Weinrallye 44: Die schwerwiegenden Folgen des Rhônewein-Genusses

“Unbedarft und mit scheuer Neugier trat ich dem Weine entgegen”, so Methusalem-Matze in seinen Memoiren. Flashback: Wir schreiben das Jahr 1996. Als Student aus der Bierstadt Bamberg war Matze durch eine Verkettung von Zufällen in Südfrankreich gelandet. Später wird er dies als “glückliche Fügung” beschreiben. Zwei Monate lang soll Matze auf eigene Faust die Stadt Carpentras kartieren. Er spricht kaum Französisch, hat ein Einzelzimmer in einem Berufsschul-Wohnheim, kennt keinen Menschen, und es wird im Herbst viel zu früh dunkel. Um sich die langen Abende ohne Sozialkontakte, ohne Internet und Fernsehen ein wenig angenehmer zu gestalten, wagt Matze nach Feierabend immer wieder kleine Ausflüge in die lokale Kulturszene. “Intermarché” und “E. Leclerc” heißen seine Ziele.

Kultur, das bedeutet im ländlichen Frankreich in erster Linie Essen und Trinken. Und die örtlichen Supermärkte verschaffen dem erwähnt scheuen Matze die Möglichkeit, anonym und ohne Handlungsdruck an den Regalen entlang zu schleichen. In Deutschland hatte er kaum je Wein gekauft, geschweige denn allein welchen getrunken. Auch mit dem Essen war es nicht weit her: Schaffte er es nicht bis in die Mensa, konnte es auch passieren, dass es fünf Tage hintereinander Nudeln mit Tütensauce gab – Version rot (Tomatengranulat) oder Version weiß (Sahnegranulat), Freunde werden sich noch mit Schrecken an damalige Einladungen erinnern.

Hier im Intermarché zu Carpentras, im September 1996, sah sich Matze plötzlich einer Europalette mit Weinflaschen gegenüber. Rotwein, Côtes du Ventoux 1995, frisch abgefüllt und mit dem Gabelstapler von der örtlichen Kooperative direkt in den Markt gefahren. 9,90 französische Francs sollte die Flasche kosten, umgerechnet 3,30 DM, wie Matze blitzschnell erfasste. Zu einem so edlen Tropfen gehört auch ein entsprechendes Essen. Matze erstand ein Kalbsschnitzel, eine Packung Reis, eine Dose Pilze und Erbsen aus der Tiefkühltruhe. Pfeffer und Salz gab es zum Glück im heimischen Schrank, das hätte er ansonsten nämlich vergessen.

Auf dem Kühlschrank im Zimmer befand sich eine Herdplatte. Hierauf zimmerte Matze sich seine Mahlzeit zurecht. Erst musste er den Reis kochen und wegstellen. Anschließend briet er sich zum ersten Mal selbst einen Lappen Fleisch. Erbsen, Pilze, vorgekochter Reis dazu, Salz, Pfeffer, fertig. Und natürlich der Wein. Sehr hell floss der Rote ins Glas, das konnte man sehen, obwohl es draußen schon wieder dunkel geworden war. Matze schnupperte am Trinkbecher, rote Früchte kamen ihm entgegen. Der Wein schmeckte leicht, frisch, fruchtig, weder garstig noch sauer. Matze war zufrieden. Das Essen gefiel ihm außerordentlich, tatsächlich alles von ihm selbst gekocht, der Wein schaffte noch ein wenig “savoir vivre”-Atmosphäre herbei.

An diesem Abend beschloss Matze, tiefer in die Materie eindringen zu wollen. In der Badewanne löste er das Etikett von der Weinflasche, weil die Spüle keinen Stopfen besaß. Nach dem Trocknen schrieb er seine Eindrücke auf die Rückseite des Papiers und vergab auch gleich seine erste Note, Noten war er aus der Schule gewohnt. Eine glatte Eins. In den nächsten Wochen probierte er noch andere Weine und musste seine im Überschwang verteilte Glanznote ein wenig nivellieren: 1-. Heute würde Matze sagen, aha, hauptsächlich Cinsault, sehr kurze Maischezeit, knapp am Rosé vorbeigeschlittert, sehr gefällig, mit Wohlwollen vielleicht 13 MP.

Irgendwo in einer Kiste habe ich immer noch dieses Etikett mit den schlanken Beschreibungsworten und dem nachträglich mit einem anderen Kuli hinzugefügten Minuszeichen. Zwischen den Worten auf dem Etikett und diesem Artikel hier stehen fast 15 Jahre und mehrere tausend Flaschen Wein. Trotzdem erinnere ich mich immer noch gern an meine damalige Selbst-Initiation. Weil es mir auch heute noch einiges zu sagen hat.

Zum Beispiel: “Jede/r fängt einmal klein an.” Oder: “Schätze die kleinen Weine nicht gering.” Oder: “Hüte dich vor Snobismus, auch wenn du zurecht gegen den industriellen Massenbilligwein ins Feld ziehst.” Oder: “Begeisterung und Neugier sind der Schlüssel für ein interessantes und zufriedenes Leben.” Oder auch profaner: “An der Rhône gibt es eine große Menge toller Weine. Fahr doch endlich mal wieder hin!”

P.S.: Als ich von Christoph das Thema der 44. Weinrallye erfahren hatte, wollte ich eigentlich den 1999er Château Beaucastel testen. Ich hab’s mir anders überlegt. Für mich stand die Rhône am Anfang meines persönlichen Weinuniversums. Hätte ich statt in Carpentras ein Wohngebiet in Oslo kartieren sollen, wäre alles sicher ganz anders gekommen. Jetzt freue ich mich, die Beiträge aller anderen Teilnehmer/innen lesen zu können. Und Ihr sicher auch.

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12 Antworten zu Weinrallye 44: Die schwerwiegenden Folgen des Rhônewein-Genusses

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  2. Eline sagt:

    Geradezu beruehrend, der schuechterne Matze!

    • chezmatze sagt:

      Gell? Glaubt mir heute niemand mehr. In Weinhandlungen habe ich mich erst getraut, als ich zwei bis drei Bücher auswendig gelernt hatte. Ich bin da kein gutes Vorbild.

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  7. oh mon dieu, in Carpentras….bis auf den marché und den marché aux truffes ja immer noch eine ganz traurige, langweilige Provinzstadt….Da kann man sich ja nur betrinken…..

    • chezmatze sagt:

      Ja, aber vom Städtebaulichen her nicht uninteressant. Das römische Achsenkreuz mit Cardo und Decumanus ist noch sichtbar, dann der kleine mittelalterliche Kern mit zwei Erweiterungen, die Faubourgs des späten 19. Jahrhunderts, die verpasste industrielle Revolution (wie fast überall in Frankreich), dann die HLM-Bauten der Nachkriegszeit mit all ihren Problemchen und schließlich die Einfamilienhaus-Zersiedelung. Du siehst, langweilig ist immer relativ 😉

  8. und jetzt auch noch FN conseiller…..

    • chezmatze sagt:

      Ja, schlimm, das war damals schon ein großes Problem. Ich kann mich daran erinnern, dass Carpentras seinerzeit zusammen mit Istres und ein paar anderen einschlägigen Orten mit die höchsten FN-Prozentanteilel in Frankreich hatten. Hat sich scheinbar leider nicht geändert…

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