Das habe ich früher immer geliebt. In der Uni-Bibliothek konnte man damals per Fernleihe Bücher bestellen, die es in einer anderen Bibliothek gab, aber der einzige Anhaltspunkt für den Inhalt war der Buchtitel. Oft genug habe ich dann Bücher mit Titeln bestellt wie “Die Entwicklung der Bevölkerung im 20. Jahrhundert”, und als das Buch dann endlich da war, musste ich feststellen, dass der Untertitel lautete “…am Beispiel der Gemeinde Zipfelwipfelbach”. Eine herbe Enttäuschung, Ärger über den größenwahnsinnigen Autor – und gleich wieder zurück mit dem unnützen Wälzer. So auch hier: schwerste Übertreibung. Denn worüber ich Euch heute berichten will, ist der Beginn der Weinernte in Cairanne.
Heute Morgen bin ich noch vor Sonnenaufgang vom Geräusch der Erntemaschinen geweckt worden. Und als ich in die Zeitung “La Provence” schaute, wurde es bereits auf der Titelseite angekündigt: Die Weinernte hat begonnen! Im Artikel kommt dann Denis Alary zu Wort, der renommierte Winzer aus Cairanne. Was er zu berichten hat, ist wirklich interessant, weshalb ich Euch das hier nicht vorenthalten möchte.
Denis sagt, dass die früheste Weinernte, an die er sich erinnern kann, diejenige des Hitzesommers 2003 war. Am 18. August ging es damals los, bevor die Trauben völlig verdorrt wären. Nach dem enorm frühen Blühbeginn dieses Jahr war man dem Durchschnitt ungefähr zwei Wochen voraus und dachte, dass es dieses Jahr eventuell eine noch frühere Ernte geben könnte. Das kühle und vor allem feuchte Sommerwetter hingegen hätte die Trauben aufgeblasen und die Reife verlangsamt, so dass der Zyklus diesmal sogar länger dauerte als normal. Mittlerweile ist man zwar immer noch ein paar Tage im Voraus, aber es hat sich alles relativiert (die Überschrift der Zeitung findet sich im Artikel nicht mehr wieder…). “Wenn uns der Regen jetzt in Ruhe lässt”, so Denis, “können wir mit der Qualität eigentlich ganz zufrieden sein.” Leider sieht die Wettervorhersage sowohl am Wochenende als auch ab nächsten Mittwoch etliche Regentropfen vor.
Die Ernte findet übrigens bevorzugt in den frühen Morgenstunden statt, denn Denis meint, dass Trauben für wirklich hochwertige Weine besser nicht bei Temperaturen von über 15 Grad geerntet werden sollten. Dank der starken Tag-Nacht-Unterschiede seien die Farbmoleküle in der Schale dieses Jahr sehr konzentriert, so dass man die dunkelsten Weine seit über zehn Jahren erwarten könnte.
Denis Alary ist übrigens gar nicht unzufrieden, wenn sich die Ernte noch ein wenig nach hinten verzögern würde. “Hierzulande”, meint er, “erntet man besser nicht im August. Wenn man Erntehelfer oder Maschinen braucht, ist man dann nämlich schnell am Ende.” 500 Erntehelfer werden dieses Jahr in Cairanne erwartet, 4.000 im gesamten Vaucluse, besonders in der Appellation Châteauneuf-du-Pape. Fast niemand dagegen kommt in die AOC Côtes du Ventoux. Warum nicht? Yves Favier, Chef der Vignerons de Mont Ventoux in Bédoin, erklärt: “Bei uns in der Appellation wird fast ausschließlich maschinell geerntet. So bekommen wir die Trauben schneller in den Keller.” In Cairanne hingegen möchte man ein echter Cru werden wie Gigondas, Vacqueyras oder eben Châteauneuf-du-Pape. Momentan heißt die Appellation noch umständlich “Côtes du Rhône Villages Cairanne”. In den selbst definierten Vorgaben, die bei der Beantragung der AOC im Jahr 2009 nach Paris geschickt wurden, ist als wichtiges Element die 100%ige Handlese enthalten. Deshalb also die vielen Erntehelfer.
Der vom Volumen her mit Abstand wichtigste Produzent in Cairanne ist die Genossenschaft, die sich mittlerweile etwas verbrämt “Camille Cayran” nennt. Ihre Weine haben mir schon immer gut gefallen, weil sie den Charakter des Südens in sich tragen, aber nie überkonzentriert wirken. In meiner Zeit in Liège habe ich im dortigen Cora gern den “Prestige du Connetable” (in Beton ausgebaut) als Alltagswein und den Terre des Seigneurs (Barriqueausbau) als Festtagswein gekauft. Was mir dabei auch gefallen hat, ist das späte Distributionsdatum. In den diversen Läden und Supermärkten der Gegend stehen derzeit die Jahrgänge 2006 (Connetable) und 2004 (Seigneurs) in den Regalen.
Was die Vinifikation betrifft, bin ich mir nicht sicher, ob sie das mittlerweile nicht anders handhaben. Für den aktuellen 2009er Jahrgang wurde teils mit Kohlensäuremaischung wegen der Frucht gearbeitet, während nur eine Partie später ins Barrique kam. Vielleicht wollen sie weg von der langen Lagerfähigkeit… Der 2004er mit seinen für die Gegend moderaten 13,5 vol% ist jedenfalls ausgesprochen gut gelungen. Grenache, Syrah, Mourvèdre von alten Reben, unfiltriert abgefüllt, alles also in bester Rhône-Tradition. Im Glas steht ein dunkles Rot mit noch erstaunlich lebendigem Rand, sieht keinesfalls gealtert aus. In der Nase ist viel Beerenfrucht zu spüren, ein sehr expressiver Wein. Am Gaumen kommen zunächst ebenfalls Brombeernoten, dann ein minimaler Holzeinfluss und als charakteristisches Element eine enorme, pfeffrige Würze. Warm, südlich, dennoch ausgewogen, mit der klassischen Frischeader, wie sie eigentlich alle guten Südrhôneweine haben sollten. Gegen Ende ist das Tannin leicht spürbar, aber bereits schön eingebunden, der Abgang ist überdurchschnittlich lang. Ein Wein, der jetzt auf seinem Höhepunkt ist – und das für weniger als 9 €. Ich zücke hier aktuelle 15 MP.
Bei der Gelegenheit möchte ich an dieser Stelle noch einmal einen ausgezeichneten Artikel von der Baccantus-Seite verlinken, in dem Ihr noch jede Menge anderer Rhône-Tipps findet. Ich hatte ihn damals im Rahmen der Weinrallye # 44 gelesen und mich stante pede an die Rhône gewünscht.
Ja Cairanne. In der Regel kommen von hier wirklich verlässliche Weine. Sicherlich ein Dorf mit Ambitionen auf den Cru Status. Früher habe ich gerne die Domaine Les Terrasses Du Belvedere in Cairanne besucht. Der CDRV VV war immer ein toller Wein für eigentlich kein Geld – damals irgendwo zwischen 6 und 8 EUR.
Die Domaine bietet noch nen’ schönes Ferienhaus mit Pool
http://www.provence.guideweb.com/location/belvedere/indexa.html
und liegt in Cairanne an der Route du Carpentras.
Grüße Jens
Bin ich gestern auch dran vorbeigefahren. Übrigens bin ich per Zufall, weil ich eine Umleitung nehmen musste, durch das kleine Dorf Villedieu gekommen. Wunderhübsch! Alle saßen auf dem Dorfplatz unter Platanen. Das “Café du Centre” hatte etliche Tische rausgestellt, das Essen scheint sehr gut zu sein. Auf dem oberen qype-Bericht sind auch zwei Fotos, die die Atmosphäre sehr schön einfangen: http://www.qype.fr/place/278492-Cafe-du-Centre-Villedieu
Hallo Matze,
wenn du noch mal nach Cairanne kommst, neben Alary und dem Clos St. Oratoire finde ich als eher noch Geheimtipps die Domaine d´ Aeria und die Domaine Boisson interessant, kannst ja an den Weinen dieser Erzeuger ermessen, ob es für den Cru Status schon reicht. Bei meinen zugegeben noch spärlichen Erfahrungen mit den Neu-Crus Vinsobres und Plan de Dieu bin ich mir noch nicht so sicher, ob das wirklich schon nötig war. Die Rotweine der AOC Beaumes de Venise rechtfertigen sich meiner Meinung nach schon eher.
Plan de Dieu sehe ich auch mit gemischten Gefühlen. Wo sollen denn sonst die Standard-Côtes du Rhône-Weine herkommen, wenn nicht von hier? Vinsobres ist auch nicht mehr als ein Villages-Wein. Leider hatte ich vor einigen Tagen da Probleme mit Korkschmeckern, aber das hat mit der Appellation natürlich nichts zu tun. Cairanne finde ich von dem, was ich bislang probiert habe, auch am ehesten gerechtfertigt. Hat dasselbe Niveau wie Rasteau, und die sind ja schon AOC.
Aber es kommt hier bei diesen so nahe beieinander liegenden Appellationen praktisch nur auf den Produzenten an. Jetzt während der Lese sieht man die Unterschiede noch einmal krasser. Der eine geht schon um fünf Uhr morgens mit seinen Helfern durch, der andere rupft um 13 Uhr alles ab und lässt die Trauben dann noch zwei Stunden auf dem Hänger bei der Hitze stehen…
Hallo Matze,
einen nicht mehr als durchschnittlich sehr guten Plan de Dieu hab ich auch grade angerissen – als Campingwein zu Trangia deluxe (siehe aktuell auf meinem Blog) ging der ganz gut durch, aber höhere Weihen?
Und Rasteau hat nun auch eine eigenständige AOC? Früher galt die doch nur für den Vin Doux Naturel (der übrigens ruhig mal probiert werden sollte)…
Ich bin nicht mehr up to date an der südlichen Rhone, aber wer ist das schon noch?
Was die unterschiedliche Herangehensweise der einzelnen winzer angeht, so ist das halt wie wohl mehr oder weniger überall.
Beste Grüße
Torsten
Ja, das ist ein echtes Durcheinander hier.
Also Rasteau, Vinsobres und Beaumes-de-Venise haben mittlerweile eine eigene Appellation, Gigondas und Vacqueyras hatten die ja schon seit längerem. “Plan de Dieu” ist eine neue geographische Zusatzbezeichnung für die CDR-Villages-Weine der Fläche nordöstlich von Orange, “Massif d’Uchaux” gibt’s seit dem Jahrgang 2005 auch als neue “Dorflage”. Die AOC “Coteaux du Tricastin” hat sich seit dem Jahrgang 2010 übrigens in “Grignan-les-Adhémar” umbenannt, weil die Winzer nicht immer mit dem Atomkraftwerk Tricastin in Verbindung gebracht werden wollten. Scheint sich irgendwie negativ auf die Verkaufszahlen ausgewirkt zu haben…
Ich war heute früh übrigens in den Weinbergen von Cairanne unterwegs, wo die meisten Trauben noch nicht gelesen worden sind. Sieht in den meisten Parzellen ganz anders aus als hier, viel liebevoller gepflegt, obwohl es nur schlappe fünf Kilometer entfernt ist.
Ich danke dir für diese weitergehenden Infos.
beste Grüße
Torsten.