Kann ich das so einfach behaupten? Kenne ich denn alle portugiesischen Weinhandlungen? Natürlich nicht. Aber dieses Haus von 1927 in der Lissaboner Baixa zu toppen, erscheint mir doch ein sehr schweres Unterfangen zu sein. Irgendwann hatte ich irgendwo einmal gelesen (immer diese präzisen Angaben bei Matze), dass es in einem bestimmten Land dieser Welt eine Art Archiv geben soll, an das jeder Produzent des Landes jedes Jahr eine Flasche seines Weins abzuliefern hatte. Als nationales Erbe sozusagen. Ich glaube, es war Frankreich. Egal. So ähnlich habe ich mich jedenfalls hier gefühlt.
Im Unterschied zum Archiv kann man allerdings in der “Garrafeira Nacional” die Weine auch käuflich erwerben. Das Angebot aktueller Produkte ist dabei schon beachtlich. Alle Hochkaräter sind vorhanden, von Barca Velha über die Quinta do Vale Meão (die man landläufig – wie mir ein anderer Weinhändler erzählte – wegen der Ereignisse um sie herum bereits “Barca Nova” nennt) bis hin zu sämtlichen Niepoorts. Das macht aber noch längst nicht das Besondere aus.
Ein nicht unwesentlicher Punkt ist nämlich die Repräsentativität. Wenn ich sage, dass es hier Weine aus allen Weinbauregionen Portugals gibt, dann schließt das die Inseln mit ein. Madeira ist sicher keine Sensation, die Azoren mit ihrem von der UNESCO geschützten Anbaugebiet auf der Vulkaninsel Pico schon eher. Von dort habe ich nicht nur einen trockenen Weißen aus den Rebsorten Vermelho und Terrantez erstanden, sondern auch einen grotesken roten Hausschoppen. Für 2,90 €, denn es gibt hier bei weitem nicht nur Hochpreisiges. Dazu demnächst mehr.
Die wahren Sensationen tun sich allerdings bei den Altweinen auf. Stöbert doch einfach ein wenig auf der Website der Weinhandlung, und Ihr werdet ein Refugium sondergleichen vorfinden. Vor Ort ist das natürlich noch wesentlich besser zu beurteilen, denn da kann man sich den Wein mit dem besten Füllstand aussuchen. Und das alles zu Preisen, die mich erblassen ließen. 12,50 € für einen Colares von 1967, gar nur 9,90 € für einen Dão von 1957 – und beide sahen flaschenmäßig absolut okay aus. Ich habe mich hier mit zwei Methusalems aus den Sechzigern eingedeckt. Einen davon habe ich bereits getrunken, ein Erlebnis, das natürlich einen eigenen Blogpost wert ist.
Im Klimakeller warten dann die höherpreisigen Schätzchen, wobei die Weinhandlung selbst auch gekühlt ist. Die großen Bordeaux, Burgunder oder Rhôneweine habe ich nur aus dem Augenwinkel betrachtet, deswegen war ich ja nicht hier. Die Barca-Velha-Palette beginnt im Jahr 1964, aber der Süßbereich überbietet alles. Wenn ich meinen schönen Gebrauchtwagen hier in Zahlung geben würde, könnte ich ihren besten Wein trotzdem nicht nach Hause tragen. Die Portweine gehen bis ins Jahr 1840 zurück, die Madeiras gar bis 1720. Es müssen aber nicht gleich mehrere Tausender sein. Für weniger als 100 € könnt Ihr Euch hier mit einem Weinereignis eindecken, das Ihr Euer Leben lang nicht vergessen werdet. Was man von dem neuesten Elektronikschrott, den Ihr letztens vom Media Markt mitgebracht habt, nicht behaupten kann. Ach nein, das wart Ihr ja gar nicht, die Nachbarn waren’s.
Etwas Anekdotisches muss ich Euch zum Schluss noch mitgeben: Dirk van der Niepoort sei übrigens ziemlich oft hier und würde auch alte Weine kaufen. Gern probiert er allerdings vor Ort. Dabei hätte er eine merkwürdige Angewohnheit: Die Weine mit dem meisten Trub fände er am besten. Er gibt denselben sogar in ein eigenes Glas, kaut ihn durch und wäre total begeistert. Die Verkäuferin gruselt’s.
Ich sage hingegen: Auch ohne Jahrzehnte alte Trubstoffe durchzubeißen ist es großartig, sein persönliches weinhistorisches Gedächtnis hier mal wieder neu zu justieren. Dass unter den vielen alten Weinen auch einige darunter sind, die – so drückt es Weinautor João Paulo Martins aus – “ihre Seele bereits dem Schöpfer übereignet haben”, tut der Entdeckungsfreude keinen Abbruch. Wer von Euch nach Lissabon kommt, und sei es nur für ein Wochenende, ein Kurzbesuch in der “Garrafeira Nacional” ist für mich ganz subjektiv ein absolutes Must.
Garrafeira Nacional, Rua de Santa Justa 18, Lissabon (Baixa), geöffnet MO-FR 9:30 – 19:30, SA 9 – 13. Es gibt übrigens keine zwei Geschäfte. Die zweite Adresse auf der Tüte ist der Seiteneingang…
Das klingt wirklich nach einem tollen Weinladen. Altweine: die kann man in Portugal wirklich noch zu erschwinglichen Preisen entdecken. Ich stöberte im Norden immer gerne in Konditoreien, dort wurde ich vor allen bei Portwein fündig. Eine junge Verkäuferin in einem Dorf wollte mir einen unglaublich “günstigen” 1955er nicht verkaufen, weil sie doch auch nicht ganz so alte Ports hätte, die sicher viel frischer und nicht so teuer wären …
Der Norden würde mir zum Herumfahren auch sehr gut gefallen, Galicien noch dazu… Das Meer vor der Haustür werde ich schwer vermissen, das weiß ich jetzt schon. Einen Portwein habe ich hier übrigens noch nicht gekauft, aber leider ist gewichtsmäßig auch nichts mehr drin. Ich meine nicht mich (obwohl…), sondern den Koffer.
Die Weinbibliothek des Jorge Luis Borges… Gewissermaßen. Ach übrigens, der Herr mit den Schweißfüßen auf den Etiketten hat sich bei mir gemeldet 🙂 Mal schauen, ob er was schickt.
Ja, er hatte sich erst bei mir gemeldet, und da habe ich ihm einfach empfohlen, Dich direkt zu kontaktieren. Ohne Dich zu fragen… Aber wenn er von dem Wein noch etwas hat, umso besser, ich habe ihn nämlich nicht mehr bekommen.
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