Vermutlich seid Ihr in puncto mittelalterlicher Dichtkunst ein wenig bewanderter als ich. Ob Ihr allerdings ohne Zögern erklären könntet, was es mit den Goliarden so auf sich hat und wer ihre bekanntesten Vertreter waren, nun ja… Aber selbst wenn wir alle diese spöttelsingenden Kleriker des 13. Jahrhunderts nicht mit Namen anreden können, ihr Domizil, die Weinbar „Os Goliardos“ in Lissabon, dürfen wir alle betreten. Und da es sich ohne Übertreibung um die beste Weinbar der Hauptstadt handelt, lässt sich das Lehrreiche mit dem Angenehmen sehr schön verbinden. Die Entdeckung der Goliardenbar habe ich übrigens – wie so häufig – einem Zufall zu verdanken.
Ich hatte mich in Lissabon schon seit einiger Zeit mit dem dortigen Wein respektive seiner Herstellung beschäftigt. Aufgefallen war mir, dass zwischen mittelalterlich anmutenden Methoden und dem Neuwelt-Marmeladigen irgendwie eine große Lücke im weinphilosophischen Bewusstsein der Portugiesen klafft. Es musste doch möglich sein, ein Weingut zu finden, dass einerseits naturnahe oder gar biodynamische Methoden in Weinberg und Keller anwendet und andererseits voll im Hier und Jetzt steht. Bei der Suche danach bin ich auf ein paar, nun ja, Trittbrettfahrer der Biowelle getroffen, letztlich aber auch auf ein kleines Weingut, das meinen Vorstellungen entspricht.
Es handelt sich um die Casa da Mouraz im mittelportugiesischen Dão. Weil manche Dinge auf direktem Weg leichter gehen, habe ich einfach eine Mail an das Gut geschickt und sofort eine Antwort bekommen. Sara Dionísio, die zusammen mit António Lopes Ribeiro die Casa de Mouraz führt, schrieb mir, dass sie sich sehr freuen würden, wenn ich bei ihnen vorbeischauen könnte. Sollte ich keine Zeit haben (was leider der Fall war), gäbe es ihre Weine aber auch in der Bar „Os Goliardos“ in Lissabon. Aha, das ist also der Link.
Ein paar Tage später machte ich mich auf in die Randbereiche des Bairro Alto, dorthin also, wo das Bohemien-Leben noch recht beschaulich ist. Die Goliarden haben immer nur am Wochenende geöffnet, das sollte man bei einem Besuch beachten. Das Ambiente ist genau so, wie es mir gefällt: ein bisschen intellektuell, ein bisschen jung, ein bisschen urban und ziemlich gelassen. Wir bestellten zwei Weine, einen Roten und einen Weißen. Der Rote war der Quinta dos Cozinheiros Lagar 2004, ein traditioneller Tropfen aus der Bairrada, 100% Baga, die herbe Traube also. Der Wein schmeckt elegant-fruchtig, Sauerkirsche, Pflaume, Réglisse, natürlich mit Tanninen, ein schön strenger Stil, viel Würze, sehr portugiesisch. Beim Weißen handelte es sich um den Afros Loureiro 2009, einen Vinho Verde, der zu 100% aus Loureiro gekeltert wird, wer hätt’s gedacht. „Afros“ ist übrigens ein sehr vielversprechendes Projekt von Casal do Paço und wird momentan in Portugal ziemlich abgefeiert. Der Wein verblüfft mich dann sehr: ungeheuer Mandarine und Grapefruit, krass, frisch, fast mit Gerbstoffen, kein magerer Sprudler und wirklich eine andere Interpretation des Vinho Verde.
Nach dem Genuss komme ich auch noch mit den beiden Goliarden selbst ins Gespräch. Der Goliarde spricht ausgezeichnet Englisch, die Goliardin ebenso ausgezeichnet Französisch, und beide zusammen sind einfach unheimlich sympathisch. Selten hatte ich in der letzten Zeit das Gefühl, dass man sich bei einer Unterhaltung einfach so die Bälle hin- und herwerfen kann. Weltinteressiert, ironisch, herzlich, Klugheit im Plauderton und ohne hochtrabendes Gehabe. Denn obwohl dies wirklich die absolut treffendste Weinauswahl in Lissabon ist, gibt es hier keine Prestigeweine zu trinken. Statt dessen sind wirklich die interessantesten Produzenten aus ganz Portugal vertreten. Und aus Frankreich: Aupilhac und Gauby aus dem Midi, de Villaine aus dem Burgund, Baudry von der Loire, Elian da Ros aus dem Südwesten, Ostertag aus dem Elsass… Na gut, ich war eigentlich nicht nach Lissabon gekommen, um einen französischen Wein zu kaufen.
Wie gut, dass man alle Weine auch wie in einer normalen Weinhandlung mit nach Hause nehmen kann – und zwar ohne Bar- und Abendausschank-Aufpreis. Also nahm ich mir den 2008er Weißen der Casa de Mouraz einfach in der Flasche mit. Für 7 €. Es handelt sich um eine Cuvée aus den autochthonen Rebsorten Malvasia fina, Cerceal, Encruzado und Bical. Die Farbe ist sehr kräftig, ein leuchtendes Gelb. In der Nase wirkt der Wein reif, gelb, leicht oxidativ vielleicht, in jedem Fall aber quittig und entwickelt, fast wie Chenin blanc. Am Gaumen setzen sich die Eindrücke nahtlos fort: kräftige Säure, kräftige Materie, feurig, würzig, weiterhin Quitte, dazu noch Koriander, recht viskos. Zum Schluss ist der Wein leider ein wenig kurz nach all dem Feuerwerk, aber bitteschön, für 7 € gibt’s halt keinen Coulée de Serrant. Meine Punkte: 5 für Eleganz, 7 für Charakter, macht 16 MP insgesamt. Rui Falcão verteilte übrigens noch ein Pünktchen mehr, den Wein solltet Ihr wirklich einmal probieren.
Was ich ganz vergessen hatte zu erwähnen: Natürlich gibt es auch etwas zu essen an diesem gastlichen Ort. Portugiesisch-mediterrane Häppchen zum Wein, bei Bedarf aber auch ein ganzes Spanferkel. Naja, fast.
Os Goliardos, Rua da Mãe d’Água 9, Lissabon, DO-SA 19-2
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