Paris ist wahrscheinlich nicht der allererste Ort, der einem einfällt, wenn es um authentisches indisches Essen geht. Aber so kann man sich täuschen. Eines der momentan dynamischsten und interessantesten Viertel für kulturelle und kulinarische Entdeckungen erstreckt sich nämlich von der Nordostseite des Gare du Nord bis zum Boulevard de la Chapelle. Und es ist ein indisches Viertel. Ein südindisches, um genau zu sein. Hier gibt es DVDs jenseits von Bollywood, farbenprächtig bestickte Umhänge und ebenso farbenprächtige frische Fische, blau schillernd mit gelben Punkten. Kein Wunder, dass man in den zahlreich vorhandenen Restaurants und Imbissen noch echte Entdeckungen machen kann.
Wenn es um indisches Essen geht, sind wir Mitteleuropäer in der Regel auf nordindische Speisen angewiesen. Ich kenne praktisch kein Restaurant, das explizit südindische Küche anbieten würde (gut, eine Ausnahme, das “Chennai” in Berlin – okay, das “Kerala” in München noch). Alles, was wir an indischen Essbegriffen so kennen, stammt aus dem Norden des Landes. Das reicht von Samosa über Naan, Tikka, Tandoori, Korma, Paneer, Masala oder Rogan Josh bis Vindaloo. Das hat mit der Migrationsgeschichte zu tun und natürlich damit, dass sich die Moghulküche als hochwertige Interpretation indischer Kulinarik weltweit durchgesetzt hat. Übertragen gesprochen ist es wahrscheinlich auch leichter, in New York einen Tafelspitz zu bekommen als Braunkohl mit Bregenwurst.
Andererseits: “Südindien” als Einheit existiert eigentlich gar nicht. Es gibt beispielsweise vier dravidische Hauptsprachen (Kannada, Telugu, Malayalam, Tamil), die jeweils über eine eigene Filmindustrie verfügen. Andererseits sind die Sprachgrenzen gar nicht so trennscharf vorhanden, und das gilt auch für die Küche. “Mein” Restaurant bezeichnete sich beispielsweise als “Malayane Café”, obwohl die Besitzer aus dem Staat Tamil Nadu stammen und nicht aus Kerala, wo sich der Schwerpunkt der Malayalamsprachigen befindet. Ich weiß, das hat alles nichts mit der Frage zu tun, ob es mir geschmeckt hat oder nicht, aber es ist doch immer wieder interessant, was man in einer Weltstadt wie Paris alles im Vorbeigehen dazulernen kann.
Auf einen Fehler, der mir unterlaufen ist, muss ich Euch allerdings gleich hinweisen: Im “Malayane Café” bestellt man sich mehrere kleine Tellerchen. Das ist noch kein Fehler. Aber die Preise sind derartig niedrig, dass ich glaubte, es mit kleinen Tapas zu tun zu haben. Der Kellner blickte mich zwar voller Respekt an, aber er war zu höflich, mich auf meine unmäßige Bestellung hinzuweisen. Vielleicht hatte der Fremde ja tatsächlich einen solch gewaltigen Hunger, mag er sich gefragt haben. Jedenfalls standen nachher für weniger als 15 € vier vollständige Speisen auf dem Tisch vor mir. Und nein, ich habe nicht alles geschafft, obwohl es köstlich war und ich mich nach Kräften bemühte.
Während ich auf das Essen wartete, schaute ich mich ein bisschen im Restaurant um. Sehr interessant. Die Einrichtung folgt Geschmacksvorbildern, die uns gleichzeitig bekannt und fremd vorkommen. Es handelt sich nämlich um das Indien der 70er und frühen 80er Jahre: braune Kunstlederstühle, Resopaltische, ein indirektes grünes Neonlicht von der Decke (macht eine gesunde Gesichtsfarbe), dazu ein riesiger Bildschirm in der Ecke, auf dem ellenlange südindische Award-Verleihungen ausgestrahlt wurden. Es gibt sicher schickere Restaurants in der Gegend, die sich auch für eine romantische Verabredung eignen. Aber im “Malayane Café” kann ich mir sicher sein, keine (pardon) vegetarisch-fade Mädchenkost vorgesetzt zu bekommen.
Die meisten Gerichte habe ich mehr schlecht als recht fotografiert. Geht mit der Maus einfach über das Foto, dann wird der Titel angezeigt. Los geht es mit “Nei Dosai” (oberstes Foto; ich schreibe die Speisen so, wie sie auf der Karte standen). Das ist ein mit Frischkäse gefüllter, relativ knusprig-weicher Teigfladen. Dazu gibt es vier Thalis, also verschiedene, pikant gewürzte Beilagen. Fast gleichzeitig kommt das “Oeuf Parotha” auf den Tisch. Es handelt sich dabei um einen mit Ei gefüllten, viereckigen Teigfladen, der eine etwas festere Konsistenz besitzt als das Gericht davor. Als noch die “Malayan Nouilles Agneau” an den Tisch kommen, wird mir endgültig klar, dass ich übertrieben habe. Auch wenn sich die Beschreibung “kurze Spaghetti mit Lammstücken” ein wenig gewöhnlich anhört; die Sauce ist gut würzig, die Lammstückchen schön gegrillt. Auf dem Foto sieht es übrigens so aus, als hätte es zwei verschieden farbige Nudelportionen gegeben. Nun, das grüne Neonlicht stand direkt über einer Tellerseite…
Als Beilage hatte ich noch “Naan nature” geordert, also das “Pizzabrot” aus mit Joghurt gesäuertem Teig, das diesmal kleiner und fester als gewohnt ausfiel. Eigentlich hatte ich ja auch bei dem Gericht “Kothu Légumes” an eine schlichte Beilage gedacht. In Wirklichkeit handelte es sich aber um einen ungemein interessanten Berg von würzigem Gemüse mit vielen Zwiebeln und Pfannkuchenstückchen. Vielleicht war das sogar das Highlight des gesamten Essens. Statt eines Zuckerrohrschnapses, der auch nicht schlecht gepasst hätte, nahm ich zum Schluss noch einen Chai, also einen Tee. Ein indischer Tee ist aber natürlich kein ostfriesischer, denn ich bestellte einen “Chai Masala“, der mit Kardamom gewürzt und viel süßer Kondensmilch verlängert wird. So muss es tatsächlich in Indien schmecken, auch wenn ich in diesen zwei Stunden vermutlich die Hauptmahlzeit für eine ganze Woche verputzt habe.
Mein Fazit: Spart Euch in Paris das zehnte Bistrot und geht einfach mal in ein Restaurant in diesem ganz frischen Einwandererviertel. Die Atmosphäre ist zurückhaltend und herzlich, das Essen günstig und sehr authentisch. Was will man mehr? Übrigens deuten einige Etablissements schon an, dass es hier in nicht allzu langer Zeit auch ein südindisches Spitzenrestaurant geben dürfte. Haltet also die Augen offen.
Malayane Café, Rue Perdonnet, 75010 Paris; geöffnet, wann immer notwendig. Ihr könnt Euch bei Streetview auch die Rue Perdonnet, die Rue Louis Blanc oder die Rue Cail anschauen. Leider scheint ein großer Teil der Aufnahmen an einem Sonntag gemacht worden zu sein, als etliche Geschäfte geschlossen hatten. Es vermittelt trotzdem einen guten Eindruck, aus welcher Vielfalt Ihr hier mittlerweile wählen könnt.
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