Ein portugiesisches Sprichwort besagt, dass es mindestens so viele Varianten der Caldeirada geben würde wie Menschen, die kochen. Als Fischsuppe ist die Caldeirada der Bouillabaisse einerseits sehr ähnlich in ihren Prinzipien, andererseits verblüffend anders im Detail. Das liegt in erster Linie an der unterschiedlichen Meeresfauna vor der Haustür. Knurrhahn oder Drachenkopf braucht man hier nicht zu erwarten. Dafür aber Rochen, ein paar Haisorten und – tja – Muräne.
Dabei muss ich fairerweise sagen, dass Muräne gelegentlich auch in der Marseiller Bouillabaisse zu finden ist. Allerdings nur in der Version direkt von der Angel in den Topf. Im Restaurant wird man entweder mit festfleischigen Felsenfischen beglückt oder mit angeblichen Edelfischen malträtiert. Die Muräne, um die es hier geht, ist übrigens genau dieselbe Art wie im Mittelmeer. Sie heißt sogar “Mittelmeer-Muräne”, kommt aber auch in den atlantischen Küstengewässern vor. Nur: Wie bin ich überhaupt darauf gekommen, mir eine solche Caldeirada zu kochen?
Wie Ihr wisst, interessiere ich mich ein bisschen für Meeresfische. Da man solche in Deutschland in der Regel nur sehr variantenarm kaufen kann, bin ich über die Auswahl in südlichen Ländern immer begeistert. Mindestens einmal im Verlauf meines Aufenthalts muss ich dann versuchen, mir selbst ein Fischgericht zu zimmern. Mit den vorhandenen Mitteln einer Art Ferienwohnung (eine Herdplatte, winziges Kochgeschirr) ist das allerdings nicht gerade leicht. In Paris hatte ich mich für die ganz simple und kalte Variante “Seeigel” entschieden, in Istanbul habe ich einen “Kalkan” in die Pfanne gezwängt. Hier in Lissabon hingegen gibt es einen relativ großen Kochtopf. Den muss man doch irgendwie füllen können.
Ich bin also in die Markthalle Ribeira gegangen, strategisch günstig am Samstag Morgen, da die Fischauswahl dann am größten ist. In eine Caldeirada kann man im Prinzip hineinwerfen, was man will, ich erwähnte es ja schon. Dabei gibt es die Version mit Muscheln und Sepia und die Version “Fisch pur”. Ich habe mich für letztere entschieden, eine “Caldeirada de Peixe” also. An einem der Fischstände hatte ich das Glück, dass mir die Qual der Wahl schon abgenommen wurde; es gab nämlich bereits klein gehackte Fischstücke. Wie mir ein älterer Herr und Mitkäufer gleich versicherte: Dies hier ist die beste Caldeirada-Mischung, die man finden kann. Also her damit.
Was ist nun an Fischen drin in dieser Mischung? Ein wichtiger Bestandteil sind Abschnitte vom Safio (Meeraal), der relativ festes Fleisch besitzt, das auch gut ein wenig länger köcheln kann. Beliebt sind auch Haie, und damit meine ich nicht die riesigen Bösen, sondern die kleinen Varianten wie Pintaroxa (Kleingefleckter Katzenhai), Cação (Glatthai) und Melga (Dornhai). Der Körper misst dabei hinter der Rückenflosse im Durchmesser kaum mehr als fünf Zentimeter, optimal also für runde Abschnitte ähnlich wie beim Aal. Vom Raia Manchada (Fleckenrochen) wird einfach ein Teil der Flosse genommen, und zartere Fische wie Pescada (Seehecht), die beim Kochen leichter zerfallen, komplettieren das Ganze.
Wegen dieser unterschiedlichen Eigenschaften darf man die Zutaten auch nicht gleichzeitig in den Topf werfen, sondern muss ein bestimmtes Schichtensystem anwenden. Also, Topf auf den Herd, aber noch nicht anstellen. Zwiebelringe bedecken den Boden, dann kommen die robusten Fischstücke. Darüber werden in dieser Reihenfolge geschichtet: Koriander und Petersilie, Tomatenscheiben, Kartoffelscheiben, Knoblauch und Piri Piri, Paprikastreifen, empfindlicherer Fisch, reichlich Olivenöl und noch viel reichlicher Weißwein, ein bisschen Salz und schwarzer Pfeffer. Wenn der Topf noch nicht voll ist, kann man die ganze Prozedur noch einmal wiederholen, aber das war bei mir nicht nötig. Jetzt wird der Herd angestellt, erst etwas höher, bald aber nur auf geringer Stufe. Nach etwa einer halben Stunde ist die Caldeirada fertig. Wasser und Brühwürfel gehören übrigens nicht in eine solche. Ähnlich wie bei der Bouillabaisse werden hier auch die Fischstücke entnommen und getrennt zur Suppe serviert.
Die Tatsache, dass es sich um a) weitgehend feste, b) in Abschnitte geteilte und c) nicht im Topf herumgerührte Fische handelt, macht sich sofort positiv bemerkbar. Knochen- und Knorpelfische verschonen uns zudem vor lästigen Gräten, Hai und Rochen sind schon mal sehr gut. Das Fleisch des Meeraals besteht aus langen Muskelsträngen. Eine Meeraalscheibe besitzt dementsprechend ein interessantes Muster aus mehreren konzentrischen Kreisgebilden.
Und was ist mit der Muräne? Die gefleckte Haut macht sich rein optisch schon mal sehr gut auf dem Teller. Ansonsten wird Muräne hauptsächlich wegen ihres Fettgehalts mitgekocht. Unter der Haut besitzt sie nämlich eine ungefähr einen Zentimeter dicke Fettschicht, die sich um den ganzen Körper zieht. Wegen dieses etwas ungünstigen Gewichtsverhältnisses zwischen Fett und Fleisch ist die Muräne einer der günstigsten Fische auf dem Markt. Die Haut isst man natürlich nicht mit, genauso wenig wie den Haikopf. Unter der wabbligen Hülle besitzt die Muräne sehr weißes, festes Fleisch, das saftig ist und kräftig nach einer Mischung aus Kalb und Fisch schmeckt. Ich bin sehr zufrieden. Das ist doch mal eine interessante Fischsuppe.
Da darf die Weinbegleitung sich ebensowenig lumpen lassen. Ich habe mich für einen Weißwein von den Azoren entschieden, den “Frei Gigante 2009“. Jener stammt von der UNESCO-geschützten Weininsel Pico und besteht aus den Rebsorten Arinto, Verdelho und Terrantez. Die beiden letzteren sind übrigens auf dem Festland nicht oder nur in winzigen Spuren vertreten. Salzig, weißfruchtig und mit einer kräftigen Säure ausgestattet ist der “Bruder Riese” ein erstaunlich persistenter Wein. Passt perfekt, und das für 7,80 € aus der Garrafeira Nacional.
Muräne, hach. Erinnert mich zum einem an meinen ersten Griechenlandurlaub mit 17, als wir buchstäblich an jeden Campingplatz irgendwelche Italiener trafen, die mit Schnorchel und Harpune unter Wasser auf Muränen-Jagd gingen und abends vor dem Zelt/Campingwagen/(Wohnmobile gab’s da noch nicht so viele) grillten. Der ein oder andere hat mir damals mal probieren lassen… Hach…
Und dann gibt’s da natürlich auch noch diese Alain Delon Szene aus dem Clan der Sizilianer. Gute Güte…
Übrigens, wo ich gerade so schön dabei bin: Bitte, wenn es irgendwie in die persönliche Terminplanung paßt, den 9. Oktober vormerken. Dann gibt es die nächste Auflage von “Wein & Wurst” in Ehrenfeld. Einfache, zum Teil vorzügliche Weine (5 davon von Originalverkorkt) treffen auf herausragende Würste. Wenn’s so wird, wie beim ersten Mal, wird’s super!!!
Und falls Du zufälligerweise am 8.7 in Köln sein solltest – da wird am gleichen Ort der erste Jahrgang eines zur Zeit noch namenlosen Weines präsentiert, an dessen Herstellung ich zu einem 1/5 beteiligt bin…
Tatsächlich, Italiener mit Harpune auf Muränenjagd? Faszinierend. Letztes Jahr auf dem Campingplatz in Spanien haben wir einen Spanier getroffen, der mit der Harpune auf Tintenfischjagd ging – erfolgreich. Sah ziemlich martialisch aus, das Ergebnis… “Wein & Wurst” nehme ich mir sehr gern vor, wobei ich ja traditionell auf die Verbindung von Bier & Wurst gepolt bin 😉
Auf Deinen Fünftel-Erstlingswein bin ich auch sehr gespannt! Wurzelecht, Schiefer, Riesling, Mosel, Steillage, da klingelt’s bei mir schon. Wenn ich jetzt noch Spontangärung und großes Holzfass lese, könnten die Grundvoraussetzungen nicht günstiger sein. Ich hab mir den Tag auf jeden Fall dick angekreuzt.
Viele Grüße von der Tejo-Terrasse (auch ziemlich steil), Matze
zu den Italienern: das war, denke ich, nicht minder martialisch.
zu Bier und Wurst (nur so als ein Gegenbeispiel): Schwarzwälder Schinken mit Ziereisen Spätburgunder (Hammer, ehrlich!)
zum 1/5: Ausgebaut in 2 kleinen Holzfässern, denn fürs Fuder hat die Menge dieses Jahr nicht gereicht. Und zur Gärung: das genaue Procedere müßte ich nachfragen, jedenfalls KEINE Reinzuchthefen
Dass ich relativ schmerzfrei bin, habe ich mit dem Eichhörnchenrezept wohl bewiesen. 😉 Aber manches muss ich für mich aus völlig unrationalen Gründen einfach ausschließen. Ich kann keinen Rochen essen, weil ich ihn so schön finde, und ebenso kann ich keine Muräne essen, weil sie so hässlich ist und ich mich beim Höhlentauchen schon fürchterlich erschreckt hat. Aber den Wein würde ich nehmen, sofort! 🙂
Naja, zum Glück ist Schönheit ja etwas Subjektives 😉 Wenn ich meine Fischfotos für die kleine Übersicht zusammenstelle wie in Istanbul, wirst Du Deine Rochen-Meinung vielleicht noch mal überdenken. Hihi.
ich glaube gut & gerne, dass man in D. keinen Fisch einkaufen kann, merke ich immer wieder an den Kommentaren, wenn ich Seeigel, Merluchon oder selbst tourteau verblogge, da tut Ihr mir echt leid!
Muränen habe ich auch schon gegessen, in einer baskischen Fischsuppe, mich schreckt da nichts ab.
eigentlich gut, dass ich den Seeteufel erst als Medaillon kennengelernt habe, sonst würde ich den am Ende heute auch nicht essen wollen. Als von Gott die Schönheit verteilt wurde, hat er wohl nicht laut genug gerufen. 😉
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