Den Gedanken an diesen Artikel trage ich schon eine ganze Weile mit mir herum. Die Horizontal-Verkostung der Müller’schen Weine aus dem Scharzhofberg und der Braunen Kupp trug sich nämlich bereits vor ein paar Monaten zu. Aber erstens hatte ich vergessen, Fotos zu machen, was einen Artikel immer ein wenig spröde wirken lässt. Und zweitens kamen mir ständig andere Themen dazwischen. Jetzt ist es aber soweit, wenn auch nur dank eines dummen Zufalls: Da ich mein Notizheft mit den Aufzeichnungen der beiden aktuellen Weinproben (Priorat mit Torsten und weiße Rhône mit der Bonner Weinrunde) gestern in Bonn habe liegen lassen, kommt Egon IV. endlich zum Zuge.
Über Egon Müller und seinen Scharzhof braucht man Weinkennern kaum etwas zu erzählen. Das Gut an der Saar ist schlicht die im Ausland bekannteste Adresse, was deutschen Wein anbelangt. Die edelsüßen Riesling-Spezialitäten erzielen regelmäßig Preise, die weit ins Reich der Spekulation hinein ragen. Dabei werden im Jahr durchschnittlich nur etwa 70.000 Flaschen der verschiedenen Prädikate erzeugt. Die Grands Crus des Médoc bringen es beispielsweise jeweils auf 300.000 bis 400.000 Flaschen. Dass wir es bei diesem Vergleich mitunter mit denselben Konsumenten zu tun haben, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass eine Scharzhof-Auslese preislich bereits weit im dreistelligen Bereich liegt. Aus diesem Grund ist man als Amateur natürlich immer sehr scharf darauf, einen dieser besonderen Weine auch einmal zu probieren, ohne gleich eine ganze Flasche aussüppeln zu müssen.
Eine dieser seltenen Gelegenheiten eröffnete sich mir völlig unverhofft. Ich hatte beruflich in Essen zu tun und wollte nach getaner Arbeit noch einmal schnell im „Vino Grande“ von Thomas Kierdorf vorbeischauen. Ich kannte das Angebot dieser Weinhandlung schon aus dem Internet. Schaut Euch vielleicht mal die Preisliste durch und überlegt dann, ob Ihr das Postsparbuch bei den heutigen Zinsen nicht doch lieber vorzeitig auflöst. Jedenfalls interessierte mich, wer hinter diesem fantastischen Angebot steht und wie die zugehörige Weinhandlung aussieht. Um es einmal vorweg zu nehmen: Die Weinhandlung befindet sich in einem südlich der Innenstadt gelegenen Viertel aus der Vorkriegszeit und ist nett, aber nicht spektakulär eingerichtet. Der Besitzer passt mit seiner freundlich-offenen Art ebenso viel eher zu echten Weinfreunden als zu Etiketten-Schnöseln. Ein Ort also, den man wirklich besuchen sollte.
Das vor allem wegen der Probemöglichkeiten, die einem bei einer Internet-Bestellung natürlich entgehen. Das Konzept ist schlichtweg genial für mich. Okay, ich übertreibe, es handelt sich nicht um die Neuerfindung des Rades, aber es eröffnet dem Weinhändler die Möglichkeit, die Freibierklientel ein wenig einzudämmen und trotzdem hochwertige Weine aufzuziehen: Die Probeschlucke müssen nämlich bezahlt werden, und das nach einem glasklaren System, das der Verkostungsliste zu entnehmen ist: Jeder Wein wird einzeln berechnet. Einen einfachen Wein kann man dabei für 40 Cent antesten, für einen höherwertigen muss entsprechend mehr hingeblättert werden, 1,50 € zum Beispiel für ein Großes Gewächs (es gab auch Schäfer-Fröhlich an diesem Tag). Die Scharzhofberger Auslese, die ansonsten im Laden für 190 € zu haben ist, kostet als Probe auf diese Weise 9 €. Und einen solchen Preis bin ich gern bereit zu zahlen, zumal es hier ohne Voranmeldung, Warteliste und Krawattenzwang zugeht.
Jetzt aber zu den Weinen. Alle stammten aus dem saftigen 2009er Jahrgang und präsentierten sich entsprechend zugänglich. Aber das ist ja den Müller’schen Weinen zu eigen, dass man sie ebenso gut jung wie in 50 Jahren trinken kann. Den „einfachen“ Scharzhof Riesling, den Gutswein sozusagen, habe ich diesmal nicht zusätzlich getestet, weil ich mir ja schon eine Flasche davon zugelegt hatte (das Ergebnis könnt Ihr hier lesen).
Der erste Wein ist ein Kabinett aus der Wiltinger Braunen Kupp (23 € im Laden), von Egon Müllers Zweitgut oder eher Zweitlinie “Le Gallais”. Diese Lage ist klein (4 ha), steil und mit hohem Skelettanteil gesegnet (Schieferverwitterung). Vielleicht liegt es daran, dass sich die Lage im Alleinbesitz der Müllers befindet, vielleicht auch an der Zweitlinien-Philosophie, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Weine nicht die Beachtung finden, die sie eigentlich verdienen. Die Nase ist jedenfalls weißfruchtigst, ganz heller Weinbergpfirsich, eine ziemlich einmalige Sache. Am Gaumen setzt sich diese sehr helle Frucht fort. Säure und Saft sind perfekt ausgewogen in einer ganz eigenen Aromatik. So wie ich gehört habe, soll die 2010er Spätlese (gibt es hier) einer der ganz großen Weine werden – ich kann es mir vorstellen. 7 Punkte für Eleganz, ebenso viele für Charakter, macht krass hohe 17 MP zum Einstieg.
Der Kabinett aus dem Scharzhofberg (32 €) erstaunt dann mit einer ganz anderen Aromatik. Mehr als vier Kilometer sind die beiden Lagen nicht voneinander entfernt, der Scharzhofberg besitzt allerdings hauptsächlich Grauschiefer im Untergrund. Vielleicht liegt es auch am Ausbau im gebrauchten Fuderfass (die Kupp-Weine werden spontan im Edelstahl vergoren), aber das wirkt sich auf die Fruchtnote eher weniger aus. Hier jedenfalls kommt statt des Weinbergpfirsischs viel Stachelbeere an die Nase, dazu noch weiße Johannisbeere, es bleibt aber sehr hellfruchtig. Am Gaumen fällt die deutlich intensivere Aromatik auf: Die Fruchtnoten bleiben dieselben wie in der Nase, nur ist alles eine Intensitätsebene weiter oben angesiedelt. Das Säuregefühl wirkt dafür geringer als bei der Kupp, 2009 war halt ein saftiger Jahrgang. Ich komme nicht umhin, wieder 7 Punkte jeweils für Eleganz und Charakter zu geben und insgesamt gar noch ein halbes Pünktchen draufzulegen: 17,5 MP.
Jetzt zur Spätlese aus dem Scharzhofberg (59,90 €): In der Nase wirkt der Wein erst wie eine exakte Kopie des Kabinetts mit seinen Stachelbeernoten. Die Frucht ist allerdings sanfter, cremiger, und später kommt noch eine ganz seltene Komponente dazu. Ich weiß nicht, ob man hier von der typischen Stahligkeit der Saarweine sprechen kann. Für mich ist das eindeutig ein Geruch nach Zinkwanne, in der wir Kinder bei den Großeltern im Sommer immer gebadet haben. Am Gaumen wirkt die Spätlese wieder etwas säurereicher als der Kabinett (wie gesagt, alles sensorisch und nicht analytisch) und ungemein elegant. Die Frucht nimmt dabei eine etwas exotischere Note an, so in Richtung Litschi oder gar Guave. Dies ist einer der elegantesten Weine, die ich je getrunken habe, 9 Punkte also für Eleganz, 7 für den Charakter, macht 18,5 MP. Und da kann es noch Steigerungen geben?
Für jene soll nach dem Willen der Weintester die Scharzhofberger Auslese (190 €) verantwortlich sein. In der Nase empfängt mich dieselbe Aromatik wie bei der Spätlese, aber fast ein wenig zurückhaltender. Dazu kommt ein leichter Hauch Lösungsmittel, Acetonspuren. Wenn ich von einem Hauch spreche, meine ich damit natürlich nicht die volle Uhu-Breitseite. Am Gaumen präsentiert sich der Wein vielschichtiger als die Spätlese: erst einmal eine höhere Süßeanmutung, aber immer noch im sehr moderaten Bereich, dann weiße Birne und eine gewisse Salzigkeit. Ich persönlich findet den Wein eine Nuance weniger elegant als die Spätlese. 8 Punkte also für Eleganz, ebenfalls 8 für Charakter, macht insgesamt 18 MP. Das ist also nicht die ungeheuerliche Steigerung gegenüber der Spätlese, aber zweifellos ein großer Wein.
Mein Fazit: Der Gutsstil zieht sich vom kleinsten bis zum größten Wein durch, radikal und ohne Kompromisse. Wir haben es hier mit reintönigen, hellen und zarten Weinen zu tun, die Freunde dicker, roter Marmelade in Erstaunen versetzen dürften. Warum, werden jene sich fragen, sind diese Leichtweine so teuer, wo sie doch so wenig Bumms besitzen? Ganz einfach deshalb, weil sie eine innere Spannung und eine Strahlkraft aufweisen, die großmeisterlich ist. Ich sage es mal ganz platt: Wer diese Weine nicht fantastisch findet, versteht nicht viel von Wein.
Über die Preise lässt sich natürlich streiten. Ist der Geldbeutel gut gefüllt, steht zumindest einer Spätlese nicht viel im Wege. Ist er weniger gut gefüllt, taugt auch der Scharzhof Riesling mit seinen 14 € für die Horizonterweiterung. Wer allerdings die Egon-Müller-Weine täglich als Hauswein zu sich nimmt, sollte mit einem Kaufverbot belegt werden.
Die Braune Kupp war auch immer einer meiner Lieblinge und ein zuverlässiger Lieferant noch bezahlbarer Qualitäten. Ist ja klar, Underdog eben.
Egon Müller musste allerdings nicht eine Sekunde nachdenken, als ich ihn vor geraumer Zeit fragte, wem denn seine Vorliebe gehört. Dem Scharzhofberg natürlich, und zwar uneingeschränkt. Für’s liebenswert Unvollkommene oder auch nur eine Spur bäuerliche ist in seiner Produkt-Philosophie wenn, dann nur am ganz am Rande Platz.
Ja, das ist halt immer die Sache mit der Großbourgeoisie 😉
Liegt sicher auch daran, dass der Scharzhofberg der Haus- und Famiienweinberg ist. Das Gut und gleichzeitig Wohnhaus der Familie liegt direkt darunter:
http://www.weinlagen-info.de/?lage_id=1633
Das stimmt sicher. Generationen an Egons dürften hier ihre ersten Weintrauben probiert haben.
Hi Matze!
Die Weinhandlung von Thomas Kierdorf ist wirklich zu empfehlen. Die Auswahl, auch an älteren Weinen, ist groß. Der Focus auf Deutschland und Österreich mach Sinn. Hier kennt sich Thomas Kierdorf wirklich aus und ich wüßte keinen, der eine größere Auswahl bietet und keinen, der so fundierte Kenntnisse in beiden Weinländern vorweisen kann. Die Möglichkeit der Weinprobe am Freitag und Samstag nutze ich auch häufiger und ja, es ist einfach toll, was man dort gegen Bezahlung ins Glas bekommt. Der jährliche Event im Schloss Hugenpoet ist auch immer sehr hochkarätig.
Ich war besonders von den älteren Österreichern beeindruckt, denn die bekommt man hier im Westen ja nicht alle Tage zu Gesicht. Nur mal als Anregung aus der Preisliste: Es gibt nicht weniger als sieben verschiedene große GV aus 2001…
War heute in Essen und hab’ nen paar ältere Knolls und Löwensteins mitgenommen….
Super, da hast Du ja Glück gehabt! Wie ich erfahren habe, gibt es zwei Lager (was bei den Mengen großartiger Weine auch nicht verwundert), und das zweite ist doch eine Ecke weg. Beim Bestellen im Internet macht das natürlich nix, aber von der Liste ist natürlich nicht alles täglich im Laden vorhanden.
Ja, das ist ein schöner Laden. Übrigens, dieses Bezahlkonzept bei Proben gab es auch bei Mövenpick, als es den Laden noch gab in Köln. Allerdings haben die nie bei unter einem Euro angefangen und für ein Glas Haut-Brion konnte man da auch mal 20 Euro bezahlen.
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