, das ich in der Vergangenheit als typisch “naturel” wahrgenommen habe und das mir ehrlich gesagt nicht behagt. Es ist so eine Art Himbeer-Traubenzucker.
Mein persönliches Fazit sieht deshalb ganz anders aus als das, was einem bei “vins naturels” immer geraten wird: Da hier nur sehr wenig Kohlensäure im Wein gebunden ist, würde ich dazu raten, den Wein frisch geöffnet auf den Tisch zu stellen. Bleibt er länger offen, verliert er diese Frische-Anmutung, die ihn für einen derart schweren Wein (15 vol%) so anziehend macht. Bei meiner Suche im Internet habe ich hier ein paar Notizen von einem Direktvergleich gefunden, und auch da erschien der Schwefelfreie frischer. Allerdings haben die Tester ihn auch schnell weggegluckert, so dass er in der meiner bescheidenen Meinung nach besten Phase verblieb.
Optimal gelagert, und zwar alle Etappen vom Keller des Winzers bis auf den Tisch eingeschlossen, sind bei diesem “vin naturel” von Marcel Richaud wirklich keine Elemente zu spüren, die man aus konventioneller Sicht als Fehltöne bezeichnen würde. Bekömmlich ist der Wein zudem gewesen, sauber hergestellt in Weinberg und Keller. So mag ich “vins naturels”, auch wenn dem Wein Eleganz und Finesse ziemlich abgehen. Ich würde derzeit höchstens 14 MP zücken, sehe aber noch Entwicklungspotenzial für die kommenden Jahre. Nur möchte ich ihn jetzt nicht 1.500 km durch die Gegend fahren, um ihn anschließend in einem ganz anderen Zustand in den Keller zu legen.
Was die Sauberkeit der Noten anbelangt, frage ich mich nämlich weiterhin, ob es diesmal an der Meisterschaft des Winzers lag (= nur die besten Winzer bekommen “vin naturel” so hin) oder doch eher daran, dass hier alle Vorsichtsmaßnahmen seitens des Weinhändlers und meiner Wenigkeit beachtet wurden (= könnten viele Winzer, wenn wir danach alles richtig machen).
Kennt jemand von Euch die Weine von Marcel Richaud? Falls ja, was haltet Ihr von ihnen? Falls Ihr sie noch probieren möchtet (außer dem schwefelfreien, was ich für vernünftig halte), könnt Ihr sie bei Bernd Kreis im Internet ordern.
Hallo Matze,
ich kenne die Weine von Richaud nicht, stelle aber beim Durchlesen deines interessanten Artikels fest, dass es in Vaison-la-Romaine diese Weinbar gibt. Vor ca. drei Jahren war ich mal ein paar Tage dort, die Bar ist mir leider nicht aufgefallen. Ich war gerade in Pau, wo es auch eine Vin Naturel Bar gibt, die aber leider gerade einen Monat Sommerpause macht.
Zum Thema Vin Naturel: Neulich hatte ich einen ungeschwefelten 2010 Morgon von Marcel Lapierre (auch bei Kreis bestellt), der bei ca. 22° C durch Deutschland fuhr, um dann bei ca. 20° C bei mir im Keller ein paar Wochen zu ruhen. Das ist auf dem Papier alles eine mittlere Katastrophe, wenn man den Wein nicht wärmer als 14°C lagern soll. Trotzdem war er unheimlich frisch ohne flüchtige Säure oder andere Fehltöne. Ich muss wohl Glück gehabt haben, aber es zeigt, dass die gut gemachten ungeschwefelten Weine vielleicht doch nicht so anfällig sind, wie auf dem Etikett angegeben (vielleicht ist das ein Hinweis wie das Mindesthaltbarkeitsdatum).
Interessant. Ich hatte die geschwefelte Version von Marcel Lapierre vor einiger Zeit getrunken, und ich hatte mich auch gefragt, ob es wohl jemanden gibt, der gleichzeitig beide Versionen anbietet.
Was die “Haltbarkeit” anbelangt, da fange ich wirklich erst an, systematische Aufzeichnungen zu machen, um eventuell doch irgendwelche Zusammenhänge bei mir feststellen zu können. Vielleicht gibt es auch keine, aber Argumente wie “Flaschenvarianzen” finde ich immer ein wenig zu einfach. 22 Grad für kurze Zeit oder gar nur 20, ich denke, das sollte tatsächlich noch unterhalb der Grenze sein. Bei mir wären es allerdings 35, wenn die Sonne voll draufscheint, und das ist definitiv drüber 😉
ich kenne von Michel Richaud nur den Cairanne blanc, wieso fährst Du nicht mal zu ihm? Ist ein netter Winzer, der seine Einstellungen verteidigt.
Und, in Cairanne dann bei couteaux & fourchette einkehren und der sommelier kann Dir dann ganz viele Weine aus der Umgebung aufkredenzen und in Cairanne bei toure au verre vorbeischauen…..
Lustig, genau die Adressen hatte ich auch schon überlegt 🙂 Am Tourne au Verre fährt man ja immer vorbei, wenn man durch den Ort kommt. Bei den Winzer-Besuchen bin ich im Moment ehrlich gesagt ein bisschen dezent. Die Ernte hat ja gerade angefangen, und da haben die meist den Tag über schon genug zu tun. Aber vielleicht fahr ich ja doch noch mal vorbei…
Hallo Matze!
Das mit dem leichten moussieren ist mir schon oft bei “Naturweinen” aufgefallen. Das stört mich derart, dass ich solche Weine ablehne. Ganz ist das Moussieren auch nie verschwunden mit dem lüften. Und waren diese Weine dann erstmal gelüftet, kamen sie mir so vor, als sei alles “Gute” aus der Flasche entwichen. Oftmals deutet das Moussieren auch auf eine Nachgärung hin, aufgrund zu geringer oder ganz fehlender Schwefelgabe. Naturnaher Anbau und auch Weinbereitung ist sicherlich sinnvoll, aber was soll ich mit “Naturwein” der nachgärt und danach nicht mehr schmeckt. Das ist irgendwie auch keine zufriedenstellende Lösung.
Grüße Jens
In diesem Fall war es so wenig Moussieren, dass man eigentlich gar nicht davon sprechen kann. Weniger als bei einem frischen deutschen Wein jedenfalls und nach zehn Minuten auch von selbst weg. Aber ich weiß, was Du meinst, habe ich auch schon gehabt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob die Nachgärung bei wirklich hochwertigen Weinen (gut transportiert und gelagert) überhaupt ein Risiko ist. Karl Schnabel, der österreichische “Naturwein”-Winzer, meint ja, das sei einer der entscheidenden Unterschiede zwischen Topweinen ohne Schwefelzusatz und instabilen Weinen, die auf der “schwefelfrei”-Welle reiten. Aber da gibt’s sicher viele Meinungen…
Hallo Matze,
erstmal viel Spaß auf deinem Trip, tatsächlich vielleicht nicht gerade die beste Zeit Winzer zu besuchen, wenn man über Wein philosophieren mag. Aber dennoch interessant zu sehen, wie gearbeitet wird!
Marcel Richaud ist ja soetwas wie ein Urgestein im vin naturel, ich kenne alle seine Weine. Würde Dir auch nochmal die beiden anderen roten zur Verkostung empfehlen (terre de galets und die Top Cuvee L’ebrascade, gibts bei Bernd Kreis) aber der Cairanne ist DER Wein der Domaine. Diese ist über die letzten Jahre ja noch ein wenig angewachsen. Ich glaube Marcel füllt etwas mehr als 200.000 Flaschen im Jahr (naturel style) und das in einer gleichbleibend hohen Qualität dank rigoroser selektion. Das sind schon skills! Ich erinnere mich seine 2006er Cairanne damals noch für 10 oder 12€ erstanden zu haben (in Paris) und selbiger Wein wird nun bei etwa 18€ angeboten, gab also eine kleine Preisanpassung;-)
Ich denke, dass das Thema Lagerung etwas strapaziert wird. Ob er nun bei 14 oder 16° liegt, das macht den Braten nicht fett, auch 20° wenns nicht lang ist. Temperaturschwankungen sind das Problem, aber das ist hier ja längst bekannt. Spitzenwein für Lagerungen ab 1 Jahr und länger profitieren im Fall aber enorm von einer gleichbleibend niedrigen Temperatur im dunkeln bei ausreichend Feuchte. Da ist es egal ob vin naturel oder first growth!
Wenn du ihn kriegst verkoste mal bitte den Oratoire Saint Martin p’tit Martin, den gibt es einmal leicht geschwefelt und einmal ohne Schwefel (rote Wachskapsel), sollte da unten so bei 8€ zu bekommen sein. Vielleicht mal interessant das zu vergleichen, vor und/oder nach der Autofahrt!
Ach ja, beschreib mir mal was du mit Himbeer-Traubenzucker Noten genauer meinst! Vielleicht sind es Aromen aus der maceraton carbonique die dich ein wenig stören? Ist stilistisch halt schon anders als Maischegärung.
Cordialment
Alex
P.S. Ich habe vor kurzem einen Wein mit ein paar Sommelierfreunden in einer Dreiecksverkostung blind probiert, den ich etwa 4 Monate seit April im Auto liegen hatte. Gegen den gleichen Wein, der über die Zeit in meinem Kühlschrank lag. Der Wein war Weiß Jahrgang 2008, unfiltriert und ungeschwefelt – Hardcore producer! Es war nicht leicht, aber wir haben alle eine Varianz in der Flasche erkannt. Diese war minim, aber spürbar. Keine Trübung, Nachgärung etc. Die Akzeptanz war für beide Flaschen gleich, die Reifung in der chauffierten Flasche war leicht fortgeschritten. Der Wein Erschütterungen und Temperaturen zwischen 5 un 35°C ausgesetzt. Vielleicht ist das nicht bei allen Weinen so relativ glimpflich, da muss man noch mehr Erfahrung sammeln, aber interessant mal zu sehen!
Hallo Alex
und vielen Dank für die vielen Infos! Den Oratoire St-Martin sollte ich hier wirklich leicht bekommen, ist ja quasi um die Ecke. Heute war ich in Aubenas und habe bei der (Ardèche-)Gelegenheit gleich mal den “Bulles de Rosé” von der Domaine de Mazel mitgebracht – ist schließlich ziemlich sommerlich hier 😉
Was Du mit der macération carbonique ansprichst, ich denke auch, dass das für einen Teil dieses von mir einfach mal so bezeichneten “Himbeertraubenzucker-Tons” verantwortlich ist. Ich kenne allerdings auch Weine wie z.B. den Beaujolais Vieilles Vignes Cuvée Primeur von der Domaine de Vissoux oder die Cuvée Première von Jean-Paul Brun (Terres Dorées), die – soweit ich weiß – auch reine “Carbo”-Weine sind und diesen Ton nicht besitzen. Es schmeckt eher nach einem Rest unvergorenen Fruchtzuckers. Genau kann ich es also nicht sagen, aber ich werde ab jetzt bei meinen Aufzeichnungen jedesmal darauf achten, ob auch (leicht) geschwefelte Carbo-Weine diese Note für mich besitzen.
Was Deine Erfahrungen mit der etwas unkonventionell aufbewahrten Flasche anbelangt, das finde ich sehr spannend. Vielleicht müsste man wirklich mal ganz systematisch unterschiedliche Versuchsbedingungen “aufbauen”, um statistisch ein paar validere Aussagen machen zu können. Bislang – das ist bei mir ja auch so – neigt man immer ein wenig zu “gefühlsmäßigen” Werturteilen oder zu solchen, die sich nur auf Einzelflaschen beziehen. Wer weiß, welche Faktoren wirklich für Varianzen verantwortlich sind…? Wobei ich natürlich kein Geisenheimer bin und nicht sagen kann, ob sich dort schon jemand systematisch (und nicht von der Industrie gesponsert) mit dem Thema auseinander gesetzt hat. Wäre interessant zu erfahren.
Hi Matze,
wenn du Jean Paul Bruns Cuvee Premiere meinst, die ist tatsächlich mac carb. Allerdings ein Wein aus den jungen Reben für den Sommer. Die alten Reben sind meines Wissens nach im L’ancienne versammelt und hier haben wir keine reine carbo sonder ehr so semi. Er sagt dazu eine “fast burgundische Fermentation”. Der vielles vignes Cuvee Primeur sagt mir jetzt auf Anhieb nichts, wo hast du den denn gehabt? Jahrgang?
Hallo Alex,
von Jean-Paul Brun habe ich beide schon probiert, die “Cuvée Première” und von den “Anciens” den Buissy. Der war in der Tat nicht nur fast, sondern fast ganz burgundisch;). Kannst Du bei Christoph auf dem Blog nachlesen, der Wein hatte uns sehr gefallen: http://www.originalverkorkt.de/2011/07/beaujolais-cuvee-l%E2%80%99ancien-vieilles-vignes-2005-domaine-des-terres-dorees-jean-paul-brun/
Von der Domaine du Vissoux habe ich aus dem Jahrgang 2007 zwei “Primeurs” getrunken, die natürlich eine ganz andere Qualität hatten als das, was ansonsten unter dieser Bezeichnung auf den Markt kommt. Das waren “Les Griottes” und die “Vieilles Vignes”, beide probiert und gekauft im Cave des Oblats in Liège (www.cavedesoblats.com).
Meine Mail gebe ich Dir gern, sie steht im Impressum. Stress Dich nicht mit dem Nachfragen, aber es wäre natürlich schon super interessant zu sehen…
Nochwas, wenn du mir deine Mail gibst, sende ich dir mal ein/zwei pdf. über Weinalterung (Rotwein) und Kolloide im Wein und die Auswirkung auf die Alterung. Nehme mal wieder Kontakt zu den alten Profs auf, um herauszufinden was es da an Veröffentlichungen/Publikationen zu dem Thema gibt. Halte dich auf dem laufenden…
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